Brennpunkt: Zwischen Likes und Lootboxen

28. Juni 2025, 15:30

Kinder spielen heute ganz selbstverständlich analog und digital – oft sogar gleichzeitig, denn die Grenzen zwischen beiden Welten verschwimmen zunehmend. Für Hersteller und IP-Owner bedeutet das: Marken werden nicht mehr nur im Kinderzimmer, sondern auch auf Plattformen wie Roblox, Minecraft, TikTok oder YouTube erlebt. Das eröffnet neue Möglichkeiten der Markeninszenierung – bringt aber auch eine wachsende Verantwortung mit sich. Denn dort, wo Kinder digital unterwegs sind, lauern reale Gefahren. Es ist an der Zeit, den Kinderschutz nicht allein den Eltern zu überlassen, sondern als festen Bestandteil digitaler Markenstrategien zu verankern.

Ob Roblox, Minecraft, TikTok, YouTube oder Instagram – Kinder bewegen sich heute wie selbstverständlich in digitalen Welten. Sie bauen, tanzen, chatten, tauschen sich aus. Für viele Spielwarenhersteller und Lizenzeigentümer ein perfekter Touchpoint. Doch mit der digitalen Präsenz kommt die Verantwortung. Denn das Netz ist kein geschützter Raum – und schon gar kein Spielplatz ohne Aufsicht.
Online begegnen Kinder einer Vielzahl von Risiken: Gewaltverherrlichende Inhalte, Cybergrooming, übergriffige Werbung, aber auch subtile Kaufanreize und gefährliche Social-Media-Trends. Was auf den ersten Blick kreativ, bunt und „kinderfreundlich“ wirkt, kann sich schnell als riskant entpuppen – insbesondere, wenn es nicht konsequent auf Kinderschutz ausgelegt ist.

Verantwortung jenseits des Produkts
Digitale Erlebnisse sind längst Teil der Markenstrategie vieler IP-Owner und Spielwarenhersteller. Virtuelle Spielwelten, Roblox-Games, Influencer-Kampagnen auf TikTok oder Augmented-Reality-Filter auf Instagram – der Kontaktpunkt zur Zielgruppe verschiebt sich zunehmend ins Netz. Und genau hier wird es heikel: Denn digitale Angebote, die Kinder ansprechen, müssen nicht nur unterhaltsam, sondern auch sicher sein. Inzwischen warnt auch der Der Deutsche Kinderschutzbund: Kinder sind online einer Vielzahl an Bedrohungen ausgesetzt – und viele davon sind gut getarnt.

An dem Aktionsbündnis sind zahlreiche Unternehmen und Organisationen beteiligt. (©: Maik Przyklenk; Bluehouse GmbH / Dirk Rossmann GmbH)

Die unterschätzten Risiken

In Online-Spielen wie Roblox oder Minecraft entstehen Risiken oft durch unmoderierte Nutzerinhalte, ungesicherte Chatfunktionen oder manipulative In-App-Käufe. Aber auch auf Plattformen wie TikTok und Instagram lauern Gefahren – ganz ohne Spielcharakter:

  • Algorithmen verstärken extreme Inhalte: TikToks „For You“-Feed kann Kinder in bedenkliche Content-Bubbles ziehen – von Diät-Tipps bis zu selbstverletzendem Verhalten.
  • Trend-Challenges bergen echte Gesundheitsrisiken – von gefährlichen Mutproben bis hin zu riskantem Verhalten für Likes.
  • Künstlich geschönte Realitäten fördern unrealistische Schönheitsideale, erzeugen Druck – und senken das Selbstwertgefühl.
  • Influencer-Werbung wirkt subtil, aber stark: Kinder erkennen kommerzielle Absicht oft nicht und lassen sich zum Kauf oder Nachahmen verleiten.

Diese Plattformen sind nicht für Kinder gemacht – und doch sind sie für viele zur täglichen digitalen Bühne geworden. Eine Bühne, auf der Marken ebenfalls sichtbar sind. Und damit auch mitverantwortlich.

Was das für die Industrie bedeutet
Wer eine Marke für Kinder aufbaut, muss diese auch im digitalen Raum schützen. Das bedeutet:

  • Inhalte müssen altersgerecht, datenschutzkonform und transparent sein.
  • Interaktionen sollten moderiert oder sicherheitsbewusst eingeschränkt sein.
  • Werbung darf nicht manipulativ oder übergriffig sein – weder durch Game-Design noch durch Influencer.

Um auf diese Gefahren aufmerksam zu machen, hat die Drogeriekette Rossmann die Initiative „Lass dein Kind nicht allein im digitalen Raum! Gemeinsam für eine gesunde Kindheit.“ ins Leben gerufen. Damit setzt sich Rossmann für einen bewussteren Umgang mit digitalen Medien bei Kindern ein. Anlass war die alarmierende Zunahme von Medienabhängigkeit: Laut einer aktuellen DAK-Studie nutzen rund 1,3 Millionen Kinder und Jugendliche zwischen zehn und 17 Jahren digitale Medien riskant oder sogar krankhaft. Als Familienunternehmen sieht Rossmann sich in der Verantwortung, auf diese Entwicklung zu reagieren. Die Kampagne startet mit einem eindringlichen Spot, der zeigt, wie Kinder im digitalen Raum auf verstörende Inhalte treffen können. Ziel ist es, Eltern zu sensibilisieren und ihnen praktische Handlungsempfehlungen für den Familienalltag an die Hand zu geben.
Unterstützt wird die Initiative von einem breit aufgestellten Aktionsbündnis, dem unter anderem das Deutsche Kinderhilfswerk, das Kinderkrankenhaus Auf der Bult, die Fachstelle für Mediensucht „return“ sowie die Kinderhilfsorganisation „Children for a better World e.V.“ angehören. Ein zentrales Anliegen der Initiative ist es, Eltern zu ermutigen, das Thema Mediennutzung aktiv in Schulen und anderen Einrichtungen anzusprechen. Rossmann möchte so dazu beitragen, einheitliche Regelungen für den Umgang mit digitalen Medien im schulischen Umfeld zu fördern und Kinder vor den Risiken der digitalen Welt zu schützen. In einem Statement zur Kampagne informiert Rossmann:

Von Vereinsamung bis Suchterkrankung
Ob am Esstisch, im Kinderzimmer oder auf dem Pausenhof: Viele Kinder sind heute dauerhaft in digitale Inhalte vertieft. Was mit harmlosem Content beginnt, kann schnell zur schleichenden Belastung werden. Eltern merken oft erst spät, wie sehr sich das Verhalten ihres Kindes verändert.
Übermäßige Smartphone-Nutzung kann zu sozialem Rückzug, Konzentrationsproblemen und innerer Unruhe führen. Langfristig drohen Vereinsamung, Schlafstörungen und in schweren Fällen sogar depressive Symptome. Die ständige Reizüberflutung durch digitale Medien beeinträchtigt die emotionale und soziale Entwicklung – und verändert die Kindheit nachhaltig.

Digitale Gefahren: was Kinder im Netz bedroht
Neben den schleichenden Folgen drohen konkrete digitale Gefahren. Eltern wissen oft nicht, welche Inhalte ihr Kind konsumiert oder mit wem es online kommuniziert. Doch gerade im vermeintlich sicheren Raum des Kinderzimmers lauern ernstzunehmende Risiken.
Zu den gefährlichsten Phänomenen zählt Cyber-Grooming: Darunter versteht man die gezielte Kontaktaufnahme von Erwachsenen zu Minderjährigen im Netz mit dem Ziel, sexuelle Handlungen vorzubereiten oder zu erzwingen. Auch Cybermobbing ist ein wichtiges Thema und kann Kinder stark belasten. Weitere Risiken im Netz sind der Zugang zu gewaltverherrlichenden Inhalten, extremistischen Botschaften oder gefährlichen Online-Challenges, bei denen Kinder und Jugendliche sich oder andere in Gefahr bringen.

Kein Add-on, sondern Pflicht
Kinder haben ein Recht auf Schutz – aber auch auf Teilhabe. Digitale Räume sind längst Teil ihrer Lebenswelt. Der Schlüssel liegt in der Balance: zwischen Sicherheit und Entfaltung, zwischen Kontrolle und Vertrauen. Hersteller und IP-Owner können hier viel bewirken – wenn sie sich nicht nur als Anbieter, sondern auch als Begleiter verstehen. Mit einem durchdachten Kinderschutzkonzept wird eine digitale Präsenz nicht nur sicherer, sondern auch glaubwürdiger. Und das stärkt nicht nur das Vertrauen der Eltern – sondern vor allem das der Kinder.
Janina Hamhaber hat mit Elena Frense vom DKSB über die Gefahren für Kinder im Netz gesprochen. Dort setzt sich Frense als Fachreferentin für Medien und Digitales mit Nachdruck für Kinderrechte im Netz ein. Im Interview klärt sie über Gefahren auf Plattformen wie Roblox und TikTok auf und beleuchtet, welche Verantwortung Eltern und Anbieter tragen und warum es dringend verbindliche Standards für ein kindgerechteres Internet braucht.

Weitere Informationen zur Kampagne und praktische Tipps finden sich auf der Website:
rossmann.de/de/gesundekindheit


Interview mit Elena Frense vom Deutschen Kinderschutzbund

Frau Frense, wo lauern für Kinder Gefahren im Netz?
Kinder begegnen im Internet einer Vielzahl an Risiken: Dazu gehören insbesondere die Konfrontation mit gewaltvollen oder nicht entwicklungsgerechten Inhalten wie Pornografie oder auch extremistischen Inhalten, Interaktionsrisiken wie Cybermobbing und Cybergrooming – das ist die Anbahnung von Fremden zu sexuellen Zwecken – sowie Datenmissbrauch. Auch Werbung und versteckte Kaufanreize, insbesondere durch sogenannte In-App-Käufe oder Influencer-Marketing, stellen Risiken dar. Besonders gefährlich ist dabei, dass viele dieser Risiken nicht sofort erkennbar sind.

Die digitale Präsenz wird für die Spielwarenhersteller immer wichtiger und ihre Zielgruppe, die Kinder, sind immer öfter im Netz oder auf Social Media unterwegs. Was müssen die Hersteller hier beachten?
Hersteller tragen eine große Verantwortung: Sie stehen in der Pflicht, altersgerechte Inhalte bereitzustellen, die Privatsphäre von Kindern konsequent zu schützen, Kinder vor Interaktionsrisiken zu schützen und transparent mit Werbung und kommerziellen Angeboten umgehen. Datenschutzbestimmungen wie die DSGVO müssen strikt eingehalten werden. Werbung an Kinder sollte am besten gar nicht oder nur kaum vorhanden sein, aber wenn, dann klar als solche erkennbar und nicht manipulierend gestaltet sein. Außerdem sollten Schutzmaßnahmen wie Moderation, Meldemöglichkeiten und andere Formen von Hilfestellungen fest integriert sein. Leider ist die Realität häufig eine andere.

Elena Frense, Deutscher Kinderschutzbund (© Jens Jeske)

Roblox ist eine Online-Spieleplattform, für die man im Einzelhandel sogar Gutscheine erwerben kann und somit vielleicht für manche Eltern eine Art Sicherheit darstellen. Welchen Gefahren können Kindern und Eltern auf dieser Plattform begegnen?
Da ein Großteil der Inhalte von Nutzenden selbst erstellt wird, können Kinder auf Spiele stoßen, die nicht altersgerecht sind oder Gewalt, sexuelle Inhalte oder Angst auslösende Themen beinhalten. Trotz vorhandener Schutzmechanismen ist die Moderation nicht lückenlos. Über Chatfunktionen können Fremde Kontakt zu Kindern aufnehmen, was Risiken wie Cybergrooming oder Mobbing erhöht. Zudem animieren viele Spiele zu In-Game-Käufen, wodurch Kinder verleitet werden können, unkontrolliert Geld auszugeben. Eltern sollten sich bewusst sein: Der Erwerb von Gutscheinkarten gibt keine Garantie für einen sicheren Umgang – vielmehr braucht es aktive Begleitung und von den Eltern aktiv genutzte technische Schutzmaßnahmen.

Wie können Eltern verhindern, dass Kinder Online-Gefahren ausgesetzt sind?
Eltern können viel tun:

  • Aufklärung und offene Gespräche sind essenziell, damit Kinder lernen, Risiken zu erkennen und gleichzeitig wissen, dass sie sich an ihre Eltern wenden können, wenn sie online belastende Erfahrungen gemacht haben.
  • Technische Schutzmaßnahmen wie Filtersoftwares oder Jugendschutzeinstellungen helfen zusätzlich. Welche Einstellungen Eltern dort genau vornehmen können, dazu finden sich zum Beispiel Informationen auf den Seiten von Elternguide Online, Medien kindersicher, dem Internet ABC oder Klicksafe.
  • Die Begleitung der Kinder im Netz, etwa durch gemeinsames Spielen oder Surfen, schafft Vertrauen und hilft den Eltern, die digitale Lebenswelt ihrer Kinder besser zu verstehen
  • Eltern sollten Vorbilder sein und ihr eigenes Medienverhalten (insbesondere in Anwesenheit von Kindern) reflektieren.
  • Gemeinsame Medienregeln aufstellen, an die sich sowohl die Kinder als auch die Eltern halten müssen. Eine tolle Vorlage dafür bietet der Mediennutzungsvertrag.

Welche Online-Seiten für Kinder bieten tatsächliche Sicherheit? Gibt es diese Sicherheit überhaupt?
Es gibt einige kinderfreundliche Angebote wie die Kinder-Suchmaschine fragFINN, die starken Kinderseiten von Seitenstark oder auch das Internet ABC, die geprüfte und altersgerechte Inhalte bereitstellen. Absolute Sicherheit im Internet kann jedoch nie garantiert werden. Es bleibt wichtig, dass Eltern und pädagogische Fachkräfte Kinder begleiten und die digitale Kompetenz stärken, um Risiken besser begegnen zu können.

Welche Kontrollmöglichkeiten haben Eltern (auch in Bezug auf KI, die diesbezüglich eventuelle Hilfe leistet, wenn Kinder nach einer möglichen Entsperrung fragen)?
Eltern können Jugendschutz-Apps und Betriebssystemeinstellungen nutzen, um Inhalte zu filtern, den Download nicht altersgerechter Apps zu unterbinden oder die Bildschirmzeit zu begrenzen. Künstliche Intelligenz kann dabei helfen, zum Beispiel indem sie verdächtige Kontakte oder unangemessene Inhalte erkennt. Dennoch ersetzt KI niemals die persönliche Beziehung und Aufmerksamkeit der Eltern. Wichtig ist ein ausgewogenes Maß zwischen Schutz und dem Recht des Kindes auf freie Entfaltung und altersgerechte Teilhabe im Netz.

Wie wichtig ist es für Kinder, sich im Netz zu bewegen?
Wir leben heutzutage in einer durch und durch digitalisierten Welt. Die Teilhabe am digitalen Leben ist heute ein zentraler Bestandteil kindlicher Entwicklung. Kinder lernen online, kommunizieren, spielen und informieren sich. Digitale Kompetenzen gehören daher zu den Schlüsselqualifikationen, die Kinder benötigen, um selbstbestimmt und sicher am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben.

Kommen Kinder heutzutage überhaupt noch ohne das Internet aus?
Im Alltag ist es kaum mehr möglich, vollständig auf das Internet zu verzichten. Schulen, Freizeitangebote, Freundschaften und später auch der Job sind eng mit digitalen Angeboten verknüpft oder kommen ohne diese nicht mehr aus. Entscheidend ist nicht, ob Kinder das Internet nutzen, sondern wie sie es tun: sicher, selbstbewusst und kompetent – immer mit einem Bewusstsein für sowohl die Chancen als auch die Risiken.