Branche – Quo vadis Babybranche?

13. September 2019, 16:09

Transparenz hinsichtlich der Kauflust und Kaufgewohnheiten der Zielgruppe sowie der Entwicklung der Sortimente ist für jede Branche (über)lebenswichtig. Der „Branchenfokus Baby- und Kinderausstattung“, eine Gemeinschaftsstudie des IFH Köln und der BBE Handelsberatung, ist die wichtigste unter den wenigen Marktanalysen in Deutschland, die Auskunft und Prognosen zur Entwicklung der Sortimente für Kinder bietet. In diesem Herbst wird ein neuer Branchenfokus aufgelegt.

Dr. Kai Hudetz, Geschäftsführer des IFH Köln, wird die Ergebnisse bei einer Veranstaltung des Bundesverbandes Deutscher Kinderausstattungs-Hersteller e. V. vorstellen. Im Interview mit Lioba Hebauer berichtet er, welche Wege Händler, Hersteller und Verbraucher gehen müssen und womit unsere Branche rechnen muss.

Herr Dr. Hudetz, wie ist die Stimmung in der Baby- und Kinderausstattungsbranche und welche Prognosen haben Sie für die nahe Zukunft?
Wir spüren, wie im Übrigen andere Branchen auch, dass sich die Konsumneigung insgesamt etwas abkühlt. Das konnten wir als erstes im Bereich Möbel beobachten. Ich glaube aber, dass dieser Negativtrend bei der Baby- und Kinderausstattung nicht so deutlich zutage treten wird. Ungeachtet dessen, dass es nicht mehr Kinder geben wird, wird in diesen Bereich klassischerweise mehr investiert. Wir erwarten nicht, dass sich das in Deutschland wesentlich verändert.

Der Anteil des Online-Handels wächst branchenübergreifend stark. Im Non-Food-Bereich hat er mittlerweile etwa 20 Prozent erreicht. Womit muss unsere Branche rechnen?
Klar ist, der Online-Kuchen wächst kategorieübergreifend – auch in der Baby-branche. Allerdings sind im Online-Bereich andere Player erfolgreicher als stationär. Dadurch kommt es zu Marktverschiebungen, die sich für viele Akteure unserer Branche negativ auswirken. Wir reden zwar alle von Omnichannel und davon, sich in allen Kanälen gut aufzustellen – und das ist grundsätzlich richtig – aber es gibt nur wenige Unternehmen, die online und stationär gleich stark agieren. Dem Bestreben des stationären Handels, Kunden mithilfe eines Online-Shops bei der Stange zu halten, widerspricht leider das tatsächliche Kaufverhalten.

Welche Kinderausstattungs-Segmente werden denn vor allem online gekauft?
Grundsätzlich: Es ist leichter, Marken online zu vertreiben als generische Produkte. Gut gehen vor allem Artikel mit einer klaren Produktbezeichnung, die standardisiert und gut vergleichbar sind. Tatsächlich werden online aber Marken sehr stark gesucht. Weil man die Marke kennt, weil sie Vertrauen einflößt. Hier sehe ich eine Chance für die Hersteller zu punkten. Man sieht das sehr schön bei der Online-Suche: Wird nur ‚Kindersitz‘ eingegeben oder eben ‚Britax Römer Kindersitz‘. Die Preissuchmaschinen spielen in dieser Kategorie eine eher nebensächliche Rolle.

Gibt es also Produkte, die online gar nicht gehen?
Eher nein. Grundsätzlich müssen heute alle Produkte über das Netz verkauft werden können. Das Argument ‚zu beratungsintensiv‘ oder ‚zu teuer‘ gilt nicht mehr. Es gibt praktisch keinen Bereich mehr, der nicht auch online gut funktioniert. Es sei denn, die Logistikkosten stehen in keinem vernünftigen Verhältnis zum Kaufpreis.

Dr. Kai Hudetz ist seit zehn Jahren Geschäftsführer des IFH Köln. Zuvor leitete er das ebenfalls dort angesiedelte ECC Köln, das als Ansprechpartner für progressive Strategien rund um Trends und Entwicklungen in der digitalen Handelswelt fungiert. Dr. Hudetz ist einer der gefragtesten E-Commerce-Experten und Speaker für hochkarätige Branchenevents. Das IFH Köln bietet Unternehmen Daten, Analysen und Strategien im Handelsumfeld. Der im Abstand von drei bis vier Jahren veröffentlichte „Branchenfokus Baby- und Kinderausstattung“ gilt als die wichtigste Marktstudie unserer Branche in Deutschland. ifhkoeln.de

Sind die Internetgiganten im Online-Handel mit Kinderprodukten so stark wie in anderen Bereichen?
In dieser Kategorie tut Amazon als Anbieter sich noch schwer. Allerdings greift der Plattformgedanke als internationales Phänomen um sich und gewinnt bei der Bedarfsdeckung massiv an Bedeutung. eBay oder Amazon bieten einfach Vorteile, weil Angebot und Nachfrage besser gebündelt und gesteuert werden als in einzelnen Shops und weil diese Marketplaces eine immense Reichweite haben. Der Distanzhandel wird immer schneller und effizienter. Nehmen Sie als Beispiel die Abendbelieferung. Aber auch kleine Online-Shops haben immer eine Chance, sich zu positionieren und zu profilieren. Nehmen Sie die Wunschlisten, über die man Geschenke zur Geburt oder Taufe besser kanalisieren kann. Die Verwandtschaft wohnt weit weg, hat keine Zeit zum Shopping-Bummel, man stellt einfach die Liste ins Netz und alle können darauf zugreifen. Auch hier gilt die Regel: Je spitzer die Kategorie, desto besser – und desto höher das Involvement der Kunden für die Produkte. Reine Versorgungskäufe fallen da heraus, aber beim Kinderwagen sieht das natürlich ganz anders aus.

Hier liegt doch die Chance für den stationären Handel?
Genau. Beim Kauf des Kinderwagens oder der Babyschale ist das haptische Erleben, das Ausprobieren, sehr wichtig. Dann ist ein Kinderwagen eine Investition, die man nicht so oft tätigt. Welche Marke man hier wählt, ist für die jungen Mütter und Väter in vielen Fällen eine Image-Frage. Das ist ähnlich wie beim Auto. Bestimmte Marken und Modelle „laufen gut“ und sind angesagt, andere wieder nicht. Um hier wirklich gut zu beraten, braucht der stationäre Handel richtig gutes Personal mit Sozialkompetenz und Wissen über das Produkt und die Zielgruppe. Und es wird Personal gebraucht, das das Thema auch vertrieblich versteht. Gerade beim Thema Autokindersitz, Babyschale, Kinderwagen reden wir über einen höheren Invest. Der Kunde hat inzwischen gelernt, online Produkte zu suchen und Preise zu vergleichen. Wenn er stationär nicht zufrieden gestellt und gut beraten wird, ist er meist für immer als Kunde verloren. Die Ansprüche, die Kunden an Händler haben, sind deutlich höher geworden als früher. Und zwar in Bezug auf das Personal und hinsichtlich der Verfügbarkeit der Produkte. Das muss nicht heißen, dass ein Händler alles auf Lager hat, aber er sollte zumindest die unterschiedlichen Varianten und Kombinationen darstellen können, auf dem Tablet oder dem Monitor. So bietet man immer ein positives Erlebnis für den Kunden. Wie früher im Katalog zu zeigen, das Produkt gibt’s jetzt auch noch in Gelb, reicht definitiv nicht mehr.

Wann ist für Eltern denn der Preis bei Kinderprodukten eher nachrangig?
Zum Beispiel beim Image-Thema Kinderwagen. Der ist Status in vielen Familien. Aber auch Kleidung und Spielwaren, die verschenkt werden, müssen wertig sein. Da will man sich nichts nachsagen lassen, schon gar nicht als frisch gebackene Großeltern. Da läuft fast schon ein interner Wettbewerb. Oma gegen Oma. Zur Geburt oder Taufe wird teuer eingekauft. Bei Spielsachen treffen wir auf das heikle Thema Sicherheit – da geht es um unbedenkliche Materialien, um nachhaltige Herstellungsprozesse und das berühmte „Made in Germany“. Gerade in diesem Bereich gibt es eine Reihe von Themen, die man viel stärker über Marke und Emotion spielen könnte, um aus der Vergleichbarkeit der Preise herauszukommen. Beim Thema Sicherheit – nehmen Sie beispielsweise Autokindersitze – achten Eltern sehr wenig auf den Preis. Da entscheiden
die verlässliche Marke und das Stiftung Warentest-Siegel.

Wie wichtig ist für Eltern das Thema Nachhaltigkeit?
Nachhaltigkeit wird ein immer zentraleres Thema für Hersteller und Anbieter. Im Fashion-Bereich ist es gerade ein großes Thema. Die Bereitschaft der Konsumenten über das verbale Statement hinaus, nachhaltig zu kaufen, hängt aber auch vom Preis ab. Bei Themen wie Produktionsstätten, die in Verruf kommen, Kinderarbeit oder miserable Arbeitsbedingungen muss man leider feststellen, dass wir als Konsumenten schnell verdrängen, was wir gehört, gelesen oder erfahren haben. Es gibt keine signifikanten Effekte auf das Kaufverhalten. Beim Thema Schadstoffe und Befürchtungen, dass gerade Kleinkinder mit krebserregenden Stoffen in Berührung kommen könnten, sieht es schon anders aus. Da sind Konsumenten sensibler und setzen sehr stark auf Gütesiegel. Wenn Stiftung Warentest sagt, das ist unbedenklich, dann ist das Vertrauen sehr hoch.

Unsere Branche legt in den Preisbereichen Premium und billig gleichermaßen zu. Wie erklären Sie sich das?
Das schreibe ich dem Verlust der Mitte zu. Häufig ist das Einstiegssegment sehr stark und dann gibt’s eben auch ein Luxussegment. Die Mitte verliert. Aber wo beginnt der Luxus und wo endet das Premium-Segment? Grundsätzlich sehen wir, dass der hybride Käufer existiert, der bei gewissen Produkten spart und bei anderen sehr viel Geld ausgibt. Wir stellen fest, dass vor allem die Kombination aus einem Luxusprodukt und einem Discount besonders gut funktioniert. Und dann haben wir ja die Rabatte: Es gibt Studien, die zeigen, dass Konsumenten sich manchmal gar nicht an den Preis erinnern, aber noch wissen, wie viel Rabatt sie bekommen haben. Das zeugt von einem gewissen Jagdtrieb. Diese Kunden könnten sich oft den regulären Preis leisten – anders als die Personengruppe, die selbst bei Kinderausstattung auf jeden Euro achten muss. Für sie ist das Internet mit den Such- und Vergleichsmöglichkeiten ein besonders präferierter Kanal.

Wie steht es um die deutsche Musterfamilie? Kann man sie in ihrem Informations- und Kaufverhalten charakterisieren?
Gute Frage. Heute nennen wir es Customer Journey, wenn wir uns fragen: Wie läuft ein Kaufvorgang vom ersten Kaufimpuls bis zum After Sales ab? Das ist zum einen sehr dynamisch und auch sehr heterogen. Generell wird das Konsumentenverhalten immer schwieriger vorherzusagen, weil es immer sprunghafter, immer hybrider wird. Genau das lesen wir aus den unterschiedlichsten Produktsegmenten. Was wiederum eine große Chance für die Branche ist. Junge Eltern wollen das Beste für ihr Kind, haben aber keine Erfahrungswerte. Der Freundeskreis ist ein wichtiger Impulsgeber, aber auch Influencer und Blogger. YouTube-Videos liefern Informationen und Know-how. Der ganze Bereich der Social Media hat einen immer stärkeren Einfluss. Wir reden hier schon von Social Commerce. Instagram bietet zum Beispiel die Möglichkeit des Check-out, so dass Sie direkt von der Plattform aus bestellen können. Social Media darf heute in der Customer Journey nicht unterschätzt werden.

Sich ein klares Bild vom Kundenverhalten zu machen, ist ein Erfolgskriterium für Handel und Hersteller …
Unbedingt. Wir müssen die Customer Journeys der unterschiedlichen Personas verstehen, um die richtigen Maßnahmen abzuleiten und zum Beispiel auf den richtigen Kanälen zur richtigen Zeit das richtige Angebot zu spielen. Wir agieren nicht aus einem Bauchgefühl heraus, sondern immer datenbasiert. Wir feiern jetzt 20 Jahre ECC Köln und 90 Jahre IFH Köln als Institut. Wir sehen es als unsere Aufgabe an, Händler und Hersteller darin zu ermuntern, den Endkunden wirklich zu verstehen. Und an Amazons Mantra, stets vom Kunden her zu denken, führt heute kein Weg mehr vorbei. Dieser Herausforderung muss sich jeder einzelne Händler stellen – und auch der Hersteller. Der Kunde ist am Ende des Tages nicht derjenige, dem die Produkte zum Weiterverkauf geliefert werden, sondern der, der sie für sich erwirbt.

Im Rahmen des BDKH-Handelstags in Köln wird Dr. Hudetz am 18. November 2019 als Keynote Speaker über Market Insights und Herausforderungen in der heutigen Handelslandschaft sprechen. Interessenten für die Veranstaltung können sich über info@bdkh.eu melden. bdhk.eu

Wie wird sich das Informations- und Kaufverhalten in den kommenden Jahren ändern?
Unsere Prognosen basieren sehr stark auf Zielgruppen, die wir analysieren können und von denen wir glauben, dass deren Verhalten für die Zukunft prägend sein wird. Im Bereich Digitalisierung sind es vor allem junge Leute, die mit diesen Technologien aufwachsen. All jene, die morgens Alexa fragen, wie das Wetter wird.

Zwei Dinge sind branchenübergreifend relevant: Einerseits ist das Social Media. Der vernetzte Grundgedanke, das Folgen von Leuten, die Meinungsführer sind, der funktioniert sehr gut. Wahrscheinlich wird es in Zukunft andere Geräte geben, aber noch blicken wir ja auf die Smartphones und sagen, das ist das Schweizer Messer der Neuzeit. Wenn Anbieter oder Marken nicht auf dem Smartphone stattfinden, werden sie künftig große Schwierigkeiten haben, überhaupt noch stattzufinden.
Und zweitens wird das Thema Sprachsteuerung noch deutlich stärker werden. Vor allen Dingen bei den Nachkaufprodukten. Die Abo-Modelle sind hier zu starr. Die Sprachsteuerung finden wir bald in allen Automobilen. Auf dem Weg zur Kita kann dann der Windelnachschub bestellt werden. In der Verbindung aus Voice und Screen gibt es noch ganz andere Möglichkeiten. Da können Sie per Sprache die Vorauswahl treffen und auf dem Bildschirm dann die Variante auswählen. Wer weiß, vielleicht erleben wir bald das Ende der Tastatur und steuern nur noch über die Sprache.

Wenn wir zusammenfassen, auf welche Veränderungen müssen sich die Händler und die Hersteller in unserer Branche einstellen?
Ganz wichtig: Das Anspruchsniveau der Konsumenten wird weiter zunehmen. Für Konsumenten funktioniert Handel in ganz vielen Bereichen schon jetzt deutlich besser, als je zuvor. Denken Sie nur an Flächenkonzepte oder Öffnungszeiten. Da hat sich wahnsinnig viel getan. Und es wird sich noch viel mehr tun. Die Informationsmöglichkeiten sind besser denn je.
Früher war man als junge Familie ‚Beratungsopfer‘ beim Kinderwagenkauf. Heute hat die Familie im Vorfeld schon sämtliche Bewertungen im Internet gelesen, sämtliche Modelle angeschaut, bevor sie in den Laden kommt. Während sich das Informationsverhalten deutlich ins Internet verschoben hat, hat der stationäre Handel noch gute Chancen. Aber die Informationshoheit liegt heute beim Konsumenten. Für den Handel ist das eine Herausforderung, weil es durch die höhere Informations- und Preistransparenz immer schwieriger wird, die Margen zu verteidigen. Es wird die Aufgabe des Händlers sein, sich als Marke so stark zu positionieren, dass er weiterhin als relevanter Anlaufpunkt wahrgenommen wird. Für Hersteller gilt das auf Markenebene gleichermaßen. „Be a Brand“, so lautet die große Herausforderung für Handel und Industrie.

ifhkoeln.de