Gesellschaft: Kostüm, Kultur, Konsum

28. Juni 2025, 16:21

Karneval ist Brauchtum, soziales Ereignis und Umsatzmotor zugleich. Warum die „fünfte Jahreszeit“ für den Handel wichtig bleibt und wie sich auch Halloween und Co. sinnvoll ins Sortiment einfügen lassen, erklärt Sören Riebenstahl von der Kölner Karnevalsgesellschaft „Die Grosse von 1823“ im Interview mit Astrid Specht.

Sören Riebenstahl, Pressesprecher,
„Die Grosse von 1823“

Herr Riebenstahl, Karneval gehört zum kulturellen Erbe Deutschlands, insbesondere in Regionen wie Köln. Was macht den Karneval aus Sicht Ihres Vereins so besonders und unverzichtbar?
Die mit meiner Gesellschaft eng verbundene über 200-jährige Geschichte des organisierten Kölner Karnevals zeigt, wie wichtig diese Tradition sein muss. Der Karneval an sich ist ja schon wesentlich älter und geht bis in die Antike und auf religiöse Bräuche zurück (unter anderem die Einleitung der vorösterlichen Fastenzeit). Hier in Köln ist der Karneval nicht nur ein fester Bestandteil der Kölner Kultur, er ist auch ein enormer Wirtschaftsfaktor, ein sozialer Anlass und ein einzigartiges Volksfest, bestehend aus dem Sitzungs- und Kneipenkarneval und dem Straßenkarneval.

Wie hat sich das Brauchtum rund um Karneval in den letzten Jahren verändert – durch Corona, aber auch im Hinblick auf Zielgruppen, Kostümtrends oder gesellschaftliche Debatten?
Auch der Karneval unterliegt in der Tradition und seinen Ausprägungen einem ständigen Einfluss des gesellschaftlichen Wandels und entwickelt sich mit diesem. Wir haben inzwischen eine Vielzahl unterschiedlichster Veranstaltungen, vom klassischen Sitzungsformat über Partys für die jüngeren Generationen, Großveranstaltungen für die ganze Familie bis hin zur Nostalgiesitzung, die „usjestöpselt“, also ohne Verstärker mit leisen Tönen punktet. Aktuell gibt es Herausforderungen mit Massenansammlungen von Jugendlichen, die sich lieber außerhalb dieser Formate amüsieren. Während der Pandemie wurde intensiv diskutiert, ob es unverantwortlich oder unverzichtbar ist, das Feiern zu ermöglichen. Wir wissen, welchen Einfluss die Psyche auf unsere Gesundheit haben kann. Angst, Trauer und Depressionen haben eine negative Auswirkung auf unser Immunsystem. Deshalb sind Lachen und Lebensfreude geradezu ein Heilelixier. Und natürlich unterliegen auch die Kostümtrends dem gesellschaftspolitischen Einfluss. Wer hätte noch vor ein paar Jahren gedacht, dass wir mal darüber diskutieren, ob ein Indianerkostüm als rassistisch und kulturell unsensibel angesehen werden kann?

Von fantasievoll bis schräg: Kostüme wie von Party x People …

Welche Rolle spielen Kostüme, Accessoires und Dekorationen für den modernen Karneval sowohl in der Tradition als auch im öffentlichen Straßenbild?
Wenn Sie innerhalb der Session, insbesondere nach der Proklamation des Dreigestirns durch Köln spazieren, treffen Sie regelmäßig auf Kostümierte, die zu Veranstaltungen unterwegs sind oder auf Umzüge der Traditionskorps, die musizierend durch die Strassen ziehen. Während des Straßenkarnevals potenziert sich dieses Bild und Sie sehen überall bunte Kostüme und strahlende Gesichter. Die Fenster und Türen sind mit lustigen Figuren und Luftschlangen geschmückt. Es gehört zur Kultur dazu, dass man dem Alltag entflieht und in eine Rolle schlüpft, in der so manches erlaubt ist, was es in den Konventionen des Alltags nicht ist. Man darf „jeck“ und anders sein, natürlich im positiven Sinn.

Wie nehmen Sie als Karnevalsgesellschaft die Bedeutung des stationären Einzelhandels wahr, wenn es um die Ausstattung für die „fünfte Jahreszeit“ geht?
Ob das Kostüm selbst gestaltet und genäht wird und nur Accessoires zugekauft werden oder ob ganze Kostüme von der Stange gekauft werden: die kleinen, wie auch die großen Kostümhändler sind für das Ausleben dieses Brauchtums unverzichtbar.

Neben Karneval gewinnt auch Halloween als Anlass für Verkleidung, Dekoration und gemeinsames Feiern weiter an Popularität. Sehen Sie hier eher Konkurrenz oder Ergänzung?
Seitdem aufgrund des zweiten Golfkriegs Karnevalsveranstaltungen abgesagt wurden, wurde die Lust am Verkleiden durch andere Veranstaltungen befriedigt. Erst kam Halloween dazu und seit einigen Jahren das Oktoberfest. Die kulturellen Hintergründe dieser Feste sind derart unterschiedlich, dass sie keine Konkurrenz darstellen. Was wir allerdings kritisch sehen, sind Karnevalsveranstaltungen außerhalb der Session, da durch diese die Gefahr besteht, dass das schützenswerte Brauchtum verwässert.

… und Fritz Fries (rechts) machen nicht nur zu Karneval Lust auf Party.

Aus Ihrer Perspektive: Wie wichtig sind saisonale Anlässe wie Karneval und Halloween für das soziale Miteinander und welche Chancen bieten sie dem Handel, Familien gezielt anzusprechen?
Für die Psyche sind Gemeinschaft, Freude und Lachen besonders wichtig. Anlässe, die diese Gemeinschaft fördern, sind daher unverzichtbar. Dies gilt ganz allgemein. Daher war es auch so wichtig, dass wir während und nach der Pandemie diese Anlässe gefördert haben und wir nach dem Ende der Pandemie wieder erfahren durften, dass Menschenansammlungen keine Gesundheitsgefahr darstellen und uns gut tun. Ob nun Karneval, Halloween, Oktoberfest oder Mottopartys: Die Freude am Verkleiden, sowohl bei Kindern als auch bei Erwachsenen, ist eine vielseitige und unterschätzte menschliche Erfahrung. Sie ermöglicht das Ausprobieren neuer Rollen, das Eintauchen in Fantasiewelten und die temporäre Abkehr von der eigenen Identität, was eine wichtige Rolle in der psychologischen und sozialen Entwicklung spielt. Der Handel muss auf Trends reagieren, wie zum Beispiel Kostüme aus Serien, Kinderfilmen, oder Ähnlichem.

Was macht ein gutes Karnevals- oder Halloween-Sortiment im Handel aus Ihrer Sicht aus? Welche Kostüme und Artikel sind echte Dauerbrenner oder Trendprodukte?
Neben den temporären Phänomenen wie zum Beispiel „Squid Game“, sehen wir häufig Superhelden, 80er- und 90er-Jahre Kostüme, Prinzessinnen, Einhörner und Tierkostüme, die als Kunstfellvarianten bei den Jugendlichen im Straßenkarneval sehr beliebt sind.

Welche Wünsche oder Impulse möchten Sie dem Spielwaren- und Fachhandel mitgeben, um das Potenzial dieser saisonalen Highlights besser zu nutzen?
Die diesjährige Session war mit 115 Tagen sehr lang und hat den Einzelhändlern daher einen höheren Umsatz beschert, als im Vorjahr. Die kommende Session wird erheblich kürzer, worauf der Einzelhandel sich einstellen muss. Vermutlich gewinnen die weiteren Anlässe für Verkleidungen dadurch an Bedeutung. Ich zum Beispiel gehe sehr gerne zu einem Kostümhändler der sowohl einen Online-Shop betreibt, als auch einen stationären Handel. Neben klassischen Trend-Kostümen führt er auch ausgefallene und aufwändige Kostüme, die man bei den großen Ketten nicht erhält, berät und näht zum Teil auch selbst, um Kostümen ein individuelles Finish zu geben. Was nicht vorhanden ist, kann bestellt werden. Die persönliche, herzliche und individuelle Beratung ist mir sehr wichtig und findet bei den Kunden einen großen Anklang.

dgv-1823.de