Branche: Kenne deine Lieferkette
Die Aufregung war groß, als die Briefe von Handelsketten bei den deutschen Spielwarenherstellern ins Haus flatterten. Denn eigentlich hatte das neue Gesetz, das Anfang vergangenen Jahres in Kraft trat, zunächst nur für Unternehmen mit mehr als 3.000 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in Deutschland Gültigkeit. Die Spielwarenbranche konnte dem Lieferkettengesetz (LkSG), von dem hier die Rede ist, also sehr entspannt entgegenblicken. Eigentlich.
Kleine Unternehmen – große Auswirkung
Für kleine und mittlere Unternehmen wäre das LkSG nämlich sehr folgen- und umfangreich: Unternehmen in Deutschland, die größer sind als ein festgelegter Schwellenwert, sind durch das Gesetz verpflichtet, menschenrechtliche und ökologische Sorgfaltspflichten in ihrer Lieferkette in angemessener Weise zu beachten. Damit sollen einerseits die Rechte der von den Unternehmensaktivitäten in den Lieferketten betroffenen Menschen gestärkt werden, andererseits soll den berechtigten Interessen der Unternehmen an Rechtssicherheit und fairen Wettbewerbsbedingungen Rechnung getragen werden. Das Gesetz legt neun Sorgfaltspflichten fest, dazu gehören beispielsweise die Einrichtung eines Risikomanagement-Systems und einer Beschwerdestelle sowie die Umsetzung von Anforderungen bezüglich Risiken bei Lieferanten.In den Schreiben großer Händler las sich das ganz anders: Hier wurden Hersteller aufgefordert, den im Gesetz geforderten Transparenz- und Berichtspflichten nachzukommen und dies mit Unterschrift zu bestätigen.
KMU nicht automatisch berichtspflichtig
Die Argumentation, die hinter dem Versand des eingangs erwähnten Briefes von Handelsketten an Unternehmen der Spielwarenindustrie steht, ist folgende: Die Hersteller sind Teil der Lieferkette und der Händler, selbst mit einer Angestelltenzahl oder einem Umsatzvolumen jenseits des Schwellenwertes, hat dafür Sorge zu tragen, dass dem Gesetz Genüge getan wird. Nach dieser Lesart sind auch Spielwarenhersteller in der Pflicht, Verantwortung für ihre Wertschöpfungskette mit Zulieferern in aller Welt zu übernehmen.
Natürlich ist es im Sinne der Hersteller, Menschen- und Umweltrechte zu achten und im Rahmen ihrer Möglichkeiten entsprechend zu agieren. Genau dieser Rahmen jedoch wurde hier ausgehebelt. Kleine Unternehmen mit Bezugsquellen im außer-europäischen Ausland sind nur schwer in der Lage, sämtliche Lieferanten und Vor-Lieferanten zu screenen, Missstände zu identifizieren und darüber hinaus auch zu beheben. Hierzu fehlt ihnen schlicht die Manpower – und die notwendige Schlagkraft. Das sieht auch der Gesetzgeber. Deshalb wurde zunächst der Schwellenwert von 3.000 Mitarbeitern in Deutschland festgelegt. Berichtspflichtige Unternehmen im Sinne des Gesetzes müssen fortan also ihre Lieferkette im Griff haben und sind dazu verpflichtet in ihrer Lieferkette nachzufragen, wenn ein begründeter Verdacht auf Verstoß gegen das Gesetz besteht.
Was jedoch nicht im Sinne des LkSG ist und somit auch nicht der im Gesetz gemeinten Sorgfaltspflicht entspricht, ist die pauschale Weitergabe dieser Pflicht. Vielmehr muss das verpflichtete Unternehmen unmittelbare Zulieferer, bei denen es ein Risiko vermutet, in seine konkrete Risikoanalyse und gegebenfalls in Präventions- und Abhilfemaßnahmen sowie in die Einrichtung seines Beschwerdeverfahrens einbeziehen.
Das stellt das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) auch in einer Handreichung ganz klar dar: „KMU müssen die Pflichten nach dem LkSG nicht selbst erfüllen. Das BAFA kann und wird als für die Umsetzung und Kontrolle des LkSG zuständige Behörde KMU auch nicht daraufhin kon-trollieren oder mit Sanktionen wie Bußgeldern belegen.
Das LkSG verpflichtet KMU nicht:
- bezogen auf ihre Lieferkette eine eigene Risikoanalyse durchzuführen;
- selbst zu prüfen, welche Präventions- und Abhilfemaßnahmen sie bezogen auf ihre Lieferkette durchführen sollten;
- ein eigenes Beschwerdeverfahren einzurichten;
- Berichte an das BAFA zu übermitteln oder daran mitzuwirken.“
- Weiter betont das BAFA, dass ein KMU im Falle einer Anfrage eines verpflichteten Unternehmens zunächst die Begründung der Anfrage prüfen soll, da diese nur im begründeten Verdachtsfall erfolgen soll.
Helpdesk für Fragen
Die Bundesregierung hat für Fragen rund um die Handhabung des LkSG sowie die sich daraus ergebenden Problemstellungen den „Helpdesk Wirtschaft & Menschenrechte“ etabliert, an den man sich als KMU kostenfrei, individuell und vertraulich wenden kann. Für betroffene Unternehmen kann dieser Weg jedoch im Akutfall zu viel Zeit beanspruchen. Vor vorschnellem Unterschreiben der Forderungen wird jedoch dringend abgeraten. Auch wenn ein KMU bei großen Handelsketten oder anderen Geschäftspartnern oft in die Bredouille gerät, hängt doch ein guter Teil des wirtschaftlichen Wohlergehens am Aufrechterhalten einer guten Geschäftsbeziehung.
Für seine Mitglieder bietet auch der DVSI eine entsprechende Beratung und rät KMU dazu, sich um die eigene Lieferkette im für das Unternehmen sinnvollen Maß zu kümmern – um im Bedarfsfall entsprechend gewappnet zu sein.
„Politik bleibt immer die Kunst
des Möglichen und Machbaren.“
Ulrich Brobeil,
Geschäftsführer Deutscher Verband der Spielwarenindustrie (DVSI)
Verschärfung – auch auf europäischer Ebene
Anfang 2024 wurde die Schwelle in Deutschland nun auf 1.000 Mitarbeiter gesenkt – noch immer eine Größe, die kaum Spielwarenhersteller betrifft. Und auch auf europäischer Ebene ist eine entsprechende Lieferkettenrichtlinie (CSDDD) in Sicht. Am 24. April hat das europäische Parlament den finalen Text angenommen.
Die CSDDD orientiert sich unter anderem am LkSG. Nach dem Richtlinienentwurf soll der Anwendungsbereich gegenüber dem deutschen LkSG auf EU- und ausländische Unternehmen mit mehr als 500 Beschäftigten und mehr als 150 Millionen Euro Nettoumsatz jährlich ausgeweitet werden. Für Unternehmen in Risikosektoren (unter anderem Textil-, Landwirtschaft- und Rohstoffsektor) soll die Richtlinie schon ab 250 Beschäftigten und mehr als 40 Millionen Euro Nettoumsatz jährlich gelten.
Initiativen neben der Gesetzgebung
Unabhängig von der deutschen und europäischen Gesetzgebung sind einzelne Unternehmen aus verschiedenen Geschäftsfeldern aber bereits seit Jahren eigeninitiativ bemüht, ihre Lieferketten und ihre sozial-ökologische Verantwortung zu durchleuchten und zu optimieren. Auch in der Spielwarenbranche gibt es seit einiger Zeit eine größer werdende Gruppe an Unternehmen, die sich in der Fair Toys Organisation (FTO) zusammengefunden hat. Diese hat, wie das LkSG und das CSDDD, ihr Augenmerk auf faire und sozial-ökologisch korrekte Lieferketten gerichtet.
Eine FTO-Mitgliedschaft bietet Unternehmen eine starke Grundlage, um gute und robuste Sorgfaltspflichtenprozesse zu etablieren und um internationale Arbeitsstandards einzuhalten. Insbesondere das Kernstück des Prozessverfahrens, der Fair Performance Check (FPC), untersucht und überprüft die Umsetzung der elementaren Sorgfaltspflichten, die auch im LkSG genannt werden. Mitgliedsunternehmen, welche die FPC-Anforderungen in umfassendem Maß erfüllen, sind demzufolge auch gut vorbereitet, um zentrale Anforderungen des LkSG zu erfüllen.
Noch betrifft das LkSG die Unternehmen der Spielwarenindustrie zumeist nicht direkt. Indirekt kann es jedoch durch begründeten Verdacht eines berichtspflichtigen Handelsunternehmens passieren, mit in Verantwortung gezogen zu werden. Spätestens mit der CSDDD und ihrem Schwellenwert von 500 Beschäftigten rücken jedoch mehr Unternehmen in die Berichtspflicht. Dieser Verpflichtung einen Schritt voraus zu sein ist daher wohl eine sinnvolle Investition in die Zukunft des eigenen Unternehmens. Dass man dank DVSI und FTO als deutscher Hersteller hier nicht alleine gelassen wird, kann gerade für KMU sehr beruhigend sein.
„Experimentelle, naturwissenschaftliche Spielzeuge sollen unter der neuen Verordnung weiterhin
möglich sein.“
Sonja Brinz
Head of Product and Toy Safety Kosmos
Neuerungen auch bei der Spielzeugsicherheit
Das Europäische Parlament hat den Entwurf zur neuen Spielzeug-Sicherheitsverordnung der EU überarbeitet und im Parlament angenommen. Sichere Spielwaren sind europäischen Herstellerbetrieben ein großes Anliegen, und so ist es nur folgerichtig, bestehende Regelungen auf den Prüfstand zu stellen und entsprechend den neuesten Kenntnissen anzupassen und zu verfeinern. Dies dient nicht nur der Sicherheit von Kindern, sondern auch der Absicherung von Herstellerbetrieben im Schadensfall.
So nimmt sich die Verordnung beispielsweise erbgutverändernder und fortpflanzungsgefährdender Substanzen an, die bislang nicht vollumfänglich berücksichtigt waren. Die Vorschriften zielen auch auf Chemikalien ab, die für manche Organe persistent oder toxisch sind. Demnach sollen Spielwaren keine PFAS mehr enthalten. Um bei der Einhaltung der Regularien Transparenz zu gewährleisten, soll ein digitaler Produktpass für mehr Klarheit und Nachvollziehbarkeit sorgen.
Doch gut gedacht ist nicht in jedem Fall gut gemacht – denn neben sinnvoller Regelungen hat das Votum des Parlaments auch manche unbeabsichtigten Folgen. Die Spielzeug-Sicherheitsverordnung macht es durch harte Grenzwerte oder Ausschluss von bestimmten Substanzen nämlich unmöglich, manches per se sichere Spielzeug mit natürlich vorkommenden Inhaltsstoffen zu vertreiben. Hersteller von Buntstiften, Farben oder Kreiden stehen hier vor nahezu unüberwindbaren Hürden.
Als Übergangsfrist sind 30 Monate in der Diskussion – ein Zeitraum, der für die Umsetzung der Änderungen produktionsseitig inklusive Lagerbereinigung in der Handelskette viel zu kurz ist. Die Vermutung liegt nahe, dass manche sicheren Spielwaren aufgrund der Neuregelung nicht mehr verkäuflich sein werden, während andere, eingeführt ohne Prüfung aus Drittländern via Online-Plattformen, diese Lücke schließen.
Knackpunkt: Einfallstor von außerhalb der EU
Problematisch ist allerdings das Einfallstor von außerhalb der EU, da es das Europäische Parlament mit dem Entwurf der Verordnung nämlich verpasst hat, eine für Hersteller und Handel eklatante Lücke zu schließen. Verkäufer von außerhalb der EU haben nämlich nach wie vor die Möglichkeit, über Onlinemarktplätze potenziell gefährdendes Spielzeug im EU-Raum zu verkaufen. Und das trotz Digital Services Act. Somit haben gesetzeskonform und gewissenhaft agierende Unternehmen mit Sitz innerhalb der EU das Nachsehen gegenüber denen, die aus Drittländern verkaufen, und somit Sicherheitsauflagen umgehen können.
Ende vergangenen Jahres hat der europäische Verband der Spielwarenindustrie TIE dies gemeinsam mit dem Deutschen Verband der Spielwarenindustrie DVSI eindrücklich demonstriert, indem von der Plattform Temu 20 Spielzeuge bestellt und getestet wurden. 18 davon stellten ein Sicherheitsrisiko dar. TIE fordert nun die zuständigen EU-Institutionen auf, den Entwurf in Hinblick auf negative Auswirkungen weiter zu diskutieren und entsprechend abzumildern. Nach der Wahl am 9. Juni soll der Entwurf vom neuen Parlament weiter behandelt werden.
Wenn Politik heißt, die eigenen Interessen durchsetzen zu wollen, so bleibt Politik doch immer die Kunst des Möglichen und Machbaren. Der Glaube, die Spielwarenbranche könne ihre Vorstellungen „in allen Punkten“ durchsetzen, bleibt folglich eine Illusion. Am Ende steht ein Kompromiss, mit dem alle Beteiligten leben können. Die bisherige Arbeit an der Novellierung der 2009/2011 in Kraft getretenen EU-Spielzeugrichtlinie zeigt das einmal mehr. Wäre es nach dem Willen des Ausschusses für Umweltfragen, öffentliche Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (ENVI) im EU-Parlament gegangen, wären die Antworten des Parlaments auf den Entwurf der EU-Kommission für die neue Spielzeugverordnung deutlich restriktiver ausgefallen. Was herauskam, war eine Einigung zwischen dem eher wirtschaftsfreundlicheren Ausschuss für Binnenmarkt und Verbraucherschutz (IMCO) und eben dem strengeren Umweltausschuss. Wie andere Spielwarenverbände in der EU spielen der DVSI, aber auch Toy Industries of Europe (TIE) in diesem „Entscheidungsfindungsprozess“ mit ihrer Expertise einen sehr aktiven Part, um den Interessen der Wirtschaft Gehör zu verschaffen. Zudem gilt auch für den Entwurf des EU-Parlaments das „Strucksche Gesetz“ nur in abgewandelter Form: Kein Entwurf des Brüsseler Parlaments bleibt so, wie er das Haus verlässt. Der Rat der Mitgliedsstaaten, der final an seiner Position arbeitet, die EU-Kommission und das Europäische Parlament sind nun im sogenannten Trilog-Verfahren in der zweiten Jahreshälfte 2024 gefordert, die unterschiedlichen Positionen zu harmonisieren. Das komplexe europäische Gesetzgebungsverfahren ist also längst nicht abgeschlossen, sondern wir stecken noch mittendrin. Zwar sind die Grundsatzpapiere nach der Europa-Wahl Anfang Juni weiterhin die Basis für die Verhandlungen, aber Änderungen sind durchaus möglich, zum Beispiel bei der Übergangs- und der Abverkaufsfrist. Der DVSI bleibt am Ball und hat deshalb neu eine Offensive mit den anderen Verbänden der EU aufgelegt, um weitere Aufklärungsarbeit unter anderem auch in den Punkten chemische Sicherheit und Billig-Online-Shopping-Plattformen bei den nationalen Entscheidungsträgern zu leisten.
Die Spielzeugrichtlinie war eine Erfolgsgeschichte, die sicheres Spielzeug in Europa garantiert und durch regelmäßige Anpassungen den wissenschaftlichen Fortschritt abbildet. Wir wünschen uns eine EU-Spielzeugsicherheitsverordnung, die deren Grundprinzipien beibehält, mit Grenzwerten, die messbar sind, sowie Anforderungen, die mit Augenmaß gestellt werden, basierend auf wissenschaftlich belegbaren Sicherheitsrisiken. Für Experimentierkästen, die Kindern anschauliche und auch interessante Versuche ermöglichen sollen, werden spezielle Materialien benötigt. Für manche Themenfelder brauchen wir bestimmte Elektroteile, um beispielsweise regenerative Energien wie Solarzellen oder Brennstoffzellen experimentell zu untersuchen. Aber auch reaktive Stoffe oder Chemikalien aus den verschiedenen Stoffgruppen des Periodensystems der Elemente benötigen wir zum Beispiel für umfassende Chemie-Experimentierkästen. Die Stoffbeschränkungen sollen die Möglichkeiten für naturwissenschaftliche Experimente nicht so extrem einschränken, dass Experimentierkästen derart reglementiert und innovative Technologien und neuartige Materialien und Experimente nicht mehr möglich sind. Wir wünschen uns, dass wir mit unseren Experimentierkästen weiterhin den beruflichen Weg in wissenschaftliche Zukunftsfelder regenerativer Energien, neuartiger Technologien oder MINT-Fächer bereiten und so Europas Innovationskraft fördern.
Spielen, aber vor allem Experimentieren heißt, anfassen dürfen, selbst tun, seine eigene Selbstwirksamkeit erleben. Dazu leisten experimentelle, naturwissenschaftliche Spielzeuge einen sehr wichtigen Beitrag, und sie sollen unter der neuen Verordnung weiterhin möglich sein.
3 Fragen an … Rafaela Hartenstein, European Director Corporate Affairs bei Hasbro
Rafaela Hartenstein verantwortet bei Hasbro den Bereich Government and Regulatory Affairs in der EMEA-Region und im asiatisch-pazifischen Raum. In ihrer Funktion vertritt sie Hasbro gegenüber wichtigen Verbänden, der EU-Kommission und anderen politischen Interessengruppen in Brüssel sowie gegenüber nationalen Regierungen und Behörden in Europa, dem Nahen Osten und Nordafrika. Darüber hinaus ist sie das Bindeglied für CSR-bezogene Themen in Europa.
Das Europäische Parlament hat kürzlich für einen Entwurf der Spielzeugsicherheitsverordnung gestimmt, der durchaus kontrovers diskutiert wird. Wie stehen Sie zu diesem Entwurf und wo muss er aus Ihrer Sicht nachjustiert werden?
Das EU-Parlament hatte im März über seine Position zum Entwurf der EU-Kommission abgestimmt. Der Entwurf und auch die Vorschläge des Parlamentes dazu enthalten einige gute Anregungen, aber ein paar Punkte sehen nicht nur wir als Unternehmen, sondern die ganze Industrie sehr kritisch. Insbesondere die aktuell im Rat diskutierten chemischen Vorgaben würden uns als Hersteller vor teilweise unlösbare Probleme stellen. Damit könnte man bestimmte Ausgangsmaterialien kaum noch verwenden, weil man nie sicher ist, ob nicht doch Verunreinigungen vorliegen – und es gibt bislang keine verlässlichen Messmethoden für solch niedrige Grenzwerte. Für kein anderes Verbraucherprodukt gelten so strenge Anforderungen in der Breite, nicht einmal Lebensmittel-Kontaktmaterialien oder Kosmetika sind so streng limitiert.
Ein weiteres großes Problem ist die Übergangsfrist, die mit 30 Monaten viel zu kurz angesetzt wurde: Da fast alle geltenden Spielzeug-Normen für die neue Verordnung überarbeitet werden müssen, und jede dieser Überarbeitung in der Regel 36 Monate dauert, ist klar, dass 30 Monate für den Übergang nicht ausreichen. Wir können als Hersteller ohne die zugrundeliegenden Normen die Produkte nicht auf ihre Konformität testen – somit würde es eine Phase geben, in der wir keine neuen konformen Spielzeuge mehr auf den Markt bringen können. Dazu kommt noch der neue Digitale Produktpass, bei dem die Kommission zunächst noch viele Details definieren muss. Sowohl beim chemischen Grenzwert als auch bei der Übergangsfrist muss daher dringend nachgebessert werden.
Wie geht es nun weiter mit dem Entwurf? Ist der Zug schon abgefahren oder lohnt es sich noch, die Stimme zu erheben?
Das Parlament hat seine Position zum Entwurf im März finalisiert, im Europäischen Rat laufen aktuell noch die Beratungen. Aufgrund der Europawahl im Juni wird der sogenannte Trilog, also die finalen Verhandlungen zwischen EU-Kommission, dem Parlament und dem Rat, erst im Herbst beginnen. Deshalb ist es wichtig, dass wir als einzelne Hersteller und als gesamte Branche diese Zeit nutzen, um auf die Pro-bleme der aktuellen Vorschläge hinzuweisen, die Konsequenzen aufzuzeigen und klare Nachbesserungen zu fordern. Diese können im Rahmen des Trilogs noch umgesetzt werden, es ist also nicht zu spät, sich auf nationaler und europäischer Ebene Gehör zu verschaffen.
Ob Inhaltsstoffe, Produktpass, Übergangsfristen oder Marketplace-Problematik … können wir mit einem so langfristig angelegten Regulierungs- und Gesetzgebungsverfahren überhaupt adäquat auf sich schnell verändernde Gegebenheiten reagieren? Oder laufen wir so immer der Realität hinterher?
Grundsätzlich kann Gesetzgebung nicht kurzfristig auf aktuelle Gegebenheiten reagieren. Aber das Ziel ist ja auch eher, mittel- und langfristig einen Rahmen zu schaffen, der Interessen wie Verbraucherschutz oder Nachhaltigkeit berücksichtigt, aber auch wirtschaftliche Rahmenbedingungen im Blick hält, um Wachstum zu ermöglichen und Arbeitsplätze zu erhalten. Gleichzeitig ist es ärgerlich, wenn die Politik bei solchen Gesetzgebungsverfahren allgemein bekannte Probleme ausblendet und stattdessen auf andere Gesetze verweist, die leider lückenhaft sind. Das sehen wir aktuell bei der Debatte um Online-Marktplätze: Der Digital Services Act weist blinde Flecken auf, unter denen wir als Spielwarenhersteller maßgeblich leiden. Online-Plattformen müssen wenig bis keine Verantwortung übernehmen, wenn sie Herstellern und Importeuren aus Nicht-EU-Ländern die Tür nach Europa öffnen. Wenn deren Produkte ein Sicherheitsrisiko sind und geltende Vorschriften in Sachen Qualität und Produktsicherheit ignoriert werden, gibt es hier niemanden, der zur Rechenschaft gezogen wird. Das sorgt für unfaire Wettbewerbsbedingungen, die einerseits bereits klar erkannt und benannt sind, aber andererseits seitens des Gesetzgebers leider nicht konsequent angegangen werden.