Handel und Industrie – das ist nicht selten vermintes Gebiet, fast immer ein Spannungsfeld – gerade jetzt gibt es viele kontroverse Themen – mindestens aber ein von beiden Seiten sorgsam gepflegtes Techtelmechtel. Dass es auch Spaß machen kann, zeigte sich, als die beiden Verbände, im konkreten Fall der DVSI und der BVS, zum ersten „Zusammenspiel“ einluden.
Das vielbeschworene „Wir sitzen alle im selben Boot“ hat in diesen bewegten Zeiten eine ganz besondere Bedeutung gewonnen. Hinter den Herausforderungen, vor die sich die Spielwaren-Community gestellt sieht, treten in Jahren sorgsam gepflegte Feindbilder zurück und weichen der Einsicht, dass Industrie und Handel mehr verbindet als trennt.
Der Dialog, den der Deutsche Verband der Spielwarenindustrie, DVSI, und der Bundesverband des Spielwaren-Einzelhandels, BVS, mit dem ersten Zusammenspiel anstrengten, soll Differenzen nicht kaschieren, aber doch aufzeigen, dass es durchaus möglich ist, gemeinsam zu handeln. Die erste gemeinsame Mitglieder-, beziehungsweise Delegiertenversammlung sollte ein Anfang sein, sollte Zeichen setzen. Allen Beteiligten ist jedoch klar: Es ist noch viel Luft nach oben! Natürlich muss ein solcher „runder Tisch“ auch kartellrechtlich abgesichert sein, dafür sorgte DVSI-Geschäftsführer und Jurist Ulrich Brobeil. Er war der Motor für dieses Event, will ein Ausrufezeichen setzen, dass etwas zusammenzuwachsen beginnt, was zusammengehört. Das Get-together in Köln war lange ersehnt, das war zu spüren. Während des offiziellen Teils, aber auch beim After-Work-Meeting im Deutschen Sport & Olympia Museum am Zollhafen. Taufrisch, nachhaltig, digital – dieses Motto, das der DVSI sich auf die Fahne geschrieben hatte, umfasste auch das Vortragsprogramm. Es ging um digitale Tansformation, um die Digitalisierung von Content und um den gelebten Wandel, eine Disziplin, die derzeit alle Beteiligten am eigenen Leib erfahren.
Seite an Seite auch die Geschäftsführer: Für den DVSI, Ulrich Brobeil (links im Bild) und für den BVS, Steffen Kahnt
Dieser Vortrag war nichts für Spaßbremsen oder Leute, die keine Kritik vertragen: Prof. Dr. Dennis Lotter (links im Bild) und Ömer Atiker ließen nichts aus, um der Branche vor Augen zu führen, wie wichtig Digitalisierung ist und wie wenig davon bis dato in der Branche angekommen ist. Ihr Fazit: Die Spielwarenbranche kennt die Herausforderungen, setzt sie aber (noch) nicht um.“
Ömer Atiker, internationaler Keynote Speaker, Digitalexperte und Autor von Fachbüchern (Das Survival-Handbuch. Digitale Transformation), und Prof. Dr. Dennis Lotter, leidenschaftlicher Ghost Buster-Jäger in der deutschen Wirtschaft und ebenfalls Autor zahlreicher Fachbücher (Digital Transformation Design), präsentierten eine für den DVSI durchgeführte Studie zum Stand der Digitalisierung in der Spielwarenbranche und legten eine Performance hin, die ihresgleichen sucht. Deutliche Kritik, originell und witzig verpackt, nicht für jeden verträglich, aber wohl dosiert (und oftmals wahr): „Die Spielwarenbranche befindet sich im digitalen Blindflug“ oder „Ist Stillstand ein Sieg?“, um nur einige „Bonmots“ zu nennen. Elegant formuliert: Die Spielwarenbranche zählt nicht zu den First Movern bei der Bereitschaft, die digitale Transformation voranzutreiben oder zu gestalten. Das war auch nicht zu erwarten, dafür ist die Branche zu heterogen, zu kleinteilig, zu komplex. Smart Toys, programmierbare Roboter, digitale Modelleisenbahnen oder ein humanoider Pepper, den wir vor ein paar Jahren auf der Spielwarenmesse erleben konnten, machen aus einer Branche, zu der Beißringe ebenso zählen wie ferngesteuerte Multikopter, keine Referenzbranche, Digitalisierung meint mehr als nur die Integration von Chips in Spielwaren oder Kostensenkung; es meint die Ausrichtung des kompletten Geschäftsmodells auf digitale Prozesse. Die Auswertung der DVSI-Digitalumfrage ergab: Nur 18 Prozent der Befragten glauben, dass die Branche gut für den digitalen Wandel gewappnet ist. Hoffnung machen allerdings Aussagen Einzelner, dass sie ihr Unternehmen insgesamt besser auf die digitalen Herausforderungen eingestellt sehen als die Branche insgesamt. Und immerhin zählen sich 15 Prozent der Befragten sogar zu den mutigen Digital-Pionieren.
Vorträge vermittelten den Teilnehmern Expertise aus den unterschiedlichsten Bereichen und Perspektiven: Dr. Christian Sprinkmeyer (re.) definierte vier zentrale Dimensionen für ein digitales Fitnessprogramm: erstens „interne Prozesse & Systeme“, zweitens „digitaler Vertrieb“, drittens „digitale Produkte“ und viertens „Talent“. Sascha Pallenberg gewährte Einblicke in seine private und berufliche „Heimat“.
Fazit der beiden Referenten: Die Branche ist in Bewegung, aber noch lange nicht angekommen. Und der gutgemeinte Rat: Das Potenzial nutzen und einfach spielerisch digitalisieren!
Die Digitalisierung von Content in einer Cloud lieferte für Dr. Christian Sprinkmeyer, Chief Digital Officer bei tonies, die Basis für das erfolgreiche Geschäftsmodell der Düsseldorfer. Digitalisierung meint aber viel mehr als eine Cloud-basierte Lösung. Kein Unternehmen kommt mehr an einer umfassenden digitalen Transformation vorbei, so Sprinkmeyer, um Wertschöpfungspotenziale zu erschließen und die Wettbewerbsfähigkeit aufrechtzuerhalten. Das betrifft alle Spielfelder eines Unternehmens. Sprinkmeyer machte zudem deutlich, dass der intelligente Einsatz von Technologien und der Erfolg eines Unternehmens eng miteinander verknüpft sind. Mit Beispielen aus seiner Zeit bei der Daimler AG und seiner Wahlheimat Taiwan, zeigte im Anschluß Sascha Pallenberg, Chief Awareness Officer, aware_The Platform, wie pragmatisch Wandel gelebt und kommuniziert werden kann. Nachhaltig, digital und vor allen Dingen effektiv. Und weil das „Zusammenspiel“ künftig wechselseitig ausgerichtet werden soll, freut sich der DVSI auf ein Wiedersehen am 5. und 6. Juli 2023 in der Trauffer Erlebniswelt in Hofstetten, Schweiz.
Zwei lange Jahre mussten die Mitglieder und Delegierten des DVSI und BVS auf diese Premiere warten: Umso reger der Austausch und die Wiedersehensfreude