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Branche – Was ist mehr wert?

14. Juni 2019, 9:51

Auch in einem reichen Land wie Deutschland stellen Kinder ein Armutsrisiko dar. Finanzielle Erleichterung brächte eine Senkung der Mehrwertsteuer für bestimmte Produkte und Dienstleistungen für Kinder, so wie es der Bundesverband Deutscher Kinderausstattungs-Hersteller e.V. (BDKH) fordert. Er unterstützt die Initiative „7 % für Kinder“. Lioba Hebauer sprach mit Sprecher Sven Iversen (AGF) über den aktuellen Stand der Kampagne.

Hat die Politik das Thema „Mehrwertsteuersenkung“ für Kinder aktuell auf ihrer Agenda? Im Wahlprogramm der großen Parteien ist es zumindest nicht zu finden.
Um das Thema ist es ruhig geworden. Auf europäischer Ebene soll die entsprechende Richtlinie überarbeitet werden, wobei vor allem Steuerausfälle verringert und der administrative Aufwand sowie die Komplexität der Umsatzbesteuerung gemindert werden soll. Die Förderung von Familien beziehungsweise soziale Erwägungen sind nicht die Motivation. Zumindest ist eine weitere Flexibilisierung des Systems der reduzierten Mehrwertsteuer dabei im Gespräch, womit der nationale Handlungsspielraum erweitert werden könnte.
Im Bundestag ist der reduzierte Mehrwertsteuersatz immer mal wieder Thema, meist jedoch indirekt, wie zum Beispiel im Januar, als über Ernährung gesprochen und die Anwendung des reduzierten Satzes auf gesunde Ernährung beziehungsweise Kita-Essen vorgeschlagen wurde.

Für welche Produkte/Produktgruppen oder Dienstleistungen setzen Sie sich besonders ein und warum?
Die Abgrenzung von Produkten für Kinder ist teilweise schwierig. Da dies immer wieder kritisch angemerkt wird, haben wir als Diskussionsgrundlage eine Liste von Produkten definiert:
– Kinderwagen und Buggys
– Gesamter Babybedarf mit Pflege und Ernährung (Cremes, Öle, Pflegetücher, Sauger, Babyflaschen, Beikostwärmer Trinklernbecher und mehr) ebenso Kleinkindpflege-Produkte (Kinderzahn- creme, Kinderzahnbürsten oder Kindershampoo beispielsweise)
– Babywindeln
– Baby- und Kinderkleidung bis einschließlich Größe 176
– Baby- und Kinderschuhe bis einschließlich Größe 35
– Schulranzen
– Schreibhefte, Füllfederhalter und sonstiger üblicher Schulbedarf (Lineale, Geodreiecke, Stiftemappen, Zeichenblöcke)
– Knete, Buntstifte, Filzstifte, einfache Malfarben wie Farbkästen, Fingerfar- be, Wachsmalstifte plus Zubehör wie zum Beispiel Schürzen, Pinsel, Kinderscheren
– Kinderautositze
– Schul- und Kita-Essen
– Lauflernräder, Kinderroller, Dreiräder und Kinderfahrräder einschließlich Schutzhelme
– Kinderspielzeug und Gesellschafts- spiele für Kinder bis zwölf Jahre
Nach dem Vorschlag der EU-Kommission im vergangenen Jahr könnten bereits heute bestimmte Angebote und Produkte hierzulande mit niedrigeren Sätzen angeboten werden.
Ja, das stimmt – ist jedoch, wie so oft, auch Auslegungssache. Aus unserer Sicht wären zum Beispiel Schul- und Kita-Essen, Autokindersitze und die Kinderbetreuung bereits qualifiziert. Für Babybedarf und Windeln müsste die Richtlinie sehr weit ausgelegt werden. Mit der Reform auf EU-Ebene könnte das erleichtert werden, jedoch bleibt abzuwarten, in welche Richtung sich diese entwickelt.

Sven Iversen ist Sprecher der Kampagne „7 % für Kinder“ und Geschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft der deutschen Familienorganisationen e.V.

Was sind die Argumente dafür, dass der Regelsteuersatz bei Windeln & Co. bleibt, aber spezifische Branchen mit ermäßigten Steuersätzen unterstützt werden?
Hinsichtlich bestehender Produkte und Dienstleistungen gibt es zwei Effekte beziehungsweise Argumentationen: Es dient der Wirtschaft oder dem entsprechenden Wirtschaftszweig wie etwa bei der Mehrwertsteuersenkung für Hotelübernachtungen. Diese Argumentation findet man häufig. Oder es handelt sich schlicht um ein Beharren auf dem Status Quo. Bei Produkten und Dienstleistungen für Kinder gibt es unterschiedliche Gegenargumente: Die europäische Ebene erlaube es nicht: Ein rein formales Argument, dass nicht verhindern würde, sich für eine Änderung der europäischen Regelung und eine bessere Handhabung auf nationaler Ebene einzusetzen. Oder aber: Die Abgrenzung der Produkte sei nicht klar genug. So könnten etwa sehr kleine Erwachsene davon profitieren, wenn sie Kleidung für Kinder kauften. Eine leider sehr häufig auftretende Argumentation – der vermeintliche Mitnahmeeffekt und Missbrauch. Das kann durch eine eindeutige Liste wie der unseren umgangen werden. Das dritte Argument lautet, dass das System nicht weiter verkompliziert werden solle. Bei anderen Entlastungen galt dieses Argument jedoch nicht. Sicherlich würde das System dadurch nicht einfacher, aber eine Senkung bei Kinderprodukten würde zumindest dem originären Gedanken des reduzierten Mehrwertsteuersatzes entsprechen.

Wie ist das gesetzgeberische/politische Prozedere, damit bestimmte Produkte mit einem ermäßigten Mehrwertsteuersatz belegt werden?
Die Änderung entspräche einer normalen Gesetzesänderung, also mit Gesetzesinitiative, Gesetzesentwürfen, Behandlung und Verabschiedung im Bundestag und in dem Fall auch des Bundesrates. In einigen Fällen bräuchte es jedoch tatsächlich zunächst eine Änderung der europäischen Mehrwertsteuerrichtlinie, daher müsste sich die Regierung zunächst hier stark machen.

7fuerkinder.de

Der Bundesverband Deutscher Kinderausstattungs-Hersteller e.V. (BDKH) unterstützt die Forderung für eine Senkung der Mehrwertsteuer bei ausgewählten Kinderprodukten, um junge Familien in Deutschland zu entlasten. Der Verband mit Mitgliedsunternehmen wie Britax Römer, Rotho Babydesign, Alvi, Lässig, Peg-Pérego, Dorel Juvenile (Maxi-Cosi), Chicco oder Joie folgt der Initiative „7 % für Kinder“, die sich seit Jahren dafür einsetzt, dass auf Produkte und Dienstleistungen für Kinder statt aktuell 19 Prozent nur noch die reduzierte Mehrwertsteuer von sieben Prozent erhoben wird. Gerade niedrige Einkommen würden davon mehr profitieren als durch eine Einkommenssteuersenkung, so die Erkenntnis des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung.
Alessandro Zanini, BDKH-Vorstandsvorsitzender und Sales Director Central Europe & Italy von Britax Römer, sieht vor allem bei den Kindersicherheitsprodukten als klar definierbarer Kategorie positive Auswirkungen einer Mehrwertsteuersenkung. Die hochwertigeren Modelle, etwa bei den Autokindersitzen, würden dadurch für Familien erschwinglicher. Gleichzeitig sinke der Anteil der auf dem Gebrauchtwarenmarkt gekauften, älteren Produkte, die oft nicht mehr den neuesten Sicherheitsstandards entsprechen und möglicherweise bereits Funktionen eingebüßt haben.