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Zusammenspiel: Elefantenrunde der Spielwarenbranche

26. Juli 2023, 14:18

Organisiert von DVSI und BVS fand Anfang Juli zum zweiten Mal das Branchenevent „Zusammenspiel“ statt. Diesmal traf man sich im Willy-Brandt-Haus in Berlin, um Themen zu diskutieren, die Industrie und Handel beschäftigen …

Spielwarenindustrie und -handel, sollte man meinen, ziehen an einem Strang, um zusammen ans Ziel zu kommen. Die Frage lautet aber: welches Ziel? Umsatz machen, um zu (über-)leben steht für beide Seiten wohl ganz oben auf der Liste der Gemeinsamkeiten. Und darüber hinaus …? Das Leben von Kindern schöner machen? Sicher. Einen Beitrag zur adäquaten, also alters- und gendergerechten sozialen Prägung von Kindern leisten? Bestimmt. Geld verdienen? Ach, hatten wir ja schon … Unstimmigkeit scheint darüber zu herrschen, wie man diese Ziele erreicht, Verzeihung, das Ziel, also das mit dem Geld verdienen. Da gibt es unterschiedliche Auffassungen. Hersteller wünschen sich, auf möglichst vielen Regalmetern ihre Ware zu sehen, Händler müssen Marge machen, was – je nach Preispunkt vieler bekannter und beliebter Produkte – aber gar nicht so einfach ist. Zudem sagt vielen Herstellern die Art und Weise nicht zu, wie ihre Ware im Laden präsentiert wird – zu spießig, zu langweilig und könnt ihr nicht mal einen Spotscheinwerfer auf die Neuheiten lenken, liebe Händler?! Zeigt doch mal ein bisschen Enthusiasmus! Die Kunden wollen was erleben, also macht ein Event draus – schön mit Konfetti, Marching Band und viel Helau! Und wenn ihr‘s nicht schafft, machen wir‘s eben selbst.

Große Diskussionsrunde im Willy-Brandt-Haus

Und was sagen die Händlerinnen und Händler dazu? Würden wir ja alles gerne, werte Hersteller, aber woher das Geld dafür oder für geschulte und zuverlässige Mitarbeiter*innen nehmen – womöglich bald noch zum neuen Mindestlohn?! Und bei der Ladenmiete und den Energiekosten können wir höchstens eine Kerze vors Highlightprodukt stellen und hoffen, dass der Karton ohne Plastiksichtfenster kein Feuer fängt und der ganze Laden abfackelt. Außerdem: nicht cool, dass ihr uns unsere Daseinsberechtigung wegnehmt und uns viele Produkte gar nicht mehr ins Sortiment aufnehmen lasst, sondern lieber selbst vertreibt. Ach, wisst ihr was, werte „Big Five“? Geht doch alle fott! Wir brauchen euch nicht!

Was das mit dem „Zusammenspiel“ zu tun hat? Eigentlich alles. Denn das ist – überspitzt gesagt – die Ebene, auf der sich Industrie und Handel schon viel zu lange begegnen und gegenseitig zermürben. Augenhöhe? Nun … Um so wichtiger, dass die Verbände DVSI und BVS die Initiative ergriffen haben und mit der Veranstaltung „Zusammenspiel“ Signale in ihre jeweiligen Lager senden, damit man sich gegenseitig annähert.
Aber musste das zweite „Zusammenspiel“ ausgerechnet in der Wirkstätte einer Partei stattfinden? Viel zu politisch, hat sich so mancher gedacht und ist der Veranstaltung entweder ganz fern geblieben oder hat sich selbst positioniert und bei der morgendlichen Wahl der Garderobe zum Kleinen Grünen gegriffen.
Bei genauer Betrachtung, ist die Entscheidung für die SPD-Zentrale als Veranstaltungsort so weit aber hergeholt nicht. Immerhin ist Spielware nicht vom politischen, gesellschaftlichen und schon gar nicht vom kulturellen Kontext loszulösen. Und genau dafür steht das Willy-Brandt-Haus – als Ort der politischen, gesellschaftlichen und kulturellen Begegnung, der Kommunikation und des offenen Diskurses. Und den gab es – zum Fokusthema Spielzeugsicherheit, zum Thema Erhöhung des Mindestlohns, zur aktuellen Debatte um sinkende Lese- und Sozialkompetenzen bei Kindern, aber auch zur Arbeit der Verbände selbst. So stellten BVS Geschäftsführer Steffen Kahnt und seine Stellvertreterin Franziska Köster den Verband mit seinen unterschiedlichen Tätigkeitsfeldern vor, während DVSI Geschäftsführer Uli Brobeil den Geschäftsbericht 2022 vorlegte, der nicht nur aus finanzieller Sicht erfreulich ausfiel – der Verband sei insgesamt auf Kurs, so der zufriedene Kapitän. Weiterhin zeigte Brobeil auf, wohin die Reise geht, formuliert als Wunschzettel an die Politik. Darin nannte er fünf zentrale Punkte, für die sich der DVSI Verbesserung wünscht: ein stärkeres Engagement für den Wert des Spielens, die Stärkung der Spielwarenindustrie in Bezug auf die Produktion in Deutschland, die Anerkennung von Spielwaren als Teil der Kultur- und Kreativwirtschaft, mehr wissenschaftliche Expertise zum positiven Einfluss von Spielen auf die Entwicklung von Kindern und den Abbau von bürokratischen Hemmnissen im Handel.

Im Anschluss begrüßte SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert die Elefantenrunde der Spielwarenbranche. Kühnert nutzte die Gelegenheit, um einen bewegenden Appell an jeden einzelnen und an die Branche insgesamt zu richten, sich klarer gegen Rechts zu positionieren, bevor er sich seiner Vergangenheit als ehemaliger MyToys Mitarbeiter stellte und eine Anekdote aus dieser Zeit zum besten gab. Belohnt wurde er dafür mit einem „Kackel-Dackel“, einem Retrospielzeug von Goliath, das ihm Uli Brobeil als Erinnerung an diese Situation mit sichtlichem Vergnügen überreichte. Damit war das rote Intermezzo aber noch nicht vorüber, es folgte eine ausführliche Frage-Antwort-Runde, in der Kühnert die Anwesenden inhaltlich sowie rhetorisch überraschend gut zu Themen abholte, die von Mindestlohn bis hin zur Steuerpflicht von Amazon reichten.
Auf die nachfolgenden Vorträge von Joachim Geiß vom BMWK über die geplante Nachschärfung der Spielzeugrichtlinie, und von Dr. Arun Kapoor von der Kanzlei Noerr zum Thema Product Compliance folgte eine lebhafte Debatte über das zuvor Gehörte. Dabei wurde deutlich, dass sich die teilnehmenden Diskussionspartner Thomas Redemann (Ravensburger), Andrea Wolf (Schleich), Rafaela Hartenstein (Hasbro) und Christian Krömer (Handel) sich mit den beiden Rednern nicht darüber einig waren, wie sinnvoll eine weitere Verschärfung insbesondere der chemischen Anforderungen an Spielware ist (nur wenige Lieferanten können diese für teures Geld erfüllen, was sich auf die Marge der Hersteller auswirkt und insbesondere für KMUs problematisch ist) und wie alltagstauglich die strengeren Richtlinien für Product Compliance für Industrie, aber auch den Handel sind.

SPD-Generalsekretät Kevin Kühnert freute sich über seinen Retro-„Kackel-Dackel“ von Goliath.
Die Abendveranstaltung auf der MS Luna ließ viel Zeit, die zuvor im Willy-Brandt-Haus geführte Diskussion fortzuführen.

Bei der abendlichen Bootstour auf der MS Luna durch Berlin bot sich dann ausreichend Gelegenheit, die Themen und Inhalte des Tages ausführlich zu diskutieren, einzuordnen und zu bewerten.
Und das Fazit zum zweiten „Zusammenspiel“? Es war wichtig. Jede Beziehung, auch die zwischen Spielwarenindustrie und -handel braucht Kommunikation, gegenseitiges Verständnis (oder zumindest den Willen dazu) und verlangt beiden Seiten Arbeit ab, um sich zu entwickeln und voranzukommen, und Events wie dieses bieten Raum für ein Miteinander auf Augenhöhe. Denn, wenn man sich umsieht in der Welt, angesichts der multifaktoriellen Krise, die alle betrifft, dürfte klar sein, dass eine „Steppenwolf“-Attitüde langfristig nirgendwo hinführt, außer in die Isolation und in die wirtschaftliche Bedrängnis einzelner, die sich dann auf die gesamte Branche auswirkt. Will die Branche das?

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