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Branche: Mikroplastik – Unklare Verhältnisse

29. November 2023, 15:54

Seit Ende September gibt es neue Verordnungen, die die Verwendung von Mikroplastik regeln sollen. Dabei ist jedoch noch nicht klar, welche Produkte davon betroffen sind und auch die zeitliche Umsetzung macht Probleme. Stefan Ackenheil, Consultant Spielzeugsicherheit beim DVSI, erklärt im Interview mit Astrid Specht, worum es geht.

Es ist Zeit, sich Gedanken
über Ersatzmaterialien zu machen.

Stefan Ackenheil

Herr Ackenheil, das Thema „Mikroplastik“ ist spätestens seit dem 17.10.23 in aller Munde der Branche – und wird kontrovers diskutiert. Worum geht es genau und warum sorgt die neue Verordnung für Verwirrung auf Seiten der Hersteller sowie der Händler?
Die EU-Kommission verabschiedete am 25. September neue Vorschriften für die Verwendung von Mikroplastikpartikeln, die absichtlich hinzugefügt werden. Gesetzliche Grundlage ist die Verordnung (EU) 2023/2055 zur Änderung von Anhang XVII REACH hinsichtlich synthetischer Polymermikro­partikel. Die Verordnung möchte sicherstellen, dass möglichst wenig langlebige Mikroplastikpartikel in die Umwelt gelangen. Gemäß dem Anwendungsbereich des Gesetzes dürfen polymere Mikro­partikel nicht als solche oder in Gemischen in einer Konzentration von 0,01 Gewichtsprozent oder mehr in Verkehr gebracht werden. Dies bezieht sich auf Partikel aus Kunststoff mit einer Größe zwischen 0,1 μm und 5 mm oder 0,3 μm und 15 mm bei länglichen Partikeln/Fasern (Verhältnis von Länge zu Durchmesser > 3). Um den Händlern und Herstellern ausreichend Zeit für die Entwicklung von Alternativen und die Umstellung der Produktion zu geben, treten die Beschränkungen für die verschiedenen Anwendungen schrittweise in Kraft (von vier bis zu zwölf Jahren). Für Mikroplastik in Spielzeug gibt es jedoch keine Übergangsfrist, so dass die Regelungen unmittelbar am 17. Oktober 2023 in Kraft getreten sind. Für Verunsicherung sorgt die Verordnung deshalb, weil die EU-Kom­mission, trotz erfolgten Inkrafttretens der Verordnung, noch immer kein Informationsmaterial zur Verfügung gestellt hat, welche konkreten Produkte vom unmittelbaren Verbot betroffen und welche Produkte ausgenommen sind. Auch hinsichtlich des Abverkaufs von Lagerbeständen herrscht Unklarheit.
 
Um Klarheit zu schaffen, fand auf Anregung des DVSI im Oktober ein vom europäischen Spielzeugverband TIE kurzfristig anberaumtes Webinar mit Chemikerin Patrizia Tosetti von der Europäischen Kommission statt, das aber mehr Fragen als Antworten lieferte. Was können Sie uns von dem Webinar berichten?
Leider konnte Frau Tosetti nicht verbindlich auf die drängenden Fragen zur Einstufung von individuellen Produkten eingehen. Einige vorläufige Klarstellungen konnte sie jedoch geben. Insbesondere bei Glitzerartikeln, bei denen die dekorative Funktion zweitrangig ist, wie zum Beispiel bei Kleidungsstücken, gilt Glitzer als integraler Bestandteil des Artikels. Des Weiteren kündigte sie ein Q&A-Dokument an, das von der EU-Kommission aber erst Ende 2023 veröffentlicht werden soll. Die Spielwarenindustrie monierte daraufhin, dass die Europäische Kommission den denkbar schlechtesten Zeitpunkt für die Spielwarenindustrie gewählt habe – die Vorweihnachtszeit. Ferner wiesen die Teilnehmer darauf hin, dass die Spielwarenindustrie von KMU und Familienunternehmen geprägt ist, die angesichts der verworrenen Situation nicht wissen, ob ihre Produkte betroffen sind, wenn noch keine Handreichung vorliegt. Dennoch habe die EU-Kommission daraus gelernt, so dass es in Zukunft keine Verordnungen ohne Übergangsfristen mehr geben soll. Schließlich will sich die EU-Kommission dafür einsetzen, dass die Überwachungsbehörden in den Mitgliedstaaten den Vollzug erst einmal aussetzen, solange keine Leitlinie vorliegt.

Grundsätzlich unterstützt der DVSI das Vorhaben zur Reduzierung von Mikroplastik, hält die Verordnung, so wie sie aktuell formuliert ist, jedoch nicht für praxistauglich. Hier muss man sich doch, um mal deutlich zu werden, an den Kopf fassen und fragen: Warum macht der Gesetzgeber Vorgaben, die unklar sind und sich so nicht umsetzen lassen – vor allem nicht innerhalb dieser kurzen Zeit? Wie erklären Sie sich dieses Vorgehen?
Zu erklären ist dieses Vorgehen nicht, zumal die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen noch im Frühjahr angekündigt hatte, Unternehmen zu entlasten. Jetzt sorgt das Gesetz eher für Verwirrung. Die vielen Rückmeldungen über die Unklarheiten haben aber auch bei der EU-Kommission für einen Aha-Effekt gesorgt, weshalb man sich vorgenommen hat, künftig ohne eingehende Untersuchung der Problemstellungen keine Regelungen mehr voreilig zu verabschieden.

Wie wirkt der DVSI auf die EU-Kommission ein, um möglichst schnell einen Konsens zu erlangen?
Da die Verordnung nun bereits in Kraft getreten ist, sind zwar keine Veränderungen mehr am Gesetzestext möglich, aber ein Aussetzen des Vollzugs würde den Herstellern und Händlern etwas Freiraum geben, ihre Lagerbestände abzubauen und auf alternative Materialien umzustellen. Ohnehin dürfen alle Lagerbestände, die per Import aus einem Drittstaat vor dem 17.10.2023 das EU-Lager erreicht haben, nach aktueller Interpretation weiterhin abverkauft werden, was ebenfalls eine Erleichterung darstellt. Der DVSI wirkt zusammen mit dem europäischen Herstellerverband TIE auf ein Aussetzen des Vollzugs für 18 Monate hin. Zudem bleibt der DVSI in intensiven Gesprächen mit dem BMWK, dem BMUV sowie den Marktüberwachungsbehörden. Geplant sind überdies weitere konzertierte Aktionen in allen Mitgliedsstaaten durch die nationalen Verbände.

Was können Hersteller und Händler aktuell tun, um die Mikroplastik-Verordnung so gut es geht zu erfüllen? Oder würden Sie empfehlen, erst mal so weiterzumachen wie bisher?
Selbst wenn der Vollzug einstweilen ausgesetzt würde und alte Lagerbestände abverkauft werden können, ist es dennoch an der Zeit, sich Gedanken über Ersatzmaterialien zu machen. Es gibt alter­native Polymere (natürliche, wasserlösliche, biologisch abbaubare) oder auch Metallpulver, mit dem vergleichbare Effekte zu erzielen sind. Bei Unklarheiten können Hersteller die EU-Kommission, die ECHA, den REACH-Helpdesk oder den DVSI befragen.

Für den Fall, dass ein Hersteller ins Visier der Marktüberwachung gerät, weil ein Produkt nicht den Vorgaben entspricht – wie würden Sie diesem raten, sich zu verhalten?
Da die EU-Kommission noch kein Q&A-Dokument veröffentlicht hat, besteht auch Unklarheit bei den Vollzugsbehörden. Sollte die EU-Kommission ein Aussetzen des Vollzugs durchsetzen, so wären die Probleme für Hersteller erst einmal vom Tisch. Bekommt ein Hersteller dennoch Probleme mit einer Behörde, so raten wir vom DVSI, Kontakt mit uns aufzunehmen. Unser externer Experte für Produkthaftung und Product Compliance wird dann unterstützen.

Wie geht es weiter mit der Mikroplastik-Verordnung? Bis wann werden wir Ihrer Meinung nach Klarheit darüber haben, welche Rechte gelten? Welche Schritte bzw. welche Vorgehensweise von Seiten der EU wäre aus Ihrer Sicht wünschenswert?
Die für Ende 2023 avisierte Veröffentlichung des Q&A-Dokuments ist ein erster Schritt, um Klarheit zu schaffen. In Verbindung mit einer Übergangsfrist, in der keine Marktkontrollen durchgeführt werden, würde der Druck auf die Hersteller und Händler verringert werden können.

dvsi.de