Schleich: Immer eine gute Figur

25. Januar 2023, 13:31

Es geht ihnen an die Substanz, den über 400 Schleich-Tieren noch lebender oder ausgestorbener Arten, den Schlümpfen, Elfen und Einhörnern. An die Substanz im positiven Sinn. Schon seit geraumer Zeit forschen die Schwäbisch Gmünder nach einer nachhaltigeren Materialvariante. Im Übrigen nicht der einzige Baustein der von Schleich auf den Weg gebrachten Nachhaltigkeitsstrategie, die substanziellen Charakter hat.

There is no Planet B – das hat Schleich früh adaptiert, vielleicht, weil die Kernkompetenz des Unternehmens darauf fußt, die Tierwelt naturgetreu abzubilden. Bisher wurde in schwäbischer Bescheidenheit kein großes Aufheben darum gemacht, dass man zu einer Zeit, als noch kaum ein Unternehmen aus der Branche das Thema Nachhaltigkeit auf der Agenda hatte, schon darüber nachdachte, Prozesse zu verschlanken, Packungsgrößen zu verkleinern und zu überlegen, ob es Alternativen zu den bisher verwendeten Materialien gibt.
Nun befindet sich Schleich im größten Transformationsprozess der Firmengeschichte. Beginnend mit dem Marken-Relaunch, der Mitte des Jahres 2022 mit einem neuen Logo und neuen Verpackungen auch bei den Endkund*innen kenntlich wurde, ist die nächste Challenge die Nachhaltigkeitsstrategie, an der auf Hochtouren gearbeitet wurde und wird. Um sie optimal aufzusetzen, holte sich CEO Dirk Engehausen personelle Verstärkung: Dr. Philipp Hummel, Head of Sustainability, und Victoria Sutch, Chief Transformation Officer, sowie als externe Begleitung das renommierte Beratungsinstitut EPEA GmbH mit Dr. Jan von der Lancken als Berater.


„Wir werden zukünftig in der Produktion mehr auf Regionalisierung setzen.“

Dirk Engehausen

Dirk Engehausen

Transformation ganzheitlich betrachtet

Dirk Engehausen hat bei Schleich im Laufe seines Engagements schon einiges auf links gedreht. Der frühere Lego-Geschäftsführer ist seit Januar 2015 CEO bei Schleich und auch finanziell am Unternehmen beteiligt, was der Beweis dafür ist, welches Potenzial er der Marke zumisst und noch zu heben gedenkt. Unter seiner Ägide hat sich das Unternehmen komplett neu aufgestellt. Stand früher die Produkt-DNA im Vordergrund, so legte Engehausen seinen Fokus frühzeitig auf die Marken-DNA. „Wir wollen die kleinen Geschichtenerzähler und -erzählerinnen ansprechen und fördern“, so der CEO. „Unsere Produkte sind Ready-to-Play – mit den Figuren als Hauptdarstellern entstehen fantastische Abenteuer, immer neue Welten, in die die Kinder eintauchen können.“
Jeden Tag eine neue Geschichte, das ist die besondere Faszination, die die Schleich-Figuren seit 87 Jahren auf Kinder – und Sammler! – ausüben. Nur spielte das Unternehmen diesen Joker nie wirklich aus. Mit dem Slogan „Where stories begin“ hat Schleich sein Alleinstellungsmerkmal sowohl emotional als auch global betrachtet zum Thema gemacht. Dennoch sei die Markenbekanntheit im Kernmarkt Deutschland immer noch erheblich größer als der Umsatz, so Engehausen. Was an sich nichts Schlechtes ist, denn da ist noch „Luft nach oben“.

Das Schleich-Innovations-Team in Schwäbisch-Gmünd beim Testen neuer Materialien.

Luft nach oben gibt es auch in puncto Nachhaltigkeit, obwohl sich das Unternehmen schon seit Jahren mit diesem Thema auseinandersetzt. Auch hier ist der Anspruch hoch. „Wir wollen nicht weniger schlecht, sondern richtig gut werden“, so Dr. Philipp Hummel. Demzufolge wird nicht nur ein Aspekt betrachtet, sondern mehr oder weniger das ganze Unternehmen auf den Kopf gestellt. Bewertet werden alle laufenden Prozesse, alle Zulieferer und Dienstleister – involviert werden muss letztlich auch der Handel, um eventuell die Figuren einem Recyclingkreislauf zuzuführen. Was schwierig ist, denn eine Schleich-Figur wirft man nicht weg. Man vererbt sie weiter, verkauft sie auf dem Flohmarkt, die Tiere und Collectibles schlummern auf Dachböden, um den nächsten Generationen Spielfreude zu bereiten. „An sich waren wir immer nachhaltig, denn unsere Produkte sind extrem langlebig“, so Dirk Engehausen. „Wir haben Eltern schon vor Jahren ein gutes Gefühl gegeben, wenn sie sich für Schleich entschieden haben, aber bisher waren wir sehr vorsichtig unterwegs, wenn es um die Verwendung der Begrifflichkeit Nachhaltigkeit ging“, so der CEO weiter. Offensichtlich wagt man sich nun aus der Deckung, hat sich Expert*innen an die Seite geholt, um den ganzheitlichen Prozess strategisch und inhaltlich gut aufzustellen und öffentlich zu machen.

Dabei fängt Schleich nicht von null an. Am Firmensitz in Schwäbisch Gmünd, dem Headquarter, wird seit 2018 mit Ökostrom gearbeitet. Anfang 2023 wird eine Photovoltaik-Anlage in Betrieb genommen. Auch die Transportwege werden kritisch beleuchtet. Der Dienstleister Kuehne + Nagel beispielsweise bietet für die Seefracht umweltfreundliche Lösungen und Verbindungen an. Der Nachhaltigkeitsgedanke bei Schleich geht noch weiter, beziehungsweise tiefer: Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter erhalten Zuschüsse für die Anschaffung, wenn sie sich per Rad auf den Weg zur Arbeit machen. Die Identifikation mit dem Transformationsprozess, mit dem Bestreben, nachhaltiger zu agieren, wird unternehmensintern erreicht, weil die Verantwortung für umweltbewusstes Handeln auf alle Schultern verteilt wird.

Die eierlegende Wollmilchsau hat man bei Schleich, bezogen auf die Herstellung der Figuren, noch nicht gefunden.

Cradle to Cradle

„Wir denken bei unserer Nachhaltigkeitsstrategie in einem geschlossenen Kreis“, so Dr. Philipp Hummel. Die Eckpfeiler der ganzheitlichen Betrachtung heißen: Planet, People, Children, Toys. Jeder dieser Parameter wird in all seinen Facetten und Ausprägungsformen auf Nachhaltigkeit ausgerichtet.
Bei den Verpackungen setzt man im Gegensatz zu früher auf Monomaterial, um die Recyclingfähigkeit zu gewährleisten. Einwegplastik wird reduziert, Blisterfenster entfallen zugunsten von Showboxen. Auf diese Weise können 15 Tonnen Kunststoff jährlich eingespart werden. Der begehrte Schleich-Adventskalender birgt die kleinen Überraschungen in einem Papptray, ein scheinbar kleines Detail, das jedoch die Ersparnis an Kunststoffen insgesamt auf 20 Prozent erhöht. Auch bei PoS-Varianten wie Displays et cetera setzt Schleich auf die Reduzierung von unterschiedlichen Materialien und, soweit es möglich ist, auf Pappe anstelle von Kunststoff.
Was das für die Herstellung der Figuren verwendete Material angeht, so habe man die eierlegende Wollmilchsau noch nicht gefunden, so Dr. Philipp Hummel. Schließlich sollen ihre Wertigkeit und Langlebigkeit sowie die Haptik und Detailtreue erhalten bleiben. Kein leichtes Unterfangen. Auf recycelte oder biobasierte Materialien zurückzugreifen, ist daher heute immer noch mit großen Herausforderungen verbunden, so Hummel. Zudem böten bereits recycelte Rohstoffe oftmals zu wenig Reinheit, was die Prüfung ihrer Sicherheit erschweren kann.


Dr. Philipp Hummel

Wir wollen nicht weniger schlecht, sondern richtig gut werden.

Dr. Philipp Hummel


Im Auge behalten werden muss auch das Pricing. Es wird nicht ausbleiben, dass sich die Figuren leicht verteuern, denn biobasierte oder recycelbare Werkstoffe sind teurer als herkömmliche Kunststoffe. Erhalten bleiben wird in jedem Fall die Taschengeldpreislage. Eine Schleich-Einzelfigur wird auch künftig unter zehn Euro zu haben sein. Der Anspruch des Unternehmens, allen Kindern den Zugang zur Marke zu ermöglichen, ist ein wichtiger Aspekt bei der Umsetzung der Nachhaltigkeitsstrategie. „Glücklicherweise sind für uns die steigenden Energiepreise zwar relevant, aber bei Weitem nicht so ausschlaggebend wie in anderen herstellenden Betrieben“, so Dirk Engehausen. In seinen Augen ist die Produktion hochwertiger Spielwaren eine Herzensangelegenheit. Spielwaren, die am meisten reglementierten Produkte, werden auf Herz und Nieren geprüft, bevor sie in die Regale kommen. „Das war bei den großen und bekannten Marken im Übrigen schon immer so“, bekräftigt Engehausen. „Wir Top-Markenartikler waren uns immer einig: Sicherheit ist nicht verhandelbar.“

Warum man sich entschieden hat, mit dem Transformationsprozess und der Nachhaltigkeitsstrategie an die Öffentlichkeit zu gehen, zielt unter anderem darauf ab, Investoren für die Traditionsmarke zu interessieren. Das sei Teil der Unternehmensstrategie, die klar auf globales Wachstum setzt, so Engehausen. Derzeit hält der Investor Partners Group fast 100 Prozent des Unternehmens. Eine Partnerschaft auf Augenhöhe, denn auch im dritten Jahr der Krise sei man im Businessplan, so der CEO weiter. „Wir gehen nun in die zweite Phase unseres Transformationsprozesses, und im Zuge dessen begegnen wir immer neuen Herausforderungen und stellen uns naturgemäß viele Fragen. Zum Beispiel die: Wo produzieren wir künftig? Ein Kernthema der Spielwarenbranche. Die seit Jahrzehnten funktionierenden Werkbänke der Branche haben zu großen Teilen und aus den unterschiedlichsten Gründen ausgedient. Das zeigte nicht zuletzt die Pandemie, in der zum Beispiel China mit seiner Null-Covid-Strategie Lieferketten zum Einstürzen brachte. „Wir werden zukünftig in der Produktion mehr auf Regionalisierung setzen“, erläutert Engehausen. „Auf dem amerikanischen Kontinent wollen wir für den amerikanischen Kontinent produzieren. Wir sparen dann so erhebliche Frachtwege und leisten einen weiteren wichtigen Beitrag zur Optimierung des ökologischen Fußabdrucks unseres Unternehmens.“

In Sachen Verpackung stehen die Zeichen auf Nachhaltigkeit. Das heißt, kein Einwegplastik, keine Blisterfenster mehr.

Gut gebrüllt, Löwe

Wenden wir uns der Königsdisziplin zu: Der Löwe hat für Schleich eine wichtige Bedeutung, gehört er doch neben dem T-Rex zu den meistverkauften Figuren. Renner sind auch die über 30 Pferderassen und die 86 Wildlife-Tiere. Der edukative Anspruch von Schleich wird durch Kooperationen mit der American Montessori Society und National Geographic Kids gestützt. Man lässt es sich etwas kosten, die Nachfrage auf hohem Niveau zu halten. Im Fünf-Jahres-Zyklus „runderneuert“ sich die Produktpalette – bis auf Beststeller wie unter anderem die Löwen oder die Pferde. Hier setzt man auf den Family-Gedanken, denn Kinder nehmen es „biologisch“ genau. Zur Stute braucht man einen Hengst, damit Fohlen kommen und die Szenerie auch glaubwürdig ist. Dieser Rollenspielcharakter sorgt auch dafür, dass Schleich bei Jungs und Mädchen immer gleichermaßen begehrt war und ist. Den Diversitygedanken lebt man ganzheitlich. „In der amerikanischen Gesellschaft ist das Thema Diversity noch stärker im Vordergrund als bei uns“, erklärt Dirk Engehausen. „Hierzulande denkt man eher praktisch. Wir werden mit Recht gefragt, warum auf dem Traktor bei der Farmwelt ein Bauer sitzt und keine Bäuerin. Das werden wir zeitnah ändern, indem wir einzelne Figuren ins Sortiment aufnehmen. Dann kann jedes Kind so spielen, wie es möchte.“ Diese Haltung ist ebenso realistisch wie die Spielwelt selbst. Das ist Schleich. Bodenständig, dazu ein Door Opener für ein Fantasiereich, das schier unendliche Spielmöglichkeiten bietet. Und wer sich auf Instagram, auf LinkedIn und diversen anderen Plattformen umtut, der begegnet der Marke immer häufiger in ganz neuen und coolen Facetten. Aktuell werden fünf Influencer in die Social-Media-Strategie eingebunden. Der Dialog mit den Endkund*innen ist für Schleich ein wichtiges Recherchetool für den ständigen Erneuerungsprozess der Marke.

Sibylle Dorndorf