Branche – Süßwaren – Quengelware oder Frequenzbringer?
Die Diskussion im Spielwarenfachhandel um die richtigen Ergänzungssortimente sind angesichts der sich ändernden Wettbewerbsstruktur intensiver denn je. Beim Branchendialog des BVS 2019 pries ein Lebensmittel-Zustellgroßhändler sein Sortiment und seine Serviceleistungen an. Aber retten wir die Branche mit Gummibärchen oder lizensierten Lollipops? Eine Bestandsaufnahme von Martin Böckling.
Das Marktvolumen für Süßwaren (Schokoladenwaren, Zuckerwaren, Knabberartikel oder Speiseeis) beträgt in 2019 voraussichtlich 13.725 Millionen Euro in Deutschland. Das entspricht einem Pro-Kopf-Umsatz von 166,49 Euro pro Jahr. Damit wird mit Süßigkeiten der vierfache Umsatz des Gesamtmarktes für Spielwaren erzielt. Es mag nun Händler geben, die sich angesichts des gigantischen Volumens sofort auf diese Kategorie stürzen und ihr Heil in einer überdimensionalen Süßwaren-Kassenzone sehen. Dies scheint verlockend. Mit einem Flächenumsatz von mehr als 2.500 Euro pro Quadratmeter fühlen sich die Spielwarenfachhändler in der Regel gut bedient. Süßigkeiten in der Kassenzone, zum Beispiel in Verbrauchermärkten, bringen es auf wahnsinnige 35.000 Euro pro Quadratmeter und dies bei einer Spanne zwischen 31,4 und 35,0 Prozent. Da können weder Lego noch Mattel mithalten. Mein Credo in der Margenentwicklung des Spielwarenhandels ist deshalb stets, dass sich die Spanne insgesamt der des LEH nähert, allerdings die notwendige Drehzahl der Artikel zur Profitabilität fehlt. Die erzielt man lediglich mit warenwirtschaftlicher Feinjustierung des Sortiments und striktem Benchmarking der Preise.
Natürlich lässt sich der Quadratmeterumsatz eines Verbrauchermarktes nicht mit dem eines Spielwarenfachgeschäftes vergleichen. Die Frequenz ist für die einzelnen Absatzkanäle einfach nicht vergleichbar und auch innerhalb eines Kanals gibt es erhebliche Unterschiede. Bei den von mir in der Vergangenheit entwickelten Convenience Stores waren wesentliche Einflussfaktoren wie soziodemografische Daten und natürliche Kundenfrequenz (je nach Standort von 100 bis 2.000 Kunden täglich) entscheidende Größen für die Flächenproduktivität. Auch ist das Geschäft mit Süßigkeiten kein Wachstumsmarkt. Die Prognose für 2023 lautet 13,6 Milliarden Euro, demnach ein jährlicher Rückgang von 0,2 Prozent.
Zum Autor: Martin Böckling war viele Jahre GF von Spiel & Spass und berät heute große Handels- und Industrieunternehmen
Süßwaren ja oder nein
Es lässt sich keine allgemeine Aussage darüber treffen, ob Süßwaren ein „Must-have-Sortimentsbestandteil“ darstellen. Zunächst ist es, wie immer, eine Frage der eignen Profilierung und des Standortes. Weiter muss entschieden werden, ob nur Impulskäufe oder Zielkäufe generiert werden sollen oder ob im Rahmen von Aktionen gebündelt mit der Platzierung von Lizenzartikeln vermarktet werden soll. Süßwaren, auch Quengelware genannt, wenn sie in der Kassenzone in Sicht- und Greifweite für Kinder platziert werden, sind bei einigen Verbrauchermärkten bereits aus dem verkaufsstarken Bereich verbannt worden. Vordergründig ging es den Marktbetreibern um die Gesundheit der Kinder. Folgerichtig ist bei ökologisch ausgerichteten Spielwarenkonzepten eine großzügige Süßwarenplatzierung eher unpassend – oder sollten es besser Nüsse (besonders beliebt: Studentenfutter), Möhren und Obst sein? Der Zusammenhang zwischen Süßwaren und Fachgeschäften für Modellbau- oder Modellbahn ist ebenso schwer denkbar. Allerdings ist mir an einem Standort tatsächlich diese Kombination begegnet, die Süßwarenrenner Kaugummi und Mints in Verbindung mit Tabakwaren, um den erwachsenden Konsumenten die Verweildauer zu versüßen. Wenn es hilft und sich rechnet – why not? Die Kassenzone ist eine „heiße“, umsatzstarke Zone in die auch PBS- und Lizenzartikel in bestimmten Dimensionen und Preislagen sowie Zubehör wie Gerätebatterien hervorragend platziert werden können.
Süßwaren als Impulsartikel hingegen sollten dann angemessen durch eine entsprechende Regalierung an der Kasse präsentiert werden, einerseits um das Sortiment attraktiv und übersichtlich abzubilden, anderseits um Diebstählen vorzubeugen, denn Leckereien können auch als „volksnahe“ Güter betrachtet werden, die gerne mal im Vorbeigehen abgeerntet werden, da sie begehrt und kompakt sind. In der engeren Rankingliste sind die bereits erwähnten Kaugummis, Mints, Fruchtgummis (FWG), Bonbons und Lutscher sowie Riegel und Tafelschokolade ganz weit vorne. Das Ganze kann man mit salzigen Snacks wie Nüssen, Süßgebäck, Lakritz und Schaumzeug abrunden. Andere Platzierungsmöglichkeiten, gerade für lizensierte Süßwaren, bieten natürlich die Sonderplatzierungen zu Lizenzthemen. Einer der größten Hersteller, BIP Holland, bietet Lizenzsüßwaren zu Eiskönigin, Star Wars, den Minions, Superman & Batman, den Angry Birds sowie Hello Kitty. In der Kalkulation ist man bei Impulsartikel relativ frei. Es müssen natürlich nicht Discounter-Preise aber auch nicht unbedingt Apothekenpreise sein.
Sortimentserweiterung
Ganz besonders gilt das, wenn zum Beispiel eine Schule in der Nähe ist und Süßwaren zu Zielkaufartikeln werden. Das Preisniveau sollte nicht überkalkuliert sein und den Taschengeldlagen der jungen Konsumenten entsprechen. Dies erfordert ein erweitertes Sortiment und kann mit Speiseeis und möglicherweise Getränken (AFG-Alkoholfreie Getränke) aufgewertet werden. Je nach erzielbarem Umsatz stellen die Industrie oder die einschlägigen Großhändler unter bestimmten Bedingungen die notwendigen Kühlgeräte kostenlos zur Verfügung, wobei der Zustellgroßhandel die Möglichkeit bietet, über die verschiedenen Marken hinweg die Ware sortiert zu ordern und zu platzieren. Wichtig ist gerade bei Speiseeis der Nachweis einer ununterbrochenen Kühlkette entsprechend der HACCP-Verordnung, die eine entsprechende Dokumentation erfordert und bei Inspektionen der Lebensmittelkontrolleure geprüft wird. Auch das MHD (Mindesthaltbarkeitsdatum), das man im Spielwarenhandel meist nur im Umgang mit Batterien und Akkus kennt, spielt im Handel mit Lebensmitteln eine wichtige Rolle. Insbesondere bei zuckerfreien Süßwaren und Getränken ist das MHD in der Regel kürzer.
Preisgestaltung
Die Frage des Warenbezugs orientiert sich deshalb am Sortimentsumfang, am Volumen der Ware und an den spezifischen Anforderungen wie beim Speiseeis. Der Zustellgroßhandel lässt sich natürlich seinen Service bezahlen, während die Cash & Carry-Märkte, gerade bei Aktionen, deutlich günstigere Einkaufspreise bieten und in den letzten Jahren die Verpackungsgrößen zunehmend mehr an den Convenience Markt angepasst haben. Die häufig kleineren Packungsgrößen sind ein wesentliches Merkmal der Preisbildung. Bei bestimmten Produktgruppen können die Preise in kurzen Intervallen schwanken, beispielsweise wenn der Kakaopreis sich kurzfristig ändert. Lieferversprechen wie Lieferung innerhalb von 24 Stunden sind nur bedingt zutreffend. Der Zustellgroßhandel möchte Geld verdienen und orientiert sich in erster Linie an seinen Tourenplänen. Optionaler Paketversand sollte gerade bei extrem hohen Temperaturen vermieden werden. Jeder kennt das Problem des weißen Ausblühens gerade bei schokoladenhaltiger Riegelware. Dies gilt auch für die Abholung im C&C-Markt ohne entsprechenden Wärmeschutz durch Kühlboxen. Ein Fachhändler, der sich für den zustellenden Lebensmittelgroßhändler entschieden hat, sollte sich Gedanken über geeignete Lagerräume machen. Bei größeren Mengen erfolgt die Anlieferung in sogenannten Rollcontainern, die mit jeder Bestellung getauscht werden. Darüber hinaus wären bei größeren Eisbestellungen entsprechende Kühlaggregate, möglichst mit Temperaturaufzeichnung, erforderlich, wenn die gelieferte Menge die Aufnahmekapazität der Verkaufstruhen übersteigt.
Fazit: Je nach Standort und Profilierung können Süßwaren von Impulsartikeln zu Frequenzbringern werden, in jedem Fall bringen sie eine attraktivere Flächenprofitabilität als manche Spielwarenkategorie. Also, wer quengelt da noch?
Martin Böckling