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Safety: Das Ende der Parallelwelten

28. November 2023, 16:59

Die Entscheidung, welcher Autokindersitz fürs Kind am besten passt, fällt Eltern meist nicht leicht. Zur Auswahl stehen vielfältige technische Features, Befestigungssysteme und Nutzungsdauern. Für Verwirrung sorgen auch die beiden Kindersitz-Normen. Eine läuft nun jedoch Schritt für Schritt aus. Was sich ändert und was in der Übergangsfrist für Eltern, Händler und Hersteller gilt, erläutert Lioba Hebauer im nachfolgenden Beitrag.

Die „alte“ Zulassungs-Norm für Autokindersitze heißt ECE R44/04. Sie galt 18 Jahre lang und wurde zum 1. September 2023 wirkungslos. Konsequenzen hat dies bislang nur für die Hersteller. Sie stellen sich bereits seit Jahren auf den Wechsel der Vorgaben ein. Neuentwickelte Kindersitz-Modelle müssen nun ausnahmslos nur noch einer Norm entsprechen, um eine Zulassung zu erhalten. Die ECE R129 ist allerdings auch nicht mehr ganz so neu. Sie wurde seit 2013 in drei Phasen parallel zur alten Norm eingeführt. Oft wird sie einfach als „i-Size-Regelung“ bezeichnet, nach der gleichnamigen Kategorie von Kinderrückhaltesystemen der ersten Phase, die für i-Size-taugliche Sitze in einem Fahrzeug konzipiert sind.


Wo ist die Norm vermerkt?

Auf jedem Kindersitz, der in der EU zugelassen ist, klebt eine gelbe oder orangefarbene rechteckige Plakette mit vielen Infos wie etwa Norm, Nutzungsart (zum Beispiel universal), Landeskennung als E-Nummer, Hersteller, Seriennummer und Größeneinteilung. Ohne gültiges ECE-Siegel müssen AutofahrerInnen bei einer Kontrolle mit Bußgeldern und Punkten in Flensburg rechnen. Zur Verantwortung herangezogen wird immer der Fahrzeuglenkende!


Warum ein neuer Standard für Autokindersitze?

Die ECE R129 wurde notwendig, um in allen EU-Mitgliedsstaaten gleiche Zulassungsvoraussetzungen für Autokindersitze zu schaffen. Und dann natürlich, weil Forschung und Produktentwicklung mittlerweile höhere Sicherheitsstandards ermöglichen und diese zum Schutz der Kinder verbindlich festgelegt werden sollten. Die neue Einteilung nach Körpergröße, statt wie bisher nach Gewicht, hat sich außerdem als passgenauer erwiesen.

Sind die Hersteller auf den Wechsel der Normen vorbereitet?

„Die Hersteller haben ihre Produktrange zeitgerecht umgestellt,“ sagt Dr. Alessandro Zanini von der Recaro-Holding und BDKH-Vorstandsvorsitzender. „Die Entwicklung für einen neuen Kindersitz dauert maximal zwei bis zweieinhalb Jahre. Daher war das gut machbar.“

Wie lange dürfen Händler noch Sitze nach ECE R44/04 verkaufen?

Kindersitze mit einer Zulassung nach der alten Norm ECE R44/04 dürfen aus den Lagern der Händler nur noch bis zum 31. August 2024 angeboten und verkauft werden.

Müssen Eltern nun neue Sitze kaufen?

Nein. Autokindersitze nach ECE R44/04, aber auch die nach der noch älteren Norm ECE R44/03, dürfen weiterhin unbegrenzt genutzt werden – solange sie zum Kind und ins Auto passen und keinen Schaden aufweisen. Modelle nach ECE R44/03 dürfen jedoch schon seit 2009 nicht mehr verkauft werden. Das heißt, dass diese Sitze bereits mehr als zehn Jahre alt sind und neben einer gewissen Materialermüdung auch weniger strengen Sicherheitsanforderungen unterliegen. Sitze nach ECE R44/01 und ECE R44/02 dürfen heute weder angeboten noch verwendet werden.

Was, wenn das Auto noch keine Isofix Verankerungen hat?

Die Norm ECE R129 lässt nicht nur Kindersitze zu, die über Isofix befestigt werden, sondern auch solche, die mit dem Drei-Punkt-Gurt des Fahrzeugs fixiert werden können. In der Babyschale wird das Kind durch einen eigenen integrierten Hosenträger-Gurt gesichert. Diese Modelle ab Geburt mit sichtbarer Gurtführung sind für jene Eltern eine Alternative, die noch ältere Autos fahren, aber keinen Autokindersitz nach alter Norm mehr kaufen wollen.
Bei einem Produkt, das wie kein anderes für die Unversehrtheit von Kindern sorgt, sollte bei Secondhand-Ware genau nachgefragt werden, ob sie bereits einmal in einem Unfall verwickelt war. Dr. Robert Gietl, Geschäftsführer der PEG Kinderwagenvertriebs- und Service GmbH, warnt, dass unfallbedingte Mikrorisse in der Sitzschale oder andere Funktionseinschränkungen für den Laien oft nicht wahrnehmbar sind.

Last but not least

Auch ein funktionstüchtiger Sitz und die jüngste Norm garantieren noch nicht die größtmögliche Sicherheit. Der Sitz sollte unbedingt zur Körpergröße des Kindes passen. Und ganz wichtig: Fehler bei der Handhabung können schlimme Folgen haben – etwa durch verdrehte, schlaffe oder offene Gurte, zu dicke Kleidung oder fehlendes Einrasten im Befestigungsanker.


Noch Fragen?

Kann man auch drei Kleinkinder in Auto transportieren?

i-Size Kindersitze dürfen im Außenmaß höchstens 44 Zentimeter breit sein. Damit ist garantiert, dass drei i-Size-Sitze nebeneinander auf die Rückbank passen, selbst bei einem Kleinwagen.

Gilt die Rückwärtspflicht bis mindestens zum 15. Lebensmonat der neuen Norm auch für Kinder in Sitzen nach ECE R44/04?

Nein. Bei Sitzen, die nach ECE R44 zugelassen sind, kann das Kind bereits ab einem Gewicht von neun Kilogramm (entspricht etwa einem Alter von neun Monaten) vorwärtsgerichtet transportiert werden. Generell gilt jedoch: Je länger rückwärtsgerichtet in einem geeigneten Sitz gefahren wird, umso sicherer für das Kind. Dr. Robert Gietl weist darauf hin, dass R44/04-Babyschalen nur bis 13 Kilogramm Körpergewicht zugelassen sind und Kinder, die dieses Gewicht vor dem 15. Lebensmonat erreichen, dann bereits den Sitz wechseln müssen. Der Folgesitz ist dann meist vorwärtsgerichtet.

Gibt es Situationen, in denen die Kindersitzpflicht eingeschränkt ist?

In Taxis etwa gilt eine Sonderregelung. Hier müssen nur zwei Kindersitze für Kinder ab neun Kilogramm Körpergewicht dabei sein. Mindestens einer der beiden Sitze muss der Klasse 9 bis 18 kg entsprechen. In der Realität führen Taxifahrer bei Spontanfahrten oft keine Autokindersitze mit oder es stehen nur (integrierte) Sitzerhöhungen bereit, die nicht den Normen entsprechen. Daher ist eine Voranmeldung ratsam, um auf Nummer sicher zu gehen. Für Babyschalen muss der Fahrgast grundsätzlich selbst sorgen.

Wie sicher sind die günstigen Sitzerhöhungen oder Boostersitze ohne Rückenlehne?

Bei reinen Sitzerhöhungen fehlt der Seitenaufprallschutz, der mit Rückenstütze gegeben wäre. Außerdem fehlt die Führung des Fahrzeuggurts, der bei einem Unfall Verletzungen am Hals und im Bauchraum verursachen kann. Dennoch ist es immer noch besser, einen einfachen Sitz-erhöher zu benutzen, statt komplett darauf zu verzichten, wenn das Kind noch unter die Kindersitzpflicht fällt. Auch unter der ECE R129 gibt es Sitzerhöhungen für Kinder ab 125 Zentimeter Körpergröße, die mehr als 22 Kilogramm wiegen.