Brennpunkt: Zwischen Pflicht und Kür

16. Oktober 2023, 15:44

DVSI Positionsbestimmung zur neuen Spielzeugverordnung

Die Europäische Kommission hat Ende Juli ihren Vorschlag zur Verordnung über die Sicherheit von Spielzeug veröffentlicht. Der Deutsche Verband der Spielwarenindustrie e.V. sieht in der Überarbeitung der aktuell noch gültigen Spielzeugrichtlinie eine Chance, aber auch eine Herausforderung. Er begleitet und kommentiert die Novellierung unter anderem mit einem Positionspapier und war im übrigen auch eine der ersten europäischen Stimmen, die sich zum Vorschlag der EU-Spielzeugverordnung geäußert haben.

Was Rom für die Antike war, sind heute die Flure Brüssels für die EU“, der lakonische Kommentar des DVSI-Geschäftsführers Ulrich Brobeil zum aktuellen Geschehen beschreibt ziemlich genau, in welchem Spannungsfeld sich der DVSI derzeit bewegt und welches Pflichtenheft er zu füllen hat. Die neue Spielzeugverordnung, besser gesagt der vorliegende Entwurf derselben, wirft seine Schatten voraus – und Fragen auf, die nicht nur „auf den Fluren“ der EU kontrovers diskutiert werden.

Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser

Die aktuelle EU-Spielzeugrichtlinie mit den erfolgten Anpassungen hat maßgeblich dazu beigetragen, ein vielfältiges Angebot an sicherem Spielzeug für Kinder in Europa zu gewährleisten. Seit Einführung der Richtlinie 2009 zählt Spielware in Europa zu den am striktesten reglementierten Konsumgütern weltweit. „Es ist zu begrüßen“, so Ulrich Brobeil, „dass durch die Umwandlung der Richtlinie in eine Verordnung der freie Verkehr von Spielwaren im Binnenmarkt weiter gestärkt wird und unterschiedlichen Umsetzungen auf nationaler Ebene vorgebeugt wird.“ Aus Sicht des DVSI und seiner Mitglieder bedarf der vorgelegte Entwurf einiger Nachbesserungen, um auf die tatsächlichen Probleme zu verweisen und zu Anforderungen zu kommen, die in der Praxis umsetzbar sind.
Was wird angestrebt? Der DVSI wünscht sich vor allem eine stärkere und effizientere Marktüberwachung, deren Grundsätze und Pflichten für die Wirtschaftsakteure online und offline identisch sein müssen. Der Jurist Ulrich Brobeil, seit elf Jahren Geschäftsführer des DVSI und seit Juni 2021 auch Präsident des International Council of Toy Industries (ICTI) – in dieser Funktion hat Brobeil auch einen Sitz im unabhängigen Governing Board des ICTI Ethical Toy Program inne – gilt als geschickter und unermüdlicher Networker und Verhandler – vor allem auch auf „diplomatischer Ebene“ in Politik und Kultus. Das hilft dem DVSI, Problemfelder frühzeitig zu erkennen und zu besetzen. So geschehen auch hinsichtlich der Inhalte einer neuen Spielzeugverordnung. Mehr Kontrolle und Marktüberwachung, um den schwarzen Schafen vor allem auf Onlineplattformen das Handwerk zu legen, das fordern DVSI und Toy Industries of Europe (TIE) schon seit Jahren. Und eines ist klar: Ein digitaler Produktpass, wie die EU-Kommission ihn in ihrem Entwurf fordert, wird es allein nicht richten.

Von der Theorie zur Praxis

Erst wird mit flinker Feder ein Entwurf geschrieben, dann kommen die Sachverständigen. So auch im Falle der Novellierung der neuen Spielzeugverordnung. Das in Deutschland für die neue Verordnung federführende BMWK lud Stakeholder schon Ende August zum Informationsaustausch nach Bonn, um über den Inhalt der Verordnung zu diskutieren und Vorschläge aufzunehmen. Diese Chance ließ sich der DVSI nicht entgehen und war mit dem DVSI Positionspapier zur Stelle, das den Entwurf der neuen Spielzeugverordnung mit Vorschlägen zur Nachbesserung kommentiert. Erarbeitet wurde es mit den internen und externen DVSI-Experten sowie Fachleuten der Mitgliedsunternehmen.

Was lange währt, wird endlich gut?

Brüssel hat sich lange Zeit gelassen, einen diskussionsfähigen Entwurf zur neuen Spielzeugverordnung vorzulegen. Nun ist es an den Verbänden, die Verordnung mit Fokus auf ihre Mitgliedsunternehmen auf „Alltags- und Praxistauglichkeit“ zu prüfen. Der Balanceakt wird sein sicherzustellen, dass die neuen Regeln die Sicherheit von Kindern auch weiterhin gewährleisten und gleichzeitig die Freude, Kreativität und Erschwinglichkeit von Spielzeug aufrechterhalten.
Und noch ein weiterer, wichtiger Aspekt kommt zum Tragen: Regeln können nur wirksam sein, wenn sie durch Marktkontrollen realistisch durchsetzbar sind. Dafür ist mehr als ein digitaler Produktpass erforderlich. Wenn Spielzeuge kopiert werden können, können auch Produktpässe und die dort von reputablen Herstellern hinterlegten Dokumente kopiert werden.
Fazit: Die tatsächliche Durchsetzbarkeit alter und neuer Vorgaben erfordert eine Aufstockung der Ressourcen für die Marktüberwachung und anderer Behörden. Passiert das nicht, helfen die besten Regeln nicht. Betrügerische Händler werden Vorschriften weiterhin ignorieren und, weil sie geringere Compliance-Kosten haben, ihre unsicheren Produkte zu einem günstigeren Preis verkaufen. Und nicht nur preissensible Verbraucher erwerben dann unwissentlich gefährliches Spielzeug. Verlierer sind die renommierten Hersteller, die einen gravierenden Wettbewerbsnachteil in Kauf nehmen müssen.


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Das Thema Spielzeugsicherheit kann ein wahrer Dschungel aus vielen Fragezeichen sein. Eltern, Großeltern oder Pädagogen suchen nach zuverlässigem Rat und neutraler Expertise. Der DVSI nimmt Verbraucher an die Hand und bietet auf sicherspielen.info eine Sammlung mit wertvollen Tipps zum Thema Spielzeugsicherheit sowie einen wertvollen Shopping-Guide. Die Tipps beruhen auf dem Wissen ausgewiesener Spielzeugsicherheitsexperten, die auf jahrzehntelange professionelle Erfahrung im Bereich Spielzeugsicherheit zurückgreifen können. Ganz nebenbei sind sie auch Eltern und sprechen aus persönlicher Erfahrung.


Nachgefragt

Herr Brobeil, die Sicherheit und die gesundheitliche Unbedenklichkeit von Spielwaren sind für den DVSI seit seinem Bestehen Kerngeschäft. Was soll sich jetzt ändern?
Eines vorweg: Der DVSI wünscht sich schon lange eine stärkere und effizientere Marktüberwachung, denn Hersteller von Qualitätsspielwaren leiden durch das Ansteigen der Onlinekäufe von Spielwaren massiv unter einem unfairen Wettbewerb. Und konkret zu Ihrer Frage: Kernelemente der Reform sind eine Verschärfung der chemischen Anforderungen und die Einführung eines digitalen Produktpasses. Letzterer wird das bunte Treiben beispielsweise auf Onlineplattformen aber nicht unterbinden. Darüber herrscht unter Stakeholdern, aber auch bei Politikern Konsens, denn die Mitgliedsstaaten sind nach wie vor für die Kontrollen zuständig. Und da hapert es, weil es schlicht an Manpower fehlt.

Wo sehen Sie noch Haken und Ösen der geplanten Reform?
Das Kind darf nicht mit dem Bade ausgeschüttet werden. Und das geschieht, wenn neue Grenzwerte bis an oder über die Grenze der Messbarkeit formuliert werden. Spielwaren müssen durch die Behörden gut überwachbar und für den Konsumenten bezahlbar bleiben. Wir haben, was die herstellenden Unternehmen angeht, eine sehr inhomogene Spielwarenlandschaft. Das spiegeln auch unsere Mitgliedsunternehmen wieder. Grundsätzlich begrüßen wir, wie eingangs erwähnt, die Einführung des digitalen Produktpasses. Kleine und mittlere Unternehmen sollten damit jedoch nicht überfordert werden, sprich, die bürokratischen und technischen Anforderungen sollten nicht übermäßig kompliziert und in vertretbarem Maße umsetzbar sein.

Was unter dem Strich bedeutet, dass Verbraucher weiterhin Verantwortung übernehmen müssen …
So ist es. Ich kann nur sagen: „Augen auf beim Spielwarenkauf!“ Bei Onlinekäufen sollten sich Verbraucher genau über die Herkunft und den Hersteller von Spielwaren informieren, um kein böses Erwachen zu erleben. Das ist schwierig, das wissen wir. Wir haben deshalb, um Eltern als Verband mit exzellentem Spielwaren-Know-how aktiv zu unterstützen, im Mai eine neue Service-Website sicherspielen.info aufgelegt. Die Seite gibt viele praktische Tipps rund um den Einkauf und die Bewertung von guten Spielwaren.


Das DVSI-Positionspapier zur Spielzeugverordnung

Nachfolgend in Auszügen die Vorschläge zur Nachbesserung der Verordnung über die Sicherheit von Spielzeug aus Sicht des DVSI.

  • Der Digitale Produktpass sollte realistisch und umsetzbar sein
    Mögliche technische Herausforderungen bei der Umsetzung sollten im Vorfeld beleuchtet und bei der Umsetzung ausgeschlossen werden. Aus Datenschutzgründen und zur Wahrung von Betriebsgeheimnissen sollte sichergestellt werden, dass vertrauliche Informationen nur berechtigten Parteien zugänglich gemacht werden. Für die technische Umsetzung des Produktpasses drängt der DVSI auf zeitnahe Definition des Rahmens.
  • Chemische Reglementierung mit Augenmaß
    Zusätzlich zu dem vorhandenen Verbot der Verwendung von CMR-Stoffen (CMR: kanzerogen, mutagen, reproduktionstoxisch) sollen nun auch noch endokrine Disruptoren, spezifische Zielorgan-Toxizität und die Sensibilisierung der Atemwege reglementiert werden, deren Einstufung in der CLP-Verordnung 1272/2008 geregelt ist. Die neue Spielzeugverordnung darf aber nicht dazu führen, dass sichere Spielwaren durch Überregulierung verboten werden oder es aufgrund aufwändiger Tests zu teuer wird, sie auf den Markt zu bringen. Die neuen Chemikalienanforderungen könnten aber genau das bewirken.
  • Neue akustische Sicherheitsanforderungen
    nur auf Basis nachweislicher Fakten und klarer Testanforderungen
    Künftig soll generell eine „akustische Gefährdung“ ausgeschlossen werden, egal ob ein Geräusch beabsichtigt produziert wird oder nicht. Die Einbeziehung unbeabsichtigter Geräusche stellt jedoch ein Problem für die Normung dar, da nicht klar ist, was als unbeabsichtigtes Geräusch betrachtet wird und in welchem Szenario diese unbeabsichtigten Geräusche gemessen und bewertet werden sollen.
  • Anforderungen an psychische Gesundheit unklar
    In der Präambel des Verordnungsentwurfs steht diese Anforderung in eindeutigem Zusammenhang mit „digitalem Spielzeug“. Es ist nicht ausreichend definiert, wie die Anforderung „psychische Gesundheit, Wohlbefinden und kognitive Entwicklung“ umgesetzt und bewertet werden soll. Bei einer solch vagen Formulierung könnten auch subjektive, kulturelle Ansichten zugrunde gelegt werden, die in Europa sehr uneinheitlich sind.
  • Erweiterung des Anwendungsbereichs
    Artikel 2 ermächtigt die Kommission, mittels Durchführungsrechtsakten zu bestimmen, ob ein bestimmtes Produkt oder eine bestimmte Produktkategorie als Spielzeug betrachtet werden sollte oder nicht. Hier stellt sich die Frage nach der Übergangsfrist. Es besteht die Gefahr, dass eine neue Kategorie von Spielzeugen in den Anwendungsbereich der Verordnung aufgenommen wird, ohne dass die Hersteller Zeit haben, alle Anforderungen zu erfüllen.
  • Realistische Übergangsfristen
    Bei den im Entwurf enthaltenen Übergangsfristen (30 Monate zur Anwendung der Verordnung) ist darauf zu achten, dass Verzögerungen durch Bereitstellung von Datensystemen (zum Beispiel für den digitalen Produktpass) als auch durch zusätzliche delegierte Rechtsakte ausreichend Beachtung und Anpassung finden. Sehr kritisch ist die enthaltene zwölfmonatige Übergangsfrist für den Abverkauf alter Ware zu sehen.