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Mütter im Wandel – Das Mutterbild

2. November 2016, 11:18

Die Ansprüche, die Mütter an sich selbst stellen und die von der Umwelt an sie gestellt werden, haben sich im Laufe der letzten Jahrzehnte entsprechend dem sich verändernden gesellschaftlichen und politischen Klima stark gewandelt. Heute fühlen sich Mütter oft mit unrealistischen und überzogenen Anforderungen konfrontiert. Unsere 1st Steps Autorin Anya Biberthaler hat drei Personen aus drei Generationen zu ihrem persönlichen Mutterbild befragt.

Das klassische Familienmodell war in den 68ern so angesagt wie ein Bekenntnis zum Katholizismus, nämlich gar nicht. Es schien reaktionär, spießig, provinziell. Mütter weigerten sich, ihre Babys zu stillen, um die Busenform nicht zu ruinieren und diskutierten lieber in angesagten Szenecafés über Sartres Existentialismus, anstatt in der Küche Pastinakenbrei zu rühren. Von Müttern wurde verlangt, möglichst antiautoritär zu erziehen und sich gegenüber den alternativen Familienmodellen der Linksliberalen aufgeschlossen zu zeigen.
In den 80ern dann die Gegenbewegung, die Renaissance des Konservativen und damit auch das Wiederaufleben des patriarchalischen Pantoffelhelds. In diesen Jahren wehte durch viele deutsche Kinderzimmer ein eher rauer Erziehungsstil und die Pralinen schlemmende Hausfrau mit Fönfrisur durfte sich für ein paar Jahre wieder en vogue fühlen. Doch trotz des konservativen gesellschaftspolitischen Klimas war der Trend zur berufstätigen Mutter nicht mehr aufzuhalten. Gleichzeitig kamen aus der Politik wichtige Impulse wie das 1986 in Kraft getretene Bundeserziehungsgeldgesetz, nach dem berufstätige Mütter oder auch Väter nach der Geburt eines Kindes zunächst zehn Monate, ab 1992 dann bis zu drei Jahre pausieren konnten, ohne ihren Arbeitsplatz zu verlieren.
In den 90ern gehörte die berufstätige Mutter zur Normalität, ebenso wie ihre damit verbundenen Sorgen und Nöte, allem voran die Notwendigkeit einer externen Kinderbetreuung. In die Frage, wie man die Mutterrolle gestalten könnte, kam wieder Bewegung. Viele vernünftige Ansätze wurden formuliert, Kompromisse gesucht aus den liberalen Momenten der 70er und den konservativen der 80er. Mütter konnten sich frei entscheiden, wie sie leben wollten.
Doch das vermeintliche Mütterparadies zeigte bald seine Schattenseiten denn mit der Variabilität der Mutterrolle wuchs auch die Verunsicherung. Die Fragen, wie man als Mutter zu leben, zu denken, zu fühlen und sich zu verhalten hat, gestalteten sich zunehmend komplex und die Antworten wurden allzu oft selbsternannten Experten der pseudo-wissenschaftlichen Ratgeberliteratur überlassen.
Die Suche nach dem perfekten Mutterdasein ist nach wie vor omnipräsent; verschwunden ist hingegen das Vertrauen auf das eigene Bauchgefühl. Sicher können sich Mütter nur noch in einem sein: Sie machen es falsch – zumindest in den Augen vieler anderer. Hausfrauen in Filzpuschen wurden schon immer gerne als indiskutable Luschen, als Mutterkühe belächelt, die ihre Unzulänglichkeiten hinter einer Küchenschürze verbergen und denen man eigentlich das Wahlrecht absprechen sollte. Als Zielscheibe heftiger Kritik mussten auch schon immer berufstätige Mütter herhalten, inzwischen auch die Teilzeit-Muttis, die es allen recht machen wollen und denen ein lächerlicher Optimierungswahn unterstellt wird. Mütter stehen unter medialer und gesellschaftlicher Dauerbeobachtung. Dies führt dazu, dass sie sich permanent rechtfertigen, gegenüber den Kollegen, den Freunden, den anderen Müttern, sich immer wieder erklären, warum sie den einen Weg gehen, wo es doch noch tausend andere gäbe.
Logische Konsequenz: Wer heute Kinder großzieht, gehört nach eigenen Angaben zu der am meisten gestressten Elterngeneration überhaupt und dies nicht etwa aufgrund der finanziellen Rahmenbedingungen, sondern weil sich die Eltern selbst unter Druck setzen. Dies ergab eine Studie aus dem Jahr 2015, für die das Institut Forsa im Auftrag der Zeitschrift „Eltern“ rund 1.000 Frauen und Männer mit Kindern bis zwölf Jahren in Deutschland befragt hat.
Anya Biberthaler