Kinder und Lifestyle – „Da entsteht Druck“

13. Juni 2017, 9:32

Ein Lebensstil, der auf Hedonismus, Luxus und Konsum ausgerichtet ist, war früher vor allem kinderlosen Paaren vorbehalten. Doch die heutigen Eltern sehen keinen Grund mehr darin, sich von ihrem trendigen Lifestyle zu verabschieden. Viele gehen sogar noch einen Schritt weiter: Für sie eröffnet sich durch das Kind eine neue Welt voller zusätzlicher Lifestyle-Elemente.

„Familie und Lifestyle schließen sich meiner Meinung nach nicht aus. Jeder sollte auch weiterhin versuchen, seinen Lifestyle und seine Wünsche auszuleben – ohne schlechtes Gewissen“, meint Bloggerin Mareike Olms aus Köln, die den Familien-Lifestyle Blog „Everywhere I go“ schreibt. In Olms Blog geht es um Reisen, Mode, Essen, Sport und Schönheit, Cafés – und damit um genau das, was Lifestyle ausmacht. Für Olms bedeutet Lifestyle gleichzeitig etwas sehr Persönliches, eine charakteristische Art und Weise, sein Leben zu gestalten und zu erleben. Noch vor wenigen Jahren war Lifestyle etwas für Paare, die (noch) keine Kinder hatten. Doch davon wollen finanziell gut ausgestattete Eltern heute nichts mehr wissen. Sie sehen überhaupt nicht ein, warum sie ihr Leben ändern sollen.
Darüber hinaus wünschen sich Eltern jede Menge Lifestyle-Produkte für ihr Kind, meint Laura Schulte, die Shop Managerin von windeln.de, einem der führenden Onlinehändler für Baby- und Kinderprodukte mit Sitz in München. „Der Wunsch nach Lifestyle-Produkten für die eigenen Kinder wächst immer mehr. Kinder zu haben ist heutzutage an sich schon eine Lifestyle- Entscheidung“, so Schulte weiter.
Der Trend zum Style zeigt sich auf vielen Ebenen: Kinderläden, in denen früher übergroße Still-BHs die Optik dominierten, versuchen heute mit Holzböden und Designmöbeln möglichst stylisch zu erscheinen; Die Cover einiger Elternmagazinen können inzwischen locker mit den Hochglanzmotiven einer Vogue mithalten; Kinderwagen heißen heute „Elite“ und „Luxus“ und hochpreisige Designermarken wie Gucci bis Dior haben inzwischen Kinderkollektionen im Angebot, die der modebewussten Mama ihr stylisches Mini-Me ermöglicht. „Für die Eltern muss heutzutage alles ins Gesamtbild passen“, so Laura Schulte von windeln.de. „Alles muss mit Geschmack und viel Kreativität à la Pinterest versehen sein.“ Der Trend geht inzwischen so weit, dass auch der Onlinehändler „einen Lebensstil ausdrücken muss“. Aus diesem Grund hat windeln.de, der circa 100.000 Produkte von rund 1.000 Markenherstellern führt, ein spezielles Portal im Angebot, den Style-orientierten nakiki Shop. 

Bild: Lässig

Michael Sandvoss ist Experte für Luxus & Lebenskunst und General Manager Luxury Sales bei der Quality Division von Media Impact. Mit unserer Autorin Anya Biberthaler spricht er über Lifestyle und Familien.

Kennt sich aus in Sachen Luxus: Michael Sandvoss

Herr Sandvoss, wir sitzen in einem Münchner Szenecafé. Hätten Sie etwas dagegen, wenn sich neben uns Mütter mit lärmenden Kindern setzen würden?
Das wäre für mich überhaupt kein Thema. Ich habe selbst drei Kinder groß gezogen und bei uns war immer Trubel, ich mag das, das ist das wahre Leben. Nun, wenn wir uns jetzt sehr konzentrieren müssen, wird’s vielleicht etwas anstrengend, aber generell finde ich das schön.

Neulich hat ein Szene Café im Münchner Glockenbachviertel Kindern den Zutritt verboten.
Wow, das ist eine sehr unschöne Entwicklung. Unser erstes Kind kam 1988 auf die Welt und wir haben immer alle Kids überall hin mitgenommen, auch in angesagte Lokale und das war nie ein Problem. Es hängt vielleicht auch damit zusammen, wie die Kinder sich benehmen. Klar, man muss gegenseitig Rücksicht aufeinander nehmen. Aber generell finde ich es traurig, wenn Kinder nicht willkommen sind. Ohne Kinder keine Menschheit, also was soll das?

Nun, das hängt vielleicht auch mit dem Anspruch der heutigen Eltern zusammen, der keine Veränderung in ihrem Lifestyle zulässt. Vielleicht treffen hier zwei Gruppen aufeinander, die früher keine Berührungspunkte hatten. Ich kann es schon nachvollziehen, dass Kinderlose ein Problem damit haben, wenn Familien ihr Stammlokal übernehmen.
Ich glaube, das sind lokal bedingte Großstadt-Phänomene. Klar, am Prenzlauer Berg in Berlin geben im Moment gutsituierte Eltern den Ton an, die zu Genüge karikierte Latte Macciato Mutter. Kennen Sie die Prenzlschwäbin? Sehr lustige Videos auf YouTube zu eben diesem Thema. Wenn man dort kein Kind vorweisen kann, ist man am falschen Platz. Da kommen Geld, Style und Hipster Lifestyle wie nirgends sonst zusammen.

Ich habe den österreichischen Film „Was hat uns bloß so ruiniert“ gesehen, der seit einigen Monaten im Kino läuft. Der Film zeigt drei mitteljunge Hipster-Lifestyle-Bio Pärchen, die Kinder bekommen und panische Angst davor haben, spießig zu werden. Der Film zeigt auf humorvolle Weise das Scheitern dieses Versuches. „Ich kann nicht mehr mithalten mit deiner Coolness, deiner Lässigkeit, deinem Hipster-Schnurrbart“, ist einer der provokanten Schlüsselsätze in diesem Film. Warum ist Style heute so wichtig und macht auch vor Familien nicht mehr Halt?
Das hängt unter anderem mit dem generellen Trend zur Hyperindividualisierung in Verbindung mit den sozialen Medien und der entsprechenden Flut an Bildern, die jeden Tag über uns alle hereinbricht, zusammen. Jeder sieht noch besser aus, jedes Bild ist noch mehr mit Photoshop bearbeitet. Das wirkt sich natürlich auch auf Familien mit Kindern aus. Role Models wie die kinderreiche Familie Beckham kann jeder auf Instagram sehen; sie haben zusammen rund 50 Millionen Follower. Da entsteht Druck. Wir befinden uns in einer Selfie Gesellschaft mit einem allgemeinen Hang zum Exhibitionismus. Im Zuge der Gesamtentwicklung ist es also eine logische Folge, dass sich Familien davon nicht frei machen können.

Gehen wir davon aus, dass der Fokus auf Styling nur in einer saturierten, friedlichen und auch etwas gelangweilten Gesellschaft stattfinden kann. Nun werden die Zeiten rauer – in ökonomischer, politischer und gesellschaftlicher Hinsicht. Ist die Style-orientierte Lebensweise nicht schon anachronistisch?
Der Gedanke ist sehr interessant. In der Tat verzeichneten wir 2016 in einigen Luxussegmenten rückläufige oder eher stagnierende Umsätze. Einer der aktuellen Mega-Trends heißt beispielsweise „Erleben statt Kaufen“ und es wird immer mehr Wert auf eine individualistische Ausdrucksform auch im Style gelegt. Wir klagen natürlich auf hohem Niveau, dennoch bereitet ein spürbares gesellschaftliches Umdenken dem Handel zunehmend Probleme. Die Konsumenten suchen zunehmend das Echte, Wahre, Authentische.

Sind darum Kinder auch so „in“ gerade?
Ja, das kann man in diesem Zusammenhang sehen. Wir erleben heute einen Neo-Biedermeier Trend. Das beginnt mit dem Revival traditioneller Werte, dem Häuschen am Stadtrand, geht über Pfeife-rauchende Hipsters und endet beim Vinyl Revival. Es bewegt sich alles in Richtung Idylle und Familie. Die Werte sind zum Teil wieder traditioneller geworden, es scheint konservativer als es zum Beispiel in den 70ern war. Dieses Bedürfnis wird durch die Digitalisierung eher zunehmen. Dazu muss ich sagen, dass wir natürlich sehr viele Trends sehen. Wir leben, wie gesagt, in einer hyperindividualisierten Welt mit vielen Gruppen und Schichten und entsprechend parallelen Trends.

Sehen wir uns die Gruppe der Luxus-Shopper an, die ihre Kinderklamotten bei Dior kaufen und einen Kinderwagen unter 1000 Euro erst gar nicht wahrnehmen …
… stellen wir fest, dass es sich um eine relativ kleine Gruppe handelt. Es gibt diese Zielgruppe, ja, aber rein aus wirtschaftlicher Sicht ist die Gruppe numerisch begrenzt, denn so ein Leben kostet sehr viel Geld. Wir reden also über eine kleine Gruppe, die auch durch ihre immense Produktion von Bildern im Vordergrund steht. Gehen Sie beispielsweise nach Berlin Marzahn, ich denke das spiegelt eher die Realität wieder, denn die meisten Familien dort leben doch zwangsläufig bescheiden und haben ganz andere Probleme. Sie können die Gewichtung auch an den Geschäften in den Städten sehen. Es gibt überproportional viele „Billig-Läden“. Übrigens spreche ich von Luxus-Produkten, wenn sie mit viel Liebe zum Detail angefertigt wurden und eine hohe Qualität und Nachhaltigkeit aufweisen. Diese Art von Luxus ist in Deutschland sehr anerkannt und auch zunehmend gefragt.

Und sprechen Sie von Luxus, dann …
… wie es schon große Denker ausgedrückt haben, Luxus ist, laut dem Philosophen Theodor Adorno, wenn sie nicht Protzerei ist, dann „die Emanzipation aus dem Reich der Zwecke“. Das Menschsein beginnt doch dort, wo es nicht immer nur um das Nützliche und um den Zweck geht. Sehen Sie in die Natur. Sie schwelgt in Luxus und in scheinbarer Verschwendung mit all ihrer Fülle, Vielfalt und Schönheit. Die ärmsten Bauern in Italien feierten luxuriöse, verschwenderische Hochzeiten und verschuldeten sich lieber, als vernünftig und bescheiden zu feiern. Warum? Weil der Mensch nicht immer nur vernünftig handeln und nicht immer nur nützlich sein will. Übertragen auf unser Thema „Family Lifestyle“: Auch in der Familie darf und soll es doch auch mal luxuriös und stylisch zugehen – solange das nicht wieder zum Zwang wird.