Dr. Martin Soder – Wann ist ein Mann ein Mann?
Dr. Martin Soder ist Gynäkologe am Diakonissen Krankenhaus in Karlsruhe. Dort bietet er Geburtsvorbereitungskurse nur für Männer an – und das mit großem Erfolg. Im Gespräch mit 1st Steps Redakteurin Astrid Specht gab der junge Arzt und Vater Einblick in die fürsorglichen Männerseelen.
Dr. Martin Soder
Herr Doktor Soder, seit wann gibt es Ihren Geburtsvorbereitungskurs „Von Mann zu Mann“ schon und wie kam es dazu, dass Sie dieses Angebot ins Leben gerufen haben?
Den Kurs gibt es seit Februar 2014. Was mich dazu bewogen hat, dieses Angebot zu schaffen, war die Erkenntnis, dass vielen werdenden Vätern ganz offensichtlich ein männlicher Ansprechpartner fehlt, wenn es um die Themen Schwangerschaft und Geburt geht. Ich arbeite seit 2010 als Gynäkologe im Krankenhaus und in einer Praxis und habe im Lauf der Zeit gemerkt, dass die meisten Männer Bedarf nach Antworten auf Fragen haben, die sie in Anwesenheit ihrer Partnerin oder einer Hebamme/Ärztin vielleicht nicht oder zumindest anders stellen würden. Dieser „Unterversorgung“ wollte ich entgegenwirken.
Welche Befürchtungen und Ängste äußern die Väter in spe am häufigsten?
Das kommt immer ein bisschen auf die Konstellation der Gruppe an. Die wenigsten Männer starten direkt mit einer emotionalen Selbstoffenbarung in die Runde. Das kommt später. Man könnte sagen, dass Männer, die während einer Geburt ja Außenstehende oder Beobachter sind, an der Pathologie interessiert sind, also an den Dingen, die schiefgehen könnten. So fühlen sie sich auf den Worst Case vorbereitet. Sie stellen dann Fragen zum Ablauf der Geburt, zur Funktionsweise des Wehenschreibers oder zu den Medikamenten, die ihre Frau gegen die Schmerzen bekommt. Diese Fragen sind lösungsorientiert, bringen aber indirekt doch Sorge oder Ängste zum Ausdruck. Manchmal bleibt es dabei und die Gruppe gerät in eine längere Diskussion über diese technischen Details. Manchmal ist dann aber einer doch so mutig und spricht ganz offen über seine Gefühle. Ängste drehen sich meist um das noch ungeborene Kind und die Frau während der Geburt, aber auch um die Zeit danach: „Ist das Kind nicht furchtbar zerbrechlich?“, „Besteht nicht die Gefahr, dass ich ihm versehentlich wehtue?“, „Werde ich meine Frau danach noch attraktiv finden?“ aber auch: „Was ist, wenn ich kein Blut sehen kann?“ sind sicherlich die häufigsten Fragen.
Wie begegnen Sie diesen Ängsten?
Mit Fakten. Viele, die zum ersten Mal Vater werden, haben aus dem Freundes- und Bekanntenkreis oder aus dem Internet Horrorgeschichten über die Geburt mitbekommen. Da erkläre ich dann beispielsweise, wie sicher eine Geburt für eine Frau in Deutschland heutzutage ist. In meiner mehr als zehnjährigen Tätigkeit als Arzt habe ich über 1.500 Geburten begleitet und dabei nur sehr selten wirklich schlimme Komplikationen für Mutter oder Kind gesehen. Natürlich bleibt immer ein gewisses Restrisiko, das für das Kind durchaus höher ist als für die Mutter. Auf der anderen Seite werden die Eltern immer in Sorge sein, sobald das Kind da ist – ob das auf dem Schulweg sein wird, wenn es als Teenager anfängt, Partys zu feiern oder wenn es auszieht, um zur Universität zu gehen. Es heißt doch so schön: „Kleines Kind, kleine Sorgen. Großes Kind, großes Sorgen.“ Das gehört zum Elternsein dazu.Was vielen Männern auch hilft, ist, wenn ich ihnen die verschiedenen Phasen einer Geburt darlege. Für sie ist das, was da passiert nämlich ein Mysterium, eine Art Blackbox, die ich öffne und in die ich Licht bringe. Ich vergleiche die Geburt gerne mit einer Extremsportart oder einer ausgedehnten Bergtour, auf die sich die Männer bis zu einem gewissen Punkt mit ihrer Partnerin vorbereiten können. Es wird Etappen geben, auf denen es ruhig zugeht, und Etappen, auf denen viel passiert und die Frau kämpfen muss. Unvorbereitet kann das auch den stärksten Mann hilflos machen. Doch allein dieser Einblick hilft den meisten Männern schon, sich ruhiger zu fühlen, wenn es dann tatsächlich soweit ist.
Im Übrigen beobachte ich, dass Paare, die bereits vor der Geburt ein gutes, lebendiges Intimleben hatten, danach auch dorthin zurückfinden. Das dauert etwas, der Körper der Frau hat sich ja verändert, ebenso die Beziehungsdynamik des Paares. Die beiden sind ja nicht mehr nur Mann und Frau füreinander, sondern ab der Geburt eben auch Vater und Mutter. Das ist eine gravierende Veränderung, die nicht immer reibungslos abläuft. Aber je offener beide mit diesem Wandel des eigenen Selbstverständnisses umgehen und bereit sind, sich darauf einzulassen, desto positiver wirkt sich das auf jede Ebene der Beziehung aus.
Der Kurs beinhaltet lockeres Beisammensein mit Hopfenkaltschale
Inwieweit ist die Tatsache, dass immer mehr Männer im Kreissaal dabei sein möchten, Ausdruck eines neuen männlichen Selbstbildes?
Ich empfinde es tatsächlich so, dass das gesellschaftliche Verständnis dessen, was Mann-Sein, aber auch Vater-Sein bedeutet im Wandel begriffen ist. Viele Männer wollen heute noch mehr Papa sein, also noch stärker in die Erziehung und in die Familiendynamik integriert werden. Allerdings darf man nicht davon ausgehen, dass das eine Anwesenheit im Kreissaal voraussetzt. Ich empfehle jedem Mann, live dabei zu sein, wenn das eigene Kind auf die Welt kommt. Die Geburt ist ein wunderbares, fundamentales Ereignis, das Männern Respekt vor der Kraft und Stärke ihrer Partnerin lehrt, was meiner Meinung nach der Beziehung nur guttun kann. Daraus darf sich aber kein Anwesenheitszwang ergeben – weder von Seiten der Partnerin noch von Seiten der Gesellschaft. Die Entscheidung muss frei bleiben. Es gibt aber auch Männer, die im Kreissaal sehr nervös werden oder es nicht aushalten, ihre Frau leiden zu sehen. In diesem Fall bin ich durchaus dafür, dass der Mann dann nicht dabei ist. Wenn er ihr nicht die Stütze sein kann, die sie braucht, ist allen am meisten durch seine Abwesenheit geholfen. Das sollte zuvor aber abgesprochen werden. Während der Presswehen unangekündigt aus dem Saal zu gehen, kommt nicht gut an.
Wichtig ist auch, keine Trugschlüsse zu ziehen: Kein Mann ist ein schlechter Vater, nur weil er bei der Geburt nicht dabei war!
Wie fällt das Feedback der Männer – aber auch deren Partnerinnen zu Ihrem Kurs aus?
Durchweg positiv – auch von den Frauen! Die sagen, dass ihre Männer nach dem Kurs wesentlich entspannter waren. Wie groß das Bedürfnis nach einem solchen Angebot ist, zeigt auch die Frequenz, mit der ich den Kurs inzwischen anbiete. Am Anfang fand der Kurs einmal alle acht Wochen statt mit jeweils zehn bis zwölf Teilnehmern. Inzwischen veranstalte ich alle acht Wochen an zwei aufeinanderfolgenden Tagen Kurse mit jeweils bis zu 18 Teilnehmern. Ich habe Pläne, wie ich das Angebot erweitern möchte, dafür bräuchte ich aber dringend Unterstützung!
Wie sehen diese Pläne denn aus?
Ich würde sehr gerne einen Säuglingspflegekurs nur für Männer anbieten, der idealerweise von einem männlichen Kinderarzt mit eigenen Kindern durchgeführt wird. So wären alle Kernkompetenzen abgedeckt – die professionelle und die persönliche. Noch bin ich aber auf der Suche nach einem geeigneten Partner.
Dafür wünsche ich Ihnen alles Gute, Herr Dr. Soder, und bedanke mich für das Gespräch.