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Fokus: Kinder an der (Liefer-)Kette

10. März 2023, 15:06

Sie montieren Spielzeug, nähen Textilien und malochen in Minen. Schätzungen zufolge sind weltweit 160 Millionen Minderjährige von Kinderarbeit betroffen. Mit dem nun geltenden Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) müssen Hersteller noch sorgfältiger auf Menschrechtsverletzungen prüfen.
Die Sozialauditorin Federica Suess erklärt, worauf sie achten sollten.

Von den europäischen Importen des Jahres 2019 im Wert von gut zwei Billionen Euro standen rund 50 Milliarden Euro in Verbindung mit Kinderarbeit. Die Jüngsten sind gerade mal fünf Jahre alt. Aus ethischen Gründen und spätestens mit dem LkSG müssen Hersteller nun genauer hinschauen. Dort ist das Verbot von Kinderarbeit und Zwangsarbeit festgeschrieben. Verstöße können mit hohen Bußgeldern geahndet werden. Seit Januar gilt das Gesetz für Unternehmen mit mehr als 3.000 Mitarbeitenden, ab 2024 mit 1.000 Mitarbeitenden. Hersteller sind bei ihrer Beschaffung verpflichtet, die Arbeitsbedingungen beziehungsweise Menschenrechte zu prüfen. Nur, wie prüft man als deutscher Mittelständler eine Lieferkette, die bis nach Asien oder Afrika reicht? Federica Suess, Expertin für Sozialstandards, beantwortet die wichtigsten Fragen.

Zunächst einmal zur Definition: Welche Formen der Kinderarbeit gibt es und von welchen Altersstufen Minderjähriger sprechen wir?
Kinderarbeit ist jegliche Arbeit von Minderjährigen, die negative Folgen für ihre geistige, soziale und gesundheitliche Entwicklung hat und die Grundrechte der Kinder auf Bildung, Gesundheit, Schutz und Beteiligung verletzt. So beschreibt es die UN-Kinderrechtskonvention. Gemäß der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO), die Minimalstandards für Arbeitsrechte beschreibt, dürfen Minderjährige ab 15 Jahren arbeiten, müssen aber besonders geschützt sein. Leichte Arbeiten dürfen unter bestimmten Bedingungen bereits von 13-Jährigen verrichtet werden.

Für welche Produkte und Bereiche müssen Kinder häufig schuften?
Es gibt Sektoren, die im Fokus stehen. Dazu gehören vor allem die Textilherstellung mit Baumwolle, die Landwirtschaft mit Produkten wie Kakao oder Kaffee. Aber auch Spielzeug kann von Kinderhänden hergestellt sein. Man kann sagen, dass die Risiken auf Kinderarbeit zu stoßen am Anfang der Lieferkette am größten sind.

Selbst wenn das LkSG noch nicht für kleinere Unternehmen greift, warum geht das Gesetz am Ende des Tages alle an?
Alle Unternehmen müssen mittel- bis langfristig ein Risikomanagementsystem für Menschenrechte umsetzen. Größere Unternehmen, weil sie unter das LkSG fallen, und kleinere Unternehmen, weil sie an größere Unternehmen liefern, die das fordern. Es ist allerdings nicht korrekt, wenn die Großen die Verantwortung bei Verstößen gegen das Gesetz per Vertragsergänzung auf die Kleinen abwälzen – wie es aktuell bei Handelsketten und Plattformen der Fall ist:


Forderungen unbedingt prüfen

Dr. Simon Spangler

Das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) zwingt große Beschaffer, Lieferanten und Händler in ihrem eigenen Geschäftsbereich Sozial- und Umweltstandards einzuhalten und ein entsprechendes ESG-Managementsystem zu pflegen. Das Gesetz verpflichtet die betroffenen Unternehmen aber auch, dass die gesetzlichen Pflichten entlang der Lieferkette adressiert werden. Manche gehen hier an rechtliche Grenzen: So versuchen große Handelsketten und Händler aktuell ihre Lieferanten pauschal zu zwingen, sich einem strengen Verhaltenskodex zu unterwerfen. Die betroffenen Lieferanten stellt dies vor erhebliche praktische, rechtliche und finanzielle Herausforderungen.

Dazu Dr. Simon Spangler, Rechtsanwalt der Kanzlei Oppenhoff in Frankfurt a. M.: „Große Unternehmen verpflichten aktuell teils sämtliche Zulieferer vertraglich zur Einhaltung der neuen Standards des LkSG quasi ‚durch die Hintertür‘. Aus rechtlicher Sicht wird dieses Vorgehen durchaus kritisch gesehen, gerade weil die Anfragen der großen Unternehmen zuweilen deutlich über das hinausgehen, was gesetzlich überhaupt verlangt wird. Unternehmen, die derartige Anfragen bekommen, sollten daher prüfen lassen, ob sie die Forderungen akzeptieren und sich einem Verhaltenskodex unterwerfen und sich damit mitunter erheblichen rechtlichen Risiken aussetzen sollten. In der Praxis ergeben sich noch weitere Hürden, weil Lieferanten aktuell eine Vielzahl derartiger Anfragen erhalten und sich daher genau überlegen müssen, wie sie mit den sich teils erheblich unterscheidenden Forderungen in Zukunft umgehen wollen. Hier bietet es sich an, von Anfang an eine entsprechende Strategie festzulegen.“


Wie sollte ein Risikomanagement-
system aussehen?

Es besteht aus vier zentralen Elementen: Die Analyse der Risiken und ihre Auswirkungen. Daraus folgt die Ableitung von entsprechenden Maßnahmen und deren Wirksamkeitskontrolle. Dazu kommt die Erstellung eines Beschwerdeverfahrens und Planung der jeweils angemessenen Kommunikation. Wir haben bei ETIKA ein Starthilfe-Training für die Umsetzung des LkSG für kleinere und mittlere Unternehmen (KMU) entwickelt, bei dem wir Unternehmen an die Hand nehmen und so ein System gemeinsam aufbauen.

Und wo kommen Sozialaudits mit ins Spiel?
Das LkSG fordert Kontrollmaßnahmen, mit deren Hilfe Unternehmen prüfen beziehungesweise verifizieren, dass Menschen- und Arbeiterrechte geschützt sind. Die am häufigsten genutzten Instrumente sind hier Sozialaudits. Bei Lieferanten, Bereichen oder Produkten mit höherem Risiko für Kinder- und Zwangsarbeit, ist es wichtig, vor Ort mit kompetenten Partnern zusammenzuarbeiten. Sie untersuchen Arbeitsstandards und Menschenrechte anhand von Sozialaudits. Teilweise werden die Bedingungen schon über Zertifizierungen, wie zum Beispiel GOTS geprüft. Wenn Lieferanten noch keine Zertifizierungen haben, können sich Unternehmen verschiedenen Programmen anschließen, zum Beispiel SMETA oder amfori BSCI.

Die Sorgfaltspflicht gilt bislang nur gegenüber direkten Zulieferern. Kinderrechtsverletzungen geschehen aber häufig auch in der vorgelagerten Lieferkette. Wie kann ein Produzent hier vorbeugen?
Das ist eine sehr gute Frage. Im Prinzip sollten die gesetzlichen Anforderungen mit Nachdruck auch vom Vorlieferanten verlangt werden. Und dieser gibt die Anforderung im besten Fall ebenfalls weiter. Oder man schließt sich Branchen-initiativen an, um gemeinsam Projekte gegen Kinderarbeit und Menschenhandel umzusetzen.
Sorgfaltspflicht bedeutet nicht, dass ein Einzelunternehmen alle Verstöße und Verletzungen entlang der Lieferkette beendet. Es geht darum, alles im eigenen Handlungsrahmen Mögliche zu tun, um Sozial- und Umweltstandards einzuhalten. Auch bei der vorgelagerten Lieferkette spricht man von einer „Bemühungspflicht“ der Unternehmen, nicht von „Erfolgspflicht“. Diese gilt, wenn Unternehmen eine Verletzung im eigenen Betrieb feststellen.

Was sollte ein Hersteller tun, wenn er einen Verdacht oder sogar Nachweis dafür hat, dass ein Zulieferunternehmen auf Kinderarbeit setzt?
Bei einem Verdacht sollte er eine Vor-Ort-Prüfung durch Sozialauditor*innen durchführen lassen. Wenn ein Nachweis vorliegt, muss sofort gehandelt werden. Ich erläutere das an einem Beispiel: Bei einem Sozialaudit wurde festgestellt, dass ein 15-Jähriger in einer Kerzenfabrik in China in Vollzeit arbeitete. In China liegt das Eintrittsalter für Beschäftigung aber bei 16 Jahren. Der Sozialauditor, das einkaufende Unternehmen, der Lieferant und die Familie verständigten sich nach einem Treffen darauf, dass der Minderjährige bis zum 16. Lebensjahr nicht arbeiten und trotzdem bezahlt werden würde, weil der Lieferant ihn gern weiter beschäftigen wollte. In den Monaten darauf wurde geprüft, ob die Maßnahmen auch umgesetzt wurden.
Kinderarbeit gibt es in vielen Formen. Das Thema ist komplex. Wichtig ist, dass alle Beteiligten jeweils die beste Lösung für das Kind finden.
Für Unternehmen, die sich detaillierter mit den Arbeitsstandards in den Lieferketten beschäftigen wollen, haben wir ein Training entwickelt, das unter etika.io/de/csr-courses abrufbar ist.

etika.io