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Branche: Sicherheit im Wandel

7. August 2025, 7:59

Seit 70 Jahren prüft TÜV Rheinland von der mechanischen Sicherheit bis hin zur digitalen Unbedenklichkeit Spielwaren auf Herz und Nieren. Im Interview mit Astrid Specht blickt Sebastian Rösch, Abteilungsleiter Spielzeugprüfung, nicht nur zurück auf technische Meilensteine und verschärfte Anforderungen, sondern auch voraus auf neue Herausforderungen wie PFAS, smarte Funktionen oder den digitalen Produktpass.

Herr Rösch, 70 Jahre Spielzeugprüfung – wie sehr haben sich die Prüfkriterien und -verfahren in diesen sieben Jahrzehnten verändert?
Ganz klar: Die Anforderungen haben sich im Laufe der Jahre deutlich erweitert. Die Norm zur mechanischen Sicherheit hatte vor 30 Jahren noch 25 Seiten – heute sind es rund 200 Seiten. Auch viele zusätzliche Anforderungen kamen dazu, etwa für spezielle Spielzeuge wie Fingermalfarben, Schminksets, Rutschen oder Schaukeln. Große Fortschritte gab es im Bereich der chemischen Prüfung: Mithilfe fortschrittlicher Labortechniken können wir die Anwesenheit von potenziell gefährlichen Chemikalien im Spielzeug nicht nur nachweisen, sondern auch präzise quantifizieren.

Und was sagt das über den Wandel in der Spielzeugbranche insgesamt aus?
Generell sind sich namhafte Hersteller ihrer Verantwortung hinsichtlich der sensiblen Verbrauchergruppe „Kinder“ sehr bewusst. Sie betreiben einen großen Aufwand, um sicherzustellen, dass ihre Produkte alle gesetzlichen und normativen Anforderungen erfüllen. Es hat sich dabei ein sogenanntes „Null-Risiko-Verständnis“ entwickelt: Kein Hersteller möchte auch nur das geringste Risiko eingehen, dass mit seinem Produkt eine Gefahr in Verbindung stehen könnte. Gerade bei Spielzeugen für die Zielgruppe der jüngsten Kinder bis drei Jahren ist das auch sehr gut und wichtig. Bei Spielzeugen für ältere Kinder haben sich die Normen teils sehr stark ausgeweitet. Als ich meine Tätigkeit begann, lag mehr Verantwortung bei der Interpretation durch die Experten, die einschätzen mussten, ob eine tatsächliche Gefahr für Kinder bestand. Das ist heute kaum noch möglich. Die Folge: Kinder lernen Risiken oft nicht mehr „spielerisch“ kennen.

Mechanische Prüfung an Spielzeug

Welche Entwicklung bei den Prüfverfahren halten Sie persönlich oder Ihr Team für den wichtigsten Meilenstein der vergangenen 70 Jahre?
Einzelne Meilensteine lassen sich kaum benennen. Die normativen Anforderungen entwickeln sich stetig weiter, durch Erkenntnisse aus der Wissenschaft oder Unfällen. Ein Beispiel: Durch die Aufnahme der Anforderungen an Schnüre und Ketten sind die Unfallzahlen deutlich zurückgegangen, ebenso bei halbkugelförmigen Spielzeugen. Neue Spielzeuge wie zum Beispiel Drohnen, deren Rotoren ein Risiko für Augen oder Hände darstellen können, machen kurzfristig die Ausarbeitung neuer Anforderungen nötig, da bestehende Normen diese Produkte oft noch nicht abdecken.
Besonders spannend sind die Entwicklungen im Bereich der sogenannten Bewitterung von Spielzeugen. Dabei simulieren wir unterschiedliche Umweltbedingungen – zum Beispiel Feuchtigkeit, Sonneneinstrahlung oder starke Temperaturschwankungen – um die Widerstandsfähigkeit und Haltbarkeit von Spielzeugen unter realistischen Bedingungen zu testen.

Wer kommt vor allem auf Sie zu und lässt Spielware bei Ihnen prüfen?
Das ist das ganze Spektrum der Branche: Hersteller, Händler, Retailer – wir bedienen eine sehr vielfältige Kundengruppe gleichzeitig und sehr umfangreich.

Immer mehr Billigspielzeuge aus Fernost überschwemmen den Markt, oft direkt über Plattformen wie Temu, aber auch Drittanbieter auf Amazon und anderen Online-Shopping-Plattformen. Welche Risiken bergen aus Ihrer Sicht diese Produkte für Verbraucher, aber auch den Fachhandel, etwa im Hinblick auf Wettbewerbsdruck, Reklamationen oder das Vertrauen der Kundschaft? 
Generell kann in der EU jeder Hersteller eigenverantwortlich Artikel auf den Markt bringen, ohne diese vorher von unabhängigen Dritten überprüfen zu lassen. Verbraucherinnen und Verbraucher sollten daher bei Online-Käufen auf Zertifizierungen und Produktsicherheitszeichen von unabhängigen Prüfstellen achten. Eine gute Orientierung bietet das GS-Zeichen für geprüfte Sicherheit oder weitere Prüfzeichen, beispielsweise von TÜV Rheinland. Produkte mit diesen Prüfzeichen sind von unabhängigen Stellen geprüft und stehen für Einhaltung von Richtlinien und Normen.

Das CE-Zeichen ist Pflicht, doch viele Eltern achten mittlerweile bewusst auf das GS-Zeichen oder das Toyproof-Siegel. Was unterscheidet diese Prüfzeichen konkret?
Die CE-Kennzeichnung ist kein Gütesiegel oder Qualitätszeichen, sondern eine Selbsterklärung des Herstellers. Trägt ein Produkt das GS-Zeichen, dann sind dessen technischen Anforderungen an die Sicherheit erfüllt und vor allem durch ein unabhängiges Prüfunternehmen wie TÜV Rheinland kontrolliert worden. Das Toyproof-Siegel hat gegenüber dem GS-Zeichen noch einmal höhere Anforderungen im Bereich der chemischen Zusammensetzung von Spielzeug. So wird für das Toyproof-Siegel anders als beim GS-Zeichen beispielsweise die Speichel- und Schweißechtheit verschiedener Materialien überprüft.

Smarte Spielzeuge sind im Kommen: Stichwort Datenschutz, Cybersecurity und KI. Wie stellt TÜV Rheinland sicher, dass diese Produkte nicht zur digitalen Gefahr im Kinderzimmer werden?
Je mehr digitale Funktionen ein Spielzeug aufweist, desto anfälliger ist es für mögliche Angriffe. Das führt zu neuen potenziellen Gefahren. Um die besonders schützenswerte Zielgruppe Kinder vor unzulässigem Zugriff zu schützen, arbeiten wir eng mit unseren internen Expertenteams zusammen, die sich zum Beispiel auf IT-Sicherheit und Datenschutz spezialisiert haben. Ein wichtiger Unterschied zu traditionellen Spielzeugprüfungen: Die Normen für smarte Funktionen weisen keine harten Grenzwerte auf, sondern beruhen auf einer Risikobewertung mit Eintrittswahrscheinlichkeiten. Bei TÜV Rheinland haben wir Experten, die sich tagtäglich mit solchen Fragestellungen auseinandersetzen und den Spielzeugherstellern gerne mit Rat und Tat zur Seite stehen.

Mit den neuen EU-Vorgaben zur Spielzeugsicherheit rückt auch das Thema PFAS stärker in den Fokus. Wie begegnet TÜV Rheinland diesem Problem, und wie aufwändig ist die Überprüfung auf sogenannte „Ewigkeitschemikalien“?
Spielzeug unterliegt schon jetzt durch die REACH- und POP-Verordnung Anforderungen an den Gehalt an perfluorierten Alkylverbindungen (PFAS). Es handelt sich hierbei nicht um eine einzelne Substanz, sondern um eine Gruppe von mehreren tausend Substanzen. Gerade Spielzeuge, die textile Bestandteile enthalten und gegebenenfalls im Freien Anwendung finden, können mit PFAS ausgerüstet oder behandelt worden sein. Schwierig ist nicht unbedingt die Bestimmung des PFAS-Anteils von Produkten, sondern vielmehr der äußerst geringe Grenzwert innerhalb der Europäischen Union. Denn PFAS können durch Spurenverunreinigungen innerhalb des Produktionsprozesses auch in Spielzeug auftreten, in dem sie gar nicht eingesetzt werden sollen. Wir bieten unseren Kunden verschiedene Screening-Untersuchungen auf unterschiedliche PFAS an.

Mit dem neuen Prüfzeichen „Ausgezeichneter Spielwert“ setzt TÜV Rheinland einen weiteren Standard – diesmal für pädagogische Qualität. Was genau wird geprüft, und wie können Hersteller oder Händler davon profitieren?
Unser Prüfzeichen für pädagogisch wertvolles Spielzeug bietet Herstellern und Händlern viele Vorteile. Es zeigt, dass die Artikel die kindliche Entwicklung fördern, was das Vertrauen bei Eltern und Fachkräften stärkt. Zudem hilft es, die Marke im Wettbewerb hervorzuheben, die Kundenbindung zu verbessern und rechtliche Vorgaben einzuhalten. Die Hersteller werden motiviert, kontinuierlich hochwertige und innovative Produkte zu entwickeln. Die Bewertungskriterien umfassen beispielsweise die Förderung der Wahrnehmung durch interessante Materialien, Farben, Geräusche und Düfte. Ebenso wichtig ist die Unterstützung der Motorik, Sprachentwicklung, sozialer Fähigkeiten, kognitiver Fähigkeiten und der Persönlichkeitsentwicklung. Ziel ist es, die ganzheitliche Entwicklung der Kinder spielerisch zu fördern.

Spielzeugprüfung im EMV-Labor Nürnberg

Auf welche Veränderungen beim Thema Spielzeugsicherheit müssen sich Hersteller und Händler in den nächsten fünf bis zehn Jahren einstellen?
Gerade im chemischen Bereich werden die Anforderungen immer umfangreicher. Dies bringt nicht nur die Hersteller von Spielzeugen, sondern auch die Prüfinstitute an die Grenzen des Machbaren – es geht um Grenzwerte im Spurenbereich für viele Substanzen. Diese Entwicklung ist auch bei der Spielzeugverordnung zu erkennen, die voraussichtlich im November dieses Jahres veröffentlicht wird. Für die Hersteller ergeben sich durch die neue Verordnung aber auch abseits der mechanischen und chemischen Anforderungen neue Herausforderungen – Beispiel Digitaler Produktpass.
Mitte 2026 werden weitere weitreichende Veränderungen auf die Spielzeughersteller zukommen. Dann wird die Normenreihe EN 71 mit einer Vielzahl von chemischen und mechanischen Anforderungen in einer neuen Form gültig. TÜV Rheinland wird die Spielzeughersteller auch künftig mit speziell auf sie zugeschnittenen Lösungen bei allen sich ständig verändernden Anforderungen unterstützen.


TÜV Rheinland

Technik soll dem Menschen nutzen und ihm nicht schaden. Diese bis heute zentrale Idee der technischen Überwachung stand schon bei der Gründung von TÜV Rheinland Pate. Am 31. Oktober 1872 schlossen sich Textilfabrikanten im heutigen Wuppertal, einer der damals am stärksten industrialisierten Regionen Deutschlands, zum „Verein zur Überwachung der Dampfkessel in den Kreisen Elberfeld und Barmen“ zusammen. Das Ziel: die Zahl der Unfälle mit den zahlreichen Dampfkesseln verringern. Das sollte dadurch gelingen, dass die vom Verein angestellten Ingenieure die Kessel unabhängig und qualifiziert prüften. Aus diesem ersten Dampfkessel-Überwachungs-Verein (DÜV) im Rheinland entstand in den folgenden Jahrzehnten der weltweit tätige Prüfkonzern TÜV Rheinland. Denn die fortschreitende Industrialisierung und der Erfindergeist in Wirtschaft und Wissenschaft brachten im 19. und 20. Jahrhundert eine rasante technische Entwicklung mit sich. Dadurch weitete sich das Spektrum der Anlagen, Produkte und technischen Geräte, die nach Einschätzung und Ansicht staatlicher Behörden unabhängig überprüft werden sollten, erheblich aus. Heute ist TÜV Rheinland einer der weltweit führenden Prüfdienstleister mit einem Jahresumsatz von mehr als 2,7 Milliarden Euro und 27.000 Mitarbeitenden in gut 50 Ländern. Die hoch qualifizierten Expertinnen und Experten prüfen technische Anlagen und Produkte, begleiten Innovationen und gestalten den Wandel zu mehr Nachhaltigkeit mit. Sie trainieren Menschen in zahlreichen Berufen und zertifizieren Managementsysteme nach internationalen Standards. Seit 2006 ist TÜV Rheinland Mitglied im Global Compact der Vereinten Nationen für mehr Nachhaltigkeit und gegen Korruption. 

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Sebastian Rösch, TÜV Rheinland

Spielzeugprüfung bei TÜV Rheinland
Bereits seit 70 Jahren begleitet TÜV Rheinland die Spielzeugindustrie und beschäftigt weltweit etwa 500 Fachleute zur Prüfung von Spielzeug. Mehr als 40.000 Spielzeuge prüfen die Expertinnen und Experten jährlich global, unter anderem in den Bereichen Mechanik, Entflammbarkeit, Geräusche, Weichmacher oder elektromagnetische Verträglichkeit. Sie prüfen alle Spielzeuge, die zum Spielen für Kinder im Alter bis zu 14 Jahren bestimmt sind. Die Expertinnen und Experten entwickeln neue Testmethoden, inspizieren Fertigungsstätten und arbeiten an Forschungs- und Entwicklungsvorhaben und in Normungsgremien mit. Sie erarbeiten Machbarkeitsstudien in der Produktionsphase, ermitteln potenzielle Gefahren und ermöglichen international den Marktzugang. Als führender Prüfdienstleister betreibt TÜV Rheinland Labore unter anderem in Nürnberg, Hongkong, Shanghai und Bentonville (USA). 

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