Brennpunkt – DVSI im Wandel der Zeit

5. Juli 2021, 10:31

Der Deutsche Verband der Spielwarenindustrie, DVSI, vertritt seit 1991 die Interessen von rund 220 Unternehmen der deutschen Spielwarenbranche und steht damit für mehr als 80 Prozent der Spielwaren in Deutschland. Die Bandbreite der Themen reicht von der Vermittlung des Wertes von Spielen über die Neuerungen und aktuellen Entwicklungen beim Thema Produktsicherheit bis hin zur Lobbyarbeit auf relevanten Ebenen.

30 Jahre DVSI – das ruft eigentlich nach Festivität, nach Get-together, nach einem echten Spielwarenfeuerwerk von und für die Branche. Eigentlich. Wenn nicht gerade Corona wäre. Auf die Frage: „Und … wann steigt sie nun, die große DVSI-Jubiläumssause?“ konnte DVSI-Geschäftsführer Ulrich Brobeil in den letzten Wochen nur lapidar antworten: „Tja, diese Frage haben wir uns in den letzten Wochen und Monaten auch oft gestellt.“ Ideen, dieses Jubiläum würdig zu begehen, gab es beim rührigen DVSI-Team sicher mehr als genug. Das bestätigt Brobeil: „Wir hatten uns das schön bunt ausgemalt, kommunikativ und verbindend. Aber je länger wir überlegten und planten, desto mehr kam der Gedanke auf, dass das in Corona-Zeiten keinen Sinn und noch weniger Spaß macht. Persönliche Begegnungen, ein Wiedersehen nach langer Zeit, das kann man nicht bis ins letzte Detail regeln und reglementieren.“ Recht hat er. Leider. Was jetzt? Feier abhaken? Jubiläum ohne Jubel? Wer Ulrich Brobeil kennt, der weiß: Er wird sich nicht kampflos, besser gesagt, ideenlos ergeben. Der GF hat meistens einen Plan B in der Tasche. So auch jetzt. „Wir machen das Beste draus und legen einfach – aller guten Dinge sind 3 – ein bisschen was drauf auf die 30.
Wie? Ganz einfach: Nach DVSI-Rechnung ist das Jubiläum notgedrungen zwar aufgeschoben, aber nicht aufgehoben. Ulrich Brobeil freut sich schon: „Wir zelebrieren im Jahr 2024 die Schnapszahl 33. So wie es aussieht haben wir bis dahin auch Corona nebst Mutanten einigermaßen im Griff. Dann werden wir die Sektkorken ganz unbesorgt knallen lassen können und zwar dreifach! Versprochen!“
Also lassen wir Ulrich Brobeil aktuell mit einer Tour d‘Horizon zu Wort kommen und freuen uns ansonsten noch ein bisschen auf ein richtig tolles Fest. Bis dahin wird beim DVSI noch viel passieren, was und weswegen man feiern kann. Der Verband rückt immer mehr in den Fokus auch globaler Präsenz. Wirkt immer mehr gestaltend auch in anderen Branchengremien. Wird immer mehr in der Öffentlichkeit und auf politischer Bühne gehört. Ist mehr denn je Problemlöser auf allen spielwarenrelevanten Ebenen.
2024 wird der DVSI zwar auf spannende Jahre zurückblicken, aber er wird weiter gewachsen sein. Im eigentlichen und im übertragenen Sinne. Gratulieren kann man heute schon. Mit Fug und Recht. Alles andere heben wir uns für später auf.

dvsi.de

Herr Brobeil, Sie sind seit 2012 Geschäftsführer des Deutschen Verbands der Spielwarenindustrie, davor waren Sie bereits sieben Jahre für den DVSI tätig. Was waren die eklatantesten Veränderungen und Herausforderungen in der Verbandsarbeit in dieser Zeit?
Aktuell natürlich die Corona-Pandemie, die ja nicht nur das Wirtschaftsleben hart getroffen und das soziale Leben weitgehend lahmgelegt hat, sondern auch alle Verbände vor neue Herausforderungen gestellt hat. Denken Sie nur an die Interaktion und Kommunikation mit und unter den Mitgliedern. Im letzten wie in diesem Jahr musste zum Beispiel das Zusammenspiel von DVSI und BVS abgesagt werden. Unsere Präsenz-Mitgliederversammlungen fielen aus. Bisher waren virtuelle Mitgliederversammlungen nur möglich, wenn es die Satzung ausdrücklich vorsah. Das war 2020 für uns rechtliches wie organisatorisches Neuland. Die digitale Transformation und ihre Chancen wird deshalb in den nächsten Jahren ein wichtiges Thema für den DVSI bleiben.

Und wenn Sie auf Ihre Anfänge zurückblicken?
Der millionenfache Rückruf von in China hergestellten Spielwaren war 2007 ein Big Bang, der hohe mediale Wellen schlug und kräftig am Image der Spielwarenbranche kratzte. Die Qualität von Spielwaren in globalen Lieferketten war auf einmal von öffentlichem Interesse, was auch der DVSI zu spüren bekam. Die EU-Kommission riet sogar zur besonderen Wachsamkeit beim Kauf von Spielwaren.

Der neue Präsident des Weltverbandes der nationalen Verbände von Spielwarenherstellern, der International Council of Toy Industries (ICTI), heißt Ulrich Brobeil. Der DVSI-Geschäftsführer wurde am 10. Juni 2021 bei der turnusmäßigen Mitgliederversammlung des Weltverbandes zum Nachfolger von Miguel A. Martin, Vorsitzender der Asociación Mexicana De La Industria Del Juguete (AMIJU), gewählt. Zu den drei Vizepräsidenten wurden José A. Pastor (Spanien, für die Region Europa), der sich zur Wiederwahl stellte, sowie die neuen Board-Mitglieder Maria Teresa Kasuga Osaka (Mexiko, für die Region Amerika) und Jonathan Zimbler (Australien, für die Region Asien) gewählt.Der DVSI-Geschäftsführer und neue ICTI-Präsident wird nun die Umsetzung des German ICTI Presidency Programme angehen, das den Titel trägt: „Strengthening the Toy Industry across the Globe. Together“. Zu den Schwerpunkten seiner Arbeit zählt Brobeil die Stärkung des Stellenwertes von Spielen an sich.

Am Ende führten die Rückrufaktionen dazu, dass der mechanische und chemische Teil der Europäischen Spielzeugrichtlinie, die gerade wieder in der Diskussion steht, bis 2011 novelliert wurde. Und der DVSI legte mit seinem Prüfkoffer und den Ausbildungen zur Geprüften Fachkraft Spielzeugsicherheit los. Heute stehen zudem „Fairness“ und die „unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten“ im Fokus. Bei dem Müller-Gesetz geht es allerdings nicht allein um den Schutz der Menschenrechte, sondern auch um umweltverträgliche Herstellung.

Das Thema Nachhaltigkeit hat durch Corona in der Tat einen weiteren Schub bekommen …
Die Förderung von Nachhaltigkeit entlang globaler Lieferketten und die Einhaltung grundlegender Arbeits- und Umweltstandards bei der Spielwarenproduktion steht seit Jahren auf der Agenda des DVSI. Mit der Gründung der Fachgruppe „Lieferkette“ setzte der DVSI im Jahr 2015 ein weiteres Zeichen der Selbstverpflichtung. Von Anfang an waren neben Industrie und Handel auch Vertreter der NGOs Werkstatt Ökonomie/Fair Spielt und Christliche Initiative Romero kooperativ und aktiv dabei, getreu dem Ansatz „Gemeinsam für bessere Arbeitsbedingungen“. Schon früh (2016) suchte der DVSI zu diesem Ansatz auch den Dialog mit dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit (BMZ). Auch bei der Gründung der hieraus gemeinsam entwickelten Fair Toys Organisation (FTO), einer vom BMZ unterstützten Multi-stakeholder-Initiative aus engagierten Unternehmen, dem DVSI, Handel und zivilgesellschaftlichen Organisationen, war der DVSI mit seiner Kompetenz eine treibende Kraft für die Koalition unterschiedlicher Interessengruppen.

Verbände stehen im Ruf, Bewahrer und nicht gerade Erneuerer zu sein. Wie sehen Sie die Position des DVSI in diesem Kontext?
Das stimmt, Verbände sind ihrem Wesen nach strukturkonservativ. Ich glaube aber, dass sie das auch sein müssen, weil sie ein wesentliches Element unserer Demokratie sind und grundsätzlich die Teilhabe von Unternehmen an politischer Meinungsbildung ermöglichen, auch wenn die öffentliche Wahrnehmung ambivalent ist. Die Demokratie gibt man auch nicht auf, nur weil Veränderungen Zeit brauchen. Gleichzeitig bündeln Verbände die durchaus divergierenden Interessen ihrer Mitglieder zu einem gemeinsamen Ziel, wie es ja in Parteien gang und gäbe ist. Verbände wirken also integrativ. Wichtig ist für mich, dass die Mitglieder früh und intensiv in Entscheidungsprozesse eingebunden werden, damit alle den Verband tragen. Das geschieht zum Beispiel über Arbeitskreise oder Umfragen. Der DVSI will ein Verband von Mitgliedern für Mitglieder sein.

Dass Sie „Verband können“ zeigt Ihre Ernennung am 10. Juni zum Präsidenten des Weltverbandes der nationalen Verbände von Spielwarenherstellern, kurz ICTI. Was sehen Sie in dieser Position als besondere Herausforderung an? Was können Sie als ICTI-Präsident vor allem bewegen und vorantreiben?
Letztendlich fiel die Entscheidung unter den europäischen Verbänden. Es war einfach an der Zeit, dass Deutschland als Big Player Flagge zeigt. Die größte Herausforderung wird sein, die unterschiedlichsten Interessen zu vereinen. Aber das kenne ich ja von der europäischen und der nationalen Ebene. Der DVSI will in der dreijährigen Amtszeit in sehr enger Abstimmung mit den europäischen Verbänden agieren, um als gemeinsame Stimme für die Interessen der Spielwarenhersteller wahrgenommen zu werden. Der Titel des German ICTI Presidency Programme „Strenthening the Toy Industry across the Globe. Together” spricht hier für sich. Die Leitprinzipien sind: Spielwaren sind relevant. Spielwaren sind sicher. Spielwaren sind nachhaltig. Im Auge haben wir zudem eigene Marktdaten als Basis für die strategischen Entscheidungen im weltweiten Spielwarengeschäft. Und ICTI soll zukünftig noch stärker zum Ideen-Lieferanten und Ort des Wissenstransfers gemacht werden.

Kommen wir zurück zum DVSI und den Projekten, die Sie mit angestoßen haben: Sie haben neue Kommunikationsstrategien aufgesetzt, eine neue Homepage initiiert, den DVSI-Index aufgelegt, die Virtual Coffee Break ins Leben gerufen – was steht als nächstes auf der Agenda?
Da stehen einige Projekte an, über die ich im Detail noch nicht viel sagen möchte. Nachdem wir 2020 und auch in diesem Jahr das Zusammenspiel von DVSI und BVS in Köln absagen mussten, hoffen wir jetzt darauf, dass es 2022 zum ersten großen Get-together kommt. Das Format beweist ja, dass Veränderungen auch bei Verbänden möglich sind. Themen wie Spielzeugsicherheit, Nachhaltigkeit oder die Förderung der Spielkultur bleiben weiter oben auf der Agenda. Social Media ist sicherlich ein „heißes Eisen“ für uns. Außerdem denken wir intensiv über ein „Spielwaren-Barometer“ nach. Da stecken wir noch in der Projektphase.

Eine Mitgliedschaft im DVSI steht Handel wie Industrie offen. Was sind die herausragendsten Vorteile, die Sie Mitgliedern bieten können?
Eine einheitliche Stimme in der Lobbyarbeit, hervorragende Serviceangebote und eine Dialogplattform für den Austausch der Mitglieder! Die Arbeit im DVSI hat sich in den letzten Jahren sehr stark gewandelt, sowohl hinsichtlich der Erwartungshaltung als auch bei den Leistungen. Wir verfügen nicht nur über Experten im eigenen Haus, sondern inzwischen auch über 13 externe in den unterschiedlichsten Bereichen, Tendenz steigend. Geschätzt wird besonders der Erfahrungsaustausch unter den Mitgliedern, natürlich unter Einhaltung der Compliance Vorschriften, die wir uns gegeben haben.

Und was muss/kann ein schlagkräftiger Verband für die Gesamtbranche erreichen?
Intern muss er eine sehr große integrative Funktion haben, um die manchmal heterogene Interessenlage der Mitglieder „unter einen Hut“ zu bringen, denn was für einen Nischenanbieter förderlich sein kann, könnte für ein global agierendes Unternehmen eher kontraproduktiv wirken. Ein Verband wirkt also gegen sonst schwer integrierbare Einzelinteressen. Zweitens verfügt er über wichtige Informationen und Fachwissen, die für politische Entscheidungsprozesse von zentraler Bedeutung sind. Der DVSI zählte in den letzten zwölf Monaten zu den rund 40 Verbänden, die von Wirtschaftsminister Peter Altmaier zu jedem Wirtschaftsgipfel eingeladen wurden. Das zeigt, der DVSI wird gehört, auch wenn nicht jede unserer Vorstellungen gleich Gesetz oder Verordnung wird. Und drittens, ein Verband muss auch zur Kollaboration fähig sein, wie das Beispiel FTO zeigt.

In 20 Jahren werden Sie das 50. Jubiläum feiern. Wo soll der DVSI dann stehen?
Eine solch weitreichende Prognose ist schwer. Nur so viel: Die Eckpfeiler unserer Strategie haben wir 2012 fixiert. Dazu zählen unter anderem die Interessenvertretung, der Ausbau des Serviceangebotes und die Förderung des Mitgliederaustausches. Die drei Aspekte genießen auch in den kommenden Jahren Priorität. Gleichzeitig müssen wir sensibel bleiben für gesamtgesellschaftliche Entwicklungen und Trends. Denken Sie nur an den DVSI Index 2019 mit dem Schwerpunkt Nachhaltigkeit oder die digitale Transformation, die durch Corona beschleunigt wurde. Der Anpassungs- und Modernisierungsdruck gilt also nicht nur für Unternehmen, sondern auch für Verbände. Ich glaube, dass die Kommunikation mit den Mitgliedern, durchaus auch die kontroverse, in diesem stetigen Veränderungsprozess eine entscheidende Rolle spielt. Und auch im Jahr 2041 wird wie heute wichtig sein, die Zukunft in den Verband zu holen.

Herr Brobeil, ich bedanke mich für das Gespräch!