Sinkende Kaufkraft zwingt zu neuen Strategien
Der westeuropäische Einzelhandel war über Jahrzehnte ein boomender Wachstumsmarkt mit großen Umsatzsteigerungen. Doch aufgrund des rückläufigen Bevölkerungswachstums sowie der gesunkenen Kaufkraft in Europa nehmen die Umsätze der Branche ab.
Noch immer herrschen in Westeuropa verschiedene Einzelhandelsmodelle: Supermärkte in den Niederlanden und Belgien, Discounter in Deutschland und Einkaufszentren in Frankreich. Der Einzelhandel steht aber derzeit vor der wichtigen Aufgabe, neue Wachstumsstrategien für bestehende wie neue Märkte zu entwickeln. Die Roland Berger-Studie „Western European Retailers – At cross-roads between revolution or evolution“ beleuchtet vier Wachstumsstrategien für den Einzelhandel.
Alexander Belderok, Partner von Roland Berger Strategy Consultants, rät Einzelhändlern zu innovativen Ladenkonzepten. Außerdem müsse mit neuen Produkten auf die neuen Konsumgewohnheiten und Marktveränderungen reagiert werden. Die Sättigung vieler Märkte und Konsumzurückhaltung in einigen Ländern hätten vielen großen Einzelhandelsketten in den letzten Jahren Umsatzrückgänge von bis zu 34 Prozent beschert. Auch die Möglichkeiten, durch Akquisitionen weiter zu wachsen, seien begrenzt, denn oft würden Übernahmen kartellrechtlich verwehrt.
In den saturierten Märkten reichen traditionelle Retail-Konzepte laut Studie nicht mehr aus, um weiter zu wachsen. Vielmehr müssen Einzelhändler aus bestehenden Ladenflächen moderne, kundenfreundliche Einkaufswelten schaffen, um neue Kundschaft zu gewinnen. Roland Berger-Partner Regina Schmidt erklärt: „In angenehmer Atmosphäre einkaufen, sich wohl fühlen und gut beraten werden – das möchte der Kunde von heute.“ Große Einzelhändler sollten daher weg von anonymen Großmärkten hin zu freundlichen, qualitativ hochwertigen Ladenkonzepten mit umfangreichem Serviceangebot.
Einer der Haupttreiber für Umsatzwachstum im Einzelhandel ist außerdem der Verkauf von Eigenmarken. Denn mit eigenen Produkten können Retailer bis zu 25 Prozent höhere Margen erzielen und Preise anbieten, die um 15 Prozent günstiger sind als der Durchschnitt. Durch Eigenmarken können Einzelhändler außerdem ihr Image schärfen und sich vom Wettbewerb besser differenzieren. Vorreiter ist hier die Schweiz; doch auch andere europäische Länder folgen bereits diesem Modell. Die Roland Berger-Experten gehen davon aus, dass der Anteil von Eigenmarken am Gesamtangebot in den nächsten Jahren auf 45 Prozent steigen wird. Alexander Belderok warnt jedoch: „Der wachsende Anteil von Eigenmarken kann dazu führen, dass der Umsatz der Markenartikel in wichtigen Märkten wie Frankreich, England, Deutschland, Belgien und den Niederladen in den kommenden Jahren um 55 bis 88 Milliarden Euro schrumpft.“
Um in neuen Märkten zu expandieren, sollte der Einzelhandel vor allem auf die lokalen Kundenbedürfnisse achten. So ist die Entscheidung, einen Großteil der Produkte lokal zu beziehen, oft eine sehr erfolgreiche Strategie, heißt es in der Studie. Wichtig sei aber auch – sowohl in neuen, als auch in traditionellen Märkten – neue Einkaufsmodelle zu etablieren. „Händler müssen den Mut haben, die Einkaufsgewohnheiten der Verbraucher aktiv zu ändern“, betont Regina Schmidt, und sie ergänzt: „Waren früher die Hard Dicounts ein erfolgreiches Retail-Modell, so etablieren sich heute zunehmend Drive-In-Einkaufsmöglichkeiten oder 24-Stunden-Geschäfte in den Innenstädten.“
Eine immer wichtigere Rolle spielt außerdem das Onlineshopping: 2011 stieg der Anteil europäischer Online-Shopper auf 40 Prozent, Tendenz steigend. So erwarten die Roland Berger-Strategen, dass der europäische Markt für Onlineshopping im laufenden Jahr um weitere 16 Prozentpunkte zulegen wird. Für den europäischen Markt stelle das eine hervorragende Wachstumsmöglichkeit direkt vor Ort dar. Denn Online könnten rund 500 Millionen europäische Verbraucher erreicht werden