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Familiensache – Berufe rund ums Kind – „Babys entwickeln ein Urvertrauen“

6. März 2020, 13:21

Schokolade testen, Kuscheltiere designen, Kinderhotels führen … Eine Menge Berufe drehen sich um den Kosmos „Familie“. In unserer Interviewreihe „Familiensache“ sprechen wir mit Menschen, die sich hauptberuflich oder ehrenamtlich für Kinder und/oder Eltern engagieren. Diese Reihe gibt uns die Möglichkeit, heutige Familien aus immer wieder neuen Blickwinkeln zu betrachten. In dieser Ausgabe im Gespräch mit unserer Autorin Susanne Veit: Frauke Ludwig, Gründerin der Trageschule in Hamburg.

Frauke Ludwig, 44, Autorin, Dozentin, Trage- und Stillberaterin sowie Mutter zweier Kinder, gründete vor acht Jahren die Trageschule Hamburg und berät seitdem Eltern in allen Fragen rund um Tragetücher oder Babytragen. Gleichzeitig bildet sie in mehrtägigen Seminaren Trageberaterinnen aus und vermittelt über ihre Homepage trageschule-hamburg.de Absolventinnen an interessierte Eltern.
Wer denkt, dass das Tragen eines Babys nebensächlich ist, der irrt. Denn nicht nur die technischen Details über Tragehilfen sind umfangreich, auch der emotionale Stellenwert, den das Tragen für Mutter und Kind einnimmt, ist beträchtlich. Ihr umfangreiches Wissen hat die Wahlhamburgerin in dem Buch „Baby Basics“ zusammengefasst, das 2018 im Kösel Verlag erschienen ist.

Frau Ludwig, ist das Tragen eines Babys so kompliziert, dass es gelehrt werden muss?
Auch wenn es oft nur um wenige Zentimeter geht, die das Tuch oder die Trage falsch sitzt, oft sind es genau diese Zentimeter, die über die gesamte Tragezeit entscheiden. Denn wenn Eltern das Gefühl haben, dass sie das Baby mehr schleppen als tragen, dann hören sie damit auf. Gehe ich durch die Stadt, könnte ich an all den Tragetüchern, die mir begegnen, rumzupfen. Ich bin inzwischen ein richtiger Tragehilfe-Nerd geworden. Eine Fachberatung empfiehlt sich in jedem Fall und beginnt schon bei der Auswahl der Tragehilfen. Die individuellen Bedürfnisse sind dabei ebenso wichtig wie der jeweilige Körperbau.

Gibt es einen Fehler, den viele Eltern machen?
Ja, beispielsweise reagieren sie nervös, wenn sie das Baby in die Tragehilfe heben wollen und es beginnt zu weinen. Doch die Babys spiegeln damit meist nur die Unsicherheit der Eltern wider. Stehe ich aber als Trageberaterin daneben und beruhige die Eltern, ist schon ganz viel gewonnen.

 

Seit acht Jahren berät Frauke Ludwig in ihrer Trageschule Eltern in allen Fragen rund ums Babytragen trageschule-hamburg.de

Was hat das Baby davon, wenn die Mutter es trägt?
Für uns Menschen ist es eigentlich ganz natürlich, dass wir unsere Babys mit uns herumtragen. Aus diesem Grund haben die Babys auch angeborene Greifreflexe, die vom Kinderarzt ja auch regelmäßig überprüft werden. Und nach dem Kinderarzt-Besuch kommen die Babys wieder in ihre Kinderwagen – das ist schon ein bisschen absurd. Ein Baby ist vor seiner Geburt ja rund um die Uhr im Bauch seiner Mutter und so ist doch klar, dass der einzige Ort, an dem sich ein Baby sicher fühlen kann, an unserem Körper ist. Aus dieser Sicherheit heraus können sie ganz anders lernen, anders agieren, sie können die Welt ganz anders entdecken als Babys, die diese Nähe nicht haben. Und sie entwickeln ein ganz anderes Urvertrauen. Eine frühkindliche Bindungsqualität ist wiederum langfristig von Bedeutung, denn sie hat Auswirkungen darauf, wie stabil unser Immunsystem auch im Erwachsenenalter ist. Wird das Baby getragen, hat es auch noch einen anderen
Vorteil: Für die Verknöcherung der Hüftgelenkspfanne ist das Tragen am Körper viel besser als das Liegen im Kinderwagen. Liegen die Babys zu viel auf dem Rücken, kann sich das auch negativ auf die Ausbildung des Köpfchens auswirken.

Früher sah man nur selten Frauen, die ihre Kinder herumtrugen. Ich persönlich erinnere mich vor allem an die späten 70er und 80er Jahre.
Ja, und mit all dem Wissen, das ich heute habe, finde ich das so schade. Flaschennahrung, mein Busen gehört mir, Kinderwagen – das war damals der Zeitgeist. Früher sah man es nur sehr selten, dass Mütter ihre Babys trugen, das überließ man der Hippie-Szene, weil man es nicht besser wusste.

Wirken die Glaubenssätze aus den 70ern noch nach?
Ja, durchaus. Frisch gebackene Mütter werden mit den Ideen der eigenen Eltern und Schwiegereltern konfrontiert. Für die Generation, die durch den Zeitgeist der Nachkriegsgenerationen geprägt wurde, ist die heutige Art der Erziehung durchaus ein Affront. Und so gibt es immer wieder Leute, die damit nicht klarkommen, dass die heutigen Mütter heute so vieles anders machen. Sie können auf Grund der eigenen Erziehung nicht verstehen, dass sich Mütter ihren schreienden Babys zuwenden, dass sie nach Bedarf und nicht nach Zeitplan stillen. Und eben, dass sie die Babys am Körper tragen und nicht im Kinderwagen ablegen.
In den meisten Fällen spielt Unwissenheit eine große Rolle und trotzdem benötigen junge Mütter ein gutes Rückgrat, um solchen Situationen standzuhalten. Zum Glück steht heute genug Wissen zur Verfügung, so dass die Eltern sich immer wieder rückversichern können. Die Erziehungsmuster von damals sind auch ein Stück weit in unseren Genen, es wurde uns lange eingebläut. Bin ich mit meinen Kindern beispielsweise im Restaurant, freue ich mich, wenn sie sich gut verhalten. Doch dann kommt gleich der Gedanke, „hoffentlich klettern sie nicht über die Stühle, was sollen die Leute von uns denken“.

Wann kamen die Tragetücher aus der Hippieszene raus?
Seit so viele Celebrities ihre Babys in Tragetücher wickeln, ist es ein Trend geworden. Heute ist es schick, es gehört zum guten Ton. Diesen Nachahmungseffekt hatten wir damals auch beim Kinderwagen. Der Adel fing damit an, die Wagen galten als vornehm und schon war damit eine Begehrlichkeit geschaffen. Doch im Unterschied zu damals haben sich die Tragehilfen viel schneller durchgesetzt. Durch das Internet, dem überall zugänglichen Wissen, kommen Eltern an den vielen guten Ratgebern gar nicht mehr vorbei. Das bezieht sich auch auf viele andere Bereiche. So hat es dazu geführt, dass Eltern heute ihren Kindern gegenüber eine ganz andere Haltung haben als früher. Sie sind viel sensibler geworden.

Ein Vorteil der Wissensgesellschaft?
Durch die Dauerpräsenz an Informationen über die „richtige“ Erziehung geraten manche Mütter auch unter Druck. Mein Kind muss bei mir im Bett schlafen, ich muss das Kind stillen, ich muss es tragen. Das kann manchen Müttern auch zu viel werden. Ich rate Müttern dazu, sich nicht zu zwingen. Denn ansonsten macht das Baby die Erfahrung, dass seine Mutter permanent über ihre Grenzen hinausgeht und so unter Umständen auf einen Burnout zusteuert.
Es mag Frauen geben, die vielleicht selber eine schlechte Bindungserfahrung haben und ihr Kind am Bauch nicht tolerieren. Für manche Babys ist es auch okay, wenn sie im Kinderwagen liegen. Man kann aber auch, falls das Kind den Körperkontakt dramatisch einfordert, als Mutter versuchen, das Baby auf dem Rücken zu tragen.

Liebe Frau Ludwig, vielen Dank für das Gespräch.