Handel: Cash oder Karte?
Bargeld ist bei den Kundinnen und Kunden in Deutschland nach wie vor sehr beliebt – beliebter als beispielsweise in Skandinavien oder im angloamerikanischen Raum. Warum das trotz vieler bargeldloser Zahlungsoptionen so ist und welche Bedeutung Bargeld in Zukunft haben wird, erfuhr Astrid Specht im Interview mit Ulrich Binnebößel vom HDE in Berlin.

Herr Binnebößel, warum ist Bargeld aus Ihrer Sicht in Deutschland trotz des digitalen Fortschritts so beliebt? Gibt es kulturelle oder historische Gründe dafür?
Wie in anderen Ländern ist auch in Deutschland die Nutzung von Bargeld als Zahlungsmittel seit vielen Jahren rückläufig, während der Corona-Phase wurde dieser Trend sogar noch verstärkt. Inzwischen werden nur noch die Hälfte aller Transaktionen in bar abgewickelt, 2017 waren es laut Bundesbankstudien noch 74 Prozent. Man sieht also, dass auch in Deutschland die Vorteile unbarer Zahlung wahrgenommen werden. Dennoch gibt es gute Gründe für die Nutzung von Bargeld. Hier ist vor Allem der Wunsch nach Anonymität zu sehen, der hierzulande recht ausgeprägt ist. Vielleicht hat dies etwas mit den Erfahrungen aus unserer deutschen Historie zu tun, die möglicherweise eine Zurückhaltung gegenüber Behörden und Instanzen zur Folge hat. Mit der Bargeldnutzung befindet sich Deutschland im Euro-Vergleich übrigens gerade noch im Mittelfeld, also gar nicht so schlecht. Länder wie Österreich, Italien und Spanien haben eine noch höhere Bargeldnutzung wie eine Studie der EZB aus 2022 zeigt. Portugal, Griechenland und Litauen sind auf der Stufe wie Deutschland. Man sieht aber deutliche Nord-Süd-Unterschiede, so sind einige nördliche Länder sehr viel weniger Bargeld-affin wie die südlichen Länder.
Im Vergleich dazu ist in skandinavischen Ländern Bargeld nahezu verschwunden. Was unterscheidet die deutsche Einstellung zu Bargeld von diesen Ländern?
Offenbar ist man in den nordischen Ländern weniger voreingenommen, was die Wahrung vertraulicher Daten angeht. Allerdings dürfte dies nur ein Nebeneffekt sein. Ausschlaggebend sind sicher eher die äußeren Umstände. Zum Einen könnten die vergleichsweise längeren Wege, die Bargeld zurücklegen muss, dafür gesorgt haben, dass frühzeitig über Alternativen zur Bargeldlogistik nachgedacht wurde. Zudem ist in einigen Ländern die Wettbewerbsintensität im Bankenwesen weniger ausgeprägt, so dass eine Zusammenarbeit stattfinden konnte, die zur Etablierung unbarer Zahlungsarten beigetragen hat. Zahlungs-Apps wie Swish (Schweden), MobilePay (Dänemark) und Vipps (Norwegen) sind sehr beliebt und ermöglichen schnelle und einfache Zahlungen per Smartphone.
Wie beeinflusst die Vorliebe für Bargeld die Einkaufsgewohnheiten im stationären Handel?
Es ist nicht bekannt, ob Einkaufsgewohnheiten direkt von der Art des bevorzugten Bezahlens abhängen. Jedoch ist zunehmend davon auszugehen, dass viele Kunden weniger und einige Kunden gar kein Bargeld mehr mit sich führen. Tendenziell könnten Einkaufsstätten ohne Kartenzahlungsangebot eher gemieden werden oder Spontankäufe unterbleiben. Allerdings ist im stationären Handel inzwischen eine Quasi-Vollausstattung mit Zahlungsterminals festzustellen, so dass eine Kaufentscheidung üblicherweise nicht von der Bezahlart abhängig gemacht werden muss.
Werden unbare Zahlungsmethoden aufgewertet, beispielsweise dadurch, dass man inzwischen auch gebührenfrei Bargeld mit der Girocard an der Supermarktkasse abheben kann?
Das sogenannte Cashback wurde im Handel als Kundenservice eingeführt und soll den Kunden den Weg zur eigenen Bank oder dem nächsten Geldautomaten ersparen. Tatsächlich ist es wahrscheinlich, dass Kunden die Einkaufsstätten zunehmend nach diesem Aspekt aussuchen und dann auch mit Karte bezahlen, um sich im gleichen Zuge auch Bargeld zu beschaffen. Leider sind mit der Barauszahlung auch Kosten für die Kartenzahlung verbunden, so dass dieser als Kundenservice gedachte Dienst zunehmend als Kostentreiber wahrgenommen wird, zumal er sich zumindest im LEH und Drogeriemarktbereich beinahe schon zum Must Have entwickelt.
Viele Deutsche äußern Sicherheitsbedenken gegenüber digitalen Zahlungsmethoden. Wie schätzen Sie den Einfluss dieser Bedenken auf die Akzeptanz bargeldloser Alternativen ein?
Aus heutiger Sicht ist die Bequemlichkeit und Einfachheit unbarer Systeme sicherlich der treibende Faktor für die zunehmende Nutzung. Es setzt sich auch allmählich die Erkenntnis durch, dass unbare Verfahren mindestens ebenso sicher sein können. Insofern bestätigt sich einmal mehr die Herausforderung für den Handel, dass allen Kunden das für sie präferierte Zahlverfahren angeboten werden sollte. Sicherheitsbedenken sind daher sicher nicht mehr gerechtfertigt als bei Bargeld auch, ein Grund zur Ablehnung durch den Handel sind sie jedenfalls nicht.
Sehen Sie eine langfristige Perspektive für Bargeld in einer immer stärker digitalisierten Welt? Oder ist es nur eine Frage der Zeit, bis auch Deutschland den bargeldlosen Trend vollständig übernimmt?
Es ist davon auszugehen, dass die Nutzung von Bargeld weiter abnimmt. Allerdings ist zu erwarten, dass es einen bestimmten Punkt gibt, bei dem ein Stand erreicht wird, der nicht weiter unterschritten wird. Es wird immer Personen oder Situationen geben, in der Bargeld die präferierte Zahlart ist. Der Handel ist daher gut beraten, weiterhin Bargeld zu akzeptieren. Allerdings könnte das System auch kippen, wenn die Nachfrage in einzelnen Branchen oder Betriebstypen kaum noch spürbar ist, die Kosten für das Vorhalten jedoch immer weiter steigen. Ein weiterer Vorteil von Bargeld ist die Verfügbarkeit auch bei Störungen der IT. Daher wird es sicher immer eine Perspektive geben.
Welche Konsequenzen hat der allmähliche Rückgang von Barzahlungsmöglichkeiten? Sollte die Barzahlung in jedem Fall erhalten bleiben?
Bereits heute ist es für viele Handelsunternehmen schwer, das Bargeldhandling aufrecht zu erhalten. Grund dafür ist ein Rückbau der Bargeldinfrastruktur. Banken reduzieren ihr Dienstleistungsangebot oder erhöhen massiv die Preise. Das betrifft die Beschaffung von Münzen als Wechselgeld ebenso wie die Möglichkeiten der Abgabe der Tageseinnahmen. Für viele Händler bedeutet die alternative Beauftragung von Wertdienstleistern eine deutliche Erhöhung der Kosten, zumal auch diese Branche vor Herausforderungen steht. Insofern kann tatsächlich eine Barzahlungsakzeptanz dann hinterfragt werden, wenn die Kosten irgendwann in keinem angemessenen Verhältnis zur Nachfrage mehr stehen.
Welche Rolle spielen die Kosten, die durch die Verarbeitung von Bargeld im Vergleich zu digitalen Zahlungsmethoden entstehen, für Händler in Deutschland?
Die Unternehmen kämpfen mit steigenden Kosten für das Bargeldhandling. Insbesondere für kleine und mittlere Händler wird es immer aufwändiger, Wechselgeld zu beschaffen. Bankfilialen schließen ihre Geschäfte oder stellen die Münzgeldversorgung ein oder erhöhen massiv ihre Preise für Münzrollen. Gleiches gilt für die Einzahlung von Tageseinnahmen. Für größere Unternehmen zeigt sich, dass die Beauftragung von Wertdienstleistern trotz Optimierung der Abholtage mit erhöhten Kosten verbunden ist, da auch dort entsprechende Herausforderungen zu meistern sind. Jedoch ergeben sich hier auch weitere Ansatzpunkte, durch Digitalisierung und Automatisierung Effizienzpotential zu heben.
Sollten Regierungen oder Banken Bargeld stärker regulieren oder fördern, um eine Balance zwischen Bargeld und digitalen Zahlungsmethoden zu finden?
Die Banken dürfen nicht komplett von ihrer Aufgabe im Bargeldkreislauf entbunden werden. So müssen für Verbraucher entsprechende Angebote bestehen, zum Beispiel ein ausgebautes Geldautomatennetz. Aber auch für Geschäftskunden muss es ein Dienstleistungsangebot rund um Bargeld geben. Dabei ist auch die Bundesbank gefragt, entsprechende Unterstützung zu geben. Sollte der Handel tatsächlich zur Bargeldakzeptanz verpflichtet werden, wie es eine EU-Regulierung vorsieht, sollte im Zweifel auch eine entsprechende finanzielle Unterstützung gewährleistet werden, die die Unternehmen vor ausufernden Kosten schützt.
Wie wird sich der stationäre Handel in Deutschland anpassen müssen, wenn sich das Verhältnis zwischen Bargeld und digitalen Zahlungen in den kommenden Jahren verändert?
Zunächst sollte es eine intensive Diskussion darüber geben, wieviel Bargeld die Gesellschaft erhalten will und wer die entsprechenden Lasten trägt. Nach dieser Grundsatzentscheidung muss es dem Handel ermöglicht werden, nachfrageorientiert vorzugehen. Es wird immer Einkaufsoptionen geben, in denen die Barzahlung möglich ist. Dafür muss es effiziente Lösungen für die Bargeldlogistik geben. Genauso müssen wir aber auch Situationen akzeptieren, in denen eine Barzahlung wenig sinnvoll ist, da sie entweder nicht nachgefragt wird oder es andere Umstände gibt, die eine Barzahlung wirtschaftlich nicht sinnvoll erscheinen lassen. Beispielsweise bei automatisierten Ladenkonzepten kann dies der Fall sein, hier sind Barzahlungsmodule teuer und ergeben ein Ausfall- und Sicherheitsrisiko.
HDE e. V., Berlin