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Branche – Made in Germany

12. März 2021, 8:46

Diese Bezeichnung gilt seit Ende des 19. Jahrhunderts als Qualitätsmerkmal – auch wenn es kein offizielles Gütesiegel ist. Hersteller entscheiden nämlich selbst, ob sie eine Herkunftsbezeichnung auf ihren Produkten anbringen. Dennoch gilt: Um „Made in Germany“ zu tragen, müssen die wichtigsten Bestandteile der Wertschöpfungskette wie Entwicklung, Design, Produktion und Qualitätssicherung in Deutschland stattfinden. Gibt es Zweifel, prüft ein Gericht. Welche Hersteller von Babyhartware unter anderen bis heute in Deutschland fertigen, fand Astrid Specht heraus.

Alexander Popp, Geschäftsführer Gesslein

Alexander Popp, Geschäftsführer Gesslein

Herr Popp, zu wieviel Prozent werden Gesslein-Produkte in Deutschland beziehungsweise im Ausland gefertigt?
Alexander Popp: Etwa 80 Prozent der Wertschöpfung unserer Kinderwagen werden in Deutschland erbracht und zwar an unserem ursprünglichen Gründungsstandort in Mannsgereuth in Oberfranken. Den Rest fertigen wir in Fernost. Wir haben eine eigene Produktion in China, die stets in engem Austausch mit uns steht und die ich auch aus Deutschland persönlich mit betreue.
Welche Produktionsschritte finden in Deutschland beziehungsweise im Ausland statt?
Der gesamte Entwicklungsprozess und die Konzeption unserer Produkte erfolgen in Deutschland. Hier vor Ort haben wir außerdem unsere Näherei, in der wir sämtliche Textilteile unserer Kinderwagen fertigen und in aufwändiger Handarbeit nähen. Die Kinderwagengestelle werden in China produziert und von dort zu uns ins Werk geliefert. In Mannsgereuth erfolgt dann die Endmontage und -kontrolle, bei der Kinderwagentextilien und Gestell zusammengefügt werden. Im Anschluss werden die Produkte dann direkt an unsere Kunden versandt.

Welche Vorteile ergeben sich daraus für Sie als Hersteller aber auch für Endverbraucher – vor allem bezogen auf Qualität und Sicherheit Ihrer Produkte?
Als Hersteller ist es uns wichtig, die Endkontrolle hier bei uns vor Ort zu haben. So können wir sicherstellen, dass jedes Produkt, das unser Werk verlässt, unseren hohen Qualitätsansprüchen entspricht. Alle Stoffe, die wir verwenden, sind schadstoffgeprüft, was wir durch die Textilproduktion in Deutschland besser kontrollieren und gewährleisten können. Auch im Sinne der Nachhaltigkeit ist es von Vorteil, die Näherei hier bei uns in Deutschland zu haben: Dadurch ist es uns möglich, unsere Kinderwagen auf Bestellung zu produzieren. So vermeiden wir Überproduktion, sparen Ressourcen und stellen sicher, dass stets neuwertige Ware unser Werk verlässt. Neben der Sicherheit unserer Kinderwagen hat der Endverbraucher den besonderen Vorteil, dass er bei uns sogar komplett individuelle Sonderanfertigungen bestellen kann, die wir direkt vor Ort für ihn umsetzen.

Wie kam es dazu, dass bestimmte Produktionsschritte ins Ausland verlegt wurden? Immerhin würde eine vollständig deutsche Produktion ja als Gütesiegel gelten.
Bis um die Jahrtausendwende haben wir unsere Kinderwagengestelle von Herstellern aus der Umgebung bezogen. Zu dieser Zeit drängte aber zunehmend ausländische Konkurrenz auf den Markt, die den deutschen Anbietern technisch teilweise überlegen war. Da seitens der deutschen Gestellhersteller die Investitionsbereitschaft und -möglichkeiten fehlten, um gleichzuziehen, waren deren Gestellkonstruktionen binnen kürzester Zeit überholt und nicht mehr up-to-date. Folglich waren wir gezwungen, uns nach Alternativen umzusehen, die wir schließlich bei Anbietern aus Fernost gefunden haben. Es war die logische Konsequenz, die Gestelle künftig von dort zu beziehen, um weiterhin höchsten technischen Standard anbieten zu können.

Wie haben Sie während des Fabriken-Lockdowns in China die Herausforderungen der Lieferkettenengpässe und -unterbrechungen gemeistert? Und wie werden Sie die in Zukunft umgehen?
Natürlich war die Situation Anfang 2020 auch für uns eine besondere Herausforderung. Wir hatten allerdings gegenüber anderen Herstellern den großen Vorteil, dass wir unsere Kinderwagen in Deutschland nähen. Dadurch waren wir hinsichtlich der Textilproduktion unabhängig von chinesischen Zulieferern. Zwar erhalten wir die Gestelle aus China, planen allerdings bewusst mit ausreichend Lagerbeständen, was in dieser Zeit von Vorteil war. So konnten wir den mehrwöchigen Fabriken-Lockdown in China gut überbrücken, ohne dass es für unsere Kunden zu irgendwelchen Einschränkungen gekommen ist. Auch wenn ein Eigenlager natürlich mit hohen Fixkosten verbunden ist, ermöglicht es uns doch eine gewisse Unabhängigkeit und größere Kontrolle, was uns in dieser besonderen Situation – und mit Sicherheit auch zukünftig – zugute kommt.

Gegründet von Korbflechter Georg Gesslein Ende der 1940er-Jahre. Zusammen mit seiner Frau Anni entwickelt er den ersten Panorama-Kinderwagen der Welt, der in den 60er- und 70er-Jahren zum Bestseller avanciert. 1986 übernehmen Anni und Tochter Waldtraut mit Ehemann das Geschäft. Mit Fokus auf Stoffen, Mustern und Farben gelingt es ihnen, in den 80er- und 90er-Jahren Kinderwagen zum Lifestyle-Produkt zu machen. Heute führt das Geschwisterpaar Alexander Popp und Jeannine Merkl Gesslein mit sicherer Hand. Sie vereinen Tradition & Innovation, Technik & Design, Mode & Funktionalität sowie Lifestyle & Nachhaltigkeit und kreieren moderne Kinderwagen für Millenials.

Bewerten Sie vor dem Hintergrund der Pandemie die Vorteile/Nachteile der Auslandsstandorte neu? Zu welchem Ergebnis kommen Sie dabei?
In der Pandemie hat sich gezeigt, dass wir mit unserer Kombi-Ausrichtung ganz gut fahren beziehungsweise hier eine gute Balance gefunden haben. Die eigene Gestellproduktion in China ermöglicht uns ein Preis-Leistungs-Verhältnis bei unseren Kinderwagen, das wir niemals halten könnten, wenn wir die Wertschöpfungskette komplett in Deutschland beziehungsweise Europa hätten. Andererseits begeben wir uns nicht in eine totale Abhängigkeit, sondern behalten wichtige Produktionsschritte wie etwa die Textilherstellung und besonders auch die Endkontrolle hier in Deutschland. Dadurch können wir die Qualität und Sicherheit unserer Produkte gewährleisten. Ich würde daher sagen: Aktuell ist unser Herstellungsprozess so austariert, dass er die Vorteile aus beiden Standorten ganz optimal nutzt.

Wie sehen die nächsten zehn Jahre bei Gesslein idealerweise aus – wird der Standort Deutschland/Europa (wieder) wichtiger oder wird er im Gegenteil an Bedeutung verlieren?
Für uns hat der Standort Deutschland beziehungsweise ganz konkret unser Firmenstandort in Mannsgereuth schon aus der Tradition heraus eine große Bedeutung. Das haben wir zuletzt auch dadurch unterstrichen, dass wir in den letzten Jahren viel in unsere Produktions- und Vertriebsstätten hier investiert haben. Dennoch ist es als modernes Unternehmen wichtig, über den Tellerrand zu blicken und internationale Möglichkeiten auszuschöpfen. Insofern werden wir bei unserer Produktion auch in Zukunft an dieser Kombi-Ausrichtung festhalten, da sie uns die nötige Flexibilität ermöglicht. Unser Schwerpunkt und die Seele unseres Unternehmens liegen aber eindeutig in Deutschland und das wird auch in den nächsten zehn Jahren so bleiben.