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Eco: reTyre – Buchstäblich grüne Reifen

28. November 2023, 16:53

Umweltschonende Lösungen bei Produktion und Materialien von Kinderausstattung stehen hoch im Kurs. Nur bei den Reifen von Kinderwagen & Co. gab es lange keine Alternative zum klassischen Gummi-Pneu. Die Innovation des norwegischen Unternehmens reTyre kann diese Lücke schließen – mit einem nachhaltig hergestellten, recycelbaren Reifen, der auch mal bunt daherkommt.

Rund 1,8 Milliarden Gummireifen müssen jedes Jahr weltweit entsorgt werden. Altreifen werden verbrannt, geschreddert oder zu gewaltigen Müllhalden aufgeschichtet. Dazu kommt ein weiteres Problem: 150.000 Tonnen Reifenabrieb landet laut ADAC jährlich über den deutschen Straßenverkehr in der Umwelt. Damit sind Gummireifen hauptverantwortlich für schädliche Mikropartikel, die sich weltweit verbreiten und als Feinstaub zu schweren Erkrankungen führen können.
Auch in der rollenden Ware der Kinderausstattung kommen vor allem Gummireifen zum Einsatz. Spätestens seit der jüngsten Fachmesse Kind + Jugend und der Nominierung für den Innovation Award in der Kategorie „Sustainability for Kids“ wurde die Branche auf eine umweltfreundlichere Alternative aufmerksam. Das Unternehmen reTyre mit Sitz bei Oslo hat Reifen aus biobasierten Elastomeren entwickelt, deren Leistung, Haltbarkeit und Langlebigkeit den Gummireifen entsprechen oder diese sogar übertreffen. Der Abrieb sei geringer, die UV-Resistenz höher, die Bruchneigung bei Frost niedriger, heißt es. Darüber hinaus sei das Material der neuen Reifen vollständig wiederverwendbar. „Die Herstellung eines Luft-reifens ganz ohne Gummi ist ein echter Durchbruch und ein dringend notwendiger Systemwechsel in der Reifenindustrie“, konstatiert Friedemann Ohse, Designer bei reTyre. Der erste Markt, den die Norweger nun erobern wollen, ist der für Kinderwagen, Kinderfahrräder und Anhänger.

Rund um den Reifen

Der Wunsch, innovative und nachhaltige Reifen herzustellen, stand bereits Pate bei der Unternehmensgründung von reTyre an der Technischen Universität in Trondheim im Jahr 2015. In der Fahrradbranche wurden die findigen Norweger und ihre gleichnamigen Produkte schnell zum Begriff. Das Unternehmen um Gründer und CEO Paul Magne Amundsen entwickelte das weltweit erste modulare Reifensystem mit austauschbaren Profilen, sogenannten Skins, die über einen Reißverschluss ohne Werkzeug in Sekunden ausgetauscht werden können. Mehr als 50 Produkte werden aktuell in zwölf Ländern vertrieben. Ihre kreativen Ideen wollen die Unternehmer nun in eine weitere Erfolgsgeschichte verwandeln. Für ihr nachhaltiges Reifen-Projekt wird sich das Team von reTyre auf rund 40 Mitarbeitende verdoppeln. Bei der Finanzierung unterstützen die norwegische Regierung und mehrere Investoren, die umweltfreundliche Ansätze in der Klima- und Energietechnik fokussieren. „Das ist eine sehr komfortable Ausgangslage“, freut sich Friedemann Ohse.

Das Rad wird neu erfunden

Das Material, auf das reTyre für seine Reifen setzt, sind thermoplastische Elastomere (TPE) – eine Kategorie, die Eigenschaften sowohl von Gummi als auch von Kunststoffen vereint. Zur Materialzusammensetzung hält man sich bedeckt. Die natürlichen Bestandteile könnten „aus der Landwirtschaft“ gewonnen werden, wie etwa aus Mais oder Zuckerrübe. Dass „biobasiert“ nicht mit „biologisch abbaubar“ gleichzusetzen ist, dürfte jedoch klar sein. TPE sind weich wie Gummi und können leicht verarbeitet, beispielsweise auch eingefärbt, werden. Die Gestaltungsmöglichkeiten sind vielfältig: Ein Mädchenfahrrad mit sogar komplett fluoreszierenden rosa Reifen, die im Dunkeln leuchten, oder der Outdoor-Buggy in durchgehendem British Racing Green werden damit möglich. Anders als Gummireifen können Altreifen aus TPE durch Erhitzen bearbeitet und neu geformt werden. Umso besser, je homogener das Material ist. Damit fällt kein Müll mehr an. „Der gesamte Reifen, einschließlich Karkasse und Wulst, kann auf wirtschaftliche und umweltfreundliche Weise für neue Reifen wiederverwendet werden, wodurch die Kreislaufwirtschaft gefördert wird“, erklärt Friedemann Ohse. TPE sind hochwertige Materialien, die bereits von Sportschuhherstellern in die Recyclingwirtschaft eingespeist und für die Wiederverwertung aufbereitet werden. Neben Umweltaspekten spielt hier die Rückgewinnung kostenintensiver Materialien eine Rolle.

Produktentwickler Andres Jaime Jaimes (links) und Designer Friedemann Ohse beim Reifen-Workshop

erkömmliche Gummireifen – auch für die Kinderausstattung – werden überwiegend in Asien gefertigt. Ein wesentlicher Grund dafür ist die Abhängigkeit von natürlichem Kautschuk als Materialbestandteil, der aus den dortigen Gummibaum-Plantagen gewonnen wird. Die langen Transportwege zurück zu den Herstellern verursachen weitere CO2-Emissionen, neben denen für Material und Beschaffung sowie Produktion. Die ersten nachhaltigen Reifen von reTyre werden derzeit in der Nähe von Oslo im Spritzgussverfahren produziert. Dies sind vor allem Luftreifen und Luftkammerreifen. „Wir entwickeln sogar noch eine eigene Reifenvariante, die das Gewicht enorm reduzieren wird“, verrät Friedemann Ohse. „Die Produktion in Masse startet dann nächstes Jahr. Wir haben bereits Kunden im Bereich Kinderwagen, Trailer, Kinderfahrrad und Laufrad. Das Thema Nachhaltigkeit und Performance erzeugt große Aufmerksamkeit. Wir sind in der Branche in Kontakt mit 50 bis 70 Marken. Man merkt, dass das Thema Innovation im Bereich Reifen lange vernachlässigt wurde.“
Die Produktionstechnologie der Norweger ist automatisiert und kosteneffizient. Skalierbare Mikrofabriken ermöglichen die lokale Herstellung der Reifen und erzielen eine bessere Ökobilanz. „Wir nehmen die Firmen auch bei einer Produktion in Asien an die Hand. Im Idealfall merkt es der jeweilige Hersteller gar nicht, dass unsere Reifen mit eingebaut werden. Das funktioniert ohne Verzögerung oder andere Probleme.“
reTyre plant, die Produktion von Reifen und auch kompletten Rädern mit ausgewählten Partnern auf mehrere Kontinente auszuweiten. Das verringert die Abhängigkeit von Rohstoffen und Lieferketten, stärkt den jeweiligen Arbeitsmarkt und ist zudem ein Beitrag für mehr Umweltfreundlichkeit. Gemäß der UN-Agenda 2030 für eine nachhaltige Entwicklung will reTyre die Treibhausgas-Emissionen um 82 Prozent und den Energieverbrauch um 90 Prozent im Vergleich zur herkömmlichen Reifenherstellung senken. „Disruptive neue Innovationen sind der wesentliche Treiber für Nachhaltigkeit“, analysiert Friedemann Ohse. „Wir denken die gesamte Produktion neu. Dabei haben wir eine Tür aufgestoßen und alle stürmen nun herein.“

retyre.eco/sustainable-tyres

Lioba Hebauer