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Brennpunkt: Geisel Welthandel

25. März 2024, 12:49

Seit dem Überfall der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 häufen sich die Angriffe der jemenitischen Huthi-Rebellen auf Handelsschiffe im Roten Meer. Als Konsequenz umfahren viele Reedereien die Region, was schwerwiegende Auswirkungen auf den Welthandel hat.

Zunächst waren die Angriffe auf Schiffe unter israelischer Flagge beschränkt, inzwischen haben die Rebellen ihre Attacken auch auf Schiffe anderer Nationalitäten ausgeweitet. Für den Welthandel ist die Situation hochproblematisch, meiden doch laut BBC inzwischen mehr als 20 Prozent der weltweiten Containerfrachter das Rote Meer (Stand: 15.01.24) und nehmen stattdessen die wesentlich längere Route um die Südspitze Afrikas, was Auswirkungen auf Liefertermine, Containerverfügbarkeit sowie die Preise von Ware und Versicherungstarifen hat. Zudem ermittelte das Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW), dass der Welthandel innerhalb eines Monats – von November bis Dezember 2023 – aufgrund der Angriffe um 1,3 Prozent gesunken ist.
Als Antwort auf die Huthi-Angriffe hat die USA zusammen mit Großbritannien und Verbündeten Mitte Januar Stellungen der Rebellen aus der Luft beschossen. Exportriese China hält sich aus dem Konflikt heraus, dabei müsste das Land großes Interesse an sicheren Handelsrouten haben. Gründe für die Zurückhaltung des Landes gibt es einige: Zum einen mischt sich China traditionell nicht in Konflikte ein, die es als „innere Angelegenheiten“ eines anderen Landes betrachtet. Zum anderen hat sich Peking im Gaza-Krieg demonstrativ auf die Seite der Palästinenser gestellt. Außerdem ist das Land ein wichtiger Handelspartner des Irans, der wiederum den Huthi-Rebellen den Rücken stärkt. Auch der Wettstreit mit den USA dürfte eine Rolle spielen. So könnte die Beteiligung an der Militäroperation intern als Kapitulation Chinas vor den US-Interessen und damit als Demütigung angesehen werden. China selbst verweist darauf, dass der Einsatz der USA und ihrer Verbündeten nicht nur den Jemen, sondern die gesamte Region destabilisieren könnte.
Auch die Spielwarenbranche ist durch die Angriffe betroffen. Dazu Sebastian Frey, Geschäftsführer von MTS-Sport/Schildkröt: „Für uns ist das alles sehr ungünstig, da fast alle Vororderaufträge für unser wichtiges FJ-Sommer-Halbjahr derzeit nicht komplett ausgeliefert werden können und wir teuer nachliefern müssen. Auch ist abzusehen, dass es weitere Versorgungslücken bei unseren Schildkröt-Artikeln geben wird, da wir gleichzeitig durch das warme Wetter mit einer früh einsetzenden Nachfrage nach Freiluftspielen konfrontiert sind. Nach vorne gerichtet sind wir dabei, früher nachzudisponieren, um den längeren Vorlauf entsprechend einzuplanen. An eine zeitnahe Entspannung der Situation im Roten Meer glauben wir nicht.“
Ein Sprecher der Reederei Maersk beschreibt die Situation aus deren Sicht: „Die ersten umgeleiteten Schiffe haben wir schneller fahren lassen, soweit es ging, um die Verspätungen so gering wie möglich zu halten. Mittlerweile werden jedoch auch weitere Schiffe eingephast, um wieder zu wöchentlichen Abfahrten zu kommen. Für eilige Ladung kann Maersk zudem Luftfrachtverbindungen anbieten. Wir haben sogar einige Verbindungen mit eigenen Boeing-Frachtmaschinen aus China nach Europa, zum Beispiel nach Billund in Dänemark, was für deutsche Kunden sehr interessant ist. Zudem gibt Maersk Kunden die Möglichkeit, Ladung per Bahn von Asien über den Mittelkorridor nach Europa zu fahren. Der verläuft südlich Russlands, wo wir unser Geschäft nach Kriegsausbruch komplett eingestellt haben. Oder wir bieten eine See-Luftfracht-Kombination an, wo Ladung zum Beispiel per Schiff bis Dubai gefahren und dann weiter per Luftfracht nach Europa gebracht wird. Das ist etwas günstiger als die komplette Strecke per Luftfracht zu fliegen, aber noch sehr viel schneller als der Seeweg um Südafrika.“

Astrid Specht sprach mit Nils Haupt, Senior Director Corporate Communications bei Hapag-Lloyd in Hamburg, ausführlich über die angespannt Lage:

Nils Haupt, Senior Director Corporate Communications bei Hapag-Lloyd

Herr Haupt, wie sieht die aktuelle Situation für Hapag-Lloyd im Roten Meer aus?
Die Situation ist für uns unverändert. Es war ja so, dass am 18. Dezember 2023 eines unserer Schiffe angegriffen wurde, das auf dem Weg durch das Rote Meer war. Dabei ist die Containerstruktur in Brand geraten. Wir haben das Schiff sechs Stunden lang gelöscht und sind dann weiter nach Singapur gefahren. Nach ein paar Tagen Überlegung haben wir dann entschieden, dass wir vorerst keine Schiffe mehr durch das Rote Meer fahren lassen, weil die Situation einfach zu gefährlich ist. Die Gefahr besteht im Wesentlichen für die Crews. Bislang haben die Attacken keine Todesopfer gefordert, aber die Vorgehensweise der Huthi-Terroristen ist ja mittlerweile verschärft mit ferngesteuerten Booten mit Bomben – das kann man einer Crew nicht zumuten. Aus diesem Grund haben wir entschieden, das Rote Meer zu umfahren. Das betrifft alle unsere Dienste, die bisher durch den Kanal gingen – ungefähr 50 im Monat –, sowohl von Fernost Richtung Westen als auch von Westen Richtung Fernost. Leider ist nicht abzusehen, dass die Situation besser wird, im Gegenteil.

Was sind die direkten Konsequenzen für Hersteller, die ihre Ware aus Fernost beziehen?
Die Fahrzeiten an die Ostküste der USA verlängern sich um ungefähr sieben Tage, nach Europa – je nach Hafen – zwischen zehn und zwölf Tage und ins östliche Mittelmeer sind es knapp drei Wochen länger. Das führt zu erheblichen Zusatzkosten im Wesentlichen für Treibstoff, aber auch weil wir die Schiffe beschleunigen, die dadurch leider natürlich auch mehr CO2 ausstoßen. Wir haben kürzlich 100.000 neue Container für rund 350 Millionen US-Dollar gekauft, um der mangelnden Verfügbarkeit von Containern in Fernost vorzubeugen. Das war notwendig, denn Anfang Februar wurde in vielen Teilen Asiens der Beginn des neuen Mondjahres gefeiert. In China wird dann bis kurz vor den Feierlichkeiten die Produktion massiv hochgefahren, dann schließt China sozusagen kollektiv, sodass erheblicher Bedarf nach Kapazität aus China bestand. Und wenn man rund zwei Wochen länger nach Europa braucht und zurück, wäre die Verfügbarkeit von Leercontainern in einer Zeit der hohen Nachfrage knapp geworden. Aufgrund dieser Knappheit sowohl bei Containern als auch bei Schiffen müssten wir eigentlich 32 zusätzliche Schiffe einsetzen, um eine wöchentliche Abfahrt zu garantieren. Das können wir aber nicht, weil die Schiffe nicht verfügbar sind. Wir haben ungefähr die Hälfte ersetzt und wir versuchen, die Verspätungssituationen für Kunden durch schnelleres Fahren zu reduzieren. Es gibt vereinzelt Staus an Häfen, die aber nicht zu vergleichen sind mit Covid-Zeiten, als wir zum Teil wochenlang gewartet haben. Hier kann es sich mal um ein paar Tage handeln, das ist aber nicht dramatisch. Die ersten Wochen bis Ende Januar waren dadurch gekennzeichnet, dass man die Fahrpläne neu aufgestellt hat, das ist jetzt im Wesentlichen erledigt. An den längeren Fahrzeiten können wir nichts verändern und durch den Mangel an Kapazitäten gibt es natürlich auch höhere Raten, die aber bei Weitem nicht an das heranreichen, was wir zu Zeiten von Covid gesehen haben.

Gibt es für Hersteller die Möglichkeit, „Prioritätsfahrten“ zu buchen?
Ich sag mal, offiziell gibt es das nicht. Aber wenn man natürlich gut mit einer Verkaufsabteilung argumentiert und gut über einen bestimmten Preis verhandelt, ist das theoretisch möglich. Da reguliert sich der Markt durch Angebot und Nachfrage, wie immer entsprechend getimt, und da gibt es sicher Verfügbarkeiten.

Bietet Hapag-Lloyd alternative Transportmöglichkeiten?
Andere Reedereien wie Maersk bieten Luftfracht an, wir haben keine Flugzeuge und können diese Option deshalb nicht anbieten. Aber ich finde das auch schwierig, denn für bestimmte Artikel lohnt sich das nicht. Man könnte sagen, Luftfracht ist 50 mal teurer als Seefracht. Wenn ich ein Hersteller von Waschmaschinen wäre, würde ich dringend abraten, die per Luftfracht zu transportieren. Denn den Artikel zahlt man nach Dimension und Gewicht und das Kilo Luftfracht kostet aktuell vier bis fünf Euro einschließlich aller Zuschläge. So liegt für ein Gerät von 80 bis 100 Kilo allein der Frachtpreis bei mehreren hundert Euro. Luftfracht ist geeignet für kleine und wertvolle Güter, wie zum Beispiel Mobiltelefone, Computerchips oder ähnliches, aber für großvolumige Güter, die nicht super eilig sind, würde ich diesen Transportmodus nicht empfehlen. Man kann eine Air-Sea-Connection machen, das heißt da gehen Güter nach Dubai und von dort per Emirates Richtung Europa. So etwas kann man kombinieren, aber trotzdem sind die Kosten erheblich höher.

Gibt es eine Empfehlung, die Sie speziellen Herstellern aus der Spielwarenindustrie geben können?
Wenn es große Kunden sind, die regelmäßig größere Volumina von Fernost nach Europa oder in die USA transportieren, würde ich immer empfehlen mit unseren Büros über Langfristverträge zu sprechen. Dann hat man eine garantierte Kapazität zu einem fest vereinbarten Preis, der in der Regel deutlich günstiger ist als die Spot-Preise. Er kann auch mal teurer sein, weil er fluktuiert, aber man hat den garantierten Zugang zu Kapazität und man hat eine feste Rate, die über ein, zwei oder drei Jahre vereinbart ist. In so einer Phase wie jetzt oder während Covid setzen viele kleinere Unternehmen auf Spot-Marktpreise. Damit kommt man vielleicht günstiger weg, aber dafür gibt es dann eben keine Kapazität. Wenn man also auf Spot-Preise setzt und keine Langfristkapazitäten hat, zahlt man die berühmten 16.000 US-Dollar, die wir während Covid hatten von Asien/Fernost nach Europa. Und das war noch nicht einmal eine Ausnahme, sondern die Preise waren einfach so wie sie waren, weil es nicht genügend Kapazität gab. Dann ist ein kleiner Produzent beziehungsweise Spediteur regelrecht aufgeschmissen oder muss seine Arbeit einstellen, weil es unter diesen Umständen nicht funktionieren kann.

Wie häufig sind solche Angriffe? Oder sind diese Angriffe nur aufgrund des Krieges in Gaza und Israel derzeit so stark ins öffentliche Interesse gerückt?
Diese Situation ist historisch einmalig. Aber Sie spielen vermutlich auf das Thema Piraterie an, mit der man gerade um Afrika immer rechnen muss. Dass ein Schiff mal überfallen wird, damit haben wir natürlich Erfahrung und darauf sind Reedereien ganz gut vorbereitet.

Wie kann man sich darauf vorbereiten?
Piraten setzen meistens „normale“ Waffen, wie zum Beispiel Maschinenpistolen ein, gegen die man sich verteidigen kann. Das machen unsere Mitarbeiter an Bord aber nicht selbst. Wir selbst führen keine Waffen mit und unsere Mitarbeiter dürfen auch nicht schießen. Dafür gibt es Sicherheitsdienste, die auf dem Schiff mitfahren. Und dann kann man mit Piraten verhandeln, man kann mit ihnen umgehen oder versuchen, sie zu bekämpfen. Was im Moment im Roten Meer geschieht, hat eine ganz neue Dimension, das ist keine Piraterie, sondern Terrorismus. Wir reden nicht von Maschinengewehren und auch nicht von normalen Waffen. Das hier sind Drohnen und Marschflugkörper, gegen die sich ein Schiff, dessen einzige Waffe an Bord eine Axt ist, um vielleicht mal ein Fenster einzuschlagen, und damit eine menschliche Crew nicht wehren kann. Und selbst in Begleitung von Militärschiffen hören die Attacken nicht auf.

Dadurch kommt auch nochmal eine zusätzliche politische Dimension ins Spiel …
Absolut. Es gab eine Attacke auf ein Maersk-Schiff, da kamen drei Schnellboote auf das Schiff zugefahren und haben einen amerikanischen Militärhubschrauber beschossen. Die Amerikaner haben daraufhin zwei der Schlauchboote mit Granaten abgeschossen, die auch gesunken sind. Das dritte Boot konnte ausweichen und hat die Flucht ergriffen. Das alles geschah in unmittelbarer Nähe eines Schiffs mit mindestens 23 Crewmitgliedern an Bord. Ich weiß nicht, wie das für die Kollegen sein muss, wenn rund um das Schiff Menschen zu Tode kommen und mit schwersten Waffen geschossen wird. Das wollen wir unseren Kolleginnen und Kollegen an Bord nicht zumuten.

Können Unternehmen wie Hapag-Lloyd oder Maersk in irgendeiner Form Einfluss auf die Situation nehmen oder sind Sie da komplett außen vor und abhängig von der Entwicklung der Geschehnisse?
Wir haben Kontakt zur Bundesregierung, wir haben Kontakt zur internationalen Koalition, wir sind in Gesprächen mit diesen Repräsentanten, allerdings nicht auf deutscher Ebene, das heißt wir sprechen nicht mit der Bundeswehr, sondern wir reden mit der Einsatzzentrale der Militärs. Wir sind dort als Container-Reedereien involviert, aber unser Einfluss ist natürlich gering. Wir können dem Militär keine Tipps oder Ratschläge geben, das sind Spezialisten und Experten, die die Situation bewerten. Was uns aber klar ist: Wenn die Situation so bleibt wie sie jetzt ist, werden wir nicht ins Rote Meer zurückkehren. Auch deshalb, weil wir feststellen, dass selbst eine militärische Begleitung nicht dazu führt, dass die Angriffe abnehmen oder eingestellt werden. Klar gibt es Waffen, die solche Drohnen oder Marschflugkörper zerstören können, aber es gibt auch diese neue Qualität von Angriffen mit unbemannten Booten mit Bomben an Bord, die ein Schiff in die Luft sprengen können. Wir haben auch Schiffe, die mit Gas betrieben werden und wir wollen nicht erleben, was passiert, wenn die so angegriffen werden!

Erst Covid, jetzt der Terrorismus im Roten Meer: Weltweit nehmen die politischen Spannungen zu – wie wichtig ist es aus Ihrer Sicht, dass Unternehmen jetzt und in Zukunft flexibel sind?
Die Situation war noch nie so schwierig wie jetzt. Wir haben massive Probleme im Panamakanal, wir haben eine massive Problematik im Roten Meer und im Suezkanal, wir haben eine Problematik im Geschäft mit der Ukraine und mit Russland und es wird wahrscheinlich nicht weniger. Wir können nicht in die Glaskugel schauen, aber ich würde sagen, das, was wir jetzt erleben, ist eine Einschränkung für den Welthandel, aber es ist keine Katastrophe. Es gibt Verspätungen, aber keine Versorgungslücken, die Regale bleiben nicht leer. Wir erleben keine massiven Ratenerhöhungen wie wir sie während Covid hatten und das wird meiner Meinung nach nicht dazu führen, dass Ladenpreise oder Konsumentenpreise massiv in die Höhe gehen. Als Beispiel, um das zu veranschaulichen: Wenn ein T-Shirt im Laden 10 Euro kostet, kostet der reine Ozeantransport 10 bis 15 Cent. Wenn also der Transportpreis pro
T-Shirt auf 17 oder 18 Cent steigt, sehe ich für eine massive Preissteigerung eigentlich keinen Anlass. Während Covid sind die Preise gestiegen, interessanterweise aber nicht alle wieder gesunden. Daraus hat die eine oder andere Industrie meiner Meinung nach sicherlich Kapital geschlagen. Deshalb würde ich davor warnen, das jetzt zu dramatisieren. Der Welthandel funktioniert, es dauert alles ein bisschen länger, aber die Versorgung ist absolut gewährleistet und wir müssen auf alle Einschränkungen, die es gibt schnell und flexibel reagieren. Gibt es weitere potenzielle Brandherde? Ja, absolut. Wir wollen uns nicht vorstellen, was passiert, wenn China Taiwan überfällt. Das würde massivste Einschränkungen geben. Aber es reicht schon ein Streik an den Häfen der Ost- oder Westküste der USA und dann ist der Im- und Export in diesem Land eben mal stillgelegt. Es gibt sehr viele Themen, bei denen wir Einschränkungen sehen werden, aber eigentlich sagt man in unserer Branche immer „Fracht sucht sich ihren Weg“. Das ist, wie wenn Sie versuchen, einen Bach im Wald mit einem Staudamm aufzuhalten und dann fließt das Wasser einfach um diese Baumsperre herum. Und so ist es mit dem Frachtaufkommen in der Welt auch. Ja, man kann den Suezkanal im Moment nicht nutzen – zumindest wir werden das nicht auf absehbare Zeit oder solange die Lage nicht absolut sicher ist. Unsere Kolleginnen und Kollegen an Bord sind selber Eltern und Kinder und Familien haben Angst um ihre Angehörigen. Wir können und wollen es unseren Kolleginnen und Kollegen im Moment nicht zumuten mit Angst durch so einen Kanal zu fahren. Es ist zu gefährlich und wir können das nicht verantworten. Wir haben aber auch den Eindruck, dass die Kunden das nachvollziehen, verstehen und akzeptieren können. Und es ist keine versteckte Preiserhöhung der Reedereien, sondern einfach ein Umstand, dem wir jetzt Folge leisten müssen und wir versuchen, das Beste daraus zu machen.

Herr Haupt, ich bedanke mich für das Gespräch.

hapag-lloyd.com