Spielwaren im Fokus
„Alles, was Sie schon immer über uns wissen wollten“ – titelt der Mitgliederbericht Vol. 22 des Deutschen Verbands der Spielwarenindustrie, DVSI. Allein wenn man ihn rein optisch mit den Mitgliederberichten aus der weiter zurückliegenden Vergangenheit vergleicht, wird augenfällig, was sich verändert hat: eine ganze Menge. Nicht ganz unschuldig daran ist DVSI-Geschäftsführer Ulrich Brobeil, seit zehn Jahren im Amt und ganz schön umtriebig.
Ein Mitgliederbericht, so beginnt Ulrich Brobeil sein Grußwort, ist Geschichtsschreibung und Blick in die Zukunft in einem: Was prägte die Arbeit des DVSI im vergangenen Jahr und was die Entwicklung der Spielwarenbranche? Da gibt es einiges, und leider sind es viele negative Parameter, die der Branche zu schaffen machen. Auch das Jahr 2021 stand ganz im Zeichen von Covid-19. Viele Wirtschaftszweige mussten Einbußen hinnehmen, allen voran der Handel. Die Spielwarenbranche machte eine Ausnahme und es zeigt sich: Spielwaren sind doch systemrelevant! Das gemeinsame Spiel half vielen Familien und Kindern über die Zeit der eingeschränkten sozialen Kontakte hinweg. Die Umsätze in Deutschland stiegen um vier Prozent, und das dank des hohen Engagements des Handels, der – trotz Lockdown – „im Geschäft blieb“! Mit der Initiative „Value of Play“ in Politik, im öffentlichen Diskurs, in Wissenschaft und Kultur und mit dem im April dieses Jahres gegründeten DVSI-Beirat Spielen setzte der DVSI wichtige Zeichen.
Anfang Mai letzten Jahres zeigte der Makroökonom Dr. Klaus Wohlrabe vom ifo Institut München im Rahmen der Virtual Coffee Break-Reihe die Risiken von gestörten Lieferketten auf. Das Gespenst einer Inflation stand im Raum. Jetzt ist sie da, massiv angeheizt durch den Angriff Putins auf die Ukraine – und damit auf die ganze westlich und demokratisch orientierte Welt.
Der nächste Brennpunkt, das autokratische China, zeigt sich wenig zimperlich in der Wahl seiner Methoden. Eine 23-Millionen-Metropole wird, wenn nötig, abgeriegelt. Globale Lieferketten werden durcheinandergebracht. Noch ist nicht abzusehen, welche Auswirkungen die Zeitenwende auf die Wirtschaftsbeziehungen und auf die Spielwarenproduktion in China hat. Wirtschaftsforscher warnten schon lange vor einer zu großen Abhängigkeit vom Reich der Mitte. Viele Unternehmen denken um und halten Ausschau nach alternativen Produktionsländern. Ein Umbruch auf vielen Ebenen. Eine Zeitenwende. Sind die fetten Jahre für die Spielwarenbranche vorbei? Eines ist klar: Wir stehen vor unzähligen Herausforderungen, und wir haben es in der Hand, uns den daraus resultierenden Entwicklungen zu stellen.
Herr Brobeil, Spielwaren sind „überlebenswichtig“, das zeigten die vergangenen beiden Pandemiejahre – und das zeigen auch die Bilder der vor dem Krieg flüchtenden Frauen mit Kindern aus der Ukraine. Spielwaren, das abgelebte Plüschtier, das Lieblings-Modellauto sind immer dabei. Spüren Sie bei den Mitgliedern ein neues Selbstbewusststein?
Das ist schwer zu beurteilen. Eines steht jedoch fest: In der öffentlichen Wahrnehmung ist der Stellenwert von Spielwaren, insbesondere in den letzten beiden Jahren, auf jeden Fall gestiegen. Die Familien haben bemerkt, wie wichtig es ist, dass Kinder sinnvoll beschäftigt werden, dass sie gute Spielwaren zur Verfügung haben, aber auch, wie wichtig es ist, dass in der Familie gemeinsam gespielt wird. Auch in der Politik hat sich etwas bewegt. Man denke nur an den legendären Round Table mit Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier, in dem es um die Systemrelevanz von Branchen ging. Da saß die Spielwarenbranche sozusagen „mit am Tisch“.
Mehr denn je positioniert sich der DVSI im Kontext von Politik und Gesellschaft. Sie haben zu diesem Zweck auch den sechsköpfigen Beirat Spielen in-stalliert. Markiert das für Sie eine „Zeitenwende“ in der Außenwahrnehmung des DVSI?
Das ist ein Prozess, der schon vor Jahren eingesetzt hat, nicht erst jetzt. Als ich 2012 die DVSI-Geschäftsführung übernahm, haben wir systematisch begonnen, an unserem Profil und unserer Strategie zu arbeiten. Früher genügte ein gutes Dienstleistungsportfolio, aber wir wussten, dass in der Zukunft beispielsweise Lobby- und, Öffentlichkeitsarbeit, dass eine Positionierung im Kontext von Politik und Kultus immer wichtiger werden würde, um gehört zu werden und in wichtige Entscheidungen eingebunden zu sein. Wir wollten, dass der Verband ein Gesicht bekommt. Wir wollten bei allen spielwarenrelevanten Themen Farbe bekennen, wir wollten unsere Kompetenz zeigen. Experten in einzelnen Bereichen wie Sicherheit, Qualitätsmanagement et cetera hatten wir ja schon immer. Insofern ist der Beirat Spielen ein nächster logischer Schritt, unser „Kürthema“ Value of Play mehr in den Fokus zu rücken.
Stehen Ihre Experten auch den Mitgliedsunternehmen zur Verfügung?
Natürlich. Das sind die Vorteile, die unsere Mitglieder genießen. Sie können jederzeit das Fachwissen unserer Experten anfordern und nutzen.
Innerhalb Ihrer Verbandsstrategie haben Sie fünf Eckpfeiler definiert. Wenn man die Rangfolge näher betrachtet, sieht man, dass das „Verbands-Pflichtenheft“ von früher generalüberholt wurde. Können Sie die einzelnen Eckpfeiler kurz kommentieren?
Gern. Da ist, wie schon erwähnt, unsere Positionierung, das heißt, wir zeigen in der Öffentlichkeit ein Gesicht und bieten eine Plattform für Austausch und Dialog. Hier ist unsere wenig homogene Mitgliederstruktur ein klarer Vorteil. Dann gibt es die Interessenvertretung, das bedeutet die aktive Mitarbeit im Vorstand und in den Arbeitsgruppen von Toy Industries of Europe (TIE), im International Council of Toy Industries (ICTI), die Mitarbeit im Governing Board des ICTI Ethical Toy Program sowie die Mitgliedschaft und Mitarbeit in der Fair Toys Organisation (FTO). Wir sind in unzähligen Ausschüssen vertreten, überall da, wo es zum Beispiel um die Novellierung der Spielzeugrichtlinie geht, um Wirtschafts- und Umweltpolitik und um Normung.
Die Politik weiß mittlerweile, dass die Spielwarenbranche mit dem DVSI einen Interessenvertreter hat. Wir haben ein breites Serviceangebot für unsere Mitglieder, hier sind das DVSI-Team und oft unsere zwölf externen Experten gefragt. Dann gibt es den Bereich Networking: Hier haben wir Interessengruppen definiert, die sich regelmäßig austauschen. Und natürlich geht es auch darum, den Deutschen Verband der Spielwarenindustrie zu erhalten. Wir möchten profitabel arbeiten, wollen wachsen, neue Mitglieder gewinnen und unsere Position weiter ausbauen. Wir sind ein organisatorisch und finanziell sehr gesunder Verband, weil wir mit sehr schlanken Strukturen arbeiten. Damit wir unsere Mitglieder „mitnehmen“, damit wir wissen, was die Unternehmen bewegt, haben wir 2012 begonnen, sehr integrativ zu arbeiten. Wir führen regelmäßig Mitgliederbefragungen durch, haben den DVSI-Index etabliert, der eine Art Branchenbarometer darstellt und wir haben, um auf schlanke Strukturen zurückzukommen, den engeren und erweiterten Vorstand zusammengeführt. Es gibt nur noch einen Vorstand, das macht uns beweglicher in wichtigen Entscheidungen. Im Herbst führen wir traditionell mit Vorstand und Geschäftsführung den nächsten Strategieworkshop durch. Hier definieren wir unsere Ziele und treffen wichtige Entscheidungen oder bereiten sie vor.
Sie haben mit der DVSI Virtual Coffee Break während der Pandemie eher aus der Not geboren ein Format geschaffen, das mittlerweile etabliert ist. Wie digital ist der DVSI heute, und wie viel Luft ist noch nach oben?
Da geht es uns nicht anders als vielen Unternehmen. Natürlich ist hinsichtlich Digitalisierung immer Luft nach oben. Aber wir sind schon recht weit gekommen, meine ich. Wir haben zwar noch keinen Digitalbeauftragten, das ist unseren schlanken Strukturen geschuldet. Aber unseren Mitgliederbericht gibt es beispielsweise nur noch digital. Und weil Sie die Coffee Break erwähnen: Mit ihr haben wir in der Pandemie ein Format geschaffen, das man als echtes Erfolgsmodell bezeichnen kann. Sie wird auf jeden Fall weiterlaufen. Themen gibt es genügend, nämlich alles, was für Mitglieder relevant ist. Wir haben eine Studie initiiert, in der es um Digitale Transformation geht. Zwei Experten haben hier den Status quo unserer Mitglieder abgefragt. Der DVSI ist in gewissem Sinn ja auch ein Unternehmen. Wir haben ebenfalls unsere Learnings aus der Pandemie und bauen systematisch darauf auf. Die zentrale Frage ist immer: Was können wir noch für unsere Mitglieder tun? Was brauchen sie? Wo können wir noch Unterstützung leisten?
Sie haben mit der ICTI-Präsidentschaft auch internationales Parkett betreten. Welche Ziele verfolgen Sie in dieser Funktion vor allem?
Da gibt es viele Ziele, aber aktuell haben wir alle gemeinsam entschieden, die Ukrainian Toy Association in den Weltverband aufzunehmen – nicht, nur, aber auch um ein Zeichen zu setzen. Das war harte Arbeit, das können Sie sich denken. Wir haben Spendenaktionen für die Ukraine ins Leben gerufen. Damit setzen wir schon Zeichen. Unser Motto bei ICTI lautet: „We share Experiences“. Dann profitieren alle. Wir versuchen, die Spielwarenindustrie weltweit zu stärken. Wir haben jetzt die ICTI-Präsidentschaft, im Übrigen ist das das erste Mal, dass Deutschland sie hat, unser Ziel ist es, die weltweiten Krisen, die sich ja in vielem ähneln, im Weltverband zu moderieren. Im Zuge dessen tauschen wir uns über die großen Themen Spielwarensicherheit, Nachhaltigkeit, über die Gesetzgebung und über Marktstudien aus. So lernt ein Land das andere besser kennen, und im Zuge dessen wird die weltweite Spielwarenlandschaft transparenter.
Die Spielwarenverbände im deutschsprachigen Raum, rücken, scheint es, näher zusammen, was ja auch Sinn macht. In Deutschland, Österreich und der Schweiz gibt es viele ähnlich gelagerte Problemfelder. Wie ist hier der Stand der Dinge, und welche Zielsetzung haben Sie mit Ihren Verbandskollegen*innen?
Wie Sie sagen, haben wir ähnliche Strukturen in den Ländern, und deshalb pflegen wir in einigen Bereichen einen engeren Austausch. Beispielsweise der Value of Play, unser Kürthema, tangiert auch den Spielwarenverband der Schweiz und das Toy Forum Austria.
Mit dem ersten „Zusammenspiel“ zwischen DVSI und BVS haben Sie als Initiator Zeichen gesetzt. Was ist, neben der jährlichen gemeinsamen Mitgliederversammlung beziehungsweise dem Delegiertentreffen, noch in dieser Konstellation denkbar?
Auf jeden Fall denkbar ist ein kontinuierlicher Austausch. Das sollte unser vordergründiges Ziel sein. Networking wird immer wichtiger, die Probleme von Industrie und Handel betreffen nie nur einen der beiden Partner. Insofern sollte den beiden Verbänden daran gelegen sein, in engerem Kontakt zu bleiben. Das Format des „Zusammenspiels“, das Sie ansprechen, muss sich erst etablieren. Da ist noch Luft nach oben, klar. Aber ein Anfang ist gemacht. Wir tasten uns ran.
Herr Brobeil, ich bedanke mich für das offene Gespräch!
Die letzten Monate haben deutlich gezeigt, dass ein großer Bedarf an Informationen zum Thema Nachhaltigkeit in der Branche besteht. Wie kann der Einstieg gelingen, welche Vorgehensweise ist die richtige für mein Unternehmen, und wie kann ich mich vernetzen, wer hilft mir dabei?
Mit Events wie dem Nachhaltigkeitstag Ende Mai in Nürnberg, Firmenbesuchen und regelmäßigen (Online-) Vorträgen möchte der DVSI seinen Mitgliedern den Zugang zu einem nachhaltigeren Wirtschaften und Produzieren erleichtern. Besonders wichtig ist, aus unserer Sicht auch, sich frühzeitig mit Regelungen zu befassen, die zum Beispiel durch den EU Green Deal entstehen werden oder die das Lieferkettengesetz auch für KMUs nach sich zieht. Durch die Vermittlung von Kontakten zu den jeweiligen Experten und Bereitstellung von relevanten Informationen hoffen wir, unsere Mitglieder bestmöglich darauf vorbereiten zu können. Denn eins ist sicher: Nachhaltigkeit in sämtlichen Handlungsfeldern muss das neue Normal werden!
Cornelia Becker, Senior Consultant Nachhaltigkeit im DVSI
Der Beirat Spielen im DVSI
Die Würfel sind gefallen. Der Deutsche Verband der Spielwarenindustrie sichert sich das geballte Wissen von renommierten Vertreterinnen und Vertretern aus Wissenschaft und Kultur, um dem Wert des Spielens eine stärkere Aufmerksamkeit in der Politik, im öffentlichen Diskurs als auch in Wissenschaft und Kultur zu verschaffen – und gründet den DVSI-Beirat Spielen. Die sechs Experten stammen aus der spiel- und sozialpädagogischen Forschung, den Kultur- und Medienwissenschaften sowie der Pädagogik. Sie sollen mit ihrem Know-how nicht zuletzt das langfristig angelegte DVSI-Projekt „Value of Play“, das Kulturwissenschaftler als „Grundphänomen des Menschen“ betrachten, und die Bedeutung des Spielens stärker in die gesellschaftliche Debatte tragen. Ein weiterer Schwerpunkt der Arbeit, so die Vision des Beirates bei der konstituierenden Sitzung, wird die Gründung eines Bundesinstitutes für Spielwissenschaften sein. Die Expertenkommission wird zukünftig mindestens zweimal jährlich tagen. Die Arbeit erfolgt ehrenamtlich.
DER BEIRAT IM ÜBERBLICK
Prof. Dr. Karin Falkenberg
Leiterin Spielzeugmuseum Nürnberg
Prof. Dr. Sonia Fizek
Professorin für Game Studies and Game Design an der
TH Köln beim Cologne Game Lab
Prof. Dr. phil Martin Geisler
Lehrtätigkeit an der EAH Jena am Fachbereich
Sozialwesen
Prof. Dr. Jens Junge
Direktor des Instituts für Ludologie an der SRH Berlin
University – School of Design and Communication
Dr. Volker Mehringer
Akademischer Rat im Bereich Pädagogik der Kindheit
und Jugend an der Universität Augsburg
Prof. Dr. Wiebke Waburg
Professorin für Pädagogik mit dem Schwerpunkt Migration
und Heterogenität an der Universität Koblenz-Landau
Prof. Dr. Karin Falkenberg, Prof. Dr. Jens Junge, Prof. Dr. Martin Geisler