Spielzeug Geschichte(n)
Der Wirtschaftsjournalist, Buchautor und Hobby-Historiker Uwe Ritzer hat sich eines wahrhaft königlichen Themas angenommen. Wir lernen aus diesem spannenden Beitrag: Auch Royals haben eine verspielte Ader.
Dass Ludwig XIV eine einigermaßen normale Kindheit hatte, das darf bezweifelt werden. Er war vier Jahre alt, als er am 14. Mai 1643 als König von Frankreich inthronisiert wurde. Bis zu seinem 13. Lebensjahr fungierte seine Mutter Anna von Österreich als Vormund; de facto regierte der machtbewusste Kardinal Jules Mazarin das französische Reich. Er führte Ludwig Schritt für Schritt an seine Aufgaben als absolutistischer Herrscher heran. 1661 übernahm der „Sonnenkönig“ dann persönlich die Regierungsgewalt.
Bereits ein Jahr zuvor – Ludwig hatte weder Frau noch Kind – bestellte der Monarch in Nürnberg für seinen Thronfolger, der irgendwann einmal auf die Welt kommen würde, zwei Spielzeugarmeen. Bestehend aus mehreren Hundert Fuß- und Reitersoldaten, jeder etwa zehn Zentimeter groß. Möglichst beweglich sollten sie sein und gefertigt aus Silber. „Sie verfügten über ein raffiniertes mechanisches Antriebssystem“, weiß Helmut Schwarz, promovierter Historiker und langjähriger Leiter des Nürnberger Spielzeugmuseums.
Der Auftrag ging nach Nürnberg, weil sich dort seit dem 14. Jahrhundert ein Spielwarenhandwerk etabliert hatte, das europaweit einen exzellenten Ruf genoss. „Dieser Auftrag des französischen Hofes an Nürnberger Handwerker macht nicht nur die Berühmtheit der letzteren deutlich, sondern auch ihr besonderes Geschick in der Herstellung von Spielzeug“, schrieb 1967 der Volkswirt Georg Wenzel in seiner an der wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität Erlangen vorgelegten Doktorarbeit „Die Geschichte der Nürnberger Spielzeugindustrie“, in der er unter anderem den Auftrag von Ludwig XIV dokumentierte. „Solche Arbeiten, die in der ganzen kultivierten Welt bekannt wurden, verbanden den Namen Nürnbergs immer mehr mit dem Begriff des Spielzeugs.“
Für Ludwig XIV gingen der Goldschmiedemeister Johann Jakob Wolrab und der Zirkelschmiedemeister Gottfried Hautsch ans Werk. Der eine war für die Fertigung der Silberfiguren zuständig, die der französische Baumeister Sebastian de Vauban eigens im Auftrag des Hofes entworfen hatte. 1660 reiste er nach Nürnberg, um sein Design (so würde man es heutzutage nennen) und seine konkreten Vorstellungen zu erläutern. Hautsch wiederum war für die Beweglichkeit der Truppe verantwortlich. Er entwickelte ein spezielles Uhrwerk. „Darauf wurden die Soldaten so befestigt, dass sie die verschiedensten Exerzierübungen ausführen konnten“, so Georg Wenzel.
Schon Gottfried Hautschs Vater Hans hatte für hohe Herren und Könige gearbeitet, wie Doktorand Wenzel herausfand: „Nach 165O schufen er und seine Söhne in mehrere Jahre dauernder Arbeit ein viel beachtetes Kunstwerk. Es war ein in drei Teilen aufgebautes Haus, in dessen unterster Etage die Erschaffung der Welt, Kain und Abel und mehrere andere biblische Begebenheiten zu sehen waren. Im mittleren Teil wurden 72 verschiedene Handwerker bei ihrer Arbeit gezeigt. Im obersten Stock schließlich war eine Fontänenanlage. Wenn jemand an einem seitlich am Gebäude angebrachten Rad drehte, so bewegte sich alles und oben schoss das Wasser in Fontänen. Ein solches Haus ging nach Dänemark. Ein gleiches wurde dann vom Großherzog von Florenz bestellt.“
Am Auftrag des französischen Sonnenkönigs arbeiteten Wolrab, Hautsch und ihre Leute vier Jahre. Die bewegliche Spielzeugarmee war ein Spektakel, das die ganze Stadt in ihren Bann zog. Als sie fertig war, wurde sie „vor dem Rathaus dem größeren und kleineren Rat und anderen geladenen Gästen vorgeführt“, so Georg Wenzel. Zwischenzeitlich hatte Ludwigs Frau Maria Teresa von Spanien am 1. November 1661 tatsächlich einen Thronfolger auf die Welt gebracht: Louis, genannt „Le Grand Dauphin“. Allerdings sollte er nie den Thron besteigen; er starb vier Jahre vor seinem Vater.
Ob Louis jemals mit den Spielzeugarmeen gespielt hat, ist offen. Tatsache aber ist, dass der Auftrag „ein gewaltiges Vermögen gekostet hat“, wie Historiker Helmut Schwarz sagt. Wie viel genau, ist nicht überliefert. Und es gab Folgegeschäfte. „Andere Herrscher wie die Habsburger oder der Großerzog von Florenz wollten Ludwig XIV nicht nachstehen“, so Schwarz. „Also bestellten auch sie solche Spielzeugarmeen, die auch der Demonstration von Macht und Reichtum dienten.“
Keines dieser Werke ist erhalten geblieben. Jedoch gelten die Silbersoldaten für den französischen Dauphin und für die Medici in Florenz als Vorläufer der im 18. Jahrhundert aufkommenden Zinnsoldaten. Auch für deren Fertigung wurde Nürnberg ein internationales Zentrum.
Uwe Ritzer