Eco – Biopolymere – Stoff der Zukunft
Das schwäbische Unternehmen Tecnaro stellt pflanzenbasierte Biopolymere her – also Kunststoffe, die ganz ohne Erdöl auskommen und die bis zu 100 Prozent abbaubar sind. Das ist besonders für Babyhartwaren- und Spielzeughersteller von Bedeutung, die Wert auf Nachhaltigkeit und Materialsicherheit legen. Im Interview mit Astrid Specht erklärt Firmengründer Jürgen Pfitzer, warum Biopolymere eine große Zukunft haben.
Herr Pfitzer, aus welchem Impuls heraus wurde das Unternehmen Tecnaro 1998 gegründet?
Der Firmenmitgründer Helmut Nägele und ich waren ursprünglich als Forscher beim Fraunhofer-Institut für chemische Technologie in Pfinztal bei Karlsruhe tätig. Inhalt unserer Forschung war, nach Potenzialen zur CO2-Einsparung in der Kunststoffbranche zu suchen. Ausschlaggebend für die Firmengründung war die Entdeckung eines Rohstoffs beziehungsweise Werkstoffs, den es bis dahin so noch nicht gab. Wir haben das „flüssige Holz“ erfunden, im Prinzip ein holzbasierter Biokunststoff. Dafür wurden wir 2010 mit dem „Europäischen Erfinderpreis“ ausgezeichnet. Unser Firmenname Tecnaro steht übrigens für „Technologie für nachwachsende Rohstoffe“.
Können Sie näher erklären, was es mit dem Werkstoff auf sich hat?
Unser Werkstoff besteht hauptsächlich aus Lignin, einer Substanz, die zu etwa 30 Prozent in Holz vorhanden ist. Bei der Papierherstellung muss man dieses Lignin von der Zellulose ablösen. Je besser das gelingt, desto hochwertiger das Papier. Dieses Lignin wird in Deutschland jedes Jahr in einer Größenordnung von 60 Millionen Tonnen in Zellstoffwerken verbrannt. Eine riesige Rohstoffquelle, auf die wir Zugriff haben und aus der wir pflanzenbasierte, komplett erdölfreie Kunststoffe machen können. Neben den zuvor ausgelösten Zellulosefasern aus Flachs, Hanf oder Sisal sind noch Wachse und Harze, zum Beispiel Bienenwachs, Zucker oder Stärke enthalten.
Was macht Biopolymere zu einer guten Alternative für erdölbasierte Kunststoffe?
Unser Anspruch ist es, mit Biokunststoffen dasselbe technische Niveau zu erreichen wie mit erdölbasierten Kunststoffen, was auch möglich ist. Wenn wir erdölbasierte Kunststoffe ersetzen, hat der Kunde zudem oftmals einen Mehrwert über diese nachwachsenden Rohstoffe hinaus, zum Beispiel was die Gesamtkosten betrifft.
Fertigen Sie auch die Produkte für Ihre Kunden?
Nein, wir liefern nur den Werkstoff in Form von Granulaten. Wir sind zwar ein recht kleines Unternehmen mit 40 Angestellten, aber wir haben Experten mit an Bord, die täglich forschen und entwickeln. Inzwischen sind wir bei über 5.000 Rezepturen angelangt. Weil wir den ganzen Prozess überblicken, hat der Kunde nachher oftmals ein günstigeres Produkt.
Wie das?
Als kleines Unternehmen können wir uns den Werkstoff, die kleineren Einheiten und das Produkt im Vorfeld, in der Produktion und im Ergebnis genau anschauen, das könnte die Großchemie gar nicht leisten. Für einen Baby-Essteller beispielsweise können wir den Werkstoff beziehungsweise die Rezeptur optimal auf die Anforderungen einstellen (zum Beispiel Hitze- und Spülmaschinenbeständigkeit). Zu dieser Mischung können wir noch weitere Pulver hinzufügen und so eine schnellere Formbarkeit im Spritzguss erreichen. So hat der Kunde dann schnellere Zykluszeiten, was sich im Gesamtbild günstig auf die Kosten auswirken kann. Wenn man allerdings den reinen Kilopreis unserer Werkstoffe betrachtet, ist der natürlich höher – aber nicht weil wir mehr verdienen möchten, sondern weil Kunststoffe viel zu billig sind.
Wie meinen Sie das?
Wenn wir Rohstoffe bestellen und der Bauer Ernteausfälle hat, tragen wir diese Kosten. Erdölbasierte Kunststoffe hingegen sind von der Mineralölsteuer ausgenommen. Wenn man aber sieht, welche Langzeitschäden Erdölprodukte bewirken, wird die ganze Rechnung fragwürdig. Würde man das mal ordentlich bilanzieren, käme gar nicht erst die Frage auf, ob Biokunststoffe zu teuer sind. Denn dann wären Erdölprodukte das teuerste, und alles Nachhaltige wäre preiswert. Man überlege auch mal, was alles am Erdöl hängt! Die Gewinne teilen sich nur ein paar wenige auf der Welt, die Risiken tragen aber alle, Sie, ich und vor allem unsere Kinder. Die Folgekosten werden gar nicht berücksichtig. Was kostet denn ein Tankerunglück oder das ganze Plastik im Meer? Wer trägt die Kosten von Kriegen um Erdöl? Im Irak oder Afghanistan wäre kein einziger Soldat, wenn dort nur Bananen wachsen würden. Das sind Kriege um Erdöl. Und die Flüchtlingsströme sind Kriegsflüchtlinge! Dafür ist das Erdöl verantwortlich.
Jürgen Pfitzer ist Mitgründer des Unternehmens Tecnaro im schwäbischen Ilsfeld
Und weil die Kosten für Erdöl niedrig gehalten werden, hört das nicht auf …
Genau. Aber die Folgen sind unabsehbar. In der Erde steckt eine CO2-Quelle, die sich über Millionen von Jahren aufgebaut hat, und jetzt pumpen wir das alles in die Luft. Wir wissen, CO2 führt zum Klimakollaps, und wir verbrennen es trotzdem. Nichts ist flächenraubender oder kostentreibender als der Verbrauch von Erdöl.
Stellt sich die Frage, weshalb Biopolymere noch nicht weiter verbreitet sind?
Das muss die Politik regeln, zum Beispiel durch eine CO2-Steuer. Dann werden die, die CO2-neutral produzieren, auch bevorzugt. Technisch ist das alles schon möglich. Wir könnten heute schon die Rohstoffe für Biokunststoffe anbauen, das wären zwei bis vier Prozent der Anbaufläche weltweit. Bei uns kämen noch die Wälder hinzu, das würde nochmal Ackerfläche schonen. So würde das Argument, dass der Rohstoffanbau mit dem Lebensmittelanbau auf den Feldern konkurriere, auch an Gültigkeit verlieren.
Warum passiert aus Ihrer Sicht auf politischer Ebene nichts?
Weil die Erdöllobby so stark ist. Die Erdölindustrie ist der größte Geldmarkt, den es gibt. Sie bestimmt zum Teil sogar, was in Gesetzestexten steht!
Es gibt noch andere sogenannte Biokunststoffe, zum Beispiel aus Melamin und Bambus, die nicht so grün sind, wie ihr Image vermuten lässt. Was macht die Werkstoffe von Tecnaro im Vergleich dazu sicher und nachhaltig?
Die Reinheit der Rohstoffe und die für unsere Prozesse und Anwendungen geeigneten Pflanzen, die wir verwenden. Wir halten uns zudem an alle gesetzlichen Vorgaben und erfüllen alle DIN-Normen. Das ist vor allem wichtig bei den Materialien, die wir für Babyspielzeug einsetzen.Unsere Babyprodukte sind deshalb völlig unbedenklich.
Heißt das, Biopolymere unterliegen denselben Richtlinien wie erdölbasierte Werkstoffe?
Ja, absolut! Zum Teil sind die Anforderungen sogar strenger. Wir müssen viel mehr Beweise vorbringen als die Kunststoffindustrie. Wir müssen Fragen beantworten, die werden der Kunststoffindustrie nie gestellt. Ein Beispiel: Wir haben für einen Kunden Babylöffel entwickelt, der Prozess lief gut. Dann kam die Frage, ob denn unsere Rohstoffe auch alle aus dem Umkreis kommen beziehungsweise hier in Deutschland angebaut werden. Grundsätzlich wäre das möglich, aber wir kaufen unsere Rohstoffe in erster Linie dort ein, wo sie anfallen. Darauf meinte der Kunde, wir sollten wiederkommen, wenn die Rohstoffe aus Deutschland stammen. Unsere Gegenfrage war daraufhin, ob er sich im Klaren darüber wäre, wo das Erdöl für seinen bisherigen Babylöffel herkäme – aus der Nordsee oder nicht doch eher aus Saudi-Arabien …
Es gibt Produkte, wie zum Beispiel aus der Bio-Linie von Rotho Babydesign, die biologisch abbaubar sind. Was genau bedeutet das? Wie lange dauert dieser Zersetzungsprozess? Und was ist mit Mikroplastik? Entstehen beim Zerfall nicht Kleinstpartikel, die schädlich sind?
Nein, eben nicht. Wenn wir sagen, dass unsere Werkstoffe biologisch abbaubar sind, dann ist das auch so. Unsere Materialien können von Mikroorganismen vollständig verstoffwechselt werden, ohne Rückstände. Wir haben Produkte, die zu 100 Prozent aus Pflanzenmaterial bestehen und sehr schnell biologisch abbaubar sind. Unsere Trinkhalme zum Beispiel – die übrigens ebenso verboten sind wie Trinkhalme aus herkömmlichem Kunststoff. Dabei bauen die Mikroorganismen im Kompost so einen Trinkhalm innerhalb von sechs vollständig Monaten ab!
Entscheidungen, pauschal auch Produkte aus Biopolymeren zu verbieten, bloß weil sie auch aus einer Art Kunststoff gemacht sind, hält die Entwicklung von Biokunststoffen auf. Das wird uns in ein paar Jahren leid tun, denn Erdöl wird dieses Jahrhundert nicht überleben und somit auch nicht die Produkte, für die es notwendig ist. Die Rohstoffe für unsere Materialien werden noch tausende von Jahren zur Verfügung stehen.
Welche Aspekte müssten aus Ihrer Sicht bei Biopolymeren noch verbessert werden? Hintergrund meiner Frage ist der, dass viele Spielzeughersteller die Zeit für nachhaltige Spielzeugbausteine oder Spielfiguren noch nicht gekommen sehen. Einige sind selbst noch auf der Suche nach dem besten Material, das nachhaltig und haltbar ist …
Wenn ich die Anforderungen an das Produkt kenne, kann ich den Werkstoff genau einstellen. Setzt man allerdings falsche oder minderwertige Rohstoffe ein, kann die Qualität leiden. Das lässt sich aber steuern. Soll ein Spielzeug aus Plastik UV-beständig sein, kann man das durch den richtigen Werkstoff erreichen. Will man verhindern, dass ein nachhaltiges Produkt im Keller schimmelt, kann man auch dem vorbeugen. Wir haben im Übrigen selbst schon Spielzeugbausteine hergestellt. Sie sehen genauso aus wie die namhafter Hersteller, haben einen schönen Glanzgrad und sind vor allem schwer entflammbar.
Es gibt tausende von Kunststoffen mit unterschiedlichsten Eigenschaften und jeder einzelne davon hat seine Daseinsberechtigung, weil es so viele verschiedene Anwendungen und Anforderungen gibt.
Da muss die Biokunststoffbranche noch nachlegen, um wirklich alle Facetten abbilden zu können. Wenn Sie mir aber sagen, dass Sie ein bestimmtes Produkt mit ganz bestimmten Eigenschaften aus Biokunststoff haben möchten, dann bekommen wir das auf jeden Fall hin.