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DVSI: Tarzan im Sicherheitsjungle

25. Januar 2023, 12:13

Neben Alexander Breunig ist Stefan Ackenheil seit Oktober der neue „Sachverständige für Spielzeugsicherheit“ beim Deutscher Verband der Spielwarenindustrie e. V. (DVSI). Während Breunig sich überwiegend dem Bereich der chemischen Sicherheitsanforderungen widmet, übernimmt Stefan Ackenheil vornehmlich den Part der mechanischen Spielzeugsicherheit beim DVSI. Alfred Kirst hat mit dem Sicherheitsexperten über seine neue Aufgabe gesprochen.

Herr Ackenheil, Sie waren über 15 Jahre bei TÜV Rheinland als Sachverständiger für Spielzeugsicherheit, nun sind Sie beim DVSI. Wie unterscheidet sich Ihre neue Aufgabe beim DVSI zu Ihrer alten Aufgabe bei TÜV Rheinland?
Bei TÜV Rheinland habe ich gewissermaßen mein „Handwerkszeug“ gelernt. Als direkter Ansprechpartner der Spielzeughersteller und Labormitarbeiter habe ich Spielzeug auf Herz und Nieren nach der europäischen Norm EN 71, der amerikanischen ASTM F963, der internationalen Norm ISO 8124 und den kanadischen Anforderungen geprüft. Auch damals schon arbeitete ich in diversen Normungsgremien mit. Was nun beim DVSI nicht mehr zu meinen Aufgaben gehört, ist die Prüfung im Labor. Dafür bin ich nun noch viel näher bei den Spielzeugherstellern und kann mehr beratend tätig sein als früher.

Weshalb sind Sie zum DVSI gewechselt?
Ich fand es reizvoll, vom „unparteiischen“ Prüflabor auf die Herstellerseite zu wechseln und nun der deutschen Spielwarenindustrie bei allen Fragen zur Spielzeugsicherheit behilflich zu sein. Außerdem ist es spannend, nun Teil eines kleinen, wendigen Teams zu sein.

Wie hat sich aus Ihrer langjährigen Erfahrung die Spielzeugsicherheit in den letzten zehn bis 15 Jahren entwickelt?
Während früher die mechanischen Sicherheitsanforderungen im Mittelpunkt standen, haben sich die chemischen Anforderungen in den vergangenen Jahren stetig erweitert. In der letzten Zeit gibt es einen Trend zur Nachhaltigkeit. Themen wie beispielsweise Müllvermeidung und der Einsatz von Recyclingmaterial werden uns intensiver in den nächsten Jahren beschäftigen.

Welche Produktgruppen bereiten Ihnen am meisten Kopfzerbrechen im Hinblick auf die Sicherheit und warum?
Die gesetzlichen und normativen Anforderungen für Spielzeug wurden in den letzten Jahren immer weiter ausgebaut. Dies ist ein dynamischer Prozess, der auch auf die Entwicklung neuer Spielzeugtrends reagiert. Besonderes Augenmerk wird dabei auf die Gruppe der Babys und Kleinkinder gelegt, die ihr Spielzeug noch mit dem Mund erkunden. Daher gibt es meiner Meinung nach keine speziellen Produktgruppen, bei denen sich eine „Sicherheitslücke“ auftut.

Beschäftigen Sie sich im Hinblick auf die Sicherheit auch mit kleineren Herstellern und Manufakturen? Wie sind hier Ihre Erfahrungen?
Kleine, handwerkliche Betriebe stehen besonders kurz nach ihrer Gründung noch ganz am Anfang, was das Wissen über Spielzeugsicherheit betrifft, weshalb sie einen großen Beratungsbedarf haben. Durch maßgeschneiderte Angebote des DVSI, wie das regelmäßig stattfindende Praxisseminar „Geprüfte Fachkraft für Spielzeugsicherheit“ in Zusammenarbeit mit der TÜV Rheinland Akademie GmbH, Nürnberg lernen auch kleine Hersteller, sich im „Normendschungel“ zurechtzufinden.

Die europäische Spielzeugrichtlinie stammt aus dem Jahr 2009. Mit einer Überarbeitung wurde vor kurzem begonnen. Haben Sie Kritikpunkte an dieser noch geltenden Richtlinie?
Die aktuell in der Anlage C der Spielzeugrichtlinie gelisteten chemischen Stoffe gelten nur für Spielzeug, das zur Verwendung durch Kinder unter 36 Monaten bestimmt ist, beziehungsweise das dazu bestimmt ist, in den Mund genommen zu werden. Es wurde vorgeschlagen, diese Anforderungen, zumindest teilweise, auch für Spielzeuge für Kinder über 36 Monate anzuwenden. Da die Spielzeugrichtlinie immer erst in den einzelnen EU-Mitgliedsstaaten in nationales Recht umgesetzt werden muss, ist dies oft ein zeitraubendes Unterfangen. Daher soll die Spielzeugrichtlinie in eine EU-Verordnung (direkt anwendbares Recht) umgewandelt werden.

Was muss man Ihrer Meinung nach schnellstmöglich an der europäischen Spielzeugrichtlinie ändern?
Hier sehe ich keine Prioritäten. Es werden alle Anforderungen „beleuchtet“ und entsprechend „modernisiert“.

Was bedeutet eine Aktualisierung der europäischen Spielzeugrichtlinie für die Spielwarenhersteller und -Händler hier in Deutschland?
Natürlich ist eine Änderung des gesetzlichen Rahmens immer eine Herausforderung für die Spielwarenhersteller und -Händler, denn es muss nicht nur die technische Dokumentation angepasst werden, sondern es entstehen dadurch auch veränderte Produktanforderungen.

In welcher Weise können Sie hier helfen und unterstützen?
Der DVSI steht den Spielwarenherstellern und -Händlern durch gezielte Seminare, Workshops und maßgeschneiderte Beratungen zur Seite.

Stefan Ackenheil, neuer Experte für Spielzeugsicherheit beim DVSI, arbeitete 15 Jahre als Sachverständiger für Spielzeugsicherheit beim TÜV Rheinland. Zehn Jahre war er zudem Mitglied in deutschen, europäischen und internationalen
Normungsgremien
zur Spielzeugsicherheit, davon drei Jahre Vorsitzender des
deutschen Normungsgremiums bei DIN.

Wird der Paragrafen-Dschungel mit der Veränderung noch größer?
Da parallel zur Spielzeugrichtlinie weitere wichtige, auch für Spielzeug anwendbare Regelungen überarbeitet werden, kommen sicherlich erweiterte Anforderungen auch auf Spielzeug zu.
Ob es allerdings Sinn macht, die umfangreichen Anforderungen aus übergeordneten und anwendbaren Regelungen zusätzlich in eine künftige Spielzeugverordnung einzuarbeiten, ist fraglich.
Es stellt sich hierbei die Frage, wie praktikabel eine Verordnung sein kann, die für alle möglichen Spielzeugmaterialien, Spielzeugtypen, Verwendungen und Zielgruppen alle Grenzwerte und Rahmenbedingungen enthalten soll.

Welche Bedeutung hat zum Beispiel die Verpackungsverordnung im Hinblick auf Spielzeugsicherheit?
Gesetze, wie die Richtlinie (EU) 2019/904 über die Verringerung der Auswirkungen bestimmter Kunststoffprodukte auf die Umwelt, sind ein wichtiger Beitrag zur Nachhaltigkeit und Müllvermeidung. Die Spielzeugsicherheit wird durch die zunehmende Verwendung von Recyclingmaterial insbesondere dadurch tangiert, da Recyclingmaterial qualitativ eine größere Schwankungsbreite aufweist. Ich meine damit, dass unterschiedliche Chargen von Recyclingmaterial unterschiedliche mechanische und chemische Eigenschaften aufweisen können.

Sie wollen und sollen die DVSI-Mitglieder „Fit for Future“ machen. Was bedeutet das genau und wie wollen Sie das machen?
Neben dem Praxisseminar „Geprüfte Fachkraft für Spielzeugsicherheit“ geben wir unseren Mitgliedern auch mit dem jährlich stattfindenden „DVSI Safety Day“ ein regelmäßiges Update über neu aufgekommene Anforderungen. Des Weiteren planen wir ein Weiterbildungsprogramm zum Thema „Digitalisierung“. Hier soll es unter anderem darum gehen, wie man Bedienungsanleitungen per QR-Code für jedermann zugänglich machen kann, aber auch, wie man eine für Behörden zugängliche Datenbank mit der technischen Dokumentation aufbauen kann.

Der DVSI bietet auch Seminare wie „Geprüfte Fachkraft für Spielzeugsicherheit“ an. Was ist das Ziel dieses Seminars und an wen richten Sie sich damit?
Das Seminar „Geprüfte Fachkraft für Spielzeugsicherheit“ richtet sich primär an Qualitätsbeauftragte von Spielzeugherstellern und -vertreibern, aber auch an Entwickler, Konstrukteure und zum Beispiel Facheinkäufer. Hier erhalten sie das nötige Fachwissen über die CE-Kennzeichnung und die Anforderungen an die Spielzeugsicherheit.

Sie teilen sich die Aufgabe des Experten für Spielzeugsicherheit mit Alexander Breunig. Wie ist hier die Aufgabenverteilung?
Ich übernehme vornehmlich den Part der mechanischen Spielzeugsicherheit, da ich mich die letzten Jahre mit der Weiterentwicklung der mechanischen Sicherheitsnormen beschäftigt habe und auch bei TÜV Rheinland im mechanischen Spielzeuglabor beschäftigt war.
Alexander Breunig ist dagegen ein ausgewiesener Experte im Bereich der chemischen Sicherheitsanforderungen. Wir ergänzen uns daher prima im Team.

Liegen Ihnen Erkenntnisse darüber vor, dass importierte Spielwaren häufig weniger den hier geltenden Sicherheitsbestimmungen entsprechen als inländische? Welche Entwicklungen haben Sie in den zurückliegenden Jahren hier beobachtet?
Es ist für Marktüberwachungsbehörden schwierig, dubiose Onlinehändler, die teils gefälschte und unsichere Spielwaren auf den europäischen Markt bringen wollen, lückenlos zu kontrollieren.
Das Gros der in Deutschland erhältlichen Spielwaren stammt aus nichteuropäischer Produktion. Die großen, in Deutschland ansässigen Handelsunternehmen sind sich allerdings der Verantwortung, die mit der CE-Kennzeichnung zusammenhängt, bewusst.


Die Einhaltung aller chemischen, mechanischen und physikalischen Anforderungen, die die europäische Norm für Spielwaren, die EN 71, vorschreibt, ist alles andere als ein Kinderspiel. Im Paragrafen-Dschungel der 13 Teile umfassenden Normenreiche zur Spielzeugrichtlinie, die durch weitere Verordnungen wie etwa der Registrierung, Bewertung, Zulassung und Beschränkung chemischer Stoffe, REACH, ergänzt wird, lässt sich schnell der Überblick verlieren. Jahr für Jahr wird zudem die Liste von Substanzen, die laut neuerer Forschungsarbeiten gesundheitliche Auswirkung haben könnten, länger und länger, verschärfen sich weltweit die gesetzlichen Anforderungen an Spielwaren. Ohne Expertisen von Experten dürfte so mancher Spielzeughersteller schnell an Grenzen stoßen.
Mit dem Dipl.-Ing. (FH) Stefan Ackenheil ist neben Alexander Breunig ein weiterer ausgewiesener Experte mit umfassenden Fachkenntnissen auf dem Gebiet der Spielzeugsicherheit in den Reihen des Team DVSI. Der Nürnberger Ackenheil, 1978 geboren, studierte Verfahrenstechnik an der Georg-Simon-Ohm-Fachhochschule Nürnberg mit dem Schwerpunkt Wertstoff- und Entsorgungstechnik. Seine Diplomarbeit befasste sich mit makromolekularer Chemie. Machte Stefan Ackenheil beim TÜV noch Teddy-Bären mit einem Bunsenbrenner mächtig Feuer unter dem Hintern, um ihre Entflammbarkeit auf Herz und Nieren zu prüfen, ist er neben Alexander Breunig seit Oktober der neue „Sachverständige für Spielzeugsicherheit“ beim DVSI und macht die DVSI-Mitglieder „fit for future“.

Uli Brobeil, Geschäftsführer DVSI