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Branche: Spiel des Lebens

16. Januar 2025, 8:05

Für Volker Mehringer von der Universität Augsburg ist Spielen weit mehr als nur ein Zeitvertreib – es ist ein Schlüssel zu Entwicklung, Kreativität und gesellschaftlichen Trends. Im Interview mit Astrid Specht spricht der Spiel- und Spielzeugforscher über die Bedeutung des Spielens, den Aufstieg der „Kidults“ und die Digitalisierung des Spielverhaltens. Außerdem beleuchtet er die Herausforderungen der Spielforschung und die Zukunft des Spielens in einer immer stärker vernetzten Welt.

Herr Mehringer, was hat Sie dazu inspiriert, sich wissenschaftlich mit dem Thema Spielen zu beschäftigen?
Im Herzen bin ich bis heute ein großes Spielkind. Als Dozent im Bereich Pädagogik der Kindheit und Jugend hat das Spielen zudem schon immer eine zentrale Rolle in meiner Lehre gespielt. Die großen Forschungslücken, auf die ich dabei gestoßen bin, haben letztendlich den Ausschlag gegeben, mich auch in meiner Forschung mit den Themen Spielen und Spielzeug auseinanderzusetzen. Als ‚Spiel- und Spielzeugforscher‘ darf ich meine Spielbegeisterung jetzt auch professionell ausleben, worüber ich mich jeden Tag aufs Neue freue.

Dr. Volker Mehringer lehrt und forscht an der Universität Augsburg zur sozialpädagogischen Bedeutung des Spielens.

Welche Aspekte des kindlichen Spielens halten Sie für besonders wichtig, und welche Parallelen sehen Sie zum Spielen von Erwachsenen – Stichwort „Kidults“?
Die Begeisterung, die bei Menschen während des Spielens entsteht, und was diese Begeisterung bewirken und auslösen kann. Für Kinder ist das Spielen der zentrale Lern- und Entwicklungsmotor. Das Großartige dabei ist, dass ihnen das gar nicht bewusst ist, sondern dass sie aus Spaß und Freude an der Sache spielen. Das gilt ebenso für Erwachsene. Auch sie können als „Kidults“ auf vielfältige Weise vom Spielen profitieren und dabei eine gute Zeit haben.

Was sagt der Kidult-Trend Ihrer Meinung nach über unsere Gesellschaft und ihre Bedürfnisse aus? Könnte man Spielen als eine Art Flucht vor den Anforderungen einer immer komplexer werdenden Welt verstehen?
Der aktuelle Kidult-Trend bedeutet nicht nur eine Wertschätzung für das Kindsein. In ihm zeigt sich auch ein gesellschaftliches Umdenken. Spielen wird für Erwachsene gerade Schritt für Schritt salonfähig. Man muss sich also keine Sorgen machen, schräg angesehen zu werden, wenn man als Erwachsene beim Legospielen oder mit einem Malbuch gesehen wird.
Ich würde Spielen nicht als eine Flucht bezeichnen. Spielende drücken sich in der Regel nicht vor der Realität und ihren Anforderungen. Zum einen kann Spielen einen willkommenen Ausgleich zum stressigen Alltag bieten und die Möglichkeit den Kopf freizubekommen und neue Energie zu tanken. Zum anderen können in Spielsituationen schwierige Themen, die einen beschäftigen, spielerisch und in einem geschützten Rahmen be- und aufgearbeitet werden, ohne Konsequenzen befürchten zu müssen. Die Spieltherapie setzt beispielsweise genau an diesem Punkt an.

Sie sind Teil der Initiative „Value of Play“ und haben zusammen mit dem DVSI ein Positionspapier erarbeitet, das unter anderem fordert, mehr in die Grundlagenforschung zum Thema Spielen zu investieren. Warum gibt es hierzu so wenig wissenschaftliche Literatur?
Spiel- und Spielzeugforschung stellt immer noch ein wissenschaftliches Randgebiet dar. Es gibt kaum Fördergelder und Forschungsprogramme, die sich gezielt an Spielforscher*innen richten. Auch Studienprogramme und Studienschwerpunkte in diesem Bereich gibt es nur vereinzelt. Spielen wird häufig als netter Zeitvertreib abgetan, dem es gegenüber anderen Forschungsthemen an Relevanz und Ernsthaftigkeit mangeln würde. Dabei wird die Bedeutung des Spielens sowohl für den einzelnen Menschen als auch für die Gesellschaft vollkommen unterschätzt. Unser größter Wunsch wäre ein eigenes Forschungsinstitut, dass sich mit dem Thema Spielen in seiner Vielfalt auseinandersetzt und die Erkenntnisse in die Praxis weitergibt.  

Wie nehmen Sie die Auswirkungen der Digitalisierung auf das Spielverhalten von Kindern und Erwachsenen wahr?
Das digitale Spielen ist heute aus der Welt des Spielens nicht mehr wegzudenken. Kinder beginnen immer früher mit dem Gaming und auch im Erwachsenenalter wird das digitale Spielen immer gängiger. Hochphase des digitalen Spielens stellt jedoch nach wie vor das Jugendalter dar.

Weshalb erfährt Gaming gesellschaftlich und politisch mehr Unterstützung als analoges Spielen?
Der Bereich Games ist derzeit die weltweit umsatzstärkste Unterhaltungsbranche. Deutschland spielt hier aber noch keine zentrale Rolle. Klar, dass man sich besser positionieren möchte und entsprechende Unterstützungsmaßnahmen auf den Weg bringt. Gleichzeitig haben wir seit Jahren eine Reihe lautstark geführter öffentlicher Diskurse um die negativen Auswirkungen des digitalen Spielens. Auch wenn diese Diskurse sicher nicht positiv zum Image des Gaming beigetragen haben, so haben sie dennoch für Aufmerksamkeit gesorgt und das digitale Spielen zu einem wichtigen Forschungsthema gemacht.
Sie beschäftigen sich in Ihrer Forschung unter anderem mit Diversität bei Spielzeug. Wie schätzen Sie hier die aktuelle Entwicklung am Spielwarenmarkt ein?
Wir haben uns 2016 zum ersten Mal in einem kleinen Forschungsprojekt Spielzeugkataloge angesehen und untersucht, wie vielfältig das darin abgebildete Spielzeug ist. Unter anderem haben wir dabei auf Geschlecht, Hautfarbe, Alter, Körperform und auf Behinderungen geachtet. Das Ergebnis war erwartbar einseitig. Aber in den letzten Jahren hat sich hier sehr viel getan. Man nehme allein die Barbie Produktreihe, die Mattel selbst als „das vielfältigste und inklusivste Puppensortiment auf dem heutigen Markt“ bezeichnet. Wir haben unsere Untersuchung aus 2016 vor kurzem mit einem aktuellen Katalog wiederholt und konnten ebenfalls eine deutliche Zunahme vielfältiger Gestaltung feststellen. Wir stecken also mitten in einer interessanten Entwicklung und ich bin sehr gespannt, wo diese in den nächsten Jahren noch hinführen wird.

Wie sehen Sie die Zukunft des Spielens? Zeichnen sich bereits neue Trends im Spieleverhalten von Kindern und Erwachsenen ab? Welchen Einfluss wird Gaming auf das analoge Spielverhalten in Zukunft haben? 
Man darf sich von vermeintlich neuen Spiel- und Spielzeugtrends nicht täuschen lassen. Meist sind diese nur Variationen von bereits lange bestehenden Spielideen und -formen. Daher ist auch für die unmittelbare Zukunft nicht zu erwarten, dass sich das Spielen grundlegend verändern wird. Die Kontinuitäten werden sicher überwiegen.
Auch das Gaming bleibt und es bleibt weiterhin beliebt. Ich kann mir allerdings vorstellen, dass der Übergang zwischen digitalem und analogem Spiel noch fließender wird. Wir sehen das heute schon auf dem boomenden Markt der Smart Toys: Spielzeuge, die auf den ersten Blick wie traditionelles Spielzeug aussehen, aber mit raffinierter digitaler Technik ausgestattet sind, wie beispielsweise ein Stofftier mit dem man wie mit einem Smart Speaker sprechen kann. Dadurch lösen sich hoffentlich auch langsam die Fronten von digitalem versus traditionellem Spielen weiter auf und die Diskussionen um Chancen und Risiken digitaler Spiele werden etwas unaufgeregter und differenzierter. Ich kann jetzt schon bei der aktuellen Generation an Studierenden erleben, die mit digitalen Spielen aufgewachsen sind, dass sie durch die eigenen Spielerfahrungen ein entspanntes und gleichzeitig kritisch reflektiertes Verhältnis zum Gaming haben. Wenn man genau darauf blickt, handelt es sich bei digitalen und analogen Spieltätigkeiten um Varianten des gleichen Phänomens. Im Kern ist beides Spielen.

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