Erfolgsgeschichten – Faller – Ein Segment mit Biss

22. Februar 2021, 17:14

Im Ernst: Hätte sich Graf Dracula ein schönes Hobby zugelegt, Modelleisenbahn oder Modellbau beispielsweise, dann wäre der blutsaugende Adlige sympathischer in die Geschichte eingegangen. So tut das, Faller sei Dank, sein sagenumwobenes Domizil Schloss Bran. Es gehört zu den Jubiläumsmodellen der Gütenbacher. Wie sich das anfühlt, „75 zu werden“, das erfuhr Sibylle Dorndorf vom geschäftsführenden Gesellschafter Horst Neidhard.

Herr Neidhard, Faller feiert in diesem Jahr sein 75-jähriges Jubiläum. Erschreckt Sie diese Zahl? Anders gefragt: Kann man in einer solchen Unternehmensgeschichte immer wieder etwas wirklich Neues bringen?
Nein, das erschreckt mich überhaupt nicht. Im Gegenteil, ist es nicht schön und inspirierend, wenn Tradition auf Moderne trifft? Der Modellbau und die Modellbahn haben sich während der 75-jährigen Firmengeschichte sehr erfreulich entwickelt und Faller ist es kontinuierlich gelungen, innovative Akzente zu setzen. Nur um Beispiele zu nennen: die sehr frühen, bewegten Modelle, wie die Wassermühle, der Kosmos Kirmesmodellbau, die Fahrzeug- und Verkehrssteuerung Car System Digital. Jüngst die Konstruktionssoftware Faller Create, mit der Sie Ihr individuelles Modell konstruieren, das Ihnen umgehend im hochwertigen 3D-Druck gefertigt zugesendet wird oder aktuell: der unvergleichliche Schloss Bran-Bausatz. Die Ideen gehen uns nicht aus.

Große Feste können Sie derzeit nicht planen. Aber Sie haben sicher besondere Neuheiten aufgelegt oder fahren Aktionen mit dem Handel?
Selbstverständlich – ab April bieten wir Kundinnen und Kunden im Fachhandel zahlreiche Jubiläumsaktionen an, in der zweiten Jahreshälfte präsentieren wir Teil II der Produktneuheiten 2021 und ab Herbst ist das erwähnte Jubiläumsmodell Schloss Bran verfügbar.

Großprojekt: Als Jubiläumsmodell erscheint im Herbst „Schloss Bran“, die sagenumwobene Burgfestung des Vampirs Graf Dracula

Horst Neidhard, Geschäftsführender Gesellschafter Gebr. Faller GmbH

Apropos Handel: Wie erleben Sie den Handel in der Pandemie? Hat er wirklich einen digitalen Schub erlebt und umgesetzt?
Dem Handel spreche ich ein riesiges Kompliment aus. Was unsere Einzelhändler in dieser schweren Zeit stemmen und wie sich viele in kürzester Zeit neu erfunden haben, ist außergewöhnlich. Die Branche fiebert mit dem Handel mit, dass er in Bälde Kunden wieder das so notwendige reale und nicht nur digitale Einkaufserlebnis bieten kann. Aus meiner Sicht ist es unglaublich wichtig, dass die Politik, die Gesetzgebung, dem Fachhandel, zumindest als Lehre aus dieser Pandemie, endlich die Rahmenbedingungen einräumt, die er verdient und auch benötigt. Commonsense müsste doch inzwischen sein, dass zur Lebensqualität lebendige Innenstädte gehören.

Corona hat in vielerlei Hinsicht eine Zäsur gesetzt und wird dies weiter tun. Viele Branchen sind übermäßig negativ betroffen. Wogegen der Bereich Modelleisenbahn/Modellbau zulegen konnte. Wie lief das Jahr 2020 für Faller?
Im Umsatz und Ergebnis lief es für Faller 2020 tatsächlich gut, wir haben ein fast unglaubliches Plus von 35 Prozent, trotz der außergewöhnlichen Belastungen für alle Mitarbeiter*innen, deren Familien und unser gesamtes Umfeld.

Jünger muss sie werden, cooler und peppiger, es muss noch mehr digitale Technik rein, sie muss „smarter“ werden, mehr Features haben, die Kids begeistern, all das fordert man von der Modelleisenbahn. Was „kann“ Modelleisenbahn wirklich und wo steht das traditionelle Hobby heute?
Modellbahn und Modellbau können eines ganz besonders gut, nämlich die Individualität jeder und jedes Einzelnen in der Freizeit zum Ausdruck bringen. Es ist alles vorhanden, um sich technisch auszutoben, aber keinerlei Zwang sich technisch interessieren oder betätigen zu müssen, wenn man lieber originelle Szenen in kleinen Dioramen darstellt. Das Hobby bietet sich gleichermaßen als Einzelbeschäftigung oder in der Gruppe an, auch generationenübergreifend. Es eignet sich perfekt für das Erlernen vieler unterschiedlicher Kompetenzen und wirkt wohltuend entschleunigend. Die unzähligen Facetten reichen vom Bau über das Spiel bis hin zum Sammeln.

Gibt es signifikante Trends?
Wir stellen fest, dass alte Klassiker sehr gefragt sind, es gibt eine gewisse Tendenz zu Retro-Modellen, gleiches sehe ich bei der Individualisierung. Mit Faller Create haben wir genau diesen Nerv getroffen. Aber auch beim Material können wir Trends feststellen. Aus alt wird neu, sprich, der Einsatz von Recyclaten wird immer interessanter für Hersteller wie auch für Kunden, weil das den wichtigen Nachhaltigkeitsgedanken speist.

Apropos Nachhaltigkeit, ist das nicht auch ein Trend?
Das sehe ich nicht als Trend, es ist eine Selbstverständlichkeit, dass wir nachhaltig arbeiten, und zwar in jeder Hinsicht. Es führt kein Weg daran vorbei, auch wenn es nicht in allen Bereichen einfach ist. Nehmen Sie etwa den Einsatz von biobasierten Kunststoffen. Deren gesuchte Vorteile in der Ökobilanz, die Haltbarkeit oder die Materialeigenschaften sind einfach noch nicht ausgereift genug, dass wir tatsächlich nachhaltiger damit arbeiten könnten. Der Trend geht hier derzeit eher in Richtung Recyclate. Als nachhaltig sehe ich es zum Beispiel an, dass wir einen langen Produktlebenszyklus haben oder dass wir Spritzgussformen gleich derart gestalten, dass diese immer wieder für weitere, neue Produkte genutzt werden können. Auch fertigen wir immer wieder Kleinserien an, also bewusst geringere Stückzahlen. Das kommt nebenbei auch dem Handel entgegen, weil eine höhere Artikelvarianz, die Nachfrage ständig belebt.

Aus dem Drucker: Mit Faller Create konstruiert der Bastler sein indivi-duelles Gebäude, das im 3D-Druck hergestellt wird

Was ist die kleinste je aufgelegte Stückzahl für einen Artikel von Faller?
Tatsächlich ist unsere kleinste Stückzahl die Eins. Ermöglicht wird diese geringe Menge durch unseren Service Faller Create. Hier kann jeder über unser eigens dafür entwickeltes Konstruktionsprogramm sein Wunschmodell erstellen – individuell und intuitiv. Ist man zufrieden mit seinem Ergebnis, produzieren wir das Modell per 3D-Druck – für jeden einzeln.

Und was wird da so kreiert?
Faller Create ist sehr vielseitig, man kann keinen Schwerpunkt benennen. Einerseits werden Modelle konstruiert, die bisher für das Komplettieren eines bestimmten Dioramas gefehlt haben. Andererseits bauen Kunden zum Beispiel ihr Elternhaus nach und nutzen Faller Create als Geschenkidee. Doch auch Anbau- und Ersatzteile werden konstruiert.

Apropos Zielgruppen: Haben durch Corona mehr Menschen zum Hobby Modellbau/Modellbahn gefunden? Ihre Umsatzzahlen lassen es vermuten.
Ganz sicher. Das merken wir bei der Nachfrage, es sind bestimmte Artikel, die Neueinsteiger wollen oder eben Produkte wie Faller Create, die einen ganz anderen Ansatz haben.

Betrachten wir das Segment global, in welchen Märkten ist Modelleisenbahn, ist Faller stark?
Traditionell stark sind wir im DACH-Raum, in den Niederlanden, in Frankreich, GB und den USA. In den letzten Jahren legt auch der asiatische Raum zu.

Die Modelleisenbahner hatten immer eine gute Gemeinschaft, jenseits des Wettbewerbs. Mir scheint, als wäre es um gemeinsame Aktionen ruhiger geworden. Kämpft in der Krise jeder für sich?
Oh, das ist aber schade, dass das bei Ihnen so ankommt. Die gemeinsamen Aktivitäten wurden sogar ausgeweitet, zum Beispiel im Projekt „Wir Modellbahner“. Der Austausch unter Herstellern ist enger. Spannende gemeinsame Initiativen, wie der „Tag der Modelleisenbahn“ oder „Spielen macht Schule“ laufen erfolgreich weiter. Das ist wichtig in dieser besonders für Schulen krisenhaften Zeit. Mein Fazit: Wir bewegen derzeit in der Branche viel gemeinsam und das erfolgreich.

Wäre es nicht sinnvoll, Sie würden einen Jour fixe mit Lego, Playmobil und der Simba Dickie Group einführen, um bei den Kids weiter zu kommen?
Was für ein interessanter Gedanke, vielen Dank! Im Ernst, wir sind für kreativen Austausch immer zu haben. Jede/r holt sich regelmäßig Input von den verschiedensten Seiten, seien es Hochschulen, Agenturen oder andere Unternehmen, um sich weiterzuentwickeln. Auch lohnt sich der Blick auf unsere Branche im engeren Sinne. Denken Sie hier insbesondere an unsere Lokomotive, den Marktführer Märklin. Für die weiterhin positive Entwicklung des Modellbaus und der Modellbahn spricht, dass wir unverwechselbare und nicht austauschbare Qualitäten mitbringen. Ich denke, das hat der Erfolg in den letzten Jahren gut und nachdrücklich bewiesen.

Social Marketing ist in der Pandemie explodiert. Kontakt mit der Zielgruppe halten über Social Media, Kidsfluencer, WhatsApp … wie erreichen Sie Kids und Newcomer und fallen da nicht die eingefleischten Modelleisenbahner hinten runter?
Die persönlichen Begegnungen mit Fans und Modellbahninteressierten auf Messen, Workshops und in Clubs vermissen wir gerade sehr. Wir sind optimistisch, dass wir das in absehbarer Zeit wieder gemeinsam erleben dürfen.

Mit dem Kirmes-modellbau etablierte Faller eine seit 1985 erfolgreiche Modellbau-Sparte abseits der Modellbahn

Bis dahin bleiben wir über Social Medias, Fachzeitschriften und unseren Kundensupports im engen Kontakt, geben Einblicke in das, was uns bewegt, zeigen Produkte, nehmen Anregungen auf und geben Tipps und Tricks weiter. Eine unserer Stärken ist und bleibt unser intensiver Kundenkontakt, der durchaus auch mal über das Telefon stattfindet.
Wo und wie haben Sie Ihre Bestandskunden getroffen ohne Spielwarenmesse? Und wie haben Sie versucht, Neukunden anzusprechen?
Unser Außendienst und unsere Importeure halten regen Kontakt über Telefon, E-Mails, Teams, Skype und was es sonst noch so gibt. Außerdem ist der Informationsfluss über unsere Händlershops durchgängig gewährleistet. Neukunden haben wir auch in Zeiten der Pandemie gewinnen können. Auf den persönlichen Kontakt vor Ort hoffen wir dennoch sehnlichst.

Spielwarenmesse im Sommer. Haben Sie da Schweißperlen auf der Stirn?
Stimmt. Ich bin sehr gespannt!

Herr Neidhard, ich bedanke mich herzlich für das offene Gespräch!