Messen: Spielplatz für Onlinemarketing
Die OMR, Wissens- und Inspirationsplattform für die Digital- und Marketingszene in Europa, fasziniert und polarisiert. Weil sie anders, bunter, lauter ist als das, was man gemeinhin als Messe oder Kongress so kennt. Weil das Publikum jünger und unkonventioneller scheint. Und weil die Erwartungshaltung an die OMR offensichtlich anders ist als an Messen oder Kongresse im herkömmlichen Sinn.
Als alter Hase im Handels- und Messegeschäft ist man da schnell mal überfordert. Fühlt sich alt und overdressed. Und spürt schnell, dass hier etwas passiert, was neu ist – und was so schnell nicht wieder gehen wird.
Auf dem Festival für Onlinemarketing treffen sich Marketeers, Influencer und Marken. Lauter, bunter, schneller – und null Chance, auch nur in Ansätzen alles mitzubekommen, was auf dem Hamburger Messegelände geboten ist: große Namen auf den Bühnen, Bands als Support Acts, Side-Events in der ganzen Stadt verteilt, Marken-Rockstars in Workshops, Influencer auf Podien, Selfmade-Personalities auf dem gesamten Gelände, Online-Marketing-Dienstleister in Showrooms – das Ganze eingepackt in unzählige riesige LED-Wände und Foodtrucks. Und 70.000 Menschen, die sich zur OMR versammeln – auch um sich selbst ordentlich zu feiern. Es geht um Creators, GenZ und AI. Um Selbstvermarktung und Ansprache junger Zielgruppen. Und zwischendrin: ein Team der Spielwarenmesse und Spielwarenhändler.
Franziskus Weinert, Schreib- und Spielwarenhändler mit Traditionsgeschäft, ist einer von ihnen. Und begeistert von dem, was er in Hamburg erlebt hat: „Das OMR Festival war eine tolle Gelegenheit, um mich über die
neuesten Trends im Bereich des Online-Marketings zu informieren. Künstliche Intelligenz war das Thema über allem und es war faszinierend zu sehen, was bereits jetzt schon alles möglich ist. Wir stehen hier noch am Anfang dieser Entwicklung und es wird spannend zu sehen sein, wie sich die Technologie weiterentwickeln wird.“
Auch Florian Bachmann, Spielwaren- und Modellbauhändler aus München, pflichtet bei: „Ich dachte, ich treffe ein paar Firmen, die Onlineshops und Tools anbieten, in einem messeähnlichen Flair und das wäre es. Aber was ich dann gesehen habe, war viel mehr, so dass ich selbst vier Tage danach noch immer überwältigt bin. Ich habe sehr viel mehr mitgenommen für mich und unser Business, als ich erwartet hatte. Von kleinen Dingen wie digitalen Kundenkarten bis hin zum großen Thema „AI“, was gefühlt allgegenwärtig war auf dem Festival. Aber auch der Austausch mit anderen Händlern am Abend war für mich wichtig und wertvoll.“
Die Überforderung steht allen nach dem ersten Festivaltag ins Gesicht geschrieben. Und die Gespräche mäandrieren zwischen Überwältigung und sprudelnden Ideen. Zwischen der Erkenntnis, dass junge Generationen komplett anders ticken – und der Quintessenz, dass es der einzig mögliche Weg ist, hier am Ball zu bleiben.
“Der stationäre Handel muss da sein, wo der Kunde ist! Wenn dieser online unterwegs ist, muss man dort ebenfalls präsent sein.”
Christian Bökenkamp , Bielefeld
Christian Bökenkamp aus Bielefeld bringt das Gefühl auf den Punkt: „Man muss über den Tellerrand schauen! Und wenn man sich anschaut, was auf der Messe los war, wusste man schnell, dass man auf der richtigen Messe war! Hier spielt die Musik! Und das im übertragenen Sinne im Social Media/world wide web.“
Doch was nimmt man von der Veranstaltung mit nach Hause, wo der Takt sicher nicht ganz so hoch ist wie auf der OMR? Vor allem wohl das Gefühl, hier nicht wegschauen zu können, sondern dran bleiben zu müssen. Auch wenn es oft nicht einfach zu verstehen ist, was hier gerade passiert. Die Buzzwords, die durch die Messehallen waberten für sich zu bewerten und entsprechend ins Machen zu kommen. „Seit meiner Rückkehr von der OMR am Donnerstag kann ich nur noch über eines nachdenken: Wie kann ich künstliche Intelligenz sinnvoll für uns einsetzen?“ Überlegt daher auch der Spielwarenhändler Christian Krömer.
Über das Thema KI hinaus ist es aber ein Feld, das alle anwesenden Händler (leider muss man an dieser Stelle nicht gendern) bewegt, nämlich die neue Rolle, in die klassische Händler*innen zwangsläufig schlüpfen müssen – und dies seit Corona verstärkt tun: das Onlinegeschäft.
Florian Bachmann ist sich sicher: „Der stationäre Fachhandel muss auch online stattfinden. Die Zukunft wird definitiv eine Mischung aus Online- und Offlinegeschäft sein. Ich glaube nicht, dass der lokale Handel vollständig verschwindet, aber wer online nicht sichtbar ist, wird auch in Zukunft lokal nicht mehr gefunden. Zudem bieten Marktplätze jetzt schon eine schöne und relativ einfache Möglichkeit, das Onlinegeschäft weiter auszubauen.“
Erklärend fügt Christian Bökenkamp hinzu: „Der stationäre Handel muss da sein, wo der Kunde ist! Und wenn dieser im Metaverse/online unterwegs ist, muss man dort ebenfalls präsent sein. Wer nicht gesehen wird, kann nichts verkaufen! Früher und heute sind es unsere Schaufenster beim stationären Handel. Aber wieso sollte man das größte Schaufenster, nämlich online, nicht bespielen?“
Es ist also der Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit, der Sichtbarkeit und der Zeitgeist, also Konsumverhalten und Erwartungshaltung von Konsument*innen, die den Handel nötigen, sich weiterzuentwickeln.
Franziskus Weinert, Christian Krömer und Florian Bachmann
Doch ist die OMR dafür ein guter Einstieg? Wenn man sich erst einmal an den Trubel und die große Show gewöhnt hat, sicherlich. Denn zwischen den ganzen Buzzwords verstecken sich handhabbarere Ansatzpunkte und Dienstleister, die sehr konkrete Lösungen in petto haben. Tipps und Tricks zur Steigerung der Conversion Rate zum Beispiel, die der Aussteller „Checkout Clinic“ in einer Masterclass vermittelte. Oder konkrete Einsatzmöglichkeiten für KI im Händler-Alltag, um Prozesse zu verschlanken und fehlende Fachkräfte zumindest zum Teil kompensieren zu können.
Und manchmal ist ein Messehighlight auch ganz persönlicher Natur. Wenn man zum Beispiel Respekt von zwölfjährigen Jungs einheimst, die beim Bilder vom Festival durchschauen feststellen: „EY, krass das ist … auf dem Foto! Und du warst so nah an dem dran! Ich wünschte ich wäre dort gewesen!“ So berichtet es jedenfalls Christian Bökenkamp. Und schließt: „Aber mal abgesehen von einer starken Reizüberflutung, muss man das Resümee ziehen, dass sich der Besuch gelohnt hat! Es waren tolle Redner vor Ort, beeindruckende Persönlichkeiten, die aus dem Nähkästchen geplaudert haben, und eine Abbildung der digitalen Welt, die einen stauen lässt!“
Sieht so also der Handel und die Messe der Zukunft aus? Sicher wird es auch weiterhin zahlreiche individuelle Wege geben. Doch die Hauptrichtung ist vorgegeben: Wer junge Zielgruppen ansprechen und in deren Sphäre stattfinden möchte, muss online präsent sein. Wer Prozesse optimieren möchte und mangelnde Fachkräfte kompensieren muss, sollte sich dringend um digitale Lösungen bemühen. Wer sich inspiriren möchte und am Puls der Zeit bleiben will, sollte neben den tradierten und klassischen Handelsmessen auch andere Veranstaltungen wahrnehmen.