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Greenwashing – Die grüne Märchenstunde

24. Juni 2020, 11:45

„Schadstofffrei“, „Umweltschonend“, „Ökologisch“ – und on top eine grüne Verpackung! Marketing-Mitarbeiter setzen aktuell alles daran, Produkte möglichst „grün“ zu präsentieren. Das Image des Unternehmens soll in der Zeit, in der sich viele Endverbraucher um die Umwelt sorgen, über die Produkte entsprechend definiert werden. Auch bei Spielwaren tauchen zunehmend Produkte auf, die sich über die ökologischen Attribute von der Masse absetzen sollen. Aber sind sie wirklich immer so ökologisch und schadstofffrei, wie es die Werbestrategen behaupten? Ein kritischer Kommentar von Dr. Tristan Gollnest.

Kommuniziert das Etikett „Öko“ immer ein haltbares Verbraucherversprechen? Die Antwort ist oftmals sehr einfach: Nein! Allein die Behauptung, ein Produkt wäre „schadstofffrei“, ist wissenschaftlich betrachtet nie haltbar. Auf dem gesamten Planeten werden Sie kein Produkt finden, in dem sich nicht mindestens ein Schadstoff nachweisen lassen würde. Aber bekanntlich macht die Dosis das Gift, weshalb es zunächst keinen Grund gibt, diesbezüglich in Panik zu verfallen.
Wachsamkeit ist dennoch angebracht, denn viele Marketing-Abteilungen sind Meister der Augenwischerei, gerade im Bereich Ökologie. Diesem Umstand ist die Entstehung des Begriffs Greenwashing geschuldet. Allerdings ist zu beobachten, dass Greenwashing bewusst, aber auch unbewusst erfolgen kann, mit fließenden Grenzen. Viele Spielzeughersteller/
-händler sparen sich detaillierte ökologische Bewertungen ihrer Produkte, da ihnen die Motivation, das fachliche Wissen oder schlicht das Verständnis über den Umfang einer sinnvollen ökologischen Produktprüfung fehlen. Die Anbringung einer positiven Phrase wie „umweltfreundlich“ oder „nachhaltig“ auf der Verpackung ist eine einfache und wirtschaftlich lukrative Lösung. Zum Beispiel sind Holzprodukte für viele per se nachhaltig. Was ist aber mit den Farben? Dem Leim? Wie läuft die Holzgewinnung ab? Sind andere Materialien integriert? Was ist mit der Verpackung?
Das Schwierige an der Situation ist, dass für die bisher genannten Schlagworte keine Definitionen existieren. Jedes Unternehmen kann sie interpretieren, wie es beliebt – diesen Umstand machen sie sich beim Greenwashing zunutze.
Der Endverbraucher kauft die Produkte, inklusive Nachhaltigkeitsaufschlag, im Glauben, er tue etwas für die Umwelt oder die Produkte seien aufgrund der verwendeten Materialien besonders kinderfreundlich. Beim Anpreisen und Verkauf des Spielzeugs profitieren die Unternehmer davon, dass Otto-Normal-Kunde die Artikel nicht bewerten kann. Allenfalls erfolgt eine Differenzierung der Grundmaterialien wie Holz, Metall und Kunststoff. Letzterer schneidet bei der Einstufung aktuell am schlechtesten ab, wobei das Präfix „Bio“ im Kunststoffsektor genügend Überzeugungskraft für einen Kauf mitbringen kann. Dabei ist diese Pauschalisierung von Kunststoffen auf fossiler beziehungsweise natürlicher Basis bereits fester Bestandteil des Greenwashings. Die Diskussion über (Bio-)Kunststoffe soll jedoch nicht Inhalt dieser Ausführungen sein.
Welche Formen des Greenwashings haben sich im Spielzeugsektor überhaupt etabliert? Hoher Beliebtheit erfreut sich der „frei von …“-Ansatz. Ob Bisphenol A (BPA), Phthalate oder Formaldehyd – jede x-beliebige Chemikalie kann aus dem Produkt verbannt werden. In dem Artikel können natürlich trotzdem andere Substanzen enthalten sein, die in ihrer Toxizität keinesfalls positiver zu bewerten sind. Es gibt beispielsweise Hersteller, die den stark imagegeschädigten und seit 2011 in Babyflaschen verbotenen Stoff Bisphenol A gegen Bisphenol S substituierten und aktiv mit dem Fehlen von BPA werben. Dass Bisphenol S ein ähnliches toxikologisches Profil wie BPA besitzt, wird einfach unterschlagen.
Es geht aber noch perfider: Ein renommierter Holzleimhersteller hat seinen Holzleim mit „formaldehydfrei“ ausgezeichnet. Bei der Untersuchung im Labor stellte sich jedoch heraus, dass deutliche Mengen an Formaldehyd enthalten waren. Bei einer normalen Anwendungsmenge konnten mit dem gefundenen Gehalt problemlos der Grenzwert der Chemikalienverbotsordnung beziehungsweise die Empfehlung des BfR für verleimtes Holz überschritten werden. Auf Nachfrage beim Hersteller gab dieser zu, dass bei der Produktion immer etwas Formaldehyd gebildet werden würde – es würde aber kein Formaldehyd zugesetzt werden! Diese eigenwillige Definition von „Freiheit“ ist kein Einzelfall …
Nicht weniger skurril wird es, wenn mit der Freiheit von Schadstoffen geworben wird, die bereits über Verordnungen und Gesetze verboten sind. Ein Spielzeug darf laut der REACH-Verordnung nicht den weichmachenden Stoff DEHP enthalten – das hält Hersteller aber nicht davon ab, auf ihrem Produkt darauf hinzuweisen, dass es diesen Weichmacher nicht enthalte. Somit wird die Einhaltung verpflichtender Vorgaben zu Marketingzwecken missbraucht. Die Frage, ob die verwendeten Ersatzweichmacher ökologischer oder weniger gesundheitsgefährdend sind, haben sich derartige Hersteller sicherlich nicht gestellt.

Dr. Tristan Gollnest ist Geschäftsführender Gesellschafter der LEFO-Institut für Umwelt und Lebensmittel GmbH mit Schwerpunkt Bedarfsgegenstände. Davor war er wissenschaftlicher Mitarbeiter von LEFO sowie Qualitätsmanager der Firma Gollnest & Kiesel GmbH & Co. KG.

Die wirtschaftlich lukrativste und daher gern praktizierte Form des Greenwashings ist, mit einem einzigen Artikel oder einer Linie das gesamte Sortiment zu beschönigen. Ein europäisches Unternehmen hob so durch die Umstellung vom auf Erdöl basierenden ABS auf den Biokunststoff PLA öffentlichkeitswirksam den Nachhaltigkeitsgedanken hervor. Dass nur ein verschwindend kleiner Anteil des Produktsortiments geändert wird und eine großflächige Anwendung des Materials nicht realisierbar erscheint, wird erst bei genauerer Betrachtung deutlich. Eine kritische Auseinandersetzung mit PLA, dessen Herstellung beispielsweise immer in Konflikt mit der Lebensmittelgewinnung steht, ist dem Kunden dann konsequenterweise selbst überlassen.
Ein noch besserer Marketingeffekt wird durch den Einsatz von Siegeln mit unterschiedlichsten Naturmotiven erzeugt. Diese suggerieren den Eindruck eines ökologischen Produktes, für das der Hersteller viel Geld, Zeit und Wissen investiert, um es maximal ökologisch zu gestalten. Dabei sind Siegel auch gerne Eigendesigns oder werden von Organisationen vergeben, die die teure Zertifizierung von Produkten als attraktiven Markt ausgemacht haben.
Die Liste könnte noch weitergeführt werden, allerdings sollten die Beispiele eine Vorstellung von der aktuellen Situation liefern. Seriosität sieht anders aus! Jedem Hersteller, Händler und natürlich auch Kunden muss eines immer klar sein: DAS perfekte ökologische Produkt wird es niemals geben. Allen voran die Hersteller sollten sich jedoch auf den Weg machen, die Produkte bezüglich ihres ökologischen Fußabdrucks zu bewerten und zu optimieren. Dabei gilt es, die Gewinnung der Rohstoffe, die Produktions-, Nutzungs- und Nachnutzungsphase einzubeziehen – und zumindest auf die extremen Formen des Greenwashings zu verzichten.
Greenwashing schadet nicht nur der Umwelt und führt die Kunden hinters Licht, es beschädigt auch Unternehmen, die sich ernsthaft um eine Verbesserung ihrer Produkte bemühen – und davon existieren glücklicherweise nicht wenige. Eine ehrliche Spielzeugwelt ist langfristig unweigerlich auch ökologischer – und in dieser Welt sollten Lügenmärchen keinen Platz haben!