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Fokus: „Die gute Welt ist Spiel“

19. Januar 2024, 10:43

Der Begriff Kidults wurde in den vergangenen Jahren zum Schlagwort. In der Branche dient er auch jenen, die in neuen Sparten Geld verdienen wollen und müssen. Für den ein oder anderen klingt das vielleicht nach schnödem Mammon, doch im Kern steckt eine kindliche Freude, die so alt ist, wie Menschen spielen und so alt, wie die Menschen,
die spielen. Dr. Karin Falkenberg, Leiterin des Nürnberger Spielzeugmuseums, hat sich dem Thema mit wissenschaftlichem Antrieb genähert. Für sie
ist der Begriff wert- und sinnvoll.

Für Dr. Karin Falkenberg ist „Kidults“ kein neumodisch-überflüssiger Zielgruppen-Begriff –er bezeichne eher eine seit Anbeginn an existierende Leidenschaft auch des erwachsenen Homo sapiens: Spielen. Jedes Spielzeugmuseum, nicht nur das in Nürnberg, sei dafür, so die Chefin, ein anschaulicher und in der Regel viel besuchter Beweis.
Den allermeisten Besuchern jeden Alters, die das schmucke Gebäude in der Nürnberger Karlstraße betreten, leuchten die Augen: Denn an diesem Ort dürfen nicht nur ihre Kinder, sondern auch sie sich wohl fühlen. Für viele ältere Besucher sei das aber nicht mehr selbstverständlich, stellt Karin Falkenberg fest. Sie waren Kind und wären es auch so gerne wieder. Doch irgendetwas sperrt sich und das betrifft nicht nur das Kind im Manne, sondern auch das Kind in der Frau. Nur wenige Menschen empfinden Spielen, Basteln, Tagträumen als Zeitverschwendung, sonst gäbe es die Branche nicht, keinen Handel, keine Spielzeugverlage, -sammler, -messen und -archive. Spielen ist seit Urzeiten elementar, und wenn Erwachsene nicht mit ihren Kindern spiel(t)en, dann mit Dingen, mit denen auch oder eben nur sie spielen wollen: mit funkelnden Steinen, einer Dampfmaschine, der Ritterburg, mit Merchandising-Figuren, der Modelleisenbahn im Keller oder Superhelden.

Nicht nur dem Homo ludens, allen Menschen steckt das fantasievolle Agieren in den Genen. Viele haben es nur verdrängt. Das Alter ist dabei unwichtig. Das weiß auch Karin Falkenberg, denn im Museum ist das trendige „Kidults“ (in historischem Gewand) deutlich sichtbar: Natürlich steht dort zum Teil uraltes Spielzeug, das einzig von Kindern genutzt und nur für sie hergestellt wurde. Doch wer genauer hinschaut entdeckt, dass es für Erwachsene auch von Erwachsenen viel zu entdecken gibt. Eine Autorennbahn, luxuriöse Puppenhäuser, wertvolle Zinnfiguren, bestimmte Brett- oder Kartenspiele, seltene Modellautos. Und natürlich der Erwachsene als Jäger und Sammler: miniaturisierte Flugzeuge, empfindliche Stofftiere, riesige Lego Häuser. „Wir können nicht leben, ohne zu spielen, egal, wie alt wir sind“, weiß die Museumschefin. Spielzeug oder Gesammeltes verinnerliche einem die Welt. Und öffne sie. Warum sollte das auf ältere Menschen nicht (mehr) zutreffen?

Ob exquisite Lego Häuser oder eine „erwachsene“ Modellbahn, auch Erwachsene haben Spaß an Spielzeug. Und natürlich sitzt auch Dr. Karin Falkenberg gerne am Sina-Kugeltisch imMuseums-Obergeschoss.

Ein Glücks-Modus für alle

Karin Falkenberg hat den vage-offenen Begriff „Kidults“ temperamentvoll durchdrungen. Sie ist sogar überzeugt, dieses Wort – und das, was heutzutage daraus folgt – benenne eine Art Befreiung: Erwachsene dürfen sich neuen Szenarien widmen, ohne belächelt zu werden. „Kidults“ klinge methodisch zwar nach den berühmten Eulen für Athen, doch sie freue sich über die zunehmende „Enttabuisierung für Ältere, endlich oder endlich wieder spielen zu dürfen“. Denn das sei wichtig, weil es uns antrainiere, die Welt kreativ in eigene Bahnen zu lenken, haptisch kennenzulernen, also Ideen oder Regeln anzugehen. Ohnehin spiele jede*r jederzeit, und das nicht nur, wenn er bastle, auch, wenn er Rosen schneide, stricke, Kuchen backe oder den Weihnachtsbaum schmücke. Die gute (nicht die gewaltsame) Welt sei Spiel, so Falkenberg, wer sich aufs Spielen einlasse, forme sich zum befreiten „Macher“. Wer in Bezeichnungen denke, „kann strukturieren und besser darüber nachdenken“. Spielen, sagt sie über dessen ungeheure Gegenkraft zur oft brutalen, heftigen Welt, „macht alle gesund, glücklich und schlau“. Und das weiß auch die Spielzeug-Branche, die dies seit jeher nutzt. Denn diese Branche sei die einzige glückliche, so Falkenberg weiter, die es auch Erwachsenen (also Kidults) erlaube, scheinbar Nutzloses, scheinbare Zeitverschwendung in ein Sehnsuchtsbild zu verwandeln. Jeder, der in der Branche arbeite – also auch eine Museumsbetreiberin oder auch ein Museumbesucher – sei zu beneiden, denn er oder sie darf spielen! Hemmungslos.
Und daher kann Karin Falkenberg psychologisieren, dass Besucher sich in den Museums-Ausstellungsstücken spiegeln. Das heißt, das Kindlich-Folgenlose, der „magic circle“ des anthropologisch Nutzlosen, färbe unmittelbar auf die Betrachter ab: Vor solchen Vitrinen stehend – oder beim unbeschwerten Bälle-Jonglieren im dritten Obergeschoss – dürfen sich Menschen jeder Nation, jeden Geschlechts und letztlich jeden Alters in ihre Infantilität zurückfallen lassen. Sie dürfen unbehelligt zu jenem magischen Kindkern zurückkehren, den sie lange schon unterdrückt, vergessen oder – viel trauriger – glaubten überwunden zu haben.

Dr. Thomas Lappe