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E-Sport – Nur sitzen statt schwitzen?

28. Dezember 2018, 16:23

E-Sport mag rein körperlich weniger fordernd als Fußball oder Volleyball sein, mentale Stärke, Teamgeist und strategisches Denkvermögen benötigen die Spieler aber dennoch. Worauf es beim E-Sport noch ankommt und wie sich der weltgrößte E-Sport-Verband ESL für die Verankerung des virtuellen Trends in der Gesellschaft einsetzt, fand TOYS Redakteurin Astrid Specht im Gespräch mit Jan Pommer, ESL Vice President Sports Affairs heraus.

Herr Pommer, bitte erklären Sie kurz: Was genau ist „E-Sport“?
E-Sport ist, wettkampfmäßig gegeneinander an Computern oder an Konsolen zu spielen – also nicht nur ein bisschen nebenher „daddeln“. Wir reden hier von Top-Spielern, die ihren Lebensunterhalt damit verdienen und einen Tagesablauf wie Profisportler haben.
Deutlich über 40 Millionen Menschen sind hierzulande inzwischen mit Gaming befasst. Diejenigen, die sich entscheiden, wettkampfmäßig gegen andere zu spielen – das sind circa fünf bis sechs Millionen Menschen in Deutschland – die nennt man „E-Sportler“. Das ist ein unglaublich wachsender Markt. Man kann zwar sagen, E-Sport ist eher „Sitz- als Schwitzsport“, das heißt, es ist physisch nicht so anstrengend wie beispielsweise ein Fußball- oder Handballspiel. Dennoch fordert Gaming eine enorme Konzentrationsfähigkeit, Entscheidungen müssen in Millisekunden anhand einer gut durchdachten Strategie gefällt werden und wer weiterkommen will, muss mit den anderen Spielern in seinem Team hervorragend kommunizieren können.

Bis jetzt ist E-Sport in Deutschland und Europa bei weitem nicht so etabliert wie zum Beispiel in Südostasien. Wie kommt das?
In Korea insbesondere ist E-Sport sehr stark etabliert, dort hat der Trend schon vor Jahrzehnten angefangen und wird schon lange stark gefördert, weshalb er dort viel stärker in der Alltagskultur verankert ist. Aber hier in Deutschland hängen wir gar nicht so sehr hinterher, wir holen gewaltig auf – das gilt übrigens auch für andere Märkte, wie zum Beispiel die USA. Aus unserer Sicht ist E-Sport inzwischen in der Mitte der Gesellschaft angekommen.

Was tut der ESL, damit der E-Sport sich hier in Deutschland aber auch weltweit weiter etabliert?
Wir sind das weltweit größte E-Sport-Unternehmen. Wir kommen aus Köln, haben 250 Mitarbeiter vor Ort und weitere 350 Mitarbeiter in den USA, Australien und vielen anderen Standorten und wir organisieren E-Sport-Veranstaltungen auf der ganzen Welt. Geldverdienen gehört dabei natürlich auch für uns dazu und deshalb versuchen wir, uns und unsere Veranstaltungen auch zu promoten, so wie auf der gamescom mit einem Stand von 5.000 Quadratmeter Fläche, auf dem E-Sport betrieben wird.

ESL Vice President Sports Affairs Jan Pommer

Wie kann ich mir diese Events, die Sie organisieren, vorstellen?
Auf der einen Seite starten wir von einem breiten Fundament von Online-Spielern, also Menschen, die sich bei uns registrieren, weil sie Gegner suchen. Da verzeichnen wir aktuell etwa 2,5 Millionen Accounts in Deutschland und etwa acht Millionen weltweit. Das allein zeigt schon die Größenordnung, die der E-Sport inzwischen angenommen hat. Aus dieser Gemeinschaft von registrierten Usern entstehen dann ESL-Meisterschaften in Deutschland aber auch in anderen Ländern. Dabei messen sich die besten vor tausenden von Zuschauern gegeneinander. Der Champion wird dann am Ende beispielsweise zum ESL-Meister in Counter-Strike, League of Legends oder FIFA ‘18 gekürt. Diejenigen, die das auf dem globalen Level besser hinkriegen als alle anderen, das sind sozusagen die absoluten Spitzensportler. Die Besten der Welt, die begrüßen wir dann bei Veranstaltungen, die auf der ganzen Welt stattfinden. Die Hallen für diese Events sind oft sehr schnell ausverkauft und es wird um Preisgelder gespielt, deren Beträge sich im siebenstelligen Bereich bewegen. Die Fans kaufen sich die Tickets ganz explizit, um dem
bunten Treiben ihrer E-Sport-Superhelden beizuwohnen. Das funktioniert wirklich sehr gut!

Sie haben jetzt gerade ein paar Spiele genannt, zum Beispiel FIFA oder League of Legends. Die beiden Spiele unterscheiden sich stark voneinander. Das eine ist ganz klar ein Sports Game, das andere ein Fantasy Game. Gibt es denn Kategorien im E-Sport?
Ja, grob gesprochen gibt es drei Kategorien. Einmal sind das Strategiespiele, bei denen man Räume erobern oder mit anderen Spielern zusammen Aufgaben erledigen muss, um bestimmte Ziele zu erreichen. Dazu zählt zum Beispiel League of Legends, was sehr bunt und komplex ist. Dann gibt es sogenannte First Person oder Tactic Shooter, bei denen es primär darum geht, das gegnerische Team mit Finten daran zu hindern, eine bestimmte Aktion auszuführen. Die virtuelle Welt ist eher realistisch angehaucht und – wie der Name bereits sagt – gibt es eine bestimmte Auswahl an Waffen, um dem Gegner entgegenzutreten. Dazu muss man aber klar sagen, dass bei diesen Spielen die taktischen Hintergründe und schnellen Reaktionsgeschwindigkeiten faszinieren, nicht der Gewaltaspekt. Quasi ähnlich wie beim Fechten, Boxen oder Bogenschießen. Und dann gibt es eben diese Sports Games, beispielsweise FIFA oder NBA 2K. Das sind Fußball- beziehungsweise Basketball-Spielsimulatoren, bei denen bestehende Sportarten digital nachgebildet und nachgespielt werden.

Einige große Fußballvereine haben bereits eine E-Sport-Abteilung. Wie muss man sich das vorstellen – gibt es eine E-Sport-Bundesliga?
Das gibt es noch nicht. Es gibt zwar eine virtuelle Bundesliga, die ist aber nicht diesen Vereinen zugeordnet, sondern dafür kann sich jeder anmelden. Diese Vereine spielen dann meistens FIFA, aber auch andere Spiele, unter anderem auch bei unseren Turnieren. Sie verpflichten dafür Spieler, die das besonders gut können und lassen die bei Turnieren antreten und nutzen das für die Marketing-Kommunikation, um sich beispielsweise in Asien bekannter zu machen. Oder sie nutzen das für die Kommunikation mit den Zielgruppen unter 20, die nicht mehr so selbstverständlich die Sportschau einschalten oder ins Fußballstadion gehen – entweder, weil es sie nicht interessiert oder weil sie sich das nicht leisten können.

Welche Fähigkeiten muss ein E-Sportler mitbringen, um erfolgreich zu sein?
Er muss vor allem trainingsfleißig sein. Wie bei allen Dingen im Leben, die man gut können will, muss man dafür einen großen Aufwand betreiben. Man benötigt aber auch sehr schnelle Reflexe und Reaktionsgeschwindigkeiten, weil beim E-Sport teilweise mehrere hundert Aktionen pro Minute erforderlich sind. Man muss gut vorausdenken können, was vor allem bei den Strategiespielen wichtig ist. Man muss sich sehr schnell auf neue Situationen einstellen können und vor allem muss man auch ein Team-Player sein, weil die meisten dieser Spiele spielt man in einer Gruppe und nicht alleine. Das heißt, es gibt auch eine wichtige soziale Komponente. Wer also nicht gut mit anderen klar kommt, für den läuft es nicht so gut, vor allem dann, wenn er an die Spitze will.

Sie kommen aus dem Realsport, Herr Pommer. Gibt es so etwas wie einen natürlichen Übergang vom Sportler zum E-Sportler? Werden wir beispielsweise Lukas Podolski irgendwann als E-Sportler sehen?
Lukas Podolski, den ich im Übrigen sehr mag, ist dafür zu alt. Die Karriere eines E-Sportlers beginnt in der Teenagerzeit und endet dann meistens mit 28 oder 29. Da kann man ihm leider nicht in Aussicht stellen, dass er da nochmal groß rauskommt – schon gar nicht so wie im Fußball. Aber wir stellen schon vermehrt fest, dass Menschen, die gerne kompetitiv unterwegs sind, wie zum Beispiel Fußballprofis, diese Spiele gerne spielen. Bei der Fußball-WM in Russland hat man viele Fußballer gesehen, die so jubeln wie in Fortnite, dem aktuellen Gaming-Hit schlechthin. Da gibt es schon eine erkleckliche Anzahl an Sportlern, die das richtig gut können.

David „Moo“ Hull (USA) beim Spielen während der Gruppenphase der ESL One in Kattowitz 2018

Was macht für Sie persönlich den Reiz von Gaming und ganz speziell von E-Sport aus?
Die Spiele sind zum Teil hochkomplex, es gibt ein ganz tiefes Narrativ, wodurch es spannend wird, diese Spiele sehr oft und auch lang zu spielen, weil sie immer wieder abwechslungsreiche Situationen bieten. Wenn man sich beispielsweise das Strategiespiel Dota 2 anschaut, dann könnte man das Schach in vier Dimensionen bezeichnen. Es ist enorm komplex und bereitet sehr lange Freude. Zudem ist es sehr einfach zugänglich, anders als vielleicht Tennis, wofür man einen Partner, Platz und einen Schläger braucht und was auch viel mehr Geld kostet. Und dann ist es ein selbstverständlicher Bestandteil der Jugendkultur geworden, was es den Spielern erlaubt, auch in der realen Welt miteinander anzuknüpfen und darüber zu sprechen und sie so Teil einer großen Gemeinschaft werden lässt.

Herr Pommer, ich bedanke mich für dieses Gespräch.