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Fokus: Produktionsstandort Deutschland

29. November 2023, 15:43

– ein Zukunftsmodell für die Spielwarenindustrie?

Die lokale Fertigung von Spielwaren in Deutschland hat gegen zahlreiche Widrigkeiten zu kämpfen. Vor allem der Wettbewerbsdruck durch Unternehmen, die auf Produktionsstandorte mit schlanker Kostenstruktur zurückgreifen, macht deutschen Herstellern zu schaffen. Und in Anbetracht des enormen Kostenapparates sind die Prognosen für deutsche Produktionsstätten auch nicht gerade rosig. Doch wie ist es wirklich bestellt um die Zukunft des deutschen Produktionsstandorts?

Kann in Deutschland künftig nur noch Kuchen oder auch noch Brot produziert werden? Vertreibt die durch Fördermittel gestützte High-Tech Industrie die historisch gewachsenen kleineren und mittleren Unternehmen? Diese Frage stellt sich Björn Rülke, der sowohl unter eigener Marke als auch als Dienstleister Holz- und Kunststoffprodukte fertigt. Traditionell macht einen großen Teil der Produktion bei Rülke der Bereich Spielware aus. Das Unternehmen produziert im Erzgebirge Puppenhäuser und -möbel unter der eigenen Marke, diverse Holzspielzeuge für andere Marken sowie das Kunststoff-Konstruktionsspielzeug Poly M.
Als Herstellerbetrieb mit eigener Fertigung in Deutschland ist Rülke eher ein Exot in der Branche: Die meiste Spielware von Markenanbietern ist Importware, denn die lokale Fertigung von Spielsachen hat mit vielen Problemen zu kämpfen, wie beispielweise mit dem Wettbewerbsdruck durch Unternehmen, die an anderen Standorten kostengünstig produzieren lassen. Und obgleich es längere Zeit immer wieder den Wunsch gab, Produktionen wieder nach Europa – am Besten gar Mitteleuropa oder Deutschland – zu holen, ändert sich am Status quo wenig. Denn weder ist hier die notwendige Infrastruktur vorhanden (Produktionsstätten wurden aufgegeben oder verlagert, Vorproduktion findet nicht lokal statt, logistisch sinnvolle Lagen sind finanziell nicht abbildbar, Personal für margenschwache Produktionen ist kaum zu bekommen, …), noch gäbe der Markt angesichts preisgünstigerer Importware einen höheren Produktpreis her, der die Differenz an Produktions- und Lohnkosten auffangen würde.
In den Coronajahren wurde das Problem wirtschaftlich prekärer Unternehmenssituationen durch staatliche Unterstützung sowie Änderungen der Insolvenz-Meldepflichten kaschiert. Zudem war die Spielwarenindustrie auf der Gewinnerseite: Haushalte deckten sich mit Spielzeugen, Bastelartikeln, Indoor-Sportgeräten und ähnlichem ein, staffierten Haus und Garten aus und entdeckten sogar in Deutschland die Vorzüge des Onlinehandels. Freunde des digitalen Handelns waren begeistert, dass das digital eher nicht als fortschrittlich geltende Deutschland den Weg in die Onlineshops doch noch gefunden hat.

Katja und Björn Rülke fertigen mit ihrem Unternehmen im Erzgebirge.
Den Großteil seiner Holzspielzeuge fertigt Haba am Hauptstandort im oberfränkischen Bad Rodach.
Auch die Fischer Group produziert in Deutschland. Oben das Werk in Tumlingen, in dem fischer Dübel hergestellt werden.

Sind die fetten Jahre vorbei?

Doch die Freude währte nicht all zu lang. Die durch Corona-Sondereffekte hervorgerufenen Wachstumsraten ließen sich nicht wie erträumt in die Nach-Corona-Zeit weiterschreiben. Und gerade optimistische Unternehmen, die die Corona-Steigerungsraten als „neues Normal“ betrachteten, entwickelten wenig Bewusstsein für Risiken. Schließlich brachte der Krieg in der Ukraine alle Hoffnung auf Wachstum mit einem Mal zu Fall. Der Konsum brach ein, Energie- und Materialpreise schossen in die Höhe.
In Folge dessen und angesichts steigender Zinsen und düsterer Marktprognosen kippte das Geschäftsklima. „Bei vielen Unternehmer*innen gab es die Problematik, dass es irgendwann richtig bergab gehen kann, noch nie. Sie stammen aus Generationen, die vielleicht mal Schwankungen aber nie große Wellen erlebten,“ so Rülke, der selbst an einem betroffenen Spielwarenunternehmen beteiligt ist: Der Holzspielwarenhersteller Helga Kreft musste kürzlich Insolvenz beantragen. „Handelsstrukturen sind weggebrochen. Wir erleben Schließungen und Zusammenschlüsse von Händlern. Die Lager sind voll mit Ware, die zu Coronazeiten eingekauft wurde – und Konsument*innen halten sich sehr zurück, gerade bei höherpreisigen und nicht dringend notwendigen Käufen. So gibt es kaum Nachorders.“

Schwierigkeiten bei Haba

Auch aus Bad Rodach gab es 2023 keine guten Nachrichten: Anfang des Jahres kündigte die Haba Familygroup aufgrund von Softwareumstellungen Lieferverzögerungen an. Die Schwierigkeiten waren scheinbar jedoch, gepaart mit rückblickend falschen Entscheidungen des mittlerweile ausgetauschten Managements, massiver als zunächst vermutet. Dazu kam ein Mangel an Bauteilen und Komponenten von Vorproduzenten. Bereits im April kündigten die Oberfranken dann an, als erste Maßnahme die Digitalwerkstatt mit all ihren Standorten zu schließen – gefolgt von der Nachricht im Juli, massiv Stellen abbauen zu müssen und die gut eingeführte Marke Jako-O mitsamt dem gleichnamigen B2C-Onlineshop zum Anfang nächsten Jahres zu schließen. Die Kernmarken Haba und Haba Pro sollten damit mehr Luft zum atmen bekommen. Anfang September schließlich musste beim Amtsgericht Coburg ein Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung beantragt werden, das der Unternehmensgruppe ermöglicht, das Kerngeschäft zu stabilisieren und neu zu strukturieren.
Gerade großen Unternehmen fällt es schwer, derartig schnell wechselnden Marktsituationen zu begegnen. Inhabergeführten Traditionsunternehmen mangelt es zudem oft an Bereitschaft, nötige Veränderung zuzulassen und von der Geschäftsleitung mit zu tragen. So stoßen auf veränderte externe Faktoren auch interne Hemmnisse.

Keine rosigen Aussichten

„Weniger Schwierigkeiten sehen wir bei spezialisierteren Produkten“, erklärt Rülke, der auch Kunden aus anderen Industrien wie zum Beispiel dem Transportsektor hat. „Hier können nicht so schnell alternative Wege eingeschlagen werden. Darüber hinaus sind die Margen auch größer. Und auch Produkte, die einen individuellen Mehrwert haben funktionieren besser. So stellen wir zum Beispiel auch Wohnaccessoire-Klassiker her, die kaum Absatz-Einbußen verzeichnen.“ In der Spielzeugbranche ist eine derartige Exklusivität der Produkte eher selten.
Für die Spielwarenindustrie gilt perspektivisch wohl, was auch für andere Konsumgüter gilt: Der Markt wird sich bereinigen. Leiden werden die kleinen Unternehmen. Gerade die, die sich im Generationenwechsel befinden oder diesen unmittelbar vor sich haben, werden sich mit sehr spitzem Bleistift über die Zahlen beugen, um den Fortbestand kritisch abzuwägen. „Wer noch eine kleine Futterreserve hat, wird überwintern“, so Rülke. Und weiter vermutet er: „Ich glaube, wir haben die Talsohle erreicht, aber niemand weiß, wie lange sie andauern wird“.
Wenn man den Kostenapparat betrachtet, sind die Prognosen für deutsche Produktionsstätten in der Spielware nicht sehr rosig. Zwar ist auch politisch eine Entkoppelung von asiatischen Importen gewünscht, faktisch laufen zahlreiche Faktoren aber auf das Gegenteil hinaus: Einfache Dinge lassen sich in Deutschland kaum konkurrenzfähig produzieren. Und selbst gewollte und geförderte Industrien wie die Solarindustrie, die in Thüringen beispielsweise derzeit gefördert wird, sind angewiesen auf niederkomplexe Vorprodukte – und somit auf Lieferketten aus Asien.
Staatliche Unterstützungen bei Energiepreisen, die vorrangig für energieintensive Schlüsselindustrien diskutiert werden, sind für traditionell kleinteilig strukturierte Branchen eher Hemmschuh. Denn sie rücken den Fokus auf wenige große Produzenten. Was der oft als Rückgrat deutscher Industrie titulierte Mittelstand viel dringender benötigt als Beihilfen ist hingegen Planungssicherheit und Eindeutigkeit.


Trotz aller Widrigkeiten und aktueller Herausforderungen blicken Branchenvertreter optimistisch in die Zukunft

Seit Jahren ist es ein strategisches Ziel unserer Unternehmensgruppe, uns auf Produktionsstandorte in Europa und bei Big auf Deutschland zu fokussieren, aus ökologischen wie aus ökonomischen Gründen. So sind wir nah an unseren Vertriebsmärkten und halten die Kosten für die Logistik im Rahmen, denn bei Big haben wir es zudem mit großvolumigen Produkten zu tun. Auch wenn wir aktuell vor großen Herausforderungen stehen und die Rahmenbedingungen denkbar schlecht sind, glauben wir, dass sich die Situation bessern wird und unser Ziel langfristig sinnvoll bleibt. Voraussetzung und die beiden wichtigsten Stellschrauben dafür sind meiner Meinung nach die Energiekosten und die Nachfrage der Konsumenten. Wenn sich die Energiepreise wieder relativieren, können wir uns auf ein wettbewerbsfähiges Niveau bewegen und auch der Verbraucher ist durch niedrigere Lebenshaltungskosten entlastet und kann durch seine Kaufkraft dem Markt wieder einen Aufschwung geben.
Florian Sieber, CEO der Simba Dickie Group

Mit vollem Fokus auf Haba und Haba Pro konzentrieren wir uns als Familienunternehmen auf das, was uns in den vergangenen 85 Jahren stark gemacht hat. Damit setzen wir nicht nur neue Kräfte frei, um uns selbst zu stärken, neu auszurichten und wieder erfolgreich am Markt angreifen zu können, sondern besinnen uns auf die Ursprünge unseres Unternehmens – nachhaltiger denn je. Konkret bedeutet das, dass wir künftig den Markenkern von Haba wieder verstärkt in den Mittelpunkt rücken. Haba steht wie kaum eine andere Spielwarenmarke für langlebige Produkte aus hochwertigen und nachhaltigen Materialien. Unsere Produkte schaffen bei Familien Glücksmomente für Generationen und ermöglichen Kindern auf spielerische Art und Weise die kreative, selbstbestimmte Entdeckung ihrer Umwelt.
Haba Family Group

Die Rahmenbedingungen sind bekanntermaßen nicht einfach. Als bekannter deutscher Markenhersteller „Made in Germany“ ist die Fertigung in Deutschland jedoch fester Bestandteil unserer Philosophie. Auch deshalb halten wir nach wie vor am Standort Deutschland fest. Jedoch sehen auch wir uns einigen Herausforderungen gegenüber. Diesen begegnen wir zum Beispiel mit einer schlanken und effizienten Prozessgestaltung mit Hilfe unseres firmeneigenen Prozesssystems. Dadurch können wir für unsere Kunden nicht nur Kosten sparen und Wertschöpfung gewinnen, sondern kommen auch unserem hohen Nachhaltigkeitsanspruch nach. Nichtdestotrotz waren auch wir gezwungen, unsere Verkaufspreise aufgrund des kostenintensiven Produktionsstandortes Deutschland anzupassen.
Für uns sehen wir einen weiteren Aspekt, der für den Standort Deutschland spricht: fischertechnik kann die Wünsche und Bedarfe seiner Kundinnen und Kunden nur deshalb so flexibel realisieren, weil wir unsere Sets im regionalen Umfeld fertigen und uns dadurch unsere höchstmögliche Flexibilität erhalten. Wir sind nach wie vor davon überzeugt, dass wir mit unserem hohen Qualitätsanspruch und unserer Innovationskraft auch weiterhin erfolgreich in Deutschland produzieren können.
Marc Schrag, Vertriebsleiter DACH fischertechnik