Im Gespräch mit Spieledesigner Markus Utomo: Ein Stück vom Glück
Markus Utomo ist Spiele- und Spielzeugerfinder aus Nürnberg. Er sagt von sich selbst, ein Spiel oder Spielzeug ist erst dann gelungen, wenn es Kinderaugen zum Leuchten bringt. Aber wie wird man eigentlich Spieleerfinder? Und kann man davon leben? Das alles und mehr erfuhr Astrid Specht von ihm im Interview.
„Kreative Menschen müssen
wie Schwämme sein
und Eindrücke ständig aufnehmen.“
Markus Utomo
Spielzeug- und Spieledesigner
Herr Utomo, Sie sind Spielzeug-/Spieledesigner und Experte für leuchtende Kinderaugen. Das ist eine ungewöhnliche Berufsnische, die Sie für sich gefunden haben. Wie sind Sie dazu gekommen?
Ursprünglich wollte ich Kinderarzt werden. Da ich allerdings noch meinen Zivildienst ableisten musste, habe ich eine Tätigkeit gewählt, in der ich meine zukünftige Zielgruppe besser kennenlernen konnte und arbeitete ein Jahr im Kindergarten in einer Erzieherrolle. Die Kinder dort langweilten sich oft mit ihrem Spielzeug, oder es war kaputt und unvollständig, da es ja im Kindergarten durch zahlreiche Kinderhände geht. Also reparierte ich oder baute den Kindern neue Spiele und Spielsachen. Die freudestrahlenden Augen und der Spaß, den die Kinder mit meinen Spielen hatten, begeisterten auch mich und ich stellte mir die Frage, wer diese Spielzeuge eigentlich entwirft, ob dies am Ende sogar ein Beruf ist?
An der Kunsthochschule Burg Giebichenstein in Halle an der Saale wurde ich schließlich fündig und studierte Spiel- und Spielzeugdesign, ein Spezialgebiet des Industriedesigns. Nach Aufenthalten in Tokio und Oslo, wo ich den digitalen Part Interaction Design studierte, fing ich zunächst als festangestellter Spielzeugdesigner bei einem Nürnberger Spielzeugunternehmen an und machte mich schließlich 2016 selbstständig. Noch im gleichen Jahr wurde ich von der Bundesregierung als Kultur- und Kreativpilot ausgezeichnet, eine Auszeichnung für herausragende Unternehmerpersönlichkeiten in der Kultur- und Kreativbranche. Mittlerweile arbeite ich für große Unternehmen in der Luftfahrt- und Automobilbranche, in der Hotellerie, aber auch für Consulting-Unternehmen im Bereich Serious Games. Durch diese Positionierung in für die Spielwarenbranche fremden Unternehmen, in denen ich spielerische Markenbildung betreibe, ist es mir möglich, die Spiele- und Spielzeugentwicklung auch wirtschaftlich erfolgreich zu betreiben.
Was inspiriert Sie beziehungsweise woher nehmen Sie die Ideen für Ihre Spieledesigns?
Kreative Menschen wie wir Designer müssen wie Schwämme sein und Eindrücke ständig aufnehmen. Wenn wir dann mit einem Problem oder einer Fragestellung konfrontiert werden, können wir aus diesem Schatz schöpfen und etwas Neues schaffen. Ich beobachte ständig alles. Besonders ergiebig ist es natürlich, kleinen und großen Menschen beim Spielen zuzusehen. Aber auch im beruflichen Alltag wird häufiger gespielt als gedacht. Auch hier lassen sich viele Probleme durch vorherige genaue Beobachtung spielerisch lösen. Kreativität ist wie ein Muskel, den man ständig trainieren muss, um fit zu bleiben. Es sind drei Methoden, die ich gerne anwende, um die Ideenfindung zu beschleunigen: zum einen Reisen, denn fremde Kulturen, ein anderes Umfeld und auch vor allem der Weg sind eine sehr gute Quelle für Inspiration. Dann sportliche Bewegung in Kombination mit Weiterbildung, denn hier sind sowohl mein Körper als auch mein Geist gefordert, was zu einem unglaublichen Output führt. Und ich habe beim Workout immer ein Ideenbuch dabei, das sich seitenweise während einer Session füllt. Wenn es mal wirklich schnell gehen muss in Workshops, habe ich so ein ganzes Arsenal an Kreativitätstaktiken und Techniken, die ich im Team anwenden kann, um wirklich rasant zu neuen Ideen zu kommen.
Arbeiten Sie nur nach Auftrag oder kommt es auch mal vor, dass Sie eine eigene Idee umsetzen und dann bei einem Verlag/Hersteller anklopfen und fragen, ob Interesse an der Idee oder dem Produkt besteht?
Es ist eigentlich immer ein Mix. Wir haben viel Auftragsarbeit, bei der ich in der komfortablen Position bin, mir Rosinen picken und mit wirklich spannenden Kunden an spielerischen Lösungen arbeiten zu können. Gleichzeitig versuche ich, mir immer einen Teil meiner Zeit freizuhalten, um eigene Ideen weiterzuentwickeln. Spannend finde ich, eigene Ideen selbst marktreif zu machen beziehungsweise ein funktionierendes Business daraus aufzubauen und auszuprobieren, was funktioniert. Ein weiteres Ziel von mir ist es, mit meinen Ideen und Produkten großen und kleinen Menschen mit Witz, Charme und Spaß das Leben einfacher und freudenreicher zu machen. Entweder in meiner Auftragsarbeit oder eben noch unmittelbarer, wenn wir eigene Produkte entwickeln, wie aktuell unser Lernspiel „Digitale Achtsamkeit“.
Welche Eigenschaften muss ein Spiel/Spielzeug haben, damit es Kinderaugen zum Leuchten bringt? Oder ändert sich das im Laufe der Zeit?
Ein richtig gutes Kinderspiel oder Spielzeug funktioniert auch immer auf einer anderen Ebene für Erwachsene, weil das Spielprinzip oder der Mechanismus einfach witzig ist und Spaß bringt. Wenn Kinder und Erwachsene gleichsam in den Flow kommen, also in den Bereich, in dem ein Spiel immer weiter fordert, aber eben nicht überfordert, dann hat man als Designer vieles richtig gemacht.
Kinder werden von leuchtenden Farben, interessanten Formen und Texturen angezogen. In meinen Augen gilt dieses Gestaltungsprinzip allerdings genauso für Erwachsene. Ein weiteres wichtiges Merkmal ist die Interaktivität. Spiele, die eine aktive Beteiligung erfordern, sei es durch physische Bewegung, Problemlösung oder kreative Eingabe, bewirken, dass Kinder am Ball bleiben und fördern gleichzeitig wichtige Entwicklungsfähigkeiten wie Feinmotorik, logisches Denken und Teamarbeit. Zudem sollte ein gutes Spiel oder Spielzeug adaptiv sein und sich dem wachsenden Fähigkeitsniveau des Spielenden anpassen können. Es sollte auch genug Tiefe bieten, um auch nach wiederholtem Spielen noch interessant zu sein. Dazu gehören Spiele, die auf verschiedenen Ebenen oder in verschiedenen Modi gespielt werden können, was den Wiederspielwert erhöht und Spielenden hilft, im Laufe der Zeit neue Aspekte des Spiels zu entdecken. Oft wird auch von pädagogisch wertvollen Spielen gesprochen. Ich denke, man kann mit jedem Spiel lernen. Dabei gilt es, die Balance zwischen Unterhaltung und Lerninhalten zu finden.
Das allerwichtigste Kriterium für mich und mein Team ist allerdings die folgende Frage: Nochmal? Das heißt, wollen die Spielenden das Spiel oder Spielzeug direkt danach nochmal (be-)spielen, oder ist es eher ein verhaltenes Vielleicht. Hier sind Kinder die härtesten, aber auch die hilfreichsten Kritiker, da sie kompromisslos ehrlich sind.
Welche Spiele/Spielzeugtrends beobachten Sie aktuell? Und wie haben sich diese Trends in den vergangenen fünf bis zehn Jahren verändert?
Ein Trend, den ich gerne beobachte, ist die Zunahme von umweltfreundlichen und nachhaltigen Spielzeugen. Angesichts des wachsenden Umweltbewusstseins suchen Eltern und Erzieher zunehmend nach Produkten, die aus nachhaltigen Materialien hergestellt sind und umweltfreundliche Botschaften vermitteln. Ein weiterer Trend ist der anhaltende Aufschwung von STEM-Spielzeugen (Science, Technology, Engineering, Mathematics). Hier und in anderen Bereichen beobachte ich eine beginnende Konzentration auf Spielzeug speziell für Mädchen, das sich nicht an die typischen Rollenbilder hält oder diese fördert. Der Weg ist bei all diesen Themen noch weit, aber er hat schon begonnen. Auch die Personalisierung von Spielzeugen nimmt zu. Technologische Fortschritte ermöglichen es, Spielzeuge und Spiele zu schaffen, die auf die individuellen Interessen und Fähigkeiten von Kindern zugeschnitten sind. Dies kann durch anpassbare Spielinhalte oder sogar durch KI erfolgen. Alle progressiven Spielzeugentwickler beschäftigen sich mit dem Thema KI, sowohl wie diese in ihren eigenen Prozessen eingesetzt werden kann, als auch tatsächlich im Produkt selber.
Über die vergangenen fünf bis zehn Jahre hat sich der Trend von überwiegend digitalen Angeboten hin zu einer ausgewogeneren Mischung aus digitalen und physischen Spielzeugen verschoben. Während digitale Technologien weiterhin eine wichtige Rolle spielen, gibt es eine Renaissance traditioneller Spielzeuge, die soziale Interaktionen und physisches Spiel fördern. Vergessen darf man nicht, dass der Spielzeugmarkt, vor allem auch hier in Deutschland, eher konservativ und traditioneller ausgerichtet ist. Vor allem die Puzzle- und Brettspielbranche boomt. In diesem Bereich sehe ich einen deutlichen Trend hin zu kooperativen Spielen, also Spielen, die man gemeinsam gegen das Spiel spielt. Ein für mich sehr wichtiger Trend ist, dass immer mehr Menschen auch im Business-Kontext verstanden haben, dass man spielerisch komplexes Wissen vermitteln und auch Lösungen finden kann. Gemeinsam am Spieltisch das Unternehmen, die Struktur oder auch Prozesse spielerisch planen und überdenken. Ich erhalte hier immer mehr Anfragen von Consulting Unternehmen und Coaches, die auf der Suche nach passenden Lösungen sind.
Nicht nur Menschen spielen, auch Tiere, insbesondere Primaten, scheinen einen Spieltrieb zu haben, also muss dieses Verhalten einen evolutionsbiologischen Vorteil mit sich bringen. Welchen tieferen Sinn hat das Spielen Ihrer Meinung nach?
„Der Mensch spielt nur, wo er in voller Bedeutung des Wortes Mensch ist, und er ist nur da ganz Mensch, wo er spielt.“ Dies ist ein bekanntes und gern verwendetes Zitat von Schiller, und ich kann das nur unterstützen. Denn man kann niemanden zwingen zu spielen. Spielen erfolgt immer freiwillig und aus einer intrinsischen Motivation heraus. Dabei unterwirft sich der Mensch freiwillig festgesetzten Regeln und legt sich Beschränkungen auf, die das Spiel dadurch aber gerade spannend machen. Aus diesem Grund spielen Kinder auch so gerne Gesellschaftsspiele mit Erwachsenen. Hier merken sie, dass plötzlich alle an die gleichen Regeln gebunden sind und es für alle die gleichen Konsequenzen hat, wenn sie diese brechen. Übrigens auch der Grund, wieso Spiele im Businesskontext so gut funktionieren. Durch ein Spiel kann man es schaffen, dass sich alle Akteure auf Augenhöhe begegnen, weil Hierarchien aufgebrochen beziehungsweise außer Kraft gesetzt werden. Durch Spielen lernt man auf ganz andere Art und Weise. Viel tiefer und nachhaltiger. Deshalb ist Spielen in jungen Jahren auch so wichtig, und ich finde es ganz schrecklich, wenn dieser Spieltrieb bei den Erwachsenen nachlässt oder gar ausgetrieben wird. Wenn man aufhört zu spielen, verliert man einen großen Teil seiner Lebensqualität, aber auch die Fähigkeit, Neues zu lernen.
Spielen bringt viele Vorteile mit sich: Man kann Situationen simulieren, die kognitive Entwicklung fördern, soziale Strukturen austesten, Konflikte minimieren, Stress abbauen, Emotionen verstehen lernen. Insgesamt ist das Spielen ein tief verwurzeltes Verhalten, das weit über die bloße Unterhaltung hinausgeht. Es ist ein entscheidender Faktor für die Entwicklung und das Wohlergehen von Individuen und hat wesentliche Funktionen in der Evolution und Sozialstruktur von Tier und Mensch. Am Ende des Tages bin ich der festen Überzeugung, dass alles ein Spiel ist. Wir haben uns für so viele Aspekte in unserem Zusammenleben Regeln auferlegt, die mir immer wieder wie ein großes Spielbrett vorkommen. Und es gibt immer Verlierer und Gewinner in diesem Spiel des Lebens. Mit guten Spielen und gutem Spielzeug kann man aber große und kleine Menschen auf dieses Spiel möglichst gut vorbereiten – meine große Motivation, hier exzellente Lösungen zu schaffen.
Während und nach der Corona-Pandemie ist Zocken, also das Spielen von digitalen Spielen, immer beliebter geworden, nicht nur bei Jugendlichen, sondern auch bei Erwachsenen. Warum ist das so? Werden wir in Zukunft nur noch digital spielen statt analog?
Gleichzeitig hat während Corona aber auch der Brettspielmarkt einen unglaublichen Boom erlebt. Und dies hält weiterhin an. Flucht in andere Welten kann nicht nur digital stattfinden, und besonders die spielende Gemeinschaft ist wieder gefragt. Die Beliebtheit digitaler Spiele hat nicht nur während der Corona-Pandemie signifikant zugenommen, und ich sehe dabei die folgenden Gründe: Digitale Spiele ermöglichten es den Menschen, trotz physischer Distanz soziale Kontakte zu pflegen. Viele Spiele bieten Online-Multiplayer-Modi, die es Freunden und Familie erlauben, zusammen zu spielen und zu kommunizieren. Digitale Spiele sind leicht zugänglich und bieten eine breite Vielfalt an Genres und Erlebnissen, die unterschiedliche Interessen und Altersgruppen ansprechen. Vom Casual Gaming bis hin zu komplexen Strategie- und Rollenspielen gibt es für jeden etwas, was die Popularität über alle Altersgruppen hinweg steigert. Die Weiterentwicklung von Gaming-Hardware und Internetinfrastrukturen hat es einfacher gemacht, qualitativ hochwertige Spiele zu genießen. Zudem ermöglichen neue Technologien wie VR (Virtual Reality) und AR (Augmented Reality) immersivere Erlebnisse, die das Interesse weiter steigern. Spannend ist hier die Frage, wenn wir es schaffen, das haptische Erlebnis eines Brettspieles in VR abzubilden, ist das Spiel dann digital oder weiterhin analog?
Trotz des Booms der digitalen Spiele glaube ich nicht, dass analoge Spiele in der Zukunft vollständig verschwinden werden. Beide Formate haben ihre eigenen einzigartigen Vorteile und Anziehungspunkte: Analoge Spiele wie Brettspiele bieten eine physische, taktile Erfahrung, die digitale Spiele (noch) nicht replizieren können. Das physische Bewegen von Spielsteinen, das Mischen von Karten und das direkte Interagieren mit anderen Spielern am selben Tisch schafft ein soziales Erlebnis, das viele Menschen schätzen. Analoge Spiele bieten eine Pause von der digitalen Welt, was besonders in einer zunehmend von Technologie dominierten Gesellschaft wertvoll ist. Analoge Spiele fördern oft Kreativität und strategisches Denken auf andere Weise als digitale Spiele. Viele analoge Spiele erfordern komplexe strategische Entscheidungen und haben eine tiefere Lernkurve, die Spieler immer wieder zurückkommen lässt.
Ich bin ein großer Fan von interdisziplinären Arbeiten und Cross Industry Innovation. Deshalb habe ich schon früh angefangen, digitale und analoge Welten zu vereinen. Auch wenn es hier in der Vergangenheit viele schlechte oder schlecht umgesetzte Beispiele gab, so kann die Integration von Technologie in analoge Spiele und umgekehrt das Beste aus beiden Welten vereinen.
Vielen Dank für diese spannenden Einblicke, Herr Utomo!
„Kreativität ist wie
ein Muskel, den man ständig trainieren muss.“