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Kommentar: Kanal fatal oder Eine Seefahrt, die ist lustig, eine Seefahrt, die ist …

26. März 2021, 9:00

Dass Matrosen, die monatelang auf hoher See unterwegs sind, auf seltsame Ideen kommen, ist aus der Geschichte der Seefahrenden überliefert und rein menschlich gesehen nur allzu verständlich. Monatelang nichts als Wasser, Wellen und weiter Horizont, das kann einem schon aufs Gemüt schlagen. Da kommt sicher mehr als Langeweile auf, da treibt die Fantasie gar seltsame Blüten. Dass diese blühenden Fantasien oftmals mit Sex und Erotik zu tun haben, ist allzu verständlich.

Monatelange Enthaltsamkeit befeuert das Vorstellungsvermögen und regt den einen oder anderen zu den seltsamsten Praktiken an. Ohne das an dieser Stelle vertiefen zu wollen – der Kapitän der MS Ever Given, dem 400 Meter langen Tanker, der seit 23. März den Suezkanal blockiert, muss unter erheblichem hormonellen Druck gestanden haben, als er versuchte, ein männliches Geschlechtsteil in die Wellen zu malen. Ein gewisses zeichnerisches Talent kann ihm nicht abgesprochen werden (wer sich davon überzeugen möchte, der kann in einem netten kleinen Video die „Extra-Tour“ nachverfolgen : https://www.spiegel.de/wirtschaft/vor-havarie-im-suezkanal-kapitaen-der-ever-given-malt-einen-penis-ins-meer-a-f46c15ee-0ed4-4ba4-b4c9-c7d31bd66c07.

Über seine nautischen Fähigkeiten ist wenig bekannt, im Moment kann er diese der Weltöffentlichkeit auch nicht zeigen, denn er sitzt mit Mann und Maus auf der MS Ever Given fest. Selber schuld, mag mancher denken. Aber so einfach ist das nicht. Und eigentlich ist es auch gar nicht komisch, denn die MS Ever Given blockiert mehr als 200 Schiffe, die sich vor den Einfahrten zum wichtigsten Wasserweg der Welt stauen. Lieferketten brechen zusammen, Experten sehen gar den Welthandel in Gefahr. „Lloyd’s List“, ein auf Nachrichten und Informationen über Schifffahrt spezialisiertes Unternehmen schätzt, dass mit der Blockade jeden Tag Fracht im Wert von rund 9,6 Milliarden Euro zwischen Asien und Europa aufgehalten wird. Einer Studie des Versicherungskonzerns Allianz zufolge könnte das den globalen Handel jede Woche sechs bis zehn Milliarden Dollar kosten.

Nun ist die MS Ever Given schon einmal „vom Kurs abgewichen“ und unangenehm aufgefallen und zwar im Hamburger Hafen, wo sie 2019 eine Kollision mit einer Fähre verursachte. Es entstand ein Sachschaden von rund einer Million Euro. Auch kein Pappenstiel. Wer damals wohl am Ruder stand? Wobei: Angesichts der Dimensionen des Bötchens, das rund 20.000 Container einer Länge von sechs Metern befördern kann, ist die Fähre mit mehr als einem blauen Auge davongekommen … 
Zurück zum Superstau: Die Ever Given befand sich, bevor ihr Kapitän auf Abwegen schipperte (die offizielle Version lautet übrigens, man sei in einem Sandsturm vom Kurs abgekommen und dann unversehens quer im Suezkanal gelandet), auf dem Weg von China nach Rotterdam. Dort wird sie erst mal längere Zeit nicht ankommen, denn es gestaltet sich äußerst schwierig, den Tanker wieder in Fahrt zu bringen. Mit Baggern allein ist das nicht getan. Und noch ein Umstand macht die Geschichte brisant: Piraten treiben gern dort ihr Unwesen, wo fette, fluchtunfähige Beute winkt. Die Angst vor den Freibeutern der Weltmeere steigt also bei den Reedereien. Etliche Unternehmen baten mittlerweile die Marine der USA um Schutz und Unterstützung. Ob US-Präsident Joe Biden, der eigentlich im Moment alle Hände voll zu tun hat, um Corona Herr zu werden und das Chaos seines Vorgängers zu beseitigen, der Bitte nachkommt und wie, das ist noch fraglich. Die Schiffe, die sich auf der Route befinden und noch ausweichen konnten, nehmen derweil den Umweg über das Kap der guten Hoffnung in Südafrika, dieser kostet jedoch je nach Fahrgeschwindigkeit sieben bis zehn Tage mehr auf See, das ist bares Geld. Geladen hat die MS Ever Given übrigens keine Spielwaren. Machen Sie sich also erst einmal keine Sorgen um Ihre Lieferketten! An Bord des zu den größten Containerschiffen der Welt gehörenden Tankers befinden sich laut der Frachtdaten Trainingsanzüge, Babybekleidung, Reifen, Elektrogeräte, Ingwer – und ein triebgesteuerter Kapitän, der Picasso werden wollte …   

Sibylle Dorndorf