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Spieltage in Essen – Spiele mit Anspruch

28. Dezember 2018, 13:22

Die Spieltage in Essen sind das Forum, um für anspruchsvolle Brettspiele zu werben. Unterschiedliche Anbieter lassen sich immer neue Szenarien in Thema und Mechanismus einfallen, um Kenner und Experten zu fordern. Dabei werden bisweilen auch Tabus gebrochen, wie das erste Beispiel verdeutlicht.

Holding On

Holding On erzählt beziehungsweise verspielt das bewegte Leben des Billy Kerr, ein 60-jähriger Patient, der mit Herzattacke ins Krankenhaus eingeliefert wird und wohl nur noch wenige Tage zu leben hat. Die Spieler schlüpfen in die Rolle des Pflegepersonals und wollen ihn in seinen letzten Lebenstagen begleiteten. So ein Unterfangen kann man natürlich nur kooperativ regeln, ein Konkurrenzspiel ist hier ausgeschlossen. Es ist also Aufgabe, Billy Kerr medizinisch am Leben zu erhalten und ihn aber auch palliativ zu begleiten. Das heißt, dass man etwas über sein Leben erfährt, dass er unverarbeitete Erlebnisse ausspricht und so seinen Seelenfrieden finden kann. Geregelt wird dies über Informationskarten mit kurzen Texten und verschwommenen Bildern. Wenn man als Wachpersonal Vertrauen gefunden hat, kommen diese in weiteren Begegnungen klarer zur Sprache. Das schafft letztendlich Lebenshilfe und Spielgewinn. Dieses doch sehr ungewöhnliche Thema wird dann aber sehr spielmechanisch geregelt. Der Plot flackert auf, findet allerdings in seinem Spielablauf keinen adäquaten Zugriff.

Neom

In Neom wird die Stadt der Zukunft erbaut und zwar von jedem im Wettstreit. Wer optimiert seine Planung und Durchführung? Es geht natürlich um Wohngebiete, aber auch um Industrien, Stromversorgung, Kliniken und vieles, vieles mehr. Jedes der zu bauenden Plättchen ist individuell und löst andere Interdependenzen mit schon liegenden und zukünftig zu legenden Gebäuden aus. Das ist eine fordernde logistische Aufgabe. Und wer ohne Weitsicht nur Industrien produziert, baut eine Geisterstadt, die ordentlich Minuspunkte einfährt. Wem die Konkurrenz zu sehr davongeeilt ist, kann mit Katastrophenplättchen Störfeuer generieren. Denn wer will beispielsweise schon eine Welle der Gewalt in seinen Vorstadtvierteln wüten sehen? Da helfen nur Versicherungen, sonst wird zerstört. Städtebau verläuft nicht zimperlich. Geregelt wird das Geschehen durch einen von Kartenspielen bekannten Draft-Mechanismus. Aus einer Auswahl von Angeboten entscheidet sich jeder Spieler für ein Legeplättchen und gibt den Rest weiter an seinen Nachbarn. So bekommt man etwas Kenntnis über und Einfluss auf deren Möglichkeiten. Dieser Spielrhythmus ist zur Zeit sehr beliebt.

Futuropia

Futuropia behandelt das gleiche Thema, Zivilisation der Zukunft, interpretiert es aber anders. Ziel sind autarke Wohneinheiten, die mit Nahrung und Energie Lebensräume versorgen, sodass den Menschen ordentlich Freizeit zur Verfügung steht. Der Mensch der Zukunft will tanzen, musizieren, urlauben oder spielen. Deshalb muss ein funktionierendes Binnensystem geschaffen werden, zu dem vor allem Nahrungs- und Energiegeneratoren gehören, die möglichst von Robotern und nicht von Menschen betrieben werden. Und natürlich bedarf es Wohnraum, der alle möglichen Annehmlichkeiten erlaubt. Ziel ist es, aus kleinen Anfängen immer größer werdende Technosysteme zu erschaffen, die natürlich, je größer sie werden, auch fragiler sind. Mittels Aktionsplättchen betreibt jeder Fortschritt. Von den Aktionen stehen jeweils fünf zur Verfügung und können in beliebiger Reihenfolge abgehandelt werden. Bei seinen Entscheidungen lässt man sich vom Markt treiben, denn die Preise für die angebotenen Generatoren schwanken je nach Angebot und Nachfrage. So entpuppt sich diese Zukunftsversion letztendlich als knallhartes Wirtschaftsspiel.

Valparaiso

Valparaiso ist ein Reisespiel mit starkem Wirtschaftsakzent. Als die chilenische Hafenstadt 1811 unabhängig wurde, erblühte der Handel, zunächst mit dem Hinterland und dann alsbald auch mit Übersee. Alles dreht sich um die Waren Silber, Kupfer, Weizen, die im Hinterland nach wechselnden Marktbedingungen erworben werden. Mit diesen Gütern wird das eigene Schiff bestückt und zu fernen Ufern geschickt. Dort können Waren in sogenannte Errungenschaften getauscht werden. Diese bedeuten Siegpunkte und Spielvorteile. Motor des Geschehens ist eine Planungsphase, in der vier Aktionskärtchen in eine gewünschte Reihenfolge gebracht werden. Ein fünftes Feld darf nach zweimaligem Häuserbau zusätzlich belegt werden. Mit Bestechungsgeld wird auch noch der Platz beim Bürgermeisteramt genutzt. Mit bis zu sechs Karten geht man dann in die Spielphase. Die Reihenfolge der Karten kann wichtig sein. Wer bei ihrer Umsetzung Veränderungen vornehmen möchte, muss bezahlen. Geld spielt eine wichtige Rolle und zwar nicht nur beim Handel, sondern auch beim Ergattern von Vergünstigungen. Deshalb ist Feintuning in der Planungsphase unabdingbar.

Adventure Island

Adventure Island lädt zu einem sehr klassischen Abenteuer ein. Die Spieler sind als Gruppe gestrandet. Sie finden sich auf einer scheinbar verlassenen Insel wieder. Jetzt geht es ums Überleben und letztendlich um die Flucht von diesem Eiland. Solche Unterfangen kann man nur kooperativ angehen und so schließlich auch nur gemeinsam gewinnen oder verlieren. Der Ablauf ist nicht schwer und intuitiv. Zur Tageszeit können zwei Aktionen ausgeführt werden und dann bei Nacht gibt es manche Überraschung. Alles wird über Karten geregelt, die man mit seiner Figur aufsuchen darf oder die gezogen werden. Feuer machen, Nahrung finden, Freundschaften schließen sind erste Ziele, die man nicht unbedingt auf Anhieb meistert. Bei vielen Entscheidungen muss eine Würfelprobe bestanden werden und wer erschöpft ist, muss das markieren, denn über die Kondition der einzelnen Spieler entscheidet Gelingen oder Misslingen des Abenteuers. Um das Spiel in seinen fünf Abenteuern zu meistern, muss eine exakte Kartenvorgabe aussortiert werden, damit man weder weiß, was da auf einen zukommt, noch der Spielfluss stockt, weil falsche Karten im Geschehen sind. Das gilt es genau zu beachten. Wer hier nicht aufpasst, verdirbt sich den Spielspaß.

Tudor

Tudor ist eine Schlangengrube, in der Machterhalt nur durch Intrigen gelingt. Am Hof von König Heinrich VIII scheint alles gesittet zu verlaufen, aber plötzliches Ausscheiden ist keine Seltenheit. Als Höflinge bittet man um Audienz. Im geschickten Stellungsspiel erhofft jeder Aufmerksamkeit. Es sind aber die Lords, die die geplanten Winkelzüge ermöglichen. Nur diese gewähren nicht jedem die Gunst. Wer nicht aufpasst, wird ausgebremst. Wer sich aber Gehör verschafft, lanciert seine Familienangehörigen in wichtige Ämter mit mächtigen Privilegien. Diese werden durch das Verleihen von Siegelringen vergeben. Die prächtigen Ringe werden an einer Papphand getragen, mit der über die Vorteile informiert wird. Wer das Spiel kennt, darf die Ringe sicher auch an die eigene Hand stecken. Das macht das Geschehen noch authentischer. Wichtig für den Erfolg sind Weitsicht, wann man ins Spielgeschehen eingreifen muss und der Blick auf die Möglichkeiten und Bedrohungen der anderen Günstlinge. Denn was sehr höfisch aussieht, ist tatsächlich die eingangs erwähnte brutale Schlangengrube.