Anzeige

Fokus – Branche übernimmt Verantwortung

9. September 2020, 11:23

Seit 2018 arbeiten engagierte Spielzeugunternehmen zusammen mit dem Deutschen Verband der Spielwarenindustrie, kurz DVSI, und zivilgesellschaftlichen Organisationen, den so genannten NGOs, daran, eine in der Öffentlichkeit vertrauenswürdige und glaubwürdige Kontrollinstanz für die Branche zu schaffen: die Fair Toys Organisation.

Arbeitsrechtsverletzungen, das erleben wir in Zeiten der Pandemie verstärkt in Großbetrieben, sind auch hierzulande noch nicht ausgemerzt. Zu viele Schlupflöcher und zu laxes Handeln seitens des Gesetzgebers öffnen skrupellosen Unternehmern und ihren allein auf Profit orienterten Praktiken Tor und Tür. Man denke nur an Tönnies, Wiesenhof, an zahlreiche Großbetriebe aus der Landwirtschaft und Viehzucht. In der globalen Spielwaren-Lieferkette, obschon scheinbar lückenlos kontrolliert und dokumentiert, sind leider ebenfalls immer noch zu viele Arbeits- und Sozialrechtsverletzungen festzustellen. Das Image der Branche leidet erheblich unter diesen schwarzen Schafen, auch wenn deren Anzahl rückläufig ist, aber die Sensibilisierung der Öffentlichkeit, der Anspruch der Generation der jungen Eltern an gutes, „sauber“ produziertes Spielzeug ist heute ungleich höher als noch vor einigen Jahren. Tendenz weiter steigend. Es war also höchste Zeit, hier zu reagieren und sich „am runden Tisch“ auf das gemeinsame Ziel der Fair Toys Organsation, kurz FTO, zu fokussieren. Das Anliegen des DVSI, hier an entscheidender Stelle mitzuwirken und der Kritik an verbesserungswürdigen Produktionsbedingungen klare Maßnahmen und ein gemeinsames Engagement der herstellenden Unternehmen und NGOs entgegenzuhalten, wird erheblich dazu beitragen, die Wahrnehmung der Spielwarenbranche als Gesamtheit in der Öffentlichkeit deutlich zu verbessern.
In der Vergangenheit zeigte sich leider, dass die verstärkte Nutzung von Fabrik-Zertifikaten wie dem Ethical Toy Program des Weltspielwarenverbandes ICTI, dem IETP, nur mäßigen Erfolg zeitigte. Denn die Audits dieser Programme bilden die tat- sächlichen Zustände vor Ort oftmals nicht in Gänze ab.
Heute erkennen die meisten Unternehmen, dass trotz der Auslagerung der Produktion ein gewichtiger Teil der Verant- wortung in ihren Händen bleibt. Eine unabhängige und transparente Überprüfung der Lieferkette gab es jedoch bislang nicht. Den Verbrauchern blieb so nur das Vertrauen darauf, dass die Unternehmen selbst Mindeststandards in der Spielwarenproduktion durchsetzen.
Mit der Gründung der FTO entsteht eine glaubwürdige Kontrollinstanz, die die wichtigen Akteursgruppen vereint: Spielwarenproduzenten, Spielwarenhändler und zivilgesellschaftliche Organisationen. Mit einigen Beteiligten haben wir gesprochen.

Nachgefragt

Herr Pflaum, Nachhaltigkeit und Sicherheit sind in aller Munde, aber auch sehr dehnbare Begriffe. Warum war die Gründung der Fair Toys Organisation längst überfällig?
Spielzeug ist ein „globales Produkt“. Und immer noch erreichen uns Berichte über teilweise unhaltbare Zustände in den weltweiten Produktionsstätten. Seit 2017 geben wir selbst Recherchen zu Arbeitsrechtsverletzungen im wichtigsten Herstellungsland China in Auftrag. Alle dokumentierten Fabriken waren nach ICTI Ethical Toys Program zertifiziert und teilweise von BSCI auditiert. 140 und mehr Überstunden im Monat, unhygienische Schlafsäle für bis zu 15 Personen, hoher Arbeitsdruck, mangelnde Schutzausrüstung. Die Kontrollsysteme, die es in der Branche gibt, entfalten immer noch viel zu häufig kaum Wirkung.

Worum geht es Ihnen in der Hauptsache?
Um eine transparente und glaubwürdige Einschätzung von Spielzeugunternehmen in den Bereichen Arbeitsrechte und Umweltstandards und deren Umsetzung.

Maik Pflaum, Bereichsleitung CIR für Spielzeug und Bekleidung

Wie „sauber“ ist die Spielwarenbranche im Vergleich zu anderen Branchen?
Die Probleme in vielen Produktionsstätten ähneln teilweise denen in der Bekleidungs- oder IT-Industrie. Gleichzeitig gibt es Unternehmen, die schon einiges vorzuweisen haben im Bereich „Fairness“. Wer wo steht – das will die FTO transparent machen und die nötigen Handreichungen bieten in Richtung „saubere Produktion“.

Eigentlich haben wir ja schon ein gutes Regelwerk, sollte man meinen. Wird die Umsetzung oder Anwendung zu lax gehandhabt?
Die Vorgaben und die gesetzlichen Grundlagen sind eigentlich gut. Aber es mangelt an der Umsetzung, an verlässlichen Kon-trollen und empfindlichen Sanktionen. Hier wäre eigentlich „der Staat“ gefragt. Ich hoffe sehr auf ein gutes und strenges Lieferkettengesetz.

In der Fair Toys Organisation haben sich herstellende Unternehmen sowie der Verband der Spielwarenindustrie DVSI formiert. Das ist ein klares Zeichen, dass hier Handlungsbedarf erkannt wird. Wie werten Sie das aus Ihrer Perspektive?
Ich freue mich sehr, dass dieser Handlungsbedarf erkannt wird. Bisher ist aber nur ein kleiner Teil der Branche Mitglied in der FTO. Ich hoffe sehr, dass auch die anderen bald folgen, denn gemeinsam sind die Probleme viel leichter in den Griff zu bekommen. Arbeits- und Menschenrechte dürfen kein Betätigungsfeld für Vorreiterunternehmen sein, sondern müssen zu ganz normalen Qualitätskriterien der Ware Spielzeug werden.

Wie „funktioniert“ die Fair Toys Organisation? Ist sie als eine Art „Kontrollgremium“ gedacht oder geht Ihr Auftrag weit darüber hinaus?
Die Fair Toys Organisation ist eine Dachinstanz, die auch die Anwendung bereits bestehender Programme und Verfahren zur Verbesserung und Sicherstellung der Sozial- und Umweltstandards berücksichtigt. Dazu gehören Auditierungs- und Zertifizierungssysteme wie das Ethical Toy Program von ICTI, amforiBSCI, Sedex, Smeta und andere, eventuell auch firmeneigene Systeme. Die FTO erfasst und beurteilt bei den Mitgliedsunternehmen und deren Lieferketten bestehende Dokumentations- und Kontrollverfahren. Im Falle von Defiziten benennt sie diese. Auf der Grundlage einer regelmäßigen Ist-Analyse einschließlich Audits entwirft die Fair Toys Organisation gemeinsam mit dem jeweiligen Unternehmen Lösungsstrategien und legt die notwendigen Verbesserungsmaßnahmen fest. Die Organisation wird getragen von unterschiedlichen Akteursgruppen: Spielzeughändlern, Spielzeugproduzenten, zivilgesellschaftlichen Gruppen und Kommunen, die sich seit Jahren für Arbeits- und Menschenrechte sowie Umweltbelange einsetzen. Kommen diese gemeinsam zu einer Aussage oder Einschätzung, haben diese hohe Glaubwürdigkeit.

Was sind Ihre Nah- und Fernziele?
Die FTO wurde am 14.7.2020 gegründet. Wir hoffen auf weiteren Mitglieder-Zuwachs. Gleichzeitig müssen wir unsere Werkzeuge etablieren: Schulungen, Fair Performance Check, Beschwerdesystem. Und unsere Geschäftsstelle ausbauen. Mittelfristig wollen wir ein Label vergeben, das die Unternehmen ausweist, die das Mögliche tun, um Umwelt- und Sozialstandards sicherzustellen. Und natürlich denken wir auch die Europäisierung der FTO mit – aber das ist aktuell noch Zukunftsmusik.

Was lange währt, wird endlich gut. Nach zwei Jahren Vorbereitung durch eine Multistakeholder-Initiative aus engagierten Unternehmen, dem Deutschen Verband der Spielwarenindus-trie, DVSI, dem Handel und zivilgesellschaftlichen Organisationen fiel am 14. Juli 2020 in Nürnberg der Startschuss für die Fair Toys Organisation (FTO). Der Verein nahm mit seiner Gründung von diesem Tag an offiziell seine Arbeit auf. Ziel der überparteilichen und interdisziplinären Kontrollinstanz ist es, der schon vor Jahren mit dem ICTI-Care-Prozess (heute: The Ethical Toy Program) begonnenen Transformation zu faireren Arbeitsbedingungen und einer stärkeren ökologischen Nachhaltigkeit an den globalen Produktionsorten weitere Impulse im Sinne größerer Glaubwürdigkeit beim Endverbraucher zu geben. Die Organisation will zukünftig ein Label vergeben, das nicht nur ein weiteres im „Label-Dschungel“ ist, sondern die Interessen aller Akteure im Markt gleichermaßen berücksichtigt, um eine breite Akzeptanz zu finden. Finanziell unterstützt wird die neue Fair Toys Organisation vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ).

Der DVSI saß von Beginn an als Interessenvertreter der deutschen Spielwarenbranche mit am Tisch und arbeitete zuletzt intensiv an Statut und Satzung mit. Die bereits bestehenden Auditierungs- und Zertifizierungssysteme zur Sicherstellung der Sozial- und Umweltstandards wie etwa das Ethical Toy Program oder amfori (früher BSCI) werden in die Arbeit der „Dachorganisation“ einbezogen. Als wichtig erkannt wurde hierbei die Bewertung, was durch diese bestehenden Verfahren abgedeckt ist, sowie die Analyse von Defiziten. Aus Sicht des Verbandes ist Kooperation zielführender als Konfrontation. Über das Bestreben, und das möchte ich hier noch einmal deutlich unterstreichen, herrscht, glaube ich, Konsens, denn wir alle, ob Hersteller, Händler oder Verbraucher, wollen Verbesserungen in der gesamten Lieferkette und mehr Nachhaltigkeit. Den Weg dorthin wollen wir als Verband mitgestalten und nicht nur vom Rand aus zusehen, wie der Zug Fahrt aufnimmt.