Vedes: Rethink Retail!
Als die Vedes 1904 an den Start ging, war die Spielwarenwelt noch in Ordnung. Hürden und Herausforderungen waren nicht so Existenz bedrohend wie heute. Über die Zukunft der ältesten Einkaufskooperation und damit die Zukunft des Spielwarenhandels sprach Sibylle Dorndorf mit den Vedes-Vorständen.
Der Fachhandel steht seit Jahren aufgrund gravierender Veränderungen der Rahmenbedingungen wie generelle Kaufzurückhaltung, E-Commerce-Challenge, veränderte Shopper Journey, Social Shopping und so weiter unter Druck. Und als ob die Corona-Pandemie nicht schon genug durcheinandergebracht hätte, kamen jetzt auch noch der Krieg in der Ukraine und die daraus resultierende Energiekrise dazu … Wie ist die aktuelle Lage?
Dr. Thomas Märtz: Der deutsche Einzelhandel hat turbulente Zeiten hinter sich und auch die Zukunft steckt voller Herausforderungen. Die letzten zwei Jahre waren nicht einfach, aber unsere Fachhändler kamen trotz aller Probleme relativ stabil durch die Coronapandemie. Sicherlich gab es vereinzelt Schließungen, die durch die Krise beschleunigt wurden, aber auf anderen Ursachen, zum Beispiel einer fehlenden Nachfolgeregelung, beruhten.
Julia Graeber: Insgesamt konnte der Vedes Konzern die Corona-bedingten Verluste im stationären Spielwarenfachhandel kompensieren, da wir neben dem Fachhandel auch andere Vertriebskanäle beliefert haben, die nicht von den staatlich verordneten Schließungen betroffen waren.
Es ist viel die Rede vom Digitalisierungsschub im Handel. Können Sie das auch für die Vedes Händler unterschreiben und wie sieht das digitale Erwachen konkret aus?
Achim Weniger: Die Corona-Pandemie hat sich als echter Evolutionsbeschleuniger für die Digitalisierung im Fachhandel erwiesen. Hier sind unsere Vedes Händler sehr gut aufgestellt, denn sie haben sich mit uns zusätzlich zum stationären Geschäft ein digitales Standbein geschaffen. Mit der Vedes Digitalen Shopping-Lösung sind unser Mitglieder auf allen Kanälen aktiv, um ihren Bestands-, aber auch Neukunden einen vollumfänglichen Service anbieten zu können. Das Leistungsspektrum umfasst einen individuellen Internetauftritt, ausführliche Produktpräsentationen inklusive Verfügbarkeiten und Instrumente wie Click & Collect sowie die Möglichkeit, sich über einen eigenen Online-Shop individuell und kundenorientiert zu präsentieren.
Herausforderungen gibt es momentan mehr als genug … Viele Verbände versuchen auf politischer Bühne zu intervenieren. Warum, meinen Sie, wird Spielware immer noch so unterschätzt? Betreibt die Branche zu wenig Lobbyarbeit?
Dr. Märtz: Dieser Eindruck täuscht! Wir sind branchenübergreifend mit allen Handelsverbänden und vielen Verbundgruppen auf allen politischen Ebenen immer an vorderster Front aktiv. Denn wir sind der festen Überzeugung, dass nur gemeinsame Initiativen bei Bund und Ländern Aussicht auf Erfolg haben.
Corona hat auch die Art der Kommunikation verändert. Wie halten Sie aktuell Kontakt mit Ihren Händlern bzw. gibt inzwischen eine neue Art der „Begegnung“?
Graeber: Auch hier hat es in den vergangenen drei Jahren einen echten Digitalisierungsschub gegeben. Was früher undenkbar gewesen wäre, hat sich inzwischen fest etabliert. Wir halten engsten Kontakt zu unseren Mitgliedern in wiederkehrenden Live-Streams und erreichen hier mittlerweile mehr Teilnehmer als auf den früheren Regionalkonferenzen. Unabhängig davon freuen wir uns aber jetzt auch wieder über die persönlichen Treffen.
Im Zuge dessen stellt sich auch die Frage nach den Messen: Es zeigt sich, dass es nicht einfach ist, wirklich funktionierende hybride Konzepte aufzulegen. Die Leitmessen werden auf jeden Fall schlankere Konzepte fahren müssen, um zu überleben, was meinen Sie?
Dr. Märtz: Die Messegesellschaften stehen vor großen Herausforderungen. Die jüngste Vergangenheit hat gezeigt, dass sich viele Marktteilnehmer neu orientiert haben und alternative Optionen prüfen. Natürlich kann nichts den persönlichen Kontakt ersetzen – die Messe ist und bleibt eine zentrale Begegnungsstätte, wo sich alle Marktteilnehmer treffen und austauschen.
Auch teilweise einhergehend mit der Pandemie hat die Industrie die Vertikalisierung vorangetrieben. Wie sehen Sie diese Entwicklung in Bezug auf Ihre Händlerschaft?
Weniger: Grundsätzlich handelt es sich auch hier um eine Evolutionsbeschleunigung, da die früher klar getrennten Rollen beziehungsweise Zuständigkeiten bereits vor der Pandemie verschwommen waren. Wir beobachten diese Entwicklung aufmerksam und stehen diesbezüglich im direkten Dialog mit den Big Playern.
Gerade im entscheidenden 4. Quartal ist die Spielwarenbranche – wie im Übrigen auch andere Branchen – erneut von Lieferengpässen betroffen. Wie sieht die aktuelle Situation aus?
Weniger: Die Verfügbarkeit ist auf jeden Fall noch besser als im letzten Jahr, denn die Vedes hat sich noch besser aufgestellt: Trotz größter Herausforderungen in punkto Disposition und Beschaffung haben wir uns erneut frühzeitig und ausreichend mit Ware bevorratet, so dass unser Großhandel im Weihnachtsgeschäft bis zum letzten Tag lieferfähig ist. Deswegen sind die Regale unserer Vedes Händler – sowohl stationär als auch digital – im Jahresendspurt gut gefüllt.
Das stimmt zuversichtlich, aber wie werden sich die Konsumenten verhalten? Was meinen Sie: Wie wird das Weihnachtsgeschäft 2022 laufen?
Dr. Märtz: Auch wenn am Kind in der Regel zuletzt gespart wird, werden steigende Energiepreise und Lebenshaltungskosten die Konsumlaune weiter massiv dämpfen. Hinzu kommen Rohstoffverknappung, Lieferengpässe und deutliche Frachtkostensteigerungen, die auch unsere Branche erheblich belasten. Trotz dieser Einschränkungen blicken wir optimistisch auf das diesjährige Weihnachtsgeschäft. Die Spielwarenbranche hat sich auch in Krisensituationen stets als robust erwiesen. Eher wird auf größere Anschaffungen und Urlaubsreisen verzichtet als in enttäuschte Kinderaugen unter dem Weihnachtsbaum zu blicken.
Da kommen wir gleich zum nächsten Thema: Extreme Preiserhöhungen bei den Frachtkosten, Verknappung der Rohstoffe, Lieferengpässe, etc. ließen die Kosten in 2022 steigen, so dass viele Unternehmen im Laufe dieses Jahres ihre Preise angepasst haben. Wie geht es 2023 weiter?
Weniger: Von Entspannung kann leider keine Rede sein: Die Preise sind 2022 gewichtet um acht Prozent gestiegen. Und wir gehen davon aus, dass sich die aktuellen Entwicklungen weiter negativ auf die Preisgestaltung auswirken werden. Wir hoffen für 2023 auf eine gewisse Normalität, die bei zwei bis drei Prozent liegen wird.
Graeber: Ich möchte an dieser Stelle ergänzen, dass es nur im gemeinsamen Verständnis zwischen Industrie und Handel möglich ist, die gravierenden EK-Erhöhungen im Handel durch vernünftige UVP-Empfehlungen abzubilden. Denn der Handel kann diese Margenveränderung sicherlich nicht allein tragen!
Frau Graeber, Sie sind am 1. Januar 2022 zum Vorstandsmitglied ernannt worden und verantworten seitdem die Bereiche Finanzen, Rechnungswesen, Controlling und IT. Ihr Resumée der ersten zwölf Monate in der Vedes Chefetage?
Graeber: Es macht auf jeden Fall großen Spaß mit meinen beiden Vorstandskollegen und dem gesamten Vedes Team. Durch die Neuaufteilung der Bereiche kann sich nun jeder gezielt auf seine Fokusthemen konzentrieren, um dann im konstruktiven Dialog gemeinsam die Weichen für unsere Unternehmensstrategie und -philosophie zu stellen. Die Vedes ist für den Aufbruch in die Zukunft bestens aufgestellt, um den Wandel im Spielwarenfachhandel aktiv zu gestalten.
Dr. Märtz: Ich möchte an dieser Stelle ergänzen: Unsere geschätzte Kollegin ist innerhalb kürzester Zeit zu einer wichtigen und kompetenten Schlüsselposition avanciert. Sie hat nicht nur Prozesse und Strukturen innerhalb ihres Verantwortungsbereiches neu definiert, sondern im gesamten Unternehmen maßgebliche Akzente gesetzt.
Apropos Pandemie, vorher galt in vielen Branchen „Think Big“, nun backen wir in mehrfacher Hinsicht kleinere Brötchen. Welche Rückschlüsse haben Sie in der Zentrale aus der Corona-Zeit gezogen und welche Einflüsse haben diese auf Ihre Geschäftstätigkeit und die Vedes Geschäftsfelder?
Dr. Märtz: Wir nehmen die veränderten Rahmenbedingungen als Grundlage, um die Zukunft der Spielwarenbranche zu gestalten. Als traditionsreiches Unternehmen mit einer 118-jährigen Geschichte stehen wir seit Generationen für einen starken Mittelstand und werden die bevorstehenden Herausforderungen aktiv angehen und die sich bietenden Chancen nutzen.
Die Vedes hat als Marke einen hohen Bekanntheitsgrad bei Familien. Werden Sie das mit entsprechenden Maßnahmen weiter forcieren?
Weniger: Natürlich, denn eine starke Marke ist in unserem harten Wettbewerbsumfeld das A und O! Durch unsere Vermarktungsaktivitäten im Digital- und Printbereich erreichen wir mehr als 600 Millionen Kontakte im Jahr. Und auch in Zukunft werden wir hier kräftig investieren, damit unsere starke Marke Vedes auf allen Kanälen präsent und damit in den Köpfen der Konsumenten fest verankert ist.
Welches Thema beschäftigt Sie derzeit besonders?
Graeber: Die Vedes als Handelsunternehmen legt großen Wert auf Nachhaltigkeit und verantwortungsvolles Handeln. Die Bereitschaft Bewährtes konstruktiv zu hinterfragen, Ideen zu fordern und zu fördern und den Wandel als Ansporn zu begreifen, sind dabei die Grundpfeiler der Innovationskraft, um den wirtschaftlichen und nachhaltigen Erfolg der gesamten Unternehmensgruppe zu sichern. Das unternehmerische Handeln der Vedes ist geprägt von energie-, umwelt- und ressourcenschonendem Denken und wird fortwährend an neue Aufgaben, Herausforderungen und Strategien angepasst.
Weniger: Da in der Spielwarenbranche ein sehr hohen Anteil in Fernost produziert wird, müssen wir alle auf die Einhaltung von menschenwürdigen Arbeits- und klimafreundlichen Produktionsbedingungen achten. Hier sind allerdings in erster Linie die Hersteller in der Pflicht. Uns ist wichtig, dass in unserer Branche Standards eingehalten werden. Natürlich wollen wir auch unsere Händler für das wichtige Thema Nachhaltigkeit sensibilisieren und in den Prozess integrieren. Mir ist durchaus bewusst, dass die Spielwarenbranche allein nicht die Welt retten kann, aber wenn jeder seinen Beitrag leistet, dann wird die Welt jeden Tag ein bisschen besser.