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Spielwarenmesse – Interview mit Christian Ulrich

26. Juli 2021, 12:28

Seit dem 1. Juli 2021 ist Christian Ulrich in Nachfolge von Ernst Kick, Sprecher des Vorstands und einer von drei Vorständen der Spielwarenmesse eG. Als ehemaliger Director Marketing der Spielwarenmesse ist er – zusammen mit seinen Vorstandskollegen – Insider und kennt das Konstrukt der Messe in- und auswendig. Im Gespräch mit Sibylle Dorndorf erörtert er Chancen und Herausforderungen für die „Messe der Zukunft“.

Christian Ulrich, Sprecher und Vorstandsmitglied der Spielwarenmesse eG

War es für Sie in der Vergangenheit vorstellbar, in den Vorstand aufzurücken und wie lief die Bewerbungs- und Vorbereitungsphase konkret ab?
Meine Vorstandskollegen und ich haben seit Jahren im Führungskreis der Spielwarenmesse an wichtigen strategischen Entscheidungen mitgewirkt. Insofern hatten wir eine lange und intensive Phase der Vorbereitung auf unsere jeweiligen Aufgabengebiete. Als es um die Nachbesetzung des Vorstands ging, hat der Aufsichtsrat der Spielwarenmesse lange und intensive Interviews mit jedem Einzelnen von uns geführt. In diesen Gesprächen ging es um die Zukunft der Messe, um die Weiterentwicklungspotenziale, die sie hat. Dieser Prozess ging über zwei Jahre und es stand natürlich auch die Option im Raum, den Vorstand extern zu besetzen.

Warum hat man sich letztlich dagegen entschieden?
Wir bringen, jeder aus seinem Bereich, sehr viel Erfahrung mit. Wir wissen, worum es geht bei der Spielwarenmesse. Das ist zunächst für alle Beteiligten eine sehr komfortable Situation, vor allem auch für die Übergangsphase, die wir nahtlos gestalten konnten. Wir wurden sehr früh aktiv in Entscheidungen eingebunden, die über die Amtszeit unserer Vorgänger hinaus reichten. Und wir haben alle drei offensichtlich auch beweisen können, dass wir in der Lage sind – vor allem jetzt in der Ausnahmesituation, in der wir uns befinden –Dinge neu denken zu können.

Vorher gab es eine Vorstands-Doppelspitze, nun hat man sich für drei Vorstände entschieden. Was waren hierfür die Beweggründe?
Es gab mehrere Aspekte. Der Markt ist nicht nur gewachsen, er ist immer komplexer geworden. Allein die Integration von technologischen Entwicklungen, die in den letzten Jahren aufkamen, ist schon eine Herausforderung für Messemacher. Es war schnell klar, dass man dieses umfassende Aufgabengebiet künftig nicht auf eine Person zentrieren kann. Dazu kommt, dass wir alle drei sehr nahe an unseren Ressorts sind. Wir steuern auch jetzt das operative Geschäft, sprich es gibt keine Nachfolger im klassischen Sinn. Wir haben eine zweite Ebene mit Teamleitern geschaffen und bleiben für unsere angestammten Bereiche selbst verantwortlich.

Sie übernehmen in einer Zeit, in der Pandemie bedingt im Messegeschäft kein Stein auf dem anderen ist und wohl auch bleiben wird. Das ist ein schweres Erbe, aber im Grunde auch eine Chance, das Konzept der Spielwarenmesse zu überdenken und das Messeformat völlig neu zu erfinden …
Die Pandemie hat Prozesse beschleunigt und Rahmenbedingungen gravierend verändert. Betrachten wir allein die Felder Technik, Markt und Gesellschaft. Wir haben schon sehr früh ein Projekt angestoßen, das wir „Die Messe der Zukunft“ nennen. Darin sind alle Mitarbeiter der Spielwarenmesse involviert. Wir wollten auf keinen Fall von Veränderungen, die sich bereits lange vor der Pandemie abzeichneten, „kalt überrascht“ werden. Wir müssen proaktiv agieren können und das Heft in der Hand behalten, was die Ausrichtung der Messe der Zukunft angeht.

Können Sie eines der Felder nennen, das sie in diesem Projekt beackern?
Ja. Ein zentraler Punkt ist für uns die digitale Transformation. Dabei geht es zum einen um die Messe, also die Veranstaltung selbst, aber auch um interne Prozesse, die wir optimieren müssen. Weil wir diese Vorarbeit geleistet haben, können wir 2022 die „Spielwarenmesse Digital“ anbieten, wobei wir unseren Fokus auch weiterhin auf eine Präsenzmesse richten werden.

Auch wenn wir Anfang des Jahres 2022 die Pandemie weitestgehend im Griff haben, was im Übrigen noch in den Sternen steht, wird die Internationalität der großen Leitmessen auf Aussteller- und Besucherseite nicht wie früher darstellbar sein. Wie sehen Sie das und wie akquirieren Sie die Spielwarenmesse im Ausland?
Ich habe das auch befürchtet, wobei wir seit Mitte Mai feststellen, dass die Anmeldezahlen aus dem Ausland deutlich steigen. Mit dem Anmeldestand sind wir aktuell sehr zufrieden, denn er weist eine hohe Internationalität auf. Natürlich ist alles davon abhängig, wie sich die Pandemie weiter verhält und ob es in den einzelnen Ländern Reiserestriktionen gibt. Unsere Repräsentanten befinden sich mitten in der Akquisition – mittlerweile sind wir mit unserem Netzwerk in über 102 Ländern vertreten. Wir selbst rüsten uns gerade für die Dialogtour, bei der wir die bevorstehende Messe vorstellen. Diese Tour veranstalten wir zum Teil virtuell, aber in London, Paris und anderen Städten sind auch Präsenztermine geplant.

Die Branchenteilnehmer sehnen sich nach Begegnung, nach dem persönlichen Austausch. Es ist aktuell spürbar, wie wichtig dieser Aspekt einer Messe ist. Werden Sie dahingehend neue Formate im Umfeld der Messe etablieren?
Ja. Es zeigt sich jetzt, dass die Messe eine zentrale, unersetzbare Business Plattform für die Spielwarenbranche ist. Man kann diesen Aspekt digital nicht ausreichend abbilden – denken Sie allein an das Neukundengeschäft. Ein digitales Format kann eine Ergänzung sein, aber das Generieren neuer Kontakte funktioniert nur in der persönlichen Begegnung. Deshalb werden wir gerade diese Formate beibehalten, die den Networkingcharakter verinnerlichen: die PressPreview, die Eröffnungsfeier und die ToyNight.

Werden Sie grundsätzlich beim Rahmenprogramm der Spielwarenmesse neue Angebote schaffen?
Während der Pandemie hatten wir viel Zeit zum Brainstormen, wodurch unglaublich viele gute Ideen zusammengekommen sind. Wir müssen uns hier fast schon bremsen, um eine Balance zwischen den bekannten und den neuen Inhalten zu finden. Wir wollen um jeden Preis vermeiden, dass 2022 die Messebesucher ihre Messe nicht wiedererkennen und die Aussteller sich nicht „abgeholt“ fühlen.

Was wir unter anderem beibehalten, sind unsere Sonderflächen, die als Orientierung sehr wichtig sind. Was suchen denn die Menschen auf Messen? Sie suchen nach Trends und Neuheiten und wollen erfahren, wie sie ihr Tagesgeschäft optimieren können. All das bieten wir – beispielsweise mit dem Toy Business Forum als bewährtes Vortragsprogramm, der TrendGallery oder Tech2Play.

Die Spielwarenmesse ist in Nürnberg immer auch ein „Politikum“. Die Nürnberger sind stolz auf „ihre Messe“, die NürnbergMesse hat Seite an Seite mit der Spielwarenmesse das Hallenkonzept erweitert. Wie führen Sie den Dialog auf dieser Ebene weiter?
Wir pflegen einen sehr guten Austausch mit der NürnbergMesse. Ich würde sogar sagen, dass der Kontakt in diesen schwierigen Zeiten enger als je zuvor ist. Gemeinsam mit den Geschäftsführern Peter Ottmann und Dr. Roland Fleck sowie der AUMA haben wir immer wieder deutliche Signale an die Politik gesendet, denn auf dieser Ebene scheinen Messen schlicht und einfach zu geringe Bedeutung zu haben. Im Übrigen hat die NürnbergMesse aufgrund der aktuellen Situation die Umbauarbeiten verschoben, so dass unsere Aussteller und Besucher 2022 auf die bewährte Struktur treffen.

Der Spielwarenhandel hat sich in den letzten Jahren immer breiter aufgestellt, was die arrondierenden Sortimente angeht. Werden Sie an den Angebotsbereichen, die auf der Messe gezeigt werden, etwas ändern, sprich, welche Sortimente fühlen sich in Nürnberg „zuhause“?
Wir müssen den Markt genau beobachten, das ist richtig. Im Moment sind wir mit unseren zwölf Produktgruppen gut aufgestellt. Wir haben den Bereich der Spiele, der durch die Pandemie einen Aufschwung erlebt hat, aber leider eben auch Segmente, die sehr gelitten haben wie Karneval und Feuerwerk.

Was wir in 2022 neu etablieren, ist ein Dienstleisterareal, das für Industrie und Handel relevant ist. Hier stellen sich Unternehmen aus den Bereichen Verpackung, Logistik, Marketing und Warenwirtschaft, aber auch Testinstitute vor. Gerade in diesen Geschäftsfeldern hat sich viel getan. Bei Verpackungen beispielsweise wird immer mehr auf Umweltverträglichkeit und auf nachhaltige Lösungen gesetzt. Die Logistik ist ein ganz zentraler Punkt des Geschäftserfolgs, was sich gerade jetzt in der Pandemie zeigt. In der Breite und auch Tiefe des gesamten Angebots wird die Spielwarenmesse 2022 wieder weltweit einzigartig sein.

Herr Ulrich, danke für diesen Ein- und Ausblick sowie das offene Gespräch.

Ich wünsche Ihnen und Ihren Vorstandskollegen gutes Gelingen!

spielwarenmesse.de