Lizenzen: „Creators bergen Chancen“
Kevin Tewe hat vor sieben Jahren die Agentur All in – Artist Management gegründet. Vor Kurzem fand ein Rebranding statt, das Unternehmen heißt nun „All in – Creator Economy: Unlocked!“. Die Agentur, die bekannte Creators wie Rezo, Lea-Sophie Cramer, Kisu, Ana Johnson oder Stefano Zarella betreut, geht über das klassische Künstlermanagement hinaus. Welche Leistungen das Engagement umfasst und wo sich daraus Anknüpfungspunkte in die Spielwarenbranche ergeben, berichtet Tewe im Gespräch mit Jörg Meister.
Hallo Herr Tewe, Ihre Agentur betreut Content Creators und bespielt die „Creator Economy“. Wer ist eigentlich alles Creator, und was kann man sich unter „Creator Economy“ genau vorstellen?
Wenn ich ganz philosophisch bin, sind wir alle Creators: Jeder hat Social Media-Kanäle und erschafft oder baut irgend etwas. Content Creators, YouTuber, Influencer – es gibt da ja viele Begriffe – sind nach unserer Definition Personen mit erheblichen Reichweiten, die in allen Economys, in denen wir unterwegs sind, etwas beeinflussen und verändern können. Ob es im Bereich Kochen, Motorsport, Beauty, Erziehung oder Spielen ist. Dadurch können sie mit ihrer Persönlichkeit neue Nischen und Chancen eröffnen.
Wenn wir zum Beispiel Spiele mit Creators machen, ist natürlich das reine Entwickeln von Spielen nicht völlig neu. Aber es funktioniert, da wir mit Creators in eine neue Nische gehen und der Absender eine Persönlichkeit mit ganz eigenem Kosmos ist. Prominente Beispiele sind das Christina Aguilera-Parfum oder Fußballschuhe von Ronaldo. Auch solche Promis sind Creators mit Reichweiten, die durch Distanzmedien, wie zum Beispiel TV, bestimmt werden.
Jetzt können wir mit Creators Reichweite durch persönliche Communitys generieren. Auch Cristiano Ronaldo ist diesen Schritt gegangen – er bedient ohne Abhängigkeit von Distanzmedien direkt seine Zielgruppe und steuert seinen Content selbst.
Das heißt, der Gestaltungsspielraum geht weit über die in der Öffentlichkeit etwas verrufene „Social Media-Litfaßsäule“ hinaus bis hin zum Brandbuilding und zur Produktentwicklung auf der einen und Beratung von Kooperationspartnern auf der anderen Seite?
Wir strukturieren das Business in drei Säulen: Da haben wir als erste Säule die Beratung von Marken und Koop-Partnern. Hier geht es um Fragen wie „Was ist die Creator Economy?“ und „Wie kann ich als Unternehmen oder Brand darin stattfinden?“ bis hin zu „Wie messe ich Erfolg?“
Die zweite Säule ist die erwähnte Betreuung und Entwicklung von Creators. Wir sind bemüht, unseren Artists unternehmerisches Denken und Handeln nahezubringen, damit sie als Personal Brand wachsen können.
Und die dritte Säule ist das, was wir im New Business Bereich machen: Wir suchen den USP der Creators und überführen diesen in Produkte und Sortimente.
„Mit Creators kauft man sich Reichweite, Fandom und Andrang ein.“
Und weshalb „Unlocked“?
Jede*r aus unser Führungsebene hat zehn bis dreizehn Jahre Erfahrung im Creator Business, bislang haben wir niemandem außerhalb der Firma an dieser
Expertise teilhaben lassen. Wir sind nun dabei, uns nach außen zu öffnen und helfen Externen mit unserem Wissen, um Anknüpfpunkte und Nahbarkeit für die Branche zu schaffen, gemeinsam neues Business zu generieren und niemanden im Regen stehen zu lassen.
Sie haben Cristiano Ronaldo als Creator Brand erwähnt. Sind denn im Sport nicht die Vereine die größeren und strahlkräftigeren Marken?
Die Vereine haben längst bemerkt: Die Fans sind zum großen Teil nicht mehr oder nicht ausschließlich Fans des Vereins, sondern der Spieler. Wenn Messi den Verein wechselt, folgt seine Community. Sie sind Messi-Fans, nicht zwingend Barca-Fans. Sie gucken die Spiele, in denen Messi spielt, Ronaldo spielt, Mbappé spielt. Früher warst du Fan von Schalke oder Bayern., jetzt bist du Fan von der Person, weil du durch Social Media so viel von ihr weißt und ihr so emotional nah bist.
Was heißt das denn in Konsequenz fürs Lizenzbusiness? Wenn die Spieler die Marken-Macht haben und Content machen, haben die Vereine das Nachsehen und werden auch für Lizenzen weniger attraktiv?
Was wir durch die Creator Economy haben, ist eine Umkehr der Machtverhältnisse. Die Medien bestimmen nicht mehr, wie Leute gesehen werden, sondern die Leute bestimmen selbst, wie sie gesehen werden möchten – und können gegen die Medien gegenhalten. Nicht der Verein bestimmt, was er mit den Spielern macht, sondern die Spieler haben sich ein Stück weit emanzipiert. Aus Vereinssicht sind Spieler nun dafür relevant, dass es Trikot- und Ticketverkäufe gibt. Es werden Spieler engagiert, die – neben sportlichen Fähigkeiten – für Andrang sorgen und Community mitbringen.
Übertragen heißt das: Was Vereine mit Spielern können, können auch Marken mit anderen Creators. Sie kaufen sich Reichweite, Fandom und Andrang mit ein.
Wenn nun aber, wenn jeder Spieler, jeder Youtuber, jeder Creator selbst Marke ist – und nicht mehr das Medium, der Sender, das Format oder der Verein: Wird dann der Markt nicht unheimlich fragmentiert und unübersichtlich?
Ich glaube, zunächst mal gibt es viel mehr Lizenzen, auf die man zugreifen kann, seit es die Creator Economy gibt. Das ist positiv und negativ. Man ist zielgenauer, weil man bestehende Communities maßgeschneidert anspricht, aber man benötigt mehrere Lizenzen, um sein gesamtes Portfolio oder Spektrum abdecken zu können.
Früher gab es „Breitbandlizenzen“. Formate wie DSDS oder GNTM haben viele verschiedene Leute abgeholt. Heute kann man zum Beispiel mit Elias Nerlich kooperieren, den kennt kaum einer. Er hat zusammen mit Toni Kroos die Icon League gegründet und ist der größte Streamer Europas. Ich glaube, der drittgrößte weltweit. Sein eigener Fußball-
verein „Delay Sports“ hat in der untersten Kreisliga in Berlin angefangen und steigt jährlich auf. In der breiten Masse kennt ihn kaum jemand – doch in seiner Bubble ist er unfassbar riesig. Aber sie hat sicher nur eine geringe Schnittmenge mit der Bubble eines Rezo oder einer Mrs. Bella, die auch riesige Communities aktivieren.
Es gibt so viele Vertriebswege, Podcasts, Plattformen und Stars. Und für Lizenzen muss man genau wissen: Wer ist mein Star? Wenn man über die Brandmate geht und Heidi als Lizenz sieht, kennt man das ab einem gewissen Alter. Wir sind mit TV aufgewachsen, da lief es nunmal eben für alle, ob man wollte oder nicht. So schaffen es die ganzen Klassiker noch immer, relevant zu sein. Wir drücken jetzt hier aber mit unheimlich vielen spezialisierten Marken in den Markt, das fragmentiert das Geschäft und macht die klassische Lizenz tendenziell günstiger, weil sie eben nicht mehr so viel Relevanz hat. Für den Lizenznehmer ist es allerdings schwieriger, das passgenaue Portfolio zusammenzustellen und durch die einzelnen Bubbles die Ansprache richtig hin zu bekommen. Jedoch kann die Marke in der Tiefe unglaublich viel gewinnen.
Ist das für ein mittelständisches Spielwaren-Unternehmen denn überhaupt leistbar, hier abzuschätzen, hinter welcher Creator Brand welches Potenzial steckt? Oft sind hier die Marketingwege ja recht tradiert, und es wird im Aufwand optimiert mit möglichst breiter Ansprache durch Marken und Lizenzen.
Die Tendenz gibt es doch schon lange: Unternehmen müssen immer nischiger werden. Da gibt es Murder Mystery Games, eine riesige Bandbreite an Exit Games und 20 Uno Specials. Das Mensch-Ärgere-Dich-Nicht für alle gibt es nicht mehr. Wenn die nischigeren Produkte dann in der passenden Nische beworben werden, hat das Einzelne viel mehr Umsatzpotenzial. Die Mainstream-Ansprache über TV ist ein Ding der Vergangenheit. Durch das Internet haben Consumer sich weltweit vernetzt und reden miteinander – und das hat nicht mal mit Creators zu tun. Da weiß man plötzlich, welche coolen Sachen es in den USA oder Indien gibt und bestellt diese in einem Store, der irgendwo anders auf der Welt ist, oder auf der Website eines Creators.
Um auf die Frage zurückzukommen: Ja, es ist super komplex, sich damit auszukennen, aber es birgt unheimliche Chancen, sich damit auseinanderzusetzen.
Der Weg, den ich gehen würde: Bring dein Spiel raus und sprich über fünf Creators fünf Bubbles an, dann hast du deine Zielgruppe abgedeckt und viel weniger Geld in die Hand genommen als mit einer Fernsehwerbung. Oder bringe es direkt mit Creators zusammen raus und baue ein Lizenzmodell.
All in hat Marken ins Leben gerufen, die anders herum funktionieren: Bohei und Nestliebe wurden von den Creators geboren, oder?
Genau – da ist auch noch mehr in der Pipeline. Hier haben wir uns mit den Creators hingesetzt und nach dem jeweiligen USP gesucht – und herausgearbeitet, was sie einzigartig macht und weswegen ihre Communitys Dinge von ihnen kaufen. Das Schöne ist: Sie können ihre Fans ja nonstop mitnehmen und wir haben eine Live Marktforschung. Sie kriegen jeden Tag Feedback und können entsprechend nachjustieren. So wird es am Ende sehr treffsicher, wenn es zur Produktion geht.
Mit uns als Partner braucht man theoretisch keinen Handel am Anfang. Wir starten als D2C und das Marketingbudget sparen wir uns, da die Community ohnehin bereits an Bord ist. So können wir das MVP testen, ohne viel Geld in die Hand zu nehmen.
Ist das damit nicht eine Red Flag für den Handel?
Am liebsten sind wir Partner und nicht Red Flag. Wir sehen uns als Launchpad oder Inkubator für den Proof of Concept. Wenn wir skalieren wollen, brauchen wir den Handel. So ist Bohei zum Beispiel jetzt bei der Vedes gelistet. Wir wollen Durchdringung, in erster Linie geht es uns darum alles zugänglich machen. Das unterstützen wir mit Marketing-Aktionen.