Brennpunkt: Handel im (Klima-)Wandel
Klimawandel und Handel. Zwei Begriffe, die auf den ersten Blick nur wenig miteinander zu tun haben. Schaut man aber genauer hin, wird klar, dass sich die klimatischen Veränderungen – besonders ungewöhnlich langanhaltende Nass- und Heißwetterperioden – negativ auf das Konsumverhalten und damit auf den Umsatz auswirken. Um sich auf diese Bedingungen einzustellen, ist wichtig, dass alle Betroffenen und Verantwortlichen an einem Strang ziehen.
Spätestens seit der Flut im Ahrtal 2021 dürfte klar sein, dass der Klimawandel nicht abstrakt ist, nicht „irgendwo da draußen“ stattfindet, sondern die Menschen in Deutschland und damit ganz konkret auch den stationären Handel betrifft. Natürlich gab es bereits in der Vergangenheit Extremwettereignisse, doch nehmen deren Häufigkeit, Intensität und Auswirkungen nachweislich zu. „Von August 2023 bis Juli 2024 hat es in Deutschland so viel Niederschlag gegeben wie noch nie in diesem Zeitraum seit Messbeginn im Jahre 1881. Dies hatte mehrere – teils überregionale – Hochwasserereignisse zur Folge“, schrieb der Deutsche Wetterdienst im Juli 2024 in einer Pressemitteilung. Vor allem sehr intensive Regenfälle in der Woche vor Weihnachten 2023 ließen die Pegel in vielen Teilen Deutschlands ansteigen und Talsperren überlaufen. Mitte Mai 2024 brachte ein stationäres Tief dem Südwesten Deutschlands langanhaltende und intensive Regenfälle. Anfang Juni kam es schließlich in Bayern und Baden-Württemberg zu einem Jahrhunderthochwasser, das überflutete Straßen und Ortschaften, Dammbrüche, Murenabgänge, zahlreiche Evakuierungen, gesperrte Bahnstrecken und leider auch Tote und Vermisste zur Folge hatte.
Diesen Starkregenereignissen stehen die Trockenjahre 2018 bis 2020 sowie 2022 gegenüber. Dürre und Hitze haben laut dem Helmholtz Zentrum für Umweltforschung allein in den Jahren 2018 und 2019 in Deutschland zu Schäden in Höhe von rund 35 Milliarden Euro geführt. Blickt man etwas weiter zurück – und nach vorne – sprechen die Zahlen eine noch deutlichere Sprache: So fand eine 2022 vom Bundesministerium für Klimaschutz in Auftrag gegebene Studie heraus, dass mindestens 145 Milliarden Euro Schäden zwischen 2000 und 2021 durch die Folgen des Klimawandels entstanden sind. Je nachdem, wie der Klimawandel voranschreitet, sollen die zukünftigen Kosten bis 2050 zwischen 280 und 900 Milliarden Euro liegen. Nicht mit eingerechnet sind zahlreiche gesundheitliche Beeinträchtigungen, Todesfälle durch Hitze und Überflutungen, die Belastung von Ökosystemen, der Verlust von Artenvielfalt und eine schlechtere Lebensqualität.
Auch andere Experten bestätigen die sich wandelnden klimatischen Bedingungen. Dazu Stefan Muther vom Deutsche
Wetterdienst auf tagesschau.de: „(…) Wenn man sich die Daten in einer Zeitreihendarstellung anschaut, sieht man einen ganz klaren Zunahme-Trend. Wir erwarten durch den Klimawandel eine Zunahme von Hitzewellen. Sie kommen häufiger vor, dauern tendenziell länger und die Intensität steigt.“
Für den Handel kann das massive Folgen haben, denn wer will bei Temperaturen von über 30 Grad Celsius gemütlich shoppen gehen? Zumal in vielen Innenstädten die Temperaturen aufgrund von versiegelten Flächen beziehungsweise zu wenigen Grünflächen, die nachweislich für Abkühlung sorgen, sogar noch höher liegen können. Ebenso negativ wirken sich Regenfälle aus, die mehrere Tage anhalten und im schlimmsten Fall zu Überschwemmungen führen. Auch hier spielt im Übrigen die Flächenversiegelung in den Innenstädten eine Rolle. Große Wassermassen, wie sie bei Starkregenereignissen auftreten, können in betonierte und asphaltierte Flächen nicht einsickern und fließen oberirdisch ab.
Ein weiteres Problem neben der Unvorhersehbarkeit des Wetters sind die verschobene Jahreszeiten und fehlende Übergangszeiten. Sie bereiten dem stationäre Handel Schwierigkeiten, saisonale Produkte zu planen und anzubieten. So könnte beispielsweise die Nachfrage nach Wintermode oder Heizgeräten zurückgehen, wenn die Winter milder ausfallen, während die Nachfrage nach Kühlgeräten und Sommerkleidung in längeren Hitzeperioden steigt. Eine echte Herausforderungen für das Warenmanagement.
So düster diese Szenarien sind, es gibt Hoffnung für all diejenigen, die sich mit dem Ist-Zustand beschäftigen und sich auf die neuen Bedingungen einstellen. Unterstützung müsste der Handel von der Landes- und Kommunalpolitik erhalten. Diese Mühlen mahlen jedoch bekanntlich langsam, weshalb Organisationen wie der HDE voranschreiten und im Rahmen des Weiterbildungsprojekts „HDE-Adapt“ gemeinsam mit dem Handel maßgeschneiderte Lösungen erarbeitet, um sich dem Klimawandel sinnvoll anzupassen. Wie diese Lösungen aussehen konnten, erfuhr Astrid Specht im Interview mit Projektleiterin Jelena Nikolić.
„Resilienz ist wichtig“
Frau Nikolić, welche konkreten Auswirkungen hat der Klimawandel auf den Einzelhandel?
Heftige Wetterlagen wie zuletzt die Starkregen und Überschwemmung in Bayern und Baden-Württemberg haben deutlich vor Augen geführt: Der Klimawandel verändert zunehmend unser Wetter. Die Gründe hierfür sind vielfältig, jedoch kann man sagen, dass die steigenden Temperaturen zu einer Aufheizung und mehr Feuchtigkeit in der Atmosphäre sorgen. Dadurch entstehen zum Beispiel häufiger Starkregen, Überschwemmungen und Stürme. Dies hat natürlich direkte Auswirkungen auf Unternehmensstandorte, auf Gebäude des Handels, Transport- und Lieferketten, die Verfügbarkeit von Mitarbeitenden, Waren und Energie. Durch plötzliche und extreme Starkregen können beispielsweise Warenbestände vernichtet werden und Geschäfte zwingen, zumindest zeitweise zu schließen. Bei extremer Hitze bleiben Kundinnen und Kunden zuhause oder kaufen lieber online ein. Extremwetter können auch Lieferketten unterbrechen, sodass die Ware nicht mehr bei den Handelsunternehmen ankommt. Die strategische Beschäftigung mit Präventionsmaßnahmen ist daher besonders wichtig – und birgt dabei auch wirtschaftliche Vorteile.
Welche sinnvollen Maßnahmen können Einzelhändler ergreifen, um diese Auswirkungen abzumildern? Gibt es Maßnahmen, die sie vermeiden sollten?
Handelsunternehmen haben je nach Standort und Lage unterschiedliche Risiken – deshalb braucht es zunächst eine individuelle, systematische Analyse der Bedingungen vor Ort, um wirtschaftlich sinnvolle Maßnahmen abzuleiten. Sie können beispielsweise eine frühzeitige Anpassung bei Warenangebot und Lieferketten vornehmen, um sich Vorteile gegenüber unvorbereiteten Mitbewerbern zu verschaffen. Bei Hitzewellen haben Unternehmen die Nase vorn, wenn sie ihre Gebäude angenehm und nachhaltig temperieren, etwa durch attraktive Verschattung oder Fassadenbegrünung. Für Starkregen oder Überflutungen müssen Einzelhandelsgebäude ausreichend gesichert sein, um nicht nur den Warenbestand, sondern insbesondere Leben zu retten. Ganz wichtig ist: Spontane Anpassungsmaßnahmen sollten vermieden werden. Zum Beispiel ist der Kauf einer zusätzlichen Klimaanlage gegen die zunehmende Hitze mit ihrem enormen Energieverbrauch nicht immer die wirtschaftlich sinnvollste Maßnahme.
Welche Rolle kommt den Städten und Kommunen bei diesen Klimaanpassungen zu?
Städte und Gemeinden sind sehr wichtig – sie sollten für alle Menschen und Generationen ein vitales und gesundes Zuhause bieten. Passende und gut durchdachte Maßnahmen zur Klimaanpassung schaffen langfristig mehr Aufenthaltsqualität und fördern die Resilienz. Städte und Kommunen brauchen einen attraktiven Handel sowie vielfältige kulturelle und gastronomische Angebote, damit sie lebendig und lebenswert bleiben. Alle Akteurinnen und Akteure können hier gemeinsame Lösungen entwickeln. Umfragen belegen, dass Menschen sich beispielsweise grünere Innenstädte wünschen.
Sollte man nicht auch versuchen, die Immobilieneigentümer an den Tisch zu holen oder verweigern sich diese? Es müsste doch im Interesse aller Beteiligten sein, gemeinsam Lösungen zu finden, die den Einzelhandel zugänglich und attraktiv für Verbraucherinnen und Verbraucher erhalten.
Es gibt durchaus Konzepte für gemeinsame Lösungen – insbesondere den Green Deal der Europäischen Union –, die auch durch die Gesetzgebung im Nachhaltigkeitsbereich befördert werden. Mit „grünen“ Mietverträgen etwa treffen Mieterinnen, Mieter, Immobilieneigentümerinnen und -eigentümer gemeinsam Vereinbarungen zur nachhaltigen Nutzung und Bewirtschaftung von Immobilien. Sie wirken auf wirtschaftlicher, ökologischer und sozialer Ebene und umfassen auch Klimaanpassungsmaßnahmen.
HDE-Adapt ist ein Weiterbildungsprojekt zu Klimaanpassung im Handel. Was genau bieten Sie im Rahmen des Projekts an?
Im Rahmen von HDE-Adapt bieten wir praxisnahe Tools, wie unsere Arbeitshilfen zur Klimaanpassung, mit denen Händlerinnen und Händler systematisch ihre unternehmensbezogenen Klimarisiken ermitteln können. In unserer Maßnahmendatenbank finden Handelsunternehmen eine Auflistung wirtschaftlich sinnvoller Maßnahmen zur Klimaanpassung, die auch in gemieteten Immobilien umgesetzt werden können. Unsere interaktiven FlipBooks zu Starkregen, Hitzevorsorge und Lieferketten bieten hilfreiche Hintergrundinformationen, praxisnahe Tipps sowie Checklisten und Arbeitshilfen. Viele Handelsunternehmen haben wir auch in Workshops und Seminaren gemeinsam mit unserer Klimaanpassungsexpertin Birgit Georgi beraten und darin das schrittweise Vorgehen ganz praxisnah durchgespielt.
Wie wurde dieses Angebot vom Handel angenommen?
Eigentlich gab es in den vergangenen zwei Jahren kaum einen Monat, in dem nicht über den Anstieg der Temperaturen oder ein Extremwettereignis berichtet wurde. Das Thema Klimaanpassung gewinnt dadurch immer mehr an Bedeutung in unserer Branche und das Interesse ist entsprechend groß.
Können Sie Beispiele nennen, was in den Workshops und Seminaren erarbeitet wurde?
Unsere Workshops werden individuell auf die Bedürfnisse des jeweiligen Handelsunternehmens zugeschnitten. Beim Versandhändler Sport-Thieme ging es vorrangig um die Analyse der Wertschöpfungsketten und den künftigen Bezug des Rohstoffs Holz, der essenziell für die Herstellung der eigenen Sportgeräte ist. Das global agierende Handelsunternehmen Tchibo war an einer detaillierten Betrachtung seiner Lieferketten interessiert und an Prognosen zur zukünftigen Kaffeeernte, bei der sich schon jetzt die Folgen des Klimawandels bemerkbar machen. Auf unserer Webseite HDE-Klimaschutz.de findet man die Berichte zu den Workshops mit vielen interessanten Einsichten und wertvollen Learnings.
Welche Vorteile/Chancen bieten sich dem Handel, wenn er sich den neuen Klimabedingungen anpasst?
Wer rechtzeitig auf die Folgen des Klimawandels reagiert, kann vor allem wirtschaftliche Schäden vermeiden. Verschattungselemente, begrünte Fassaden und attraktive Außenräume laden zum längeren Verweilen ein und werten den Standort zusätzlich auf. Doch nicht nur bauliche Veränderungen sind wichtig, vielmehr wirkt die Klimaanpassung auch in die unternehmerische Gesamtstrategie ein. Schließlich sind von zunehmenden Hitzetagen Kundinnen und Kunden sowie die Belegschaft direkt betroffen. Die Resilienz von Lieferantinnen und Lieferanten wird immer wichtiger, denn Handelsunternehmen sind auf eine verlässliche Lieferung ihrer Waren angewiesen. Es stecken viele Chancen in einer frühzeitigen Anpassung an die neuen klimatischen Gegebenheiten: Handelsunternehmen können schon jetzt die Weichen für neue Produkte und Services legen!