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Branche: Komm näher!

12. Juni 2024, 12:50

Mit einem Gesamthandelsvolumen von über 250 Milliarden Euro war China 2023 erneut der größte Handelspartner Deutschlands im Warenbereich, obwohl dies einen Rückgang von 15,5 Prozent im Vergleich zum Vorjahr darstellt. Auch für die Spielwarenindustrie ist China auf Länderebene der wichtigste Geschäftspartner und Produktionsstandort Nummer 1. Fast Dreiviertel aller Spielwaren werden laut DVSI in im Reich der Mitte gefertigt. Doch im Hinblick auf vergangene und aktuelle Herausforderungen wie dem Klimawandel, Russlands Krieg gegen die Ukraine, die Corona-Pandemie, die unsichere Lage im Roten Meer und hohe Energiekosten machen sich immer mehr Spielzeughersteller Gedanken darüber, wie sie unabhängiger von China werden können.

Eine Lösung aus deutscher Sicht könnte „Nearshoring“ sein, also die Verlegung von Produktions- und Geschäftsprozessen beziehungsweise von Dienstleistungen aus Fernost ins europäische Ausland. Bevorzugte Standorte sind – je nach Produktionsanforderungen – Polen, Ungarn, die Tschechei, aber auch die Türkei und Portugal. Zeit, Aufwand und Kosten für ein solches Unterfangen wären zunächst enorm, doch wären die Standorte erst einmal etabliert, gäbe es viele Vorteile:

  1. Kürzere Lieferketten: Durch die geografische Nähe zu Deutschland werden die Lieferzeiten verkürzt, was die Effizienz und Reaktionsfähigkeit der Lieferkette erhöht.
  2. Kulturelle und sprachliche Nähe: Ähnliche Zeitzonen, kulturelle und sprachliche Gemeinsamkeiten erleichtern die Kommunikation und Zusammenarbeit.
  3. Kosteneffizienz: Während die Lohn-kosten in Nearshore-Ländern höher sein können als in typischen Offshoring-Zielen, sind sie oft immer noch günstiger als im Heimatland des Unternehmens. Zudem werden Transport- und Reisekosten reduziert.
  4. Flexibilität und Kontrolle: Die Nähe ermöglicht eine bessere Kontrolle über Produktionsprozesse und erleichtert Besuche vor Ort, was die Flexibilität und Anpassungsfähigkeit des Unternehmens erhöht.
  5. Risiko- und Krisenmanagement: Nearshoring reduziert Risiken im Zusammenhang mit politischen Instabilitäten, Naturkatastrophen oder anderen globalen Ereignissen in weit entfernten Ländern.

Spielwarenunternehmen, die den Aufwand einer Produktionsverlegung ins (ost-)europäische Ausland nicht betreiben können oder wollen, stellen alternative Überlegungen an oder haben zum Teil schon begonnen, neue Produktionsstrukturen in südostasiatischen Ländern wie Malaysia, Vietnam und Indien aufzubauen. Natürlich gibt es noch andere, kurzfristigere und kostengünstigere Wege, um den Lieferkettenproblemen aus Fernost zu begegnen. So haben viele Spielwarenhersteller ihre Lagerbestände aufgestockt und die Zusammenarbeit mit ihren Lieferanten intensiviert. Andere setzen auf ein verbessertes kontinuierliches Lieferketten-Monitoring sowie auf eine stärkere interne Kommunikation. Eine höhere Lieferkettenresilienz kann auch durch eine allgemeine Diversifizierung der Lieferantenbasis erreicht werden, durch Einführung eines Risikomanagement-Systems oder auch Investitionen in neue Technologien.
Zu diesem Problemfeld und insbesondere zur Bedeutung Chinas als Beschaffungsmarkt für die Spielwarenbranche in der DACH-Region gibt es vom DVSI in Zusammenarbeit mit dem österreichischen Spielwarenverband Toy Forum Austria (TFA) und den Kolleg*innen aus der Schweiz (SVS) eine Fokusumfrage, die die Zukunft der Spielwarenbeschaffung vor dem Hintergrund globaler Herausforderungen und Krisen beleuchtet.

Hintergründe und Ziele der Fokusumfrage

Nach dem Motto „Marktforschung ist unentbehrlich“ bietet die Fokusumfrage „Toy Sourcing“ exklusive Einblicke in die Welt der Spielwarenindustrie für Unternehmen der DACH-Region. Dabei geht es vor dem Hintergrund zahlreicher Krisen um die aktuellen globalen Herausforderungen der Branche, insbesondere in Bezug auf die nicht enden wollenden Turbulenzen auf den Beschaffungsmärkten und die zunehmenden geopolitischen Spannungen gerade auch hinsichtlich China.
Insgesamt wurden 262 Mitgliedsfirmen in den drei beteiligten Verbänden angeschrieben. Die dort organisierten Spielwarenhersteller machen in den jeweiligen Ländern zwischen 30 (TFA) bis 80 Prozent (DVSI, SVS) des Umsatzes der nationalen Spielwarenindus-trie aus. Damit besteht eine solide Basis, um über eine Mitgliederbefragung ein aussagekräftiges Bild der Gesamtbranche in der DACH-Region zu zeichnen. Insgesamt 112 Firmen nahmen an der Befragung teil, dies entspricht einer Rücklaufquote von 43 Prozent. Damit ist die Datenbasis groß genug, um verlässliche Aussagen zu Lage und aktuellen Entwicklungen der Branche zu treffen. Neben länderspezifischen Aussagen lässt die Analyse auch eine Differenzierung zwischen unterschiedlichen Firmengrößen zu. So beteiligten sich an der Befragung 13 Prozent kleinere Hersteller mit einem Jahresumsatz von bis zu 500.000 Euro, 46 Prozent mittelgroße Produzenten mit bis zu zehn Millionen Euro sowie 41 Prozent Großunternehmen über zehn Millionen Euro. In die Befragung flossen die Erfahrungen von Firmen mit verschiedensten Produktgruppen ein, sodass ein breiter Querschnitt über die gesamte Branche gewährleistet ist. So lassen sich auch differenzierte Aussagen zu Besonderheiten und Trends in den einzelnen Produktgruppen treffen.


Die Ergebnisse in Auszügen

Auswirkungen globaler Risiken auf die Unternehmen
Die Risikowahrnehmungen der Befragten aus den drei Ländern sind ähnlich, zeigen jedoch feine Unterschiede. Mitglieder des DVSI sehen starke Risiken durch veränderte rechtliche Rahmenbedingungen, während Mitglieder der TFA eher Bedenken wegen Wechselkursschwankungen haben. Die Mitglieder des Schweizer Verbandes der Spielwarenindustrie SVS sorgen sich am meisten um Handelsbeschränkungen, Sanktionen und Zölle.
Interessant sind auch die Unterschiede in der Risikowahrnehmung in Abhängigkeit von der Unternehmensgröße. Großproduzenten mit einem Jahresumsatz von über zehn Millionen Euro sorgen sich besonders um Handelsbeschränkungen, Sanktionen und Wechselkursschwankungen, während mittelgroße Hersteller die Gefahren durch Krieg und Terrorismus stärker wahrnehmen.
Deutliche Unterschiede bestehen zwischen den Produktgruppen. Hersteller von Baby- und Kleinkindartikeln schätzen die Risiken geringer ein, während die Sorgen bei den Herstellern von Lifestyle- und Trendartikeln sowie Festartikeln, Karneval und Fasching am größten sind.

Auswirkungen globaler Risiken auf den Geschäftsalltag
Wenn es um die Auswirkungen auf den Geschäftsalltag geht, sehen 73 Prozent der befragten Hersteller starke bis leicht negative Folgen für die Lieferbedingungen durch Firmen aus dem Ausland und 66 Prozent bei den eigenen Export- und Absatzmöglichkeiten. Weniger Kopfzerbrechen machen den Herstellern die Produktionsbedingungen im Ausland – die sind für 43 Prozent der Befragten nicht relevant. Trotzdem sehen 42 Prozent der Umfrageteilnehmer starke bis leicht negative Entwicklungen, besonders Großunternehmen über zehn Millionen Euro Jahresumsatz.

Bedeutung des Beschaffungsmarktes China
Die aktuellen Entwicklungen in China machen den meisten Spielwarenherstellern Sorgen. 35 Prozent der befragten Unternehmen gaben an, sie seien sehr stark und 22 Prozent stark vom chinesischen Beschaffungsmarkt abhängig. Zwölf Prozent sind wenig und zehn Prozent gar nicht abhängig. Dabei spielt auch hier wieder die Firmengröße eine Rolle:

Welche Rolle spielt der Beschaffungsmarkt China für Ihr Unternehmen?

Kleinere Produzenten bis 500.000 Euro Jahresumsatz sind wenig abhängig, während mittelgroße und große Hersteller über zehn Millionen Euro Jahresumsatz deutlich abhängiger sind. Hier zeigt sich die Kehrseite der Medaille: Während größere Produzenten durch die starke Verlagerung ihrer Beschaffung nach China früher große Vorteile vor allem in Bezug auf Kosten hatten, sind nun die Risiken einer einseitig vorangetrieben länderspezifischen Fokussierung deutlich.
Interessant sind auch die Abhängigkeiten verschiedener Produktgruppen von China: Während Festartikel, Karneval, Fasching, Technisches & edukatives Spielzeug, Aktionsspielwaren und Lifestyle & Trendartikel zu über 80 Prozent stark bis sehr stark abhängig sind, berichten Hersteller von Modelleisenbahnen sowie Holzspielwaren und Kunsthandwerk von einer vergleichsweise geringeren Abhängigkeit, da sie mehr auf lokale Fertigung setzen.

Risiken bei Beschaffung und Produktion in China
Insgesamt sind die China-spezifischen Risikowahrnehmungen der befragten SVS-Mitgliedsunternehmen auf allen Dimensionen kritischer als die der DVSI-Mitglieder. Insbesondere sehen die schweizer Produzenten deutlich stärker mögliche politische Risiken, wie zum Beispiel die Gefahr von Handelskriegen und Sanktionen, während für die Hersteller aus Österreich vor allem die Lieferkettenrisiken im Vordergrund stehen. Für kleinere Spielwarenproduzenten liegt der Fokus stärker auf Technologie-, rechtlichen, Umwelt- und arbeitsrechtlichen Risiken.

Welche Risiken bestehen für Unternehmen bei Beschaffung und Produktion in/aus China?

Mittlere und große Hersteller bewerten die Risiken insgesamt gelassener, sind sich aber der politischen Gefahren bewusst. Unterschiede gibt es auch hier zwischen Produktgruppen: Hersteller von Modellbau und Hobbyartikeln sehen geringere Risiken, während Produzenten von Holzspiel- und Kunsthandwerksartikeln größere Sorgen haben.

Entwicklung der Geschäftstätigkeit mit China seit 2020
Trotz Herausforderungen hat sich für immerhin 15 Prozent der Befragten das China-Geschäft seit Beginn der Corona-Krise 2020 positiv entwickelt, während 40 Prozent keine Änderung sehen. Dennoch gibt eine negative Tendenz, denn 29 Prozent berichten – weitgehend unabhängig von Unternehmensgröße oder Verbandszugehörigkeit – von einer seitdem schlechteren Entwicklung. Besonders negativ hat sich das China-Geschäft für Unternehmen aus den Segmenten „Festartikel, Karneval, Fasching“, „Lifestyle & Trendartikel“, „Technisches & edukatives Spielzeug, Aktionsspielwaren“ und für Mehrbranchen-Betriebe entwickelt, da sie stark von diesem Beschaffungsmarkt abhängen.

Wie hat sich die Geschäftstätigkeit in und mit China für Ihr Unternehmen seit 2020 entwickelt?

Künftige Lieferalternativen zu China
Wenn zu große, einseitige Abhängigkeiten zum geschäftlichen Risiko werden, sind Alternativen gefragt. So wollen laut Befragung nur 19 Prozent der teilnehmenden Hersteller auch künftig ihren Fokus allein auf China setzen. Weitere 18 Prozent konzentrieren dagegen ihren Beschaffungsschwerpunkt vornehmlich auf die DACH-Region. Alternativ hoch im Kurs stehen im Sinne eines Nearshoring Lieferanten aus Europa, vor allem aus dem Osten, aber auch Nord-, West- und Südeuropa sowie der Türkei. Die neuen Favoriten in Asien sind südostasiatischen Länder (Indonesien, Thailand, Vietnam) sowie Indien. Dagegen spielen anderen Regionen wie Amerika und Afrika in der Beschaffungsplanung der Spielwarenproduzenten keine Rolle.


Fazit

Die Spielwarenbranche steht vor vielfältigen globalen Herausforderungen, die von Umweltaspekten, Handelsbeschränkungen, Klimawandel, geopolitischen Risiken und Abhängigkeiten von China geprägt sind. Die Suche nach Wegen zu alternativen Beschaffungsmärkten, zu einer höheren Lieferkettenresilienz, aber auch zu stabilen Umsätzen, Verbraucherpreisen sowie Mitarbeiterlöhnen unter Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsaspekten und neuen gesetzlichen Vorgaben gestaltet sich schwierig und muss individuell erfolgen. Unternehmen, die jetzt auf Flexibilität, Weitblick und neue Technologien setzen, darüber hinaus aber vielleicht auch den Mut haben, nach Alternativen zum Beschaffungsland China zu suchen, haben gute Chancen, in dieser komplexen Weltwirtschaftslage langfristig zu bestehen.