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DVSI Pressekonferenz – Ein Kommentar von Sibylle Dorndorf

30. November 2021, 0:00

Was wird gespielt? 

Spielwaren – das belegen die aktuellen Umsatzzahlen und Zuwachsraten der Branchen-Unternehmen, waren und sind Therapeutikum in der Corona-Krise. Und zwar nicht nur für Kinder.

Dennoch steht möglicherweise, nach Bekanntgabe der Entscheidung des Verfassungsgerichts, die Bundesnotbremse im April sei rechtens gewesen, der Spielwarenhandel vor dem nächsten Lockdown. Wenn das geschieht, nachgerade wieder mitten im laufenden Weihnachtsgeschäft, kann die Pandemie mit Fug und Recht als Förderprogramm für Amazon bezeichnet werden. Die Folge: der Marktanteil des stationären Handels wird weiter sinken. Mit der Pandemie, das ist zu beobachten, von 26 Prozent auf nunmehr 18 Prozent. Tendenz fallend. Die Onlineumsätze dagegen stiegen von 42 Prozent auf 58 Prozent. Und auch wenn in diesen Tagen kein erneuter Lockdown verkündet wird – die Shopper Journey, das Kaufverhalten der Verbraucher wird sich nachhaltig verändern. Mit Corona ist es nicht mehr reine Bequemlichkeit, die 24-Stunden Verfügbarkeit von Waren, die Lieferung an die Haustür, es sind soziale Ängste, die mit der Pandemie gewachsen sind. Was hat Corona uns beigebracht? Menschenmengen und Kontakte vermeiden so gut es geht, dazu gehört auch die Nutzung von öffentlichen Verkehrmitteln. Nichts berühren, was nicht unbedingt berührt werden muss, am besten, man bleibt zuhause. So sinnvoll das in diesen Tagen ist, es prägt unser Verhalten nachhaltig. Und so können wir heute davon ausgehen, dass volle, belebte Innenstädte, kleine Geschäfte, in denen sich Kunden auf engem Raum begegnen, Bus, Bahn und Flugzeug, dicht besetzt, für viele Menschen ein No Go bleiben werden. Nachgerade für die, die das Virus ernst nehmen und nicht irgendwelchen Verschwörungstheorien anhängen.

Welche Auswirkungen das auf die Spielwarenbranche haben wird, darüber kann man trefflich spekulieren. Fest steht: Wer das richtige Sortiment hat, wird weiterhin gewinnen, denn mit Corona haben die Menschen begriffen, wie entspannend spielen und sich kreativ beschäftigen sein kann, auch wenn man sich rein alterstechnisch weit jenseits der Kindheit bewegt. Wie der Fachhandel der Krise, die ihn massiv betrifft, begegnen wird, muss man abwarten. Ist das „digitale Erwachen“ eine Lösung? Kann der kleine Händler mit seinem 08/15-Web-Shop gegen die Internet-Giganten bestehen? Ich denke nein. Wer sich auf diesem glatten Parkett ohne Bauchlandung bewegen will, muss sich die Achillesferse von Amazon & Co. genau ansehen und das eigene On- und Offline-Angebot darauf ausrichten. Dann und nur dann kann die Übung gelingen. 

Das Jahr 2021 neigt sich dem Ende zu. Es ist Zeit, Bilanz zu ziehen. Der Bundesverband des Spielwaren-Einzelhandels erwartet mit Stand Anfang Dezember ein Gesamtmarktwachstum von plus 4 Prozent. Damit würde der Inlandsmarkt von 3,7 Milliarden Euro im Jahr 2020 (zu Endverbraucherpreisen, Basis: consumer panel npdgroup Deutschland) auf mindestens 3,8 Milliarden Euro in 2021 wachsen. Treiber dieses Wachstums sind vor allem Spiele in jeder Darreichungsform, Kinder-, Familien-, Partyspiele, dazu Puzzles und Bastelmaterialien. Alles, womit Kinder und Erwachsene sich während der Kontaktbeschränkungen beschäftigen konnten, trieb die Umsatzzahen nach oben. In den Lockdown-Monaten 2021 stieg der Spielwaren-Umsatz um 22 Prozent. Viele Händler haben auf den unterschiedlichsten Wegen und Kanälen Kontakt zu ihren Kunden aufgenommen, per WhatsApp, über Call & Collect, einem Aushang im Schaufenster. Das Engagement fing nachgerade einen kleinen Teil der Umsatzrückgänge auf. Die Gewinner waren der LEH, die Discounter, Drogeriemärkte  – und, täglich grüßt das Murmeltier, Amazon.  

Überrascht sind wir alle über die Kriterien, die die Kaufentscheidungen der Verbraucher beeinflussen. Im siebten DVSI-Index wurde das untersucht. Mit diesem Index erfasst der Deutsche Verband der Spielwarenindustrie die Konjunktur und Geschäftstätigkeit seiner Mitgliedsunternehmen. Auf Platz eins steht, auch wenn uns das nicht gefällt, der Preis. Platz zwei ist der Unterhaltungs- und Spielwert eines Produktes, Platz drei erst die Qualität, Platz vier sind Auszeichnungen, die ein Produkt bekommen hat, auf Platz fünf rangiert erst die Marke, auf Platz sechs das Design, Empfehlungen von Freunden oder anderen Eltern stehen auf Platz sieben und last but not least ist es die Nachhaltigkeit eines Produktes, die auf Platz acht einen Kaufentscheid auslöst. Das stimmt nachdenklich. Vor allem, weil der BVS Spielwaren mit nachhaltigem Inhalt wie ein Gewächshaus ganz oben auf den Wunschlisten sieht. Wie so oft klaffen Wunsch und Wirklichkeit weit auseinander. 

Und was liegt 2021 unter dem Christbaum? Geht es nach BVS-Geschäftsführer Steffen Kahnt, sind es Produkte rund um die Themen Experimentieren, Nachhaltigkeit und Abenteur. Aber vielleicht müssen die Kids in diesem Jahr einfach das nehmen, was noch in den Regalen liegt? Bei vielen Händlern sind die Top-Aktionsartikel für das diesjährige Fest bereits ausverkauft oder wurden nicht in georderter Stückzahl geliefert. Der Lieferketten-Supergau macht der Branche gewaltig zu schaffen. Ebenso die Beschaffungsprobleme bei vielen Rohstoffen. Die Frachtkosten tun ein Übriges, um vielen die letzten und umsatzträchtigsten Wochen des Jahres „nachhaltig“ zu vermiesen. Ulrich Brobeil, Geschäftsführer des Deutschen Verbands der Spielwarenindustrie, DVSI, spricht von einem „Boom mit zwei Gesichtern“: „Die deutlich gestiegenen Aufwendungen in der Supply Chain drücken natürlich auf die Rentabilität unserer Mitgliedsunternehmen. Preiserhöhungen werden nicht zu vermeiden sein.“ Zu großen Teilen wurden diese dem Handel auch bereits weitergegeben. Häufig werde nachgelegt. Und statt sich dem eigentlichen Job, dem Beraten und Verkaufen widmen zu können, sei man mit ständigen Neu-Kalkulationen der Ware beschäftigt, ärgert sich Wieland Sulzer, Inhaber eines Spielwaren-Fachmarktes in Marburg. Merken Sie was? Es bleibt spannend, bis zum Jahresende. Auf uns warten wieder viele Lernerfahrungen. Machen wir was draus!

Sibylle Dorndorf