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Brennpunkt: Mehr Raum für mehr Vielfalt

11. März 2023, 11:35

Diversität und Vielfalt sind Schlagworte unserer Zeit. Die Welt ist ein Dorf und Randgruppen sind oftmals überhaupt keine Randgruppen mehr, sondern fester Bestandteil unserer Gesellschaft. Allerdings ist diese Entwicklung nicht ganz einfach für unsere Branche.

Die Psychologin Tebogo Nimindé-Dundadengar und die Kulturwissenschaftlerin Olaolu Fajembola sind auch beratend tätig, um bei Institutionen Ansätze für Diversität und Vielfalt zu finden. (Foto: Copyright Cristina S. Salgar)

Tebogo Nimindé-Dundadengar – lesen Sie diesen Namen einmal laut. Und auf Anhieb fehlerferei? Ich habe das nicht geschafft. Versuchen Sie es mal mit „Tebi“. Das nämlich ist der Spitzname von Tebogo Nimindé-Dundadengar. Sie ist Deutsche. Norddeutsche. Und wenn sich das nun etwas befremdlich anfühlt, sind wir schon mitten drin im Thema: Diversität und Vielfältigkeit. Udo Lindenberg sang schon 1989 von der „Bunte Republik Deutschland“ und blickte mit diesem Song weit voraus. Heute hat laut Statistischem Bundesamt gut jede vierte Person in Deutschland einen Migrationshintergrund. Eine Person hat nach der hier verwendeten Definition einen Migrationshintergrund, wenn sie selbst oder mindestens ein Elternteil nicht mit deutscher Staatsangehörigkeit geboren wurde. Trotz dieser Tatsache ist Vielfältigkeit, Diversität und Integration ein zähes Thema in unserer Gesellschaft und auch die Spielwarenindustrie tut sich schwer damit. Die Realität ist: Unsere Gesellschaft ist divers. Aber dies wird in den meisten Spielwelten jedoch kaum repräsentiert. Diese Erfahrung machten Tebogo Nimindé-Dundadengar und Olaolu Fajembola sozusagen „hautnah“. Denn beide sind Afro-Deutsche.

Diskrepanz, die vereint

Tebogo Nimindé-Dundadengar, geboren 1981, ist Psychologin mit Schwerpunkt Entwicklungspsychologie und Mutter von drei Kindern. 2016 zog sie mit ihrer Familie nach Berlin und lernte dort die Kulturwissenschaftlerin Olaolu Fajembola kennen, eine gebürtige Schwäbin, die bereits mit ihrer Tochter in Berlin wohnte. Olaolu Fajembola, geboren 1980, wuchs bei Stuttgart auf. Sie ist Kulturwissenschaftlerin, Bestseller-Autorin und Expertin im Bereich vielfaltsorientierter frühkindlicher Bildung. Diversität und Vielfalt waren schon immer Teil ihrer wissenschaftlichen Arbeit. Heute berät sie pädagogische Einrichtungen zu diversitätssensibler und rassismuskritischer Pädagogik. Schon als Kind wurde ihr bewusst, dass sie aufgrund ihrer schwarzen Hautfarbe in besonderer Weise wahrgenommen wurde, während sie sich in den meisten ihrer Spielsachen nicht wiederfand. „Ich hatte schon das Gefühl nicht immer dazu zu gehören, was Besonderes zu sein, also in gewisser Weise durch mein äußeres Erscheinungsbild auch besonders sichtbar zu sein, andererseits wiederum auch völlig unsichtbar, wenn es um Bücher und Spielsachen ging. Es gab eine Diskrepanz zwischen der Wahrnehmung meiner äußeren auffälligen Erscheinung und den Büchern und Spielen. Dort fanden sich keine farbigen Heldinnen oder Figuren.“


“Unsere Gesellschaft ist divers, Spielwelten oft nicht!”


Gleiche Gesinnung

Schon beim ersten Kennenlernen entdeckten die beiden Frauen ihre gemeinsamen Ambitionen: „Wir sind beide schwarze Mütter, die sich zu Kindern und Produkten ausgetauscht haben und sehr schnell die Probleme des Marktes identifiziert haben: es gibt eine Vielzahl von Kindern, die sich in ihrer Spielewelt fast nicht oder tatsächlich gar nicht repräsentiert sehen. Es gibt keine Verschlagwortung, es gibt keine kuratierte Plattform auf der wir mit Gewissheit die Produkte finden, die wir möchten“, sagt Olaolu Fajembola und Tebi ergänzt: „Für unsere eigenen Kinder waren wir selber auf der Suche nach der berühmten Nadel im Heuhaufen, wenn es darum ging, einfach in einen Buchladen, einen Spielzeugladen zu gehen und da die entsprechenden Produkte zu finden, in denen unsere Kinder repräsentiert sind.“ Bei Besuchen in England stieß Olaolu Fajembola auf entsprechende Produkte. „Wir sind mit Koffern voller Bücher und Spielzeug aus England zurückgekommen. Wir wussten also: die Produkte gibt es. Sie sind in Deutschland aber nur schwer zugänglich.“

Analyse der Spielwarenlandschaft

Die Entwicklungspsychologin und die Kulturwissenschaftlerin machten sich also daran, die deutsche Spielwarenlandschaft zu analysieren. Wie also präsentiert sich die Welt der Puppen, Spielsachen und Spiele heute hier in Deutschland? „Es ist eine sehr homogene Welt. Die allermeisten Puppen sind weiblich und weiß und werden in sehr gegenderten Darstellungen abgebildet. Und auch das Familienbild ist stereotyp: Vater, Mutter, Kind. Für Eltern wie uns, die nun Puppen suchen, mit denen sich marginalisierte oder nichtweiße Kinder identifizieren, ist das sehr aufwendig. Zumeist ist es so, dass wir in den gängigen Spielwarengeschäften eben nicht auf diese Produkte stoßen. Auch bei Puppenhausfiguren finden wir weiße Puppen mit blonden oder brünetten Haaren, blauen Augen oder grünen“, fasst Olaolu Fajembola die Analyse zusammen: „In dem Alter, in dem Kinder mit Puppen spielen, bildet sich auch die Selbstidentifikation und das Selbstwertgefühl. Puppen sind auch ein Symbol von Schönheit und sie sind niedlich. Und wenn sie immer anders aussehen als ich, dann gibt es keine Reflektionsfläche an der ich sehen kann: die Puppe sieht so ähnlich aus wie ich, das könnte ich sein. Ich bin gewollt, werde gesehen und gehöre zu einer Normalität. Die Kinder werden immer zu „dem Anderen“ gemacht, das nicht dazugehört.“

Das Bild der klassischen (weißen) Familie bröckelt, Randgruppen bekommen
zunehmen gesellschaftliche Relevanz.
Tebogo Nimindé-Dundadengar und Olaolu Fajembola haben eine Diversitätsstrategie entwickelt, mit deren Ansätze Unternehmen Wege finden, um sich zu verändern.

Kein Nischenthema

Wie also kann ein Konzept für ein Unternehmen aussehen, das der gesellschaftlichen Entwicklung gerecht werden möchte? Tebogo Nimindé-Dundadengar ist sich sicher: Das Denken von Diversität und Vielfalt beginnt in den Führungsetagen. Denn es geht nicht um eine Feigenblatt-Mentalität, indem man einfach nur einige dunkelhäutige Puppen ins Sortiment nimmt und diese dann auch noch folkloristisch kleidet. „Das ist Blödsinn heutzutage. Denn Menschen of Colour, schwarze Menschen, laufen halt nicht den ganzen Tag in irgendwelchen Trachten durch die Gegend, sondern tragen einfach Jeans und T-Shirt im Alltag. Und die Kinder natürlich auch. Und die Kinder wollen ja in ihrer Puppenwelt eine Repräsentation von dem, was sie selbst und ihre Eltern darstellen. Und nicht irgendwelche Imaginationen und Ideen, die bestimmte Menschen von der Lebensweise von Menschen anderer Herkunft oder Abstammung haben. Würde man Experten hinzuziehen, die sich mit kultureller Diversität und Rassismuskritik beschäftigen, würde diese Art Puppenkleidung sofort aus dem Programm genommen.“ Es gehe um einen ganzheitlichen Ansatz. „Inklusion und Diversität ist kein Nischenthema“, sagt Tebogo Nimindé-Dundadengar. Es gehe um viel mehr als nur um dunkelhäutige Puppen. „Mädchen brauchen heute Vorbilder für starke Frauen, um für entsprechende Berufe inspiriert zu werden. Untersuchungen zeigen, dass die Berufswahl von Mädchen auch vom Spielen abhängt. Im Spielzimmer braucht es Forscherinnen, Astronautinnen, Frauen in Führungspositionen. Lego macht keinen Unterschied mehr zwischen Jungen und Mädchen. Und es geht auch gleichzeitig um die Darstellung von Menschen mit Handicaps. Mattel hat die erste Barbie mit Hörgerät oder mit einer Prothese ins Programm genommen.“ In der Puppenlinie „Fashionista“ bietet Mattel inzwischen ein umfangreiches Sortiment unterschiedlichster Charaktere mit Handicap. Findet also eine positive Ausrichtung hin zu mehr Vielfalt in der Spielwarenbranche statt? Das Umsetzen dieses Themas sei ein Marathon, kein Sprint, weiß Tebogo Nimindé-Dundadengar. Das Bewusstsein in vielen Unternehmen sei vorhanden, dass sich die Dinge ändern müssten und sollten. Aber es fehle oft ein Budget, ein Zeitplan oder einfach auch klares Wissen, wie der Weg zu einem entsprechenden Sortiment verfolgt werden kann.

Spielewelten schon in ihrer werblichen Darstellung genderneutral zu zeigen, ist für Simba-Dickie-CEO Florian Sieber wichtig.

Vielfalt ist Aufgabe und Verpflichtung

Florian Sieber, CEO der Simba Dickie Group weiß um die Wichtigkeit des Themas: „Wir achten bei den Verpackungen und beim Bewerben unserer Produkte sehr stark darauf, dass die Darstellung mit Kindern internationalen und multikulturellen Charakter hat. Und wir achten darauf, dass sowohl Jungs als auch Mädchen dargestellt werden. Auch bei klassischen Mädchenthemen kommen bei uns Jungs vor und umgekehrt. Bei Märklin haben wir bei den letzten zwei Weihnachtskampagnien insbesondere für die sozialen Netzwerke Mädchen als Hauptdarstellerinnen bei der Modelleisenbahn gehabt. Das wäre in der Vergangenheit nicht denkbar gewesen. Das Thema ist bei uns absolut präsent und wir haben als Industrie auch die Aufgabe und die Verpflichtung, dass wir die Kinder der heutigen Generation in nichts reinzudrücken. Das bedeutet, dass es gesellschaftlich auch normal wird, dass Jungs mit Puppen und Mädchen mit Autos und Fußbällen spielen können. Es ist sehr wichtig, dass hier Vorurteile abgebaut werden. Und da haben wir als Industrie auch die Verantwortung, dazu beizutragen, dass diese Entwicklung so weitergeht.“ Sieber sieht seine Unternehmensgruppe hier auf einem guten Weg. Dennoch ist er davon überzeugt, dass es Unterschiede gibt zwischen Jungen und Mädchen, was die Interessen betrifft. Deshalb legt er Wert darauf, niemals zu pauschalisieren und nichts über einen Kamm zu scheren. Die Marktforschungen zeigten durchaus, dass Jungs sich überwiegend für Fahrzeuge, Action und Kampf interessieren, während Rollenspiele, kreative Themen und Fantasiewelten mehr die Mädchen ansprechen. „Deshalb werden wir die Farben, die wir für Verpackungen verwenden, entsprechend den Interessen ausrichten“, so Sieber. Die Industrie sei ein wichtiger Teil, aber eben nur ein Teil der gesamten Wertschöpfungskette. Auch der Handel müsse mitspielen und dazu beitragen, dass diese Themen mehr und mehr Einzug finden und schließlich entscheide der Konsument, ob ein Produkt und dessen Vermarktung erfolgreich ist oder nicht. „Deshalb ist es schwierig alles von Heute auf Morgen von Schwarz auf Weiß zu drehen“, so Sieber, „wir müssen uns konstant weiterentwickeln, das geht aber nur so schnell, wie auch der Konsument mitmacht.“

Selbst ist die Frau

Einfach nur warten und darauf zu hoffen, dass das Thema Diversität und Vielfalt in der von Ihnen gewünschten Weise Einzug in die Spielwarenbranche hält, ist Tebogo Nimindé-Dundadengars und Olaolu Fajembolas Sache nicht. Die Idee, selbst mit entsprechenden Produkten zu handeln, war Konsens. Und so starteten sie 2018 im Wohnzimmer mit 200 Produkten ihren Online-Shop Tebalou. Hilfreich waren zu Beginn Produktlisten, die von engagierten Eltern und von Vereinen wie zum Beispiel dem Verein binationaler Familien erstellt wurden. „Mit dem Online-Shop wollten wir etwas erschaffen, dessen Grundlage die Abbildung einer diversen Gesellschaft ist“, sagt Olaolu Fajembola. „Wir wollen, dass sich alle Kinder unserer Gesellschaft in ihrer Spiele- und Lesewelt wiedererkennen können.“ Inzwischen sind es 1.400 Produkte und schon längst ist Tebalou aus dem Wohnzimmer in entsprechende Geschäftsräume umgezogen. 2019 erhielten die beiden Unternehmerinnen die Auszeichnung „Kultur- und Kreativpiloten“ der Bundesregierung. Mit dem von beiden geschriebenen Buch „Gib mir mal die Hautfarbe“ schloss sich 2021 ein Spiegel-Bestseller an. Und auf der Spielwarenmesse Anfang Februar stellten sie gemeinsam auf dem Toys Business Forum unter dem Titel „Diversität als Erfolgsstrategie – Vielfalt im Kinderzimmer“ ihr Anliegen und ihren Online-shop vor. So zieht ihr Herzensanliegen immer größere Kreise und findet immer mehr Gehör.

Alfred Kirst