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Viele Wege führen zum Ziel

27. Mai 2022, 12:16

Früher bedeutete „mobil“ meist „Auto-mobil“, doch das ist vorbei. Der Beginn eines neuen multimobilen Zeitalters setzt hier eine historische Zäsur. Wie ­verändert sich dabei die Mobilität von Familien? Welche besonderen Bedürfnisse und Notwendigkeiten beeinflussen ihre Mobilitätsmuster? Und welche ­Entwicklungen zeichnen sich bereits ab?

Sportlich unterwegs mit dem Sportmodell von tfk

Auf vier oder zwei Rädern? Oder auf zwei Beinen plus Babytrage? Wird ein Paar zur Familie, gehört zur Vielzahl an praktischen Fragen auch die nach der Mobilität. Oder anders ausgedrückt: Wie komme ich mit einem immobilen kleinen Bündel samt Wickeltasche, Fläschchen und Ersatzkleidung von A nach B? In
sogenannten Lebensumbruchs-Phasen, beispielsweise durch die Geburt eines Kindes, verändern Menschen ihr Mobilitätsverhalten. Zeit und Geld sind meist knappe Ressourcen. Berufs- und Familienleben werden eng getaktet. Wissen-schaftler*innen wie Dr. Uta Burghard vom Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung (ISI) in Karlsruhe haben festgestellt, dass nachhaltige Alternativen wie Radfahren oder Gehen dann teilweise zugunsten des Autos aufgegeben werden. „Mit Kindern fallen mehr Wege an – zum Kindergarten, zum Arzt, zu verschiedenen Kursen. Ganze Wegeketten sind typisch für Familien, besonders für Mütter.“

Darunter fallen auch die Begleitwege mit Kindern, die noch nicht eigenständig mobil sind. „Kinder werden häufiger als früher zur Schule gebracht, und dies oft motorisiert“, sagt Dr. Burghard. Gründe können unter anderem die Berufstätigkeit beider Eltern, viele Termine, die in kurzer Zeit erledigt werden müssten, aber auch Einstellungen, wie die sogenannter Helikoptereltern oder ein erhöhtes Sicherheitsbedürfnis angesichts des risikoreichen Straßenverkehrs, sein.
Mobil zu sein ist unverzichtbar. Menschen wollen nicht nur, sie müssen mobil sein, um ihren privaten wie beruflichen Anforderungen gerecht zu werden. Mit steigendem Bewusstsein für die negativen Seiten der Pkw-Nutzung – CO2-Emissionen, Feinstaub, Lärmbelastung und hohe Energiekosten – stehen Alternativen mittlerweile hoch im Kurs. Das Ziel der Dekarbonisierung treibt den Wandel voran, zusammen mit dem Bedürfnis nach anderen Formen der persönlichen Mobilität – vernetzt, digital und geteilt. Laut Mobility Report 2021 sank der Absatz bei Neuwagen im ersten Corona-Jahr 2020 um 19,1 Prozent im Vorjahresvergleich. Doch das kann auch an anderen Gründen liegen, wie Lieferengpässen oder einer verschlechterten finanziellen Situation der Haushalte. Auf jeden Fall stehen umfassende Veränderungen beim Mobilitätsmix mit öffentlichem Verkehr, Fahrradverkehr und fußgängerfreundlichen Innenstädten an. Und das ist gut so.

Mehr Bewegung durch „Road Diet“
Aber gerade jungen Eltern werden noch zu selten familienfreundliche Angebote für die ganz eigene „Mobilitätswende“ gemacht. Familien mit Kindern haben andere Mobilitätsvoraussetzungen als Personen ohne Kinder. Für sie ist Barrierefreiheit in Form von niedrigen Bordsteinkanten, Liftanlagen, breiten Geh- und Radwegen ein wesentlicher Faktor dafür, ob zu Fuß gehen und Radfahren als angenehm erlebt werden. Nur ausgebaute Radwege erlauben die sichere Nutzung von Fahrradanhängern und fördern die eigenständige Mobilität von Kindern. Auch Tempo 30 in den Innenstädten verbessert die Lebensqualität. Eine Untersuchung in Deutschland zeigt, dass Kinder in verkehrsberuhigten Zonen durchschnittlich mehr als doppelt so lange ohne elterliche Aufsicht im Wohnumfeld spielen, als in einer Straße mit Durchgangsverkehr und Tempo 50. Zudem wären verkehrsberuhigte Zonen und eine generelle „Road Diet“ wichtige Maßnahmen zur Förderung der Bewegung von Kindern, die seit Jahrzehnten rückläufig ist.
Am ehesten gelingt Familien der Wechsel zu nachhaltigen Mobilitätsformen im urbanen Raum mit der Verfügbarkeit von Mobilität direkt vor der Haustür. Das Neun-Euro-Ticket im bundesweiten Nahverkehr ist Teil des Entlastungspakets der Ampelkoalition, als Reaktion auf gestiegene Energiepreise. Es kann ein Game Changer für viele sein, die das Angebot testen und langfristig Vorteile für sich entdecken. Aber auch die „Öffentlichen“ werden nicht genutzt, wenn damit der Ausflug mit Kind und Kegel als zu stressig bewertet wird.

Fahrradsitz Jockey 3 Comfort von Britax Römer
Dr. Uta Burghard, Wissenschaftliche Mitarbeiterin und Projektleiterin im Competence Center Energietechnologien und Energiesysteme am Fraunhofer Institut für System- und Innovations­forschung (ISI) in Karlsruhe

Sharing-Modelle sind wenig familienfreundlich
Auch die Teilnahme am Carsharing oder Bikesharing stellt Familien mit kleinen Kindern oft vor größere logistische Probleme. Für eine Untersuchung zur „Urbanen Familienmobilität im Wandel“ hatte Dr. Uta Burghard junge Eltern in Karlsruhe, Stuttgart und Freiburg befragt und fand heraus, dass mehr familientaugliche Modelle und Informationen zu vorhandenen Kindersitzen das Interesse am Carsharing steigern könnten. Auch Fahrrad-Verleihsysteme könnten sich mit einem breiteren Angebot, bis hin zu Lastenrädern und Pedelecs, den Bedürfnissen von Familien anpassen.
Dann doch erstmal wieder zurück zum Pkw? Viele Auto-Besitzer haben in der Stadt ihre persönliche Schmerzgrenze bei fehlenden Parkplätzen, verdichtetem Verkehrsaufkommen oder Stillstand im Stau bereits erreicht. Das Auto wird in der Stadt immer häufiger als Bürde empfunden. Das sehen schon die Jungen so. Sie stehen auf Shared Micromobility – gemeinsam genutzte Elektrofahrräder, Roller und Scooter. Die Mikromobilität schließt die Lücke zum öffentlichen Verkehr und die „letzte Meile“ zur Haustür.

Nutzen statt besitzen
Individuelle Mobilität funktioniert künftig nicht über Besitz, sondern über den Zugang. „Nutzen statt besitzen“, heißt es in der Studie „Die Evolution der Mobilität“ des Zukunftsinstituts im Auftrag des ADAC. Digitale Services bestimmen, wie Menschen mobil sind. Wie voll ist die Bahn? Wo gibt es noch Sitzplätze? Welche alternativen Routen kann ich nutzen? Verkehrsmittel werden zur Verlängerung des Büros und Lebensraums. Autonome Shuttles werden per App zum eigenen Standort gerufen. Sie werden zu sogenannten Dritten Orten, an denen man mithilfe moderner Technologie entspannen, lesen, Videos schauen oder die Arbeit erledigen kann. Mobiles vernetztes Arbeiten wird integraler Bestandteil des Alltags sein. Neben dem bereits etablierten Homeoffice entsteht das Mobileoffice.

Die spezielle Neugeborenentrage Embrace von Ergobaby ermöglicht jungen Eltern auch im ersten Jahr Aktivität

Passgenaue Kinderprodukte für mobile Eltern
Lücken in der Mobilitätskette schließen auch die Unternehmen der Kinderausstattung im eigenen Portfolio: Das Angebot von ganzen „Travel-Systemen“, bestehend aus Kinderwagen, Babywanne und Autokindersitz, mildert bei Erst-Eltern nicht nur die Qual der Wahl, sondern stärkt als wünschenswerten Nebeneffekt auch die Kundenbindung über Jahre. Wer das nicht aus eigener Produktion anbieten kann, geht Kooperationen ein. So haben sich vor kurzem etwa Ergobaby (Babytragen, City Stroller) und BeSafe (Autokindersitze) zusammengetan. Auch der Premium-Kinderwagen-Hersteller Angelcab hat mit Hera eine eigene Baby­tragenmarke kreiert und arbeitet zudem mit dem Autokindersitz-Anbieter Swandoo zusammen.
Mobilität in der Kinderausstattung wird von der allerersten Meile her gedacht: So sorgt der Kindersicherheits-Spezialist reer mit einer speziellen Autogurtführung für Schwangere bereits vor der Geburt für mehr Sicherheit. „Nur Produkte, die eine Erleichterung im Alltag darstellen, sind auch erfolgreich. Wir schauen da ganz genau auf die ‚needs‘ der Endverbraucher“, sagt Robin Homolac, Associate Director Brand Marketing bei Ergobaby. Der Metro+ Kinderwagen des Herstellers passt im eigenen Tragerucksack ins Handgepäck eines Fliegers. Leicht und dennoch sicher ist auch die erste modulare Babyschale Maxi-Cosi Coral von Dorel. Und wer nur kurze Wege überbrücken will, nutzt iZi Transfer von BeSafe. In der federleichten Stofftrage lassen sich die Kleinsten aus der Babyschale schlafend vom Auto in den Kinderwagen oder die Wiege zuhause umbetten.
Eltern, die im Alltag oft unterwegs sind, viel reisen oder mit Kind weiter ihrem Sport nachgehen wollen, wählen Kinderausstattungsprodukte, die auch und besonders ihren (mobilen) Lebensstil unterstützen. Dabei ist den einen wichtig, dass sich der Buggy schnell zusammenklappen lässt, die anderen wollen einen wendigen Kinderwagen mit TÜV-Sportzulassung und Beinfreiheit fürs Lauftraining. Mit den verschiedenen Bedürfnissen ist auch das Angebot an noch passgenaueren Produkten gewachsen. Seit rund zwei Jahren bietet Ergobaby beispielsweise mit dem Modell Embrace eine spezielle Neugeborenentrage für das erste Jahr an. „Wir haben festgestellt, dass junge Eltern heute auch nach der Geburt bereits aktiv sein wollen. Oder Väter in dieser besonderen Zeit ihre Partnerin entlasten und gleichzeitig ihrem Nachwuchs ganz nah sein möchten.“

Keine Mobilitätslösung – der Elektro-Kinderwagen
Auf spezielle Reiseprodukte für Kinder hat sich das junge Familienunternehmen Solwi spezialisiert. Das patentierte aufblasbare Wickelkissen „Weekee“ für das Auto macht Eltern mit kleinen Kindern unterwegs unabhängig. Auch der selbstaufblasende Toilettensitz „Weekee Ring“ schützt vor so manchem Hygiene-Gau in den Raststätten und dient zudem als Sitzverkleinerer. Dagegen wurde der Start der ersten elektrisch betriebenen Kinderwagen vor rund drei Jahren bis heute zu keinem neuen Meilenstein der Mobilität. Während der Höhenflug bei den eBikes auch pandemiebedingt nicht größer hätte sein können, sind eKinderwagen heute immer noch die Ausnahme. „In den meisten Städten ist ein Elektroantrieb nicht notwendig“, meint Luis Karger, Gründer und Inhaber von Angelcab. „Es ist gar nicht so sehr der Motor, sondern es sind die smarten Features, die manche Eltern ansprechen“, etwa Wegfahrsperre, automatische Bremse, Unterstützung im Gelände oder die Wipp-Funktion beim Modell e-Priam von Cybex – Schaukelbewegungen in drei Intensitäten, die über eine eigene App gesteuert werden.
Kreislaufwirtschaft und Sharing-Gedanke sind mittlerweile auch bei den Kinderwagen und Kinderfahrrädern angekommen. Statt für jedes der derzeit in Deutschland jährlich geborenen rund 700.000 Babys einen eigenen Kinderwagen zu kaufen, plädieren die kreativen Köpfe hinter dem Geschäftsmodell StrollMe dafür, die Kinderkutsche zu mieten und nur so lange zu nutzen, wie es nötig ist – damit die kleinen Füßchen nicht bereits zum Start ins Leben einen riesengroßen CO2-Fußabdruck hinterlassen. Elternsein bedeute schließlich auch Verantwortung zu übernehmen, betonen die Gründer Sebastian Reichelt und Timon Beutel aus München.

Lioba Hebauer

Um Kunden die gesamte Breite der Mobilitätslösungen anbieten zu können, haben sich Ergobaby und BeSafe zusammengetan

Quellen:
https://bit.ly/3JZfJt8
https://bit.ly/3k8Terr
https://bit.ly/37Zcq7Z