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Spielwarenmesse: Ganz die Alte und doch neu

14. Oktober 2022, 13:29

Kurz nachdem 2020 die Spielwarenmesse zu Ende ging, stand das Leben still. Lockdown. Kontaktverbote. Zwei Jahre keine Messen. In diese Zeit fiel der Wechsel im Vorstand. Und nun? Alles auf Anfang? Sibylle Dorndorf sprach mit dem Vorstandssprecher der Spielwarenmesse, Christian Ulrich.

Herr Ulrich, wir alle sehen dem Herbst mit gemischten Gefühlen entgegen. Nachdem vonseiten der Politik auch im dritten Coronajahr keine klaren Konzepte zu erwarten sind, ist – längst überfällig – Eigenverantwortung gefragt. Wie bereiten Sie sich auf die Spielwarenmesse 2023 vor? 
Wir sind sehr gut vorbereitet und fahren mehrgleisig. Unser Hygienekonzept werden wir nach den jeweiligen Regelungen gestalten – sofern es noch welche gibt – und aller Wahrscheinlichkeit nach auch strenger auslegen als gefordert, um den Messeteilnehmern, die ein Risiko fürchten, ihre Sorge zu nehmen. Grundsätzlich sind unsere Konzepte so aufgestellt, dass wir diese kurzfristig an die jeweiligen Anforderungen anpassen können. 

Und wenn ein Messeverbot kommt?
Wir gehen nicht davon aus, dass die Durchführung von Messen jetzt noch behördlicherseits verboten wird. Das ist nicht mehr angemessen nach den Erfahrungen, die wir in zwei Jahren Corona gesammelt haben. 

Dann setzen Sie auch kein digitales oder hybrides Konzept auf?
Wir vermeiden bewusst den Begriff „hybrid“. Das physische Erlebnis der gezeigten Range auf unseren Veranstaltungen steht klar im Vordergrund. Ein Produkt muss man mit allen Sinnen erfassen können – alles andere ist gerade bei emotionalen Produkten wie Spielwaren zu wenig. Die ausgebauten Services auf unserer Plattform Spielwarenmesse Digital runden den Messebesuch wunderbar ab.

Die schönsten Events kann man nicht zoomen. Wird es die ToyNight geben?
Das ist im Moment noch die Frage, der wir uns stellen. Der Messealltag ist für uns kontrollierbar, aber Abendveranstaltungen sind mit Masken schwer vorstellbar. Die ToyNight beispielsweise lebt vom gemeinsamen Austausch und von den Gesprächen an der Bar. Wir würden uns sehr wünschen, dass wir dieses Aussteller-Event, das so gut angenommen wird, endlich wieder durchführen können. Ob es letztendlich umsetzbar ist, kann ich jetzt leider noch nicht sagen. 

Die ganze Branche freut sich auf den persönlichen Austausch. Wird man die Spielwarenmesse wiedererkennen, oder hat sie sich in den zwei zurückliegenden Jahren verändert, gar neu erfunden?
Keine Sorge, jeder wird die Spielwarenmesse wiedererkennen! Das war uns sogar sehr wichtig. Wir sind davon überzeugt, dass es in Zeiten wie diesen mit so vielen Veränderungen durchaus Konstanten geben muss.Dazu gehört auch, dass  sich Aussteller und Besucher*innen in Nürnberg und in den Messehallen wieder „wie zu Hause“ fühlen. Die Hallenstruktur bleibt weitestgehend erhalten – und damit die „gelernten“ Wege. Dazu gehören auch die Special Shows wie Tech 2 Play oder Toys Go Green, was ohnehin ein Dauerthema bleiben wird. Die Insights-X Area, benannt nach unserer gleichnamigen PBS-Fachmesse, bringt dem Fachhandel das Back-to-School-Segment näher und bietet Anregungen.  

Ganz schön viel Neues …
Es gibt noch mehr: Wir haben beispielsweise die PressPreview am Messevortag inhaltlich überarbeitet. So wird die Veranstaltung für die Medien noch spannender, weil sich neben den renommierten Marken auch viele Newcomer und Startups präsentieren können. Zudem werden wir den ToyAward in die PressPreview integrieren, weil die Verleihung vor allem für die anwesenden Journalistinnen und Journalisten von großem Interesse ist. Die Integration des ToyCocktail-Wettbewerbs als weiteres Live-Event und ein gemeinsames Mittagessen runden die Veranstaltung ab.

Christian Ulrich und seine Vorstandskollegen übernahmen mitten in der Pandemie die Verantwortung für die Weltleitmesse für Spielwaren.

„Jeder wird die Spielwarenmesse wiedererkennen.
Das war uns wichtig.“


Neu ist auch die Publikumsöffnung der Modellhallen. Schaffen Sie hier nicht einen Präzedenzfall?
Es war ja schon in der Vergangenheit so, dass einige Clubs die Modellbahnhallen besucht haben. Nun war es ein langjähriger Wunsch von Ausstellern, die Produktgruppe Modelleisenbahnen und Modellbau am Wochenende für Endverbraucher zu öffnen. Die Unternehmen in diesem Segment haben eine besondere Beziehung zu ihrer Zielgruppe und können nun direktes Feedback auf ihre Neuheiten erhalten. Es wird gesonderte Tickets sowie Ein- und Ausgangskontrollen geben. Für die anderen Produktgruppen würde eine Öffnung außerhalb des B2B-Bereichs den Rahmen sprengen – die Stände und Konzepte müssten komplett anders ausgerichtet werden. 

Mit der SPIEL in Essen haben Sie ja nun auch eine Publikumsmesse …
Das ist richtig, aber die SPIEL war immer auf Endverbraucher ausgerichtet – und das ist auch Teil ihres Erfolgs. Es ist unglaublich, welche Anziehungskraft diese Messe auch auf internationaler Ebene hat. 

Das heißt, hier wird es keine Änderungen geben?
Wie versprochen, werden wir im Großen und Ganzen den Charme der SPIEL beibehalten. Wo wir Notwendigkeiten sehen, werden wir behutsam neue Bereiche integrieren. Auf jeden Fall wollen wir einen Wissenstransfer schaffen und einen Teil der großen und komplexen Spielwarenbranche erlebbar machen. Und weil wir gerade bei Spielen sind: Wir haben die Internationale Spiele-
erfindermesse von Haar nach Nürnberg auf die Spielwarenmesse verlegt. In vielen Ländern – wie Italien oder Frankreich – gibt es starke Spieleszenen. Wir schaffen damit ein internationales Forum für Begegnungen, Austausch, neue Kontakte und Geschäftsbeziehungen zwischen Spieleautoren und Spieleredakteuren. 

Sind Sie mit dem aktuellen Buchungsstand der Spielwarenmesse zufrieden?
Es ist klar, dass wir nicht da wieder anfangen können, wo wir 2020 aufgehört haben. Es wird sicherlich der eine oder die andere fehlen, weil es Reiserestriktionen oder wirtschaftliche Probleme gibt, mit denen die Unternehmen zu kämpfen haben. Doch der Buchungsstand ist überraschend gut. Wir verzeichnen eine seit Wochen steil ansteigende Kurve. Was uns dabei besonders freut, sind Anmeldungen aus China und Hongkong. Diese Aussteller nehmen eine Quarantäne in Kauf, um wieder dabei zu sein. Viele betrauen dabei ihre Tochterfirmen mit der Messepräsenz.  

Wie steht es nach zwei Jahren Zwangspause um die Finanzen der Spielwarenmesse?
Wir, und damit meine ich die Genossenschaft, die Vorstände und alle Verantwortlichen, haben seit 1950 ordentlich gewirtschaftet, sind sehr umsichtig und eher konservativ mit Geld umgegangen. Dadurch haben wir glücklicherweise zwei harte Jahre überstanden, ohne in Existenznot zu geraten.


„Der Buchungsstand ist nach der Zwangspause überraschend gut.“


Die Spielwarenmesse hat also Zukunft. Wie könnte diese aussehen? 
Um diese Messe und diese Branche muss man sich keine Sorgen machen. Die beiden zurückliegenden Jahre haben gezeigt, wie wichtig und „systemrelevant“ Spielwaren sind, und zwar für alle Altersgruppen. Die Hinwendung der Menschen zu kreativer, wertvoller Beschäftigung und zu nachhaltigen Produkten wird sich auch in unserem Konzept niederschlagen. Wachstum um jeden Preis wird und soll es nicht geben. Der Erfolg der Messen wird künftig nicht mehr an ständig steigenden Besucherzahlen gemessen werden, sondern an der Qualität der Veranstaltung. Wir arbeiten schon seit geraumer Zeit an Konzepten, die wir integrieren können, um dieses Erleben zu bieten. Das können digitale Komponenten sein, um beispielsweise ein spontanes Matching unter den Besuchern und Ausstellern zu ermöglichen. Das Thema Networking wird immer wichtiger und ist aus den Messekonzepten der Zukunft nicht mehr wegzudenken.  

Herr Ulrich, ich bedanke mich herzlich für das offene Gespräch!