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Spielen macht schlau

29. November 2023, 13:18

Erziehende und Lehrkräfte stehen vor enormen Herausforderungen, denn in der Schule brennt‘s an vielen Stellen. Mit seinem Herzensprojekt „Spielen macht Schule“ schreibt der Verein Mehr Zeit für Kinder das Spielen an Schulen groß, denn es ist erwiesen: Spielzeit ist auch Lernzeit. Wie das Projekt angenommen wird, erfuhr Nadja Finkenzeller von Simone Linden und Annette Zander im Interview.

Frau Linden, Frau Zander, warum ist analoges Spielen heute wichtiger denn je?
Simone Linden: Wenn wir uns die Tagesstruktur eines Grundschulkinds heute anschauen, zeigt sich: Neben Schule, Hobbies und Co. bleibt kaum noch Zeit zum (freien) Spielen. Die Digitalisierung trägt ihren Anteil bei, wenn wir uns das Freizeitverhalten der Kinder ansehen. Wann spielen Kinder also noch? Spielen braucht daher „Unterstützung“, indem Raum und Zeit hierfür geschaffen werden. Warum? Kinder werden hier von klein auf in ihrer Entwicklung gefördert und erwerben spielerisch wichtige Kompetenzen für ihr Leben. Klassische Spiele und Spielzeuge können hierbei, gerade auch in der Schule, einen wichtigen Beitrag leisten – von der Förderung der kognitiven Entwicklung wie etwa logischem Denken, Sprachkompetenz und Konzentration, der motorischen Entwicklung bis hin zur Förderung der sozialen und personalen Entwicklung wie Selbstvertrauen und Kritikfähigkeit. Denn spielen macht schlau.

In der Schule brennt’s: Mit welchen signifikanten Problemen sehen sich Erzieher*innen und Lehrkräfte vermehrt konfrontiert?
Simone Linden: Die Situation in vielen Kitas und Grundschulen ist tatsächlich teils dramatisch – und das nicht erst seit der einschneidenden Corona-Pandemie. Die Lehrkräfte berichten uns von besorgniserregenden Entwicklungen, die den regulären Unterricht vor große Herausforderungen stellt. Sie schildern den erheblichen Rückgang der Sprach- und Lesefähigkeit der Kinder, vom zunehmend digital geprägten Alltag der Kinder, von Herausforderungen im sozialen Miteinander und einem insgesamt erhöhten Förderbedarf bei den Kindern. Analoge Spiele und spielerische Angebote können hier wertvolle Unterstützung sein und als eine wichtige Ergänzung beziehungsweise als Regulativ zu digitalen Medien eingesetzt werden.

Wie sehen die Lenkungsmaßnahmen von „Spielen macht Schule“ diesbezüglich konkret aus?
Annette Zander: Spielen macht Schule ist ein langfristig angelegtes Projekt, das in Kooperation mit den Kultusministerien jährlich 200 Grundschulen mit Spielzimmern ausstattet. Die darin eingesetzten Spielwaren, die von Mitgliedsunternehmen des Deutschen Verbands der Spielwarenindustrie e. V. (DVSI) gesponsert werden, wurden vorab vom ZNL TransferZentrum für Neurowissenschaften und Lernen hinsichtlich ihres Lerneffekts geprüft und bewertet. Die Initiative will so Schulen anregen, das Spielen im Schulalltag einzubinden und Kindern so das Lernen erleichtern. Denn: Viele Inhalte des Unterrichts lassen sich auch oder gerade spielerisch erarbeiten beziehungsweise vertiefen. Die Spielwaren können je nach pädagogischem Schwerpunkt im Unterricht, der Betreuungszeit, in AGs und Projekten eingebunden werden und Kinder individuell fördern.

Welche Erfolge konnten Sie bereits erzielen?
Simone Linden: Seit der Pilotphase haben sage und schreibe 3.215 Grundschulen – das heißt fast jede fünfte Grundschule – in Deutschland eine wertvolle Spielzeugausstattung erhalten. Wir registrieren jedes Jahr steigende Bewerberzahlen und sehen, wie sich die Begeisterung innerhalb aber auch außerhalb der Schulgemeinde verbreitet, wie wir mit dem Angebot Vernetzung schaffen und Lehrerinnen und Lehrer in ihrer pädagogischen Arbeit sinnvoll unterstützen können – und das seit über 15 Jahren.

Annette Zander hat beim Mehr Zeit für Kinder e.V. die Leitung Bildungsprojekte inne.
Simone Linden, Geschäftsführerin Mehr Zeit für Kinder e.V.

Welche Resonanz erhalten Sie von den teilnehmenden Schulen?
Annette Zander: Die Lehrkräfte sind unglaublich dankbar und begeistert, wenn sie die Spielwaren erstmalig im Unterricht einsetzen und uns berichten, welche positiven Effekte sie durch das Spielen bei den Kindern wahrnehmen – gerade auch mit Blick auf die emotionale und soziale Entwicklung der Kinder. Die Ergebnisse geben ihnen recht und zeigen, warum Spielen keine verlorene, sondern gewonnene Lernzeit ist.

Viele Mitglieder des DVSI sitzen beim Projekt „Spielen macht Schule“ mit im Boot. Wie sieht deren Beteiligung beziehungsweise Unterstützung konkret aus?
Simone Linden: Ohne das Engagement des DVSI und dessen Mitgliedsunternehmen wäre eine solche Initiative nicht stemmbar. Das wissen vor allem natürlich auch die Schulen zu schätzen. Alle Produkte, die im Rahmen der Initiative vergeben werden, werden den Schulen kostenfrei zur Verfügung gestellt. Dies könnten die wenigsten Schule aus eigener Tasche leisten. Entsprechend groß ist auch die Wertschätzung gegenüber dem Angebot – das Spielangebot wird sorgsam gepflegt, nachhaltig ins Schulcurriculum aufgenommen und die erfolgreiche Teilnahme in der Öffentlichkeit – ob Presse, Schulhomepage oder am Tag der offenen Tür – vorgestellt.

In Deutschlands Klassenzimmer wird vielerorts bereits digitaler Unterricht praktiziert, die Schüler*innen mutieren zu Versuchskaninchen und selbst die Pädagogen sind sich bei diesem Thema uneinig. Welche Chancen und welche Probleme sehen Sie im digitalen Klassenzimmer?
Simone Linden: Digitale Medien haben ihre volle Berechtigung, wenn sie sinnvoll eingesetzt werden – natürlich auch im Klassenzimmer. Über pädagogische Konzepte hierzu, (fehlende) Ausstattung und Skills wollen wir an dieser Stelle gar nicht sprechen – hierfür sind andere Expertinnen und Experten gefragt. Die entscheidende Frage wird wohl eher sein: Wie wird die Medienkompetenz bei den Kindern gefördert und welche Angebote und Unterstützung erhalten Lehrkräfte bei dieser Aufgabe?


Das Thema Spielen hat in den vergangenen Jahren ordentlich Konkurrenz bekommen.

Simone Linden


Das digitale Klassenzimmer: Das iPad ist bei vielen Schüler*innen schon fest im Schulalltag verankert und fungiert quasi als verlängerter Arm beim Lernen als auch hinaus in die Welt. Was können Eltern tun, um Teenies zum analogen Spielen zu animieren und gehören Ihrer Meinung nach Spielzimmer auch an die weiterführenden Schulen?
Simone Linden: Ganz klar, das Thema Spielen hat in den vergangenen Jahren ordentlich Konkurrenz bekommen – sei es durch PC, Konsole aber vor allem auch durch Smartphone und iPad. Da können wir die Frage der Eltern durchaus nachvollziehen. Viel entscheidender, ob ein Teenie spielt oder nicht, wird womöglich aber eher sein: Ist er oder sie von klein auf mit einer Spielekultur aufgewachsen? Sind die notwendigen Kompetenzen hierfür vorhanden, z. B. Beachten von Spielregeln, logisches Denken, Kooperationsgedanke? Aber auch: Gibt es überhaupt genügend Spieleanlässe? Annette Zander: …das bestätigen uns übrigens auch zahlreiche Lehrkräfte aus den weiterführenden Schulen, die unterstützende Spieleangebote gerade auch für die älteren Schüler*innen etablieren möchten, um diese bestmöglich zu unterstützen. Spielen braucht am Ende ausreichend Raum und Zeit. Und das idealerweise ein Leben lang.

Warum ist der von Ihnen eingeschlagene Weg mit „Spielen macht Schule“ insbesondere auch für den Spielwarenhandel gewinnbringend?
Simone Linden: Mit Spielen macht Schule schaffen wir wichtige Spieleanlässe im Alltag der Kinder. Dabei gelingt es uns, auch Kinder, die oftmals wenig bis keine Berührung mit Spielwaren hatten, an das Thema Spielen heranzuführen und die Spielekultur in den Familien zu fördern – beispielsweise, indem Spiele nach Hause verliehen werden. Für den Handel ist dieser Aspekt nicht unwesentlich: Denn wer als Kind nicht mit Spielen groß geworden ist und die Faszination vom gemeinsamen Spielen erlebt hat, wird vermutlich auch als erwachsene Person nicht spielen. Und natürlich landet auch – so berichten uns die Lehrkräfte – das ein oder andere Lieblingsspiel der Kinder auf dem Wunschzettel für Geburtstag, Weihnachten & Co., um es dann zuhause mit (Groß-)Eltern und Geschwistern auszuprobieren.

Was kann der Fachhandel tun, um den Spieltrieb bei Kids und Teens im realen Leben zu forcieren?
Annette Zander: … indem er sinnvolle und unterstützende Angebote schafft, die beispielsweise der Online-Handel nicht bieten kann. Viele Lehrerinnen und Lehrer schätzen eine kompetente Beratung vor Ort, wenn es darum geht Spielwaren für den Unterricht zu erwerben, sich über neue Produkte zu informieren und so weiter. Für den Handel ist dies eine große Chance, sich hier zu präsentieren und Kooperationen beziehungsweise Bildungspartnerschaften mit lokalen Schulen einzugehen. Im Rahmen unserer Initiative „Spielen am Nachmittag“ engagieren sich bereits zahlreiche Vedes-Fachhändler als Spielepaten.

Unterstützung von politischer Seite beim Projekt „Spielen macht Schule“:
Simone Linden und Annette Zander im Gespräch mit Christina Henke, Staatssekretärin der Berliner Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie (Foto Mitte) (©Bild: Berliner Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie)

Lobbyarbeit für Kinder: Wird das Feld durch die „Botschafter des Spielens“ von der Politik verantwortungsvoll „beackert“ oder ist hier doch ein „Herzschrittmacher“ nötig?
Simone Linden: … es braucht definitiv einen langen Atem und an der ein oder anderen Stelle Überzeugungsarbeit. Täglich sehen wir in der Praxis, welche Bedarfe, welche Herausforderungen – aber auch welche Potentiale und Chancen es gibt. Mit unseren Initiativen in Kitas und Schulen möchten wir hier einen wichtigen Beitrag leisten – übrigens mit politischer Unterstützung der Kultusministerien, die seit Beginn an bei Spielen macht Schule an Bord sind. Der Schlüssel für nachhaltige Konzepte ist unserer Meinung nach die Unterstützung der vielen Erzieher:innen, Lehrkräfte und pädagogischen Fachkräfte, die als Multiplikator*innen so wichtige Arbeit leisten. Denn nochmal: Die Schule brennt – aber wer ist zum Löschen da?

Was muss die Politik Ihrer Meinung nach in diesem Zusammenhang für die Kinder leisten?
Simone Linden: Wie lässt sich Lernen spielerisch gestalten? Wie können wir Kinder in ihrer Entwicklung fördern und welchen Beitrag können Initiativen wie „Spielen macht Schule“ im Sinne des „Wert des Spielens“ leisten? Über diese zentralen Themen führen wir aktuell Gespräche, unter anderem auf politischer Ebene, damit Angebote wie „Spielen macht Schule“ weiterwachsen können. Doch dafür braucht es neben guten Ideen eben auch Unterstützung. Denn nur so können wir weiterhin einen Unterschied machen – in den Schulen, in den Familien aber auch in der Gesellschaft. Es ist also unser aller Anliegen – lassen Sie uns den Wert des Spielens gemeinsam unterstützen!