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Immer früher Digital

25. Februar 2022, 12:57

Was bewegt Familien jetzt? Welche Trends gibt es und wohin entwickeln sie sich? Diesen und ähnlichen Fragen geht Ingo Keßler, Strategy Director bei der Agentur KB&B auf den Grund. Im Interview mit Astrid Specht geht er auf die immer früher einsetzende Digitalisierung des Alltags von Kindern ein und was das für Marken und Unternehmen bedeutet.

Herr Keßler, Sie haben untersucht, wie sich die Digitalisierung auf den Alltag von Familien, insbesondere den von Kindern auswirkt. Welche Erkenntnisse haben Sie gewonnen?
Durch die Corona-Pandemie und die damit verbundenen Lockdowns in den vergangenen Jahren haben Trends, die sich bereits zuvor angedeutet hatten, einen massiven Schub erfahren. Kinder nutzen digitale Endgeräte heute viel mehr als noch vor zwei Jahren. Laptops, Tablets und Smartphones kommen dabei sowohl für Hausaufgaben als auch zur Unterhaltung zum Einsatz. Dabei verschwimmen die Grenzen zwischen diesen beiden Nutzungsanlässen auch stark: YouTube dient sowohl zur Recherche als auch zum Entertainment. WhatsApp wird zur Koordination von Schulaufgaben und Freizeitaktivitäten genutzt, aber auch einfach fürs Chatten „zum Spaß.“ Aus einer repräsentativen Befragung mit unserem eigenen Marktforschungstool FACT family wissen wir, dass schon unter Acht- bis Neunjährigen mehr als die Hälfte WhatsApp nutzt, über ein Drittel ist in diesem Alter bereits auf TikTok. Tendenz steigend.

Wenn der Alltag von Kindern immer früher digital wird, lässt sich abschätzen, welche Auswirkungen das auf Entwicklung und Verhalten hat?
Eine wichtige Tatsache, die „wir Erwachsenen“ uns in diesem Zusammenhang vor Augen führen müssen, ist, dass Kinder keinen Unterschied zwischen digitaler und physischer Welt machen. Sie erleben ihren Alltag als eine Mischung aus beiden Sphären und die Trennung von „virtuellen“ und „realen“ Erlebnissen existiert für sie nicht. Beides ist gleichermaßen realer und wichtiger Teil ihrer Lebenswelt.
Eine Schwierigkeit ergibt sich beim Heranwachsen der Kinder daraus, dass Eltern und Lehrkräfte sich sehr viel schwerer damit tun, für die digitale Welt Orientierung und Regeln zu vermitteln. Dabei sind Aufsicht und Anleitung durch Vorbilder in der digitalen Spielewelt „Roblox“ genauso wichtig wie auf dem Spielplatz um die Ecke. Wir erleben viele Kinder, die nicht ohne Begleitung zu ihren Freund*innen in der Nachbarschaft gehen dürfen, dafür aber völlig unbeaufsichtigt auf Instagram unterwegs sind.


Ingo Keßler ist Strategy Director bei der Spezialagentur KB&B in Hamburg. Sie unterstützt Unternehmen, mit exklusiven Daten und langjährigem Know-how, erfolgreich mit den Zielgruppen Kindern und Familien zu kommunizieren.


Sollte hier nicht auch der Gesetzgeber eingreifen? Oder gibt es schon Unternehmen/Marken, die von sich aus Verantwortung übernehmen?
Tatsächlich wissen wir, dass die Politik sich mit dem Thema durchaus beschäftigt, vonseiten der Europäischen Kommission sowie auch auf Bundes- und Landesebene. Aber solche Prozesse dauern erfahrungsgemäß Jahre. Dadurch ergibt sich gerade jetzt eine Lücke, die Unternehmen die Chance bietet, Verantwortung zu zeigen. Google hat hierzu beispielsweise gerade eine tolle Initiative gestartet, um Kinder fit fürs Internet zu machen. Auch Lego bietet eine Website mit vielen Materialien zum Thema Sicherheit online an, die sich sowohl an Eltern und Kinder richten.

Viele Marken bauen ihre digitale Präsenz, insbesondere auf Social Media, immer weiter aus. Wenn Kinder diesen Marken und Produkten also immer früher online begegnen, welche Chancen und Herausforderungen bringt das mit sich für die Unternehmen?
Die größte Chance liegt zunächst darin, dass die Zielgruppe auf Social Media Plattformen präsent ist und ungeheuer viel Zeit mit ihnen verbringt. Zudem ist die Bereitschaft, zu interagieren, mit Marken in Kontakt zu treten, Dinge auszuprobieren im digitalen Umfeld hoch.
Die Herausforderung besteht vor allem darin, Social Media nicht als reinen Werbekanal zu betrachten, in dem man seine Botschaft versendet. Marken konkurrieren hier mit sämtlichen Formen des Entertainment auf einer wahnsinnig schmalen Bühne. Der angebotene Content muss mindestens genauso interessant, spannend, unterhaltsam sein, wie alles andere, was dort passiert, sonst wird sofort weitergescrollt.
Wenn man sich in Social Media an Kinder, Jugendliche oder allgemein Familien richtet, kommt hinzu, dass man seine Zielgruppe und ihr Verhalten auf den verschiedenen Plattformen ganz genau kennen und verstehen muss, um stets den richtigen Ton zu treffen.

Wie und wo sollten Marken/Unternehmen mit ihrer Zielgruppe kommunizieren, um diese zu erreichen? Und sollten nicht besser die Eltern angesprochen werden? Immerhin entscheiden die, wofür das Geld ausgegeben wird …
Social Media, aber auch Videospiele wie Minecraft oder Roblox gehören ganz selbstverständlich zum Lebensalltag von Kindern dazu. Wer in ihrem Leben eine Rolle spielen will, muss dort präsent sein.
Ob man sich an Kinder oder Eltern richtet, hängt ganz individuell von der Marke, dem Produkt, der jeweiligen Zielgruppe und den gesteckten Zielen ab. Oftmals muss man auch zwischen der „Nutzerzielgruppe“ und der „Käuferzielgruppe“ unterscheiden. Natürlich werden die meisten Produkte von Erwachsenen gekauft, gerade wenn die Kinder jünger sind. Aber die Kaufentscheidungen werden ganz wesentlich von den Kindern beeinflusst, die letztlich die Kleidung tragen, die Lebensmittel essen, mit den Spielsachen spielen oder die Reise genießen sollen. Dabei sind häufig die Bedürfnisse und Erwartungen von Eltern und Kindern völlig unterschiedlich, was bedeutet, dass sie in der Kommunikation separat angesprochen werden müssen. Das macht Familien zu so komplexen „Entscheidungsgemeinschaften,“ für deren Ansprache es Spezialisten mit strategischen Methoden braucht.

Wie geht es weiter mit der Digitalisierung? Machen sich Babys irgendwann per App bemerkbar, wenn sie Hunger haben?
(Lacht) Tatsächlich gibt es ja schon Babysöckchen, die per App in Echtzeit die Herzfrequenz, Atmung, Körpertemperatur und so weiter meines schlafenden Babys anzeigen. So weit sind wir davon also gar nicht entfernt. In der Tat denke ich, müssen wir davon ausgehen, dass alle Lebensbereiche unserer Kinder früher oder später von der Digitalisierung berührt werden. Die Frage ist, wie gut wir ihnen helfen, darauf vorbereitet zu sein.

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